Montag, 23. März 2020

Corona in Island

Ich habe ein Talent, das ich zwar relativ wenig beeinflussen kann, das aber unbestreitbar da ist: nämlich, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein bzw. die richtigen Dinge zu tun. Momentan ist mal wieder ein solcher Zeitpunkt. Die Welt spielt verrückt wegen dem Coronavirus, der das Leben vieler Menschen auf den Kopf gestellt oder angehalten hat. Viele haben existenzielle Sorgen: um ihre eigene Gesundheit oder die ihrer Lieben, oder um die finanziellen Auswirkungen dieser nie dagewesenen Situation. Ich könnte dazu gehören, schließlich habe ich die letzten Jahre viel im Tourismus gearbeitet, und der ist seit einem Monat komplett zum Erliegen gekommen. Die Arktissaison vieler Schiffe ist bereits abgesagt worden und viele meiner Kollegen stehen bis in den Herbst ohne Job da und sorgen sich um ihren Verbleib. Denn für uns internationale Freiberufler kommt keiner auf, da greift kein Hilfspaket, im Gegenteil. Oft sind wir die ersten, die ihren Job verlieren. Reiseleiter zu sein, ist zwar nach außen hin ein spannender Job, aber finanziell ein total unsicherer.

ZUM GLÜCK stört mich diese plötzliche Arbeitslosigkeit nicht, denn: ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, diesen Sommer zu arbeiten. Statt dessen habe ich das Jahr 2020 so geplant, dass ich mit minimalen Ausgaben gut über die Runden kommen werde. Und dieser Plan, der geht jetzt nicht nur voll auf, sondern erleichtert mir das Leben ungemein! Geldsorgen? Iwo. Zukunftssorgen? Wegen des Klimawandels und Zustands unserer Welt, ja, aber nicht wegen diesem Virus... Was kommt, das kommt, und ich werde das beste draus machen. Das habe ich zumindest vor. Und bis dahin beobachte ich die momentanen Entwicklungen mit wissenschaftlichem und gleichzeitig hoffnungsvollem Interesse. Ich bin sehr neugierig über die Weichen, die in Folge dieses interessanten Ereignisses in unserer Gesellschaft neu gestellt werden können - also potentiell, mal gucken, was da kommt... Ich will hier keinesfalls die Negativseiten dieser Pandemie schönreden, gar nicht, aber: mein Glas ist generell halbvoll, nie halbleer! Und ich bin ohnehin von allem fasziniert, was uns Menschen unsere Nichtigkeit aufzeigt. Bisher gehörten 'sichtbare' Naturkatastrophen oder gewaltige Naturereignisse in diese Kategorie, wie etwa Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche oder Nordlichter. Und seit Neuestem eben auch Viren...

Als Corona 'nur' in China grassierte, habe ich mich auf den Weg nach Island gemacht. Das war länger schon geplant, denn der Wunsch war groß, mal wieder etwas Zeit in meiner geliebt-verhassten zweiten Heimat zu verbringen. Weil ich ohne triftigen Grund nicht mehr fliegen will, bin ich per Bahn und Fähre nach Island gereist. Es lief alles wie am Schnürchen: für 40€ ging es mit der Bahn nach Norddänemark, von dort aus vier Tage lang für 155€ (!) mit der Norröna-Fähre nach Ostisland. Besagte Fähre ist die Lebensader der Färinger: sie transportiert wöchentlich Containerladungen voller Essen und Waren auf die Färöerinseln, und von dort bzw. Island aus Fisch nach Dänemark. Und nebenbei werden Passagiere mitgenommen...

Als ich an Bord ging, war Corona schon in Italien und Österreich angekommen und beschloss man, uns wenigen Passagieren Einzelkabinen zu geben, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Mein Grinsen hättet ihr sehen müssen, als ich das erfahren habe. Mit dem günstigsten Ticket eine Einzelkabine auf der Norröna - oh yeah, ein Hoch auf das Coronavirus!



Die Überfahrt war ruhig, schön, und mit 'nur' 5 Metern Wellengang normal schaukelig, und die Färöerinseln wie immer toll vom Schiff aus zu beobachten. Und als ich dann am 11. März in Island angekommen war, ging nichts mehr: hier herrschte tiefster Winter. Seyðisfjörður (das ist der Ort in den Ostfjorden, an dem die Fähre ankommt) ist nur über einen Bergpass mit dem Rest der Insel verbunden, und der war wegen der Schneemassen drei Tage lang zu. Also mietete ich mich bei einer total netten älteren Isländerin ein (die Unterkunft war ein Glücksgriff!) und genoss es, eingeschneit zu sein.



Der öffentliche Fernverkehr ist in Island schon immer grottig schlecht gewesen, aber jetzt ist er echt noch schlechter, als früher schon. Überlandbusse fahren teilweise nur noch einmal die Woche, und so bin ich dann vor allem per Anhalter um die Insel gereist. Ich besuchte eine gute Freundin, entspannte klischeemäßig in einem Hot Pot, sah Delfine, Raben, Schneeammern und Schneehühner und wurde von ganz netten Menschen mitgenommen: (den letzten, noch nicht verunsicherten) Touristen und (den ersten, zutiefst verunsicherten) Isländern. Denn Corona war jetzt auch in Island angekommen. Die Insel ist zwar klein; hier leben grade einmal 350.000 Menschen - aber es gibt hier auch nur 30 Beatmungsgeräte. Das setzt alles in Relation...

Allerdings gibt es in Island kaum Anonymität: jeder kennt jeden, und schon allein deswegen trauen viele sich nicht, grobe gesellschaftliche Regeln zu überschreiten. Wenn also in der Zeitung steht, dass es in der so-und-so-Schule einen Corona-Fall gab, und ALLE Lehrer und Schüler in zweiwöchige Isolation geschickt werden, dann wird man diese Leute garantiert nicht in Pubs, Kinos oder auf Parties antreffen - weil alle wissen, dass sie in Isolation zu sein haben. Und wer den Virus hat (hier kann man sich relativ einfach testen lassen), der ist auch nicht im Krankenhaus, sondern kuriert sich (mit ärztlicher Rücksprache) Zuhause aus, dann aber in penibler Quarantäne. Nur die schwersten Fälle kommen ins Krankenhaus. Auf diese Art und Weise geht man hier erstaunlich relaxt mit Corona um. Allerdings so relaxt, dass es mal wieder zu einem typisch isländischen Widerspruch kam. Isländer, die aus Corona-Gebieten mit dem Flugzeug angereist kamen, wurden ausdrücklich darum gebeten, sich in Isolation zu begeben. Die Touristen aber, die in den gleichen Maschinen saßen, die ließ man fröhlich durch's Land reisen. Vielleicht ist der bisher einzige Corona-Tote in Island deshalb ein Tourist gewesen... Aber diese völlig unlogische Herangehensweise hat sich durch das Ausbleiben der Touristen jetzt eh von selbst gelöst.

Seit knapp zwei Wochen bin ich jetzt in Reykjavík: eine Stadt, die plötzlich herrlich menschenleer ist. Keine Massen an Touristen, keine überfüllten Straßen: Corona hat Island plötzlich 20 Jahre in der Zeit zurückgeworfen. Es ist toll, jetzt hier unterwegs zu sein! Toll und gleichzeitig etwas gespenstisch. Die Touristenmeile 'Laugavegur' gleicht einer Geisterstadt; ein dunkler Laden nach dem anderen, immer mehr haben „Alles muss raus“-Schilder in den Türen, sind aber gleichzeitig zu, weil keinerlei Kunden mehr da sind. Schade, hätte gerne einen Islandpulli für 70% Rabatt bekommen, wie's da im Fenster stand... Auch hier ist Stillstand, auch hier kauft man nur noch die nötigsten Waren und ist alles zu: Schulen, Schwimmbäder, Gruppen-Hobbies, nichts geht mehr. Die großen Reiseunternehmen hier bieten keine Touren mehr an; Freunde von mir sind fristlos gekündigt worden (das geht bei uns freiberuflich arbeitenden Guides ja leider viel zu einfach...), und die vielen arbeitslosen Busfahrer fahren jetzt Essen bzw. Einkäufe durch die Gegend. Wir alle hier sind gespannt, wie der Sommer werden wird: denn der Tourismus ist der größte Wirtschaftszeig Islands geworden und das Ausbleiben der Devisen wird viele Isländer hart treffen. Aber ganz ehrlich: der Natur wird es verdammt gut tun, mal einen Sommer lang nicht kaputt getrampelt zu werden! Und wie viel weniger CO2 ausgestoßen werden wird, weil kaum noch geflogen bzw. gefahren wird, darauf bin ich auch total gespannt! Und vielleicht finden die Farmer dann auch endlich mal wieder Arbeitskräfte? Denn auf dem Land werden immer helfende Hände gebraucht! In Island genauso, wie in Deutschland... Schaut mal: hier gibt's Arbeit, wenn jemand von euch grade nicht weiß, was er in den nächsten Wochen tun soll... :-)
www.land-arbeit.com

Und so habe auch ich mich in den letzten zwei Wochen im "social distancing" geübt. Zum Glück ist es hier völlig in Ordnung, raus zu gehen: solange man zwei Meter Abstand zu Nicht-Mitbewohnern einhält, ist alles prima. Deshalb habe ich es geschaftt, in den letzten 12 Tagen fünfmal mit Langlaufski unterwegs zu sein: denn hier in Island ist noch richtig Winter. Es ist ein Träumchen!



Weil ich ja ohnehin nichts am Lauf der Dinge (bzw. dem Verlauf der Pandemie) ändern kann, habe die Zeit in Reykjavík damit verbracht, eine leichte aber lange Skiwanderung zu planen. Mein Ziel: eine schöne Zeit alleine im Hochland zu verbringen und dabei auch möglichst nicht gerettet zu werden (…)

Der diesjährige isländische Winter ist eher stürmisch und schneereich, also habe ich mir eine Strecke ausgesucht, bei der ich Stürme in Hütten abwettern kann und nicht in Lawinengefahr komme, sowie oft Handykontakt haben werde, um die Wettervorhersage anzurufen. Als Nicht-Smartphonebesitzer gibt's Internet für mich nicht auf Reisen. Ich werde wirklich komplett "offline" sein für mindestens zwei Wochen! Oh yeah!

Ich freue mich, morgen von Þingvellir aus ins Hochland zu starten. Ich würde gerne nach Hveravellir skiwandern, und den Bogen von dort aus auf leicht anderem Weg zurück nach Süden zu schlagen. Also eine doppelte Hochlandquerung, sozusagen... Das zumindest wäre Plan A, aber es gibt noch 'nen Plan B und C... Mein Pulka ist so voll beladen, wie noch nie, irre schwer, weil ich Brennstoff und Essen für 20 Tage dabei habe. Oh, ich werde mich verfluchen, wenn ich dieses Ding in den ersten Tagen bergauf durch Neuschnee zerren muss, Halleluja, das wird lustig werden...
Ob ich wirklich drei Wochen lang unterwegs sein werde, wird sich zeigen: ich freue mich auf jeden Fall auf längere Einsamkeit! Einfach mal weg von Corona, weg von allem, hinein ins raue Winterwetter und die Routine des Unterwegsseins ohne motorisierte Hilfe. Und meine Kamera würde ich gerne mal wieder etwas häufiger nutzen, schon alleine um die kommenden Blogeinträge wieder etwas bildlastiger gestalten zu können...

Also, ihr Lieben: bleibt mir gesund und bei guter Laune!
Und denkt immer dran: ihr habt die Wahl, das Glas als halbleer, oder als halbvoll zu betrachten!
:-)