Montag, 31. August 2009

Herbst

Seit einer Woche sind Arne, Marianne und die Kinder schon wieder in Urlaub, diesmal bei Mariannes Familie in Südnorwegen. Tore ist auch fort, sodass ich die Farm in der vergangenen Woche wirklich komplett alleine geführt habe und daher erst jetzt die Zeit finde, diesen Eintrag zu veröffentlichen.


Seit gut zwei Wochen deutet sich der Herbst immer deutlicher an. Die Gräser verfärben sich braun und gelb, die ersten Birken lassen vereinzelt gelbe Blätter fallen, die Heidelbeeren sind reif und die Rentiere drängt es gen Süden. Das Wetter ist gemäßigter, tagsüber zwischen 10 und 17°C, nachts fallen die Temperaturen bis auf 5°C herab. Auch die Tage werden rasant kürzer, momentan um etwa 10 Minuten pro Tag. Der Wechsel vom Polartag zur Polarnacht geht hier so rasend schnell vonstatten, dass ich nur staunen kann! Vor einem Monat schien noch die Mitternachtssonne bis in die Täler hinein, heute geht die Sonne um 19Uhr unter und um 4Uhr erst wieder auf. Und am 23sten September ist dann schon wieder das Äquinoktium, die Tagundnachtgleiche.

Das bedeutet, dass es nun nachts wieder so dunkel wird, dass man die markantesten Sternbilder erkennen kann - und auch die ersten Nordlichter der Saison! Gestern sah ich zum ersten Mal wieder blasse Schlieren am blauen Nachthimmel tanzen und machte vor ganz ungewohnter Kulisse die ersten Beweisfotos. Was freue ich mich auf den Winter und darauf, sie endlich wieder sehen zu können! Seit ich in Island war, habe ich im Herbst regelrechten Entzug nach diesem fantastischen Naturphänomen, dem ich stundenlang zusehen kann und dabei jedes Mal meine Müdigkeit und die Zeit vergesse.

Dadurch, dass die Temperaturen an bedeckten oder verregneten Tagen endlich unter 15°C fallen, haben wir seit zwei Wochen mit unregelmäßigen Trainingsfahrten der Hunde begonnen. Da der erste Schnee frühestens Ende Oktober fallen wird, müssen wir bis dahin mit einem Quad trainieren, also einem vierrädrigen Motorrad mit Ballonreifen. Obwohl alles andere als umweltfreundlich, so bin ich dankbar, dass das Gefährt so schwer ist und so gute Bremsen besitzt - denn die Hunde sind nach der langen Pause außer Rand und Band und voll unbändiger Energie. Zusammen legen sie eine Kraft an den Tag, die mich nur beeindruckt und im Angesichte derer ich froh bin, auf einem motorisierten Gefährt zu sitzen, das es mir erlaubt, zu stoppen, wann ICH es will.

Auf den ersten beiden Kilometern wollen die Hunde freiwillig nämlich nicht anhalten - nur rennen wollen sie, und wenn es nach ihnen geht würden sie auch die vielen Rentiere jagen, die momentan überall herumlaufen. Wenn wir die Gespanne anleinen, dann bricht im Kennel ein unglaublicher Lärm aus: unter einem ohrenbetäubenden Bell- und Jaulkonzert starten diese vollkommen rennwütigen Hunde auf ihre Trainingsfahrt - verabschiedet vom tollwütigen Gebelle der zurückgebliebenen dreißig Hunde, die natürlich am liebsten auch alle mitkommen würden.

Die wichtigsten Hunde im Gespann sind die Leithunde, also die beiden Tiere, die die Truppe anführen und entscheiden, wo es langgeht. Zum Glück haben Arne und Marianne viele zuverlässige Tiere, die gelernt haben, dass man Rentiere nicht jagen darf wenn man im Gespann angeleint ist, und welche die Befehle für Rechts und Links kennen. Von diesen beiden Hunden hängt alles ab, wenn wir 6-8km (je nach Wärme) unsere Runden um die Felder der Farm drehen.


Nachdem ich bei den ersten Trainingsfahrten immer nur als Beifahrer anbei war bzw. nur etappenweise gefahren bin, trainiere ich seit fünf Tagen alleine. Allerdings begnüge ich mich vorerst mit "nur" acht Tieren. Was nämlich nicht zu unterschätzen ist, ist die Länge der Hundegespanne. Wenn man zwölf Hunde vor dem Quad hat, sind die ersten Tiere über zwölf Meter von einem entfernt, was wiederum bedeutet, dass man richtungsweisende Befehle lange im Voraus geben muss. Das ist kompliziert bei engen Kurven, zumindest solange wie man die Gegend noch nicht so gut kennt und sich noch schwer tut, alles zu beachten. Zum einen muss das Quad in einem möglichst gleichmäßigen Tempo gefahren werden, was auf den holprigen Wegen gar nicht so einfach ist. Auch muss man vorausschauend fahren: Kurven müssen extrem ausgefahren werden, damit die letzten Hunde im Gespann diese auch noch packen ohne in die Büsche oder gegen Zäune gedrückt zu werden. Alle Hunde müssen beobachtet werden: sind alle Leinen auf Zug sind, hat sich niemand verheddert, bleiben alle da, wo sie hingehören? Und dann muss gleichzeitig der Weg im Blickfeld bleiben: sind alle Zäune offen und keine unerwarteten Hindernisse im Weg, wie etwa Rentiere?

Zwischendurch waren wir auch einige Male mit einem extra fürs Herbsttraining angefertigtem Wagen unterwegs, den wir ausgeliehen bekommen haben. Es handelt sich dabei um einen 110kg schweren, motorlosen Wagen mit sehr guten Scheibenbremsen, den man anstelle des Quads zum Training nutzen könnte - zumindest wenn man das Geld besäße, ihn zu kaufen. Leider ist das bei uns nicht der Fall. Vierzig schwerarbeitende Tiere plus vierzehn Welpen gilt es durchzufüttern. Die Kosten für Impfungen, Wurmkuren und Krankheitsversorge für alle Tiere gehen jährlich in die Tausende von Euros. Das Ersetzen von zerschlissener oder zerbissener Ausrüstung, Reparaturen an Kennel und Schlitten, Benzinkosten, Anmeldungs- und Teilnahmekosten der Rennen - all das schluckt eine große Summe Geld. Schlittenhunde zu halten ist ein äußerst teures Freizeitvergnügen! Aber ein wirklich schönes, das zumindest kann ich nach meiner kurzen Zeit hier definitiv schon sagen!

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