Mittwoch, 29. Juli 2009

Wandern im Regen

Für Freitag den 17. Juli war Regenwetter vorhergesagt worden. Deshalb war ich erstaunt, bei gutem Wetter aufzuwachen: es war zwar bewölkt, regnete aber nicht. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis es nass werden würde: die Wolken drückten sich immer tiefer an die Berge und in Richtung Inselmitte war der Himmel so richtig dunkel... Deshalb weiß ich auch nicht genau, warum ich mich spontan dazu entschloss, genau in diese dunkle Regenwolke zu reisen: wissend, dass ich nass werden würde, packte ich alles zusammen und fuhr mit dem morgendlichen Bus etwa 30km weiter gen Süd-Osten. In der Inselmitte angekommen, regnete es jedoch nicht, und so verließ ich den Bus irgendwo im Nirgendwo und folgte dem 40km langen Wanderweg, der einmal quer durch Senja führt.

Obwohl: von einem Weg war weit und breit nichts zu sehen. Hätte ich nicht die Wanderkarte gehabt und mich an den Seen und Bergen orientieren können, ich hätte keine Ahnung gehabt, wo ich hingehen sollte. In Meeresnähe können die Birkenwälder auf Senja sehr dicht sein - hat man die aber einmal durchquert und kommt in Sumpfgebiete oder in die Nähe der Baumgrenze (die so hoch im Norden schon bei 300m beginnt), dann kann man das Land schnell überblicken. Und so fand ich dann oben auf dem ersten Hügel dann auch eine Wegwarte, deren oberster Stein vor Jahren rot angepinselt worden war. Ich hatte den Wanderweg gefunden!

Den unregelmäßig verteilten Steinhäuflein folgend erklomm ich den ersten Berg, auf dessen Spitze mich der auffrischende Wind prompt mit Regenwolken einhüllte. Aber solange es nur leicht nieselte und ich immer mal wieder Fernsicht hatte, war ich guten Mutes und ließ mir viel Zeit dabei, die nächsten Steinhügel zu suchen, meine Position auf der Karte zu kontrollieren, zu Mittag zu essen und sogar etwas zu fotografieren. Letzteres ist immer kompliziert wenn es regnet, aber mit ein wenig Geduld, Plastiktüten und mehreren Putztüchern funktioniert auch das ganz gut. So entstand unter anderem dieses Bild, das einen wahrscheinlich unbenannten Bergbach und in der Ferne den See Ovre Svanvatnet zeigt.


Der Weg führte immer weiter bergauf bis zu einem niedrigen Pass, der ins benachbarte Tal führte. Hier allerdings liefen die Regenwolken so richtig auf und wandelte sich der Nieselregen in richtigen Regen. Meine Jacke, die ich nun schon seit drei Jahren nutze und die nie wieder imprägniert worden ist, hält aber nur noch Nieselregen und begann nun, alles schön nach innen abzuleiten, bis auch mein Fleecejacke nass war und mir trotz Bewegung allmählich kalt wurde. Dazu kam, dass ich den Wanderweg völlig verloren hatte: ich war wieder im Wald angekommen und fand keine Markierungen mehr. Die mit einem Streifen roter Farbe markierten Baumstämme waren entweder umgefallen, oder aber die Farbe mitsamt der Rinde abgeblättert bzw. vom Regen bringenden Südwestwind abgeschliffen worden. Dass ich den (ohnehin nicht existierenden) Weg verloren hatte war nicht schlimm, ich wusste ja dank der Karte dass ich auf den nächsten Bergrücken hinauf musste - aber wie war halt die große Frage.

So dachte ich mir, einfach unten im Tal beim See zu zelten - ein Plan, der leider nicht aufging, da das Tal ein einziges großes Moor war. Dort unten angekommen, gluckste mir das Wasser in den Schuhen und hatte ich die Nase voll von Regen und kaltem Wasser im Allgemeinen. Ich wanderte querfeldein die andere Talseite empor, aus den Bäumen heraus, und schlug mein Zelt am erstbesten ebenen Fleck auf, den ich fand. Zu einem Beweisfoto konnte ich mich noch durchringen, dann flüchtete ich mich in mein trockenes Zelt und meinen warmen Schlafsack und verbannte alles Nasse nach draußen.


Für die nächsten eineinhalb Tage sollte der Regen nur minutenweise nachlassen. Die Situation und auch die Landschaft erinnerte mich sehr an meinen neuntägigen Regentrip in Neuseelands Fiordland Nationalpark. Dort hatte ich oft von anderen Menschen den Vergleich zu Norwegen gehört. Das kann ich jetzt bestätigen: zumindest ähneln sich der Dusky-Track und der mittlere Teil der Senja-Traverse sehr!

Ich selber blieb faul auch am nächsten Tag im Zelt sitzen - schon allein weil ich zum Fotografieren hergekommen war, nicht, um irgendwelche Pläne einzuhalten oder Wanderungen auf Teufel komm raus zu beenden.

Auf Senja ist man niemals weit von der Zivilisation entfernt: mindestens einmal am Tag sieht bzw. überquert man eine häufig befahrene Straße und kommt an mehreren (Sommer)Häusern vorbei. So schön Norwegen auch ist: wild und abgeschieden ist es definitiv nicht. Jeder Fjord ist per Asphaltstraße erreichbar, jede Insel von Sommerhäusern erobert, und jeder höhere Berg mit einem Sendemast ausgestattet, und fast jedes schöne Motiv von Stromleitungen verschandelt. Aber das wusste ich ja, von daher will ich mich nicht beklagen. Als Wildnisfotograf hat man es hier definitiv wesentlich schwerer als in Neuseeland oder Island - aber mit ein wenig Einsatz kann man auch hier Bilder machen, die unberührte Landschaft vermitteln. Man muss dann halt Bäume oder Steine nutzen, um Masten, Häuser oder Straßen zu verdecken. Oder, wie in meinem Fall, Regenwolken nutzen, welche sich hervorragend eignen, um nervige Telefonsender auf Bergspitzen unsichtbar zu machen!

So saß ich also zwei Tage im verregneten Zelt, sammelte das Regenwasser zum Trinken und leitete mit Plastiktüten Wassertropfen ab, die an altbekannten Stellen durch das Außenzelt sickerten. Ich habe bisher immer vergessen, die Naht an diesen Stellen besser abzudichten, und behelfe mir seither einfach mit Plastiktüten, die ich ohnehin immer im Gepäck habe... Hauptsache mein Zelt ist Sturm- und Windsicher! Ein paar Tropfen stören da nicht...

Besonders nachts wartete ich auf die kurzen Regenpausen. Um in diesen fotografieren zu können, musste ich im Regen aufbrechen, mir im Regen mein Motiv suchen, im Regen die Kamera auf dem Stativ aufbauen und den Ausschnitt suchen, und dann so lange warten, bis in einer windflauen Minute nur wenig Nieselregen fiel. Die Bilder, die dabei entstanden, mögen niemanden in Begeisterungsstürme versetzen, zeigen aber immerhin auch mal eine nicht-sonnige Landschaft!


Nach der zweiten Nacht wurden die Regenpausen immer länger und der Südhimmel immer heller. Nachmittags sah man dann sogar den blauen Himmel und nutzte ich den trockenen Wind, um all meine nassen Sachen zu trocknen. Am Abend wollte ich weiterwandern, zumindest die fünf Kilometer bis zur nächsten Straße. Ich spekulierte darauf, dass der nächste Bergrücken bis dahin wolkenfrei sein würde. Die folgende Tagesetappe der Wanderung führte nämlich 18km über alpines Terrain. Ich hatte nicht vor, diese 18km zu laufen, dafür war mir das Wetter zu heikel, allerdings wollte ich gerne auf den Gipfel des ersten Berges steigen und dort oben die Mitternachtssonne fotografieren. Zumindest wenn das Wetter mitspielte.


Um 18 Uhr war alles trocken, hatte ich mein Zelt abgebrochen und den Rucksack gepackt, und begab mich auf die gemütliche Wanderung entlang mehrerer Seen bis zur hochgelegenen Straße. Dort schien die Sonne und war es plötzlich sommerlich warm - eine Wohltat nach den beiden kalten Regentagen!

Fortsetzung folgt...

Sonntag, 26. Juli 2009

Mit dem LKW nach Senja

Am 15. Juli packte ich, nach zwei sonnigen Tagen am Fuße des Stetind, meinen Rucksack und versuchte mein Glück wieder mit dem Trampen. Innerlich hatte ich mich schon auf eine mehrstündige Wartezeit eingerichtet, denn es kamen im Schnitt etwa 5 Autos die Stunde vorbei. Diese Straße ist, wenn man so will, eine Einbahnstraße: sie führt von der Europastraße E6 (welche sich längs durch ganz Norwegen zieht und auf der ich unterwegs war) zur kleinen Ortschaft Kjøpsvik, von der aus man nur per Fähre weiter gen Süden kommt.
Nachdem ich in Ruhe an der Straße gefrühstückt hatte und 7 Fahrzeuge an mir vorbeigefahren waren, war ich deshalb sehr überrascht, dass es ausgerechnet ein LKW war, der mich mitnahm!

Der Fahrer, Evert, war gerade erst aus Kjøpsvik gestartet und hatte 52 Tonnen Kalk geladen, die er bis nach Alta transportieren würde. Das, so sagte er, würde inklusive der Pflichtpausen etwa 10 Stunden dauern.
Nun war ich platt: dieser Brummi-Fahrer fuhr an einem Stück bis zu meinem Ziel - wenn ich gewollt hätte, hätte ich also an meinem dritten Tramping-Tag schon ankommen können!
Während wir langsam und gemütlich die Berge entlang der Fjorde erklommen (52 Tonnen Ladung ließen das Gefährt die Berge regelrecht emporkriechen), schwiegen wir, denn Evert war äußerst wortkarg. Daher staunte ich nicht schlecht, als er wie ein Wasserfall zu reden begann, als er auf seinem Handy angerufen wurde, und dieses Telefonat gut eine Stunde lang fortführte. Währenddessen hatte ich alle Zeit der Welt, die wirklich schöne Fjordlandschaft entlang der Lofoten und Vesterålen aus dem Logenplatz einer LKW-Kabine zu betrachten. Was die Aussicht angeht, ist LKW-fahren wirklich toll!

Nach gut zwei Stunden Fahrt entschloss ich mich dann aber dazu, wieder auszusteigen. Ich hatte 14 Tage für diese Reise eingeplant und wollte nicht schon so früh ankommen! Und so stand ich dann am frühen Nachmittag im Sonnenschein an der nach Westen von der E6 abzweigenden Straße nach Finnsnes und hielt wieder den Daumen in den Wind.
Bis zur Küstenstadt Finnsnes waren es gut 50 Kilometer, die ich in 3 Autos zurücklegte. In Finnsnes selber hielt ich mich kurz in der Touri-Info auf, kaufte mir eine Wanderkarte der Insel Senja und stellte dort auch meinen Laptop für mehrere Tage ab. Mit dem nun endlich tragbarem Rucksack wanderte ich dann vier Kilometer über eine Brücke auf Norwegens zweitgrößte Insel Senja. Einen vorbeilaufenden Jogger fragte ich, in welcher Richtung ich um die Insel trampen sollte: er empfahl mir, es gegen den Uhrzeigersinn zu versuchen. Und genau das tat ich dann auch.

Es war mittlerweile 18 Uhr und Feierabendverkehr. Und so musste ich auch nicht lange warten, bis ein älterer Herr anhielt und mich nach nur fünf Kilometern Fahrt auf Milch und Kekse in seine Wohnung einlud. Ja, diese Seele von Mensch bot mir sogar an, bei sich im Garten zu zelten! Da ich aber wusste, dass eine Schlechtwetterfront auf dem Weg war, wollte ich so schnell wie möglich an einen fotogenen Ort kommen, an dem ich den Regen und interessante Lichtstimmungen abwarten konnte. Und tatsächlich hatte ich noch einmal Glück: um 19 Uhr hielt noch einmal ein Auto. Wie so oft fuhr der Fahrer erst mit Vollgas an mir vorbei und legte dann eine Vollbremsung hin. Und wie so oft sagte er, dass er eigentlich nie Anhalter mitnehmen würde, aber an einer so freundlich lächelnden Person einfach nicht vorbeifahren könne. Also an alle zukünftigen Anhalter: ein freundliches Gesicht zu machen zahlt sich nirgendwo mehr aus, als beim Trampen! :-)

Besagter netter etwa 50jähriger Norweger fuhr mich eine Stunde näher an meinen gewünschten Zielort und zeigte mir einen idyllisch gelegenen Angelplatz unweit der Straße, an dem ich mein Zelt aufschlug und die Nacht verbrachte.

Am nächsten Morgen weckte mich Nieselregen - die verdammte Schlechtwetterfront war einen halben Tag zu früh eingetroffen! Zum Glück hatte mir das nette Mädel in der Touri-Info einen Busfahrplan in die Hand gedrückt und wusste ich so um einem Bus, den ich um neun Uhr morgens auf der Straße anhielt und der mich weiter gen Westen fuhr.

Der Busfahrer schien heilfroh, dass ich eingestiegen war. Er sagte, kein Englisch sprechen zu können, und bat mich, doch bitte zwischen ihm und seinen einzigen Passagieren, zwei jungen Franzosen, zu übersetzen. Es war eine im Nachhinein komplett absurde Situation: ich mit meinen gerade entdeckten Norwegischkenntnissen spielte den Übersetzer für die Franzosen, welche nicht wussten, wohin der Bus führte und wie weit sie fahren wollten. Während wir das in Gemeinschaftarbeit klärten erfuhr ich außerdem, dass der Bus außerfahrplanmäßig noch 20km weiter fuhr: nämlich zum Busfahrer nach Hause. Mein Wunschziel befand sich genau dort: also fuhr ich, nachdem die Franzosen an der Endstation ausgestiegen waren, noch ein Stück weiter.

Hier, an der Westküste der Insel, herrschte besseres Wetter: die Berge waren zwar alle wolkenverhangen, doch es war trocken. So konnte ich in Ruhe einen geeigneten Zeltplatz suchen, welcher an der Steilküste gar nicht so leicht zu finden war. Doch als ich schließlich einen einigermaßen flachen Ort fand, baute mein Zelt vor wirklich überwältigender Kulisse auf: dem Berg Okshornan, welcher der Grund meines Herkommens war.

Allerdings konnte ich die markanten Zacken des Berges erst nur vereinzelt sehen, da die tiefliegenden Wolken einfach nicht weichen wollten... Gegen Abend aber, nachdem es einmal kurz geregnet hatte, gaben die Wolken ab und an die Bergspitzen frei und gelangen mir ein paar schöne Langzeitbelichtungen an der felsigen Küste.

Zum Schluss noch eine kleine Spielerei, an der ich mich versucht habe, nun, da ich eine Digitalkamera habe und sozusagen endlos viele Aufnahmen machen kann. In diesem kurzen Zeitraffer sieht man etwa 5 Minuten Zeit verstreichen. Ich wollte versuchen, die Bewegung der Wolken festzuhalten und nahm jede Sekunde ein Bild auf - das Ergebnis ist dieses kurze Video. Viel Spaß beim Schauen!

Freitag, 24. Juli 2009

Per Anhalter durch Norwegen

So, dies ist er also, der erste Eintrag meines neuen Blogs. Ich bin ja wirklich einmal gespannt, wie mir das "bloggen" so gefallen wird... Meine Motivation ist immerhin groß: ich werde versuchen, hier regelmäßig von mir hören und sehen zu lassen, sowohl in Schrift- als auch in Bildform. Denn da ich ja seit Anfang diesen Jahres digital fotografiere, kann ich nun auch aktuelle Bilder viel einfacher ins Internet stellen.
Also: dann mal los!

Vor genau zwei Wochen stand ich vor einem relativ großen Problem: ich musste 2000km in einem der teuersten Länder der Welt zurücklegen, ohne dafür viel Geld ausgeben zu wollen bzw. zu können. Von Norwegens Hauptstadt Oslo bis hoch nach Langfjordbotn bei Alta (etwa 400km nördlich des Polarkreises) sollte die Reise gehen, die ich aus (ökologischen) Prinzipgründen nicht per Flugzeug zurücklegen wollte. Ein Auto besitze ich ja immer noch nicht, daran wird sich auch sobald nichts ändern! Bahnfahren ist hier im Norden allerdings keine Alternative, da es die teuerste Fortbewegungsart darstellt und das Schienennetz außerdem nur bis zum Polarkreis führt: danach geht es in Norwegen nur per Straße, Luft oder Boot vorwärts. Per Bus durch Norwegen oder Schweden hätte die Reise knapp 30 Stunden gedauert - und mich ebenfalls ein halbes Vermögen gekostet. Günstig ist hier oben nichts - ich bin ja aus Island einiges gewöhnt, aber Norwegen toppt sogar dies!

Also nahm ich mir zwei Wochen Zeit und beschloss, mein Glück als Anhalter zu versuchen. Warum die Art, so zu reisen, heutzutage so verpönt ist, ist mir nicht ganz klar, schließlich kann ich ausschließlich auf positive Erfahrungen zurückblicken!



Am 11. Juli ging es los. Oslo selber ist ein schlechter Ort, um zu trampen, denn meine Erfahrung zeigt: je weniger Einwohner pro Quadratkilometer, desto einfacher wird man mitgenommen. Das dichtbevölkerte Südnorwegen mit seinen vierspurig ausgebauten Autobahnen eignet sich daher leider kaum zum Anhalter fahren. Deshalb legte ich die ersten 400km mit dem Bus zurück und schlug mich abends unweit der Straße mit meinem Zelt in die Büsche. In Norwegen gilt ja praktischerweise das Jedermannsrecht, welches besagt, dass man überall in der Natur übernachten darf, vorausgesetzt man macht nichts kaputt, benimmt sich rücksichtsvoll und ist mindestens 150m vom nächsten Haus entfernt. Selbstverständlich habe ich mich an all dies gehalten!



Am nächsten Tag begann das eigentliche Trampen - bei wolkenlosem Himmel und gut 20 Grad im Schatten. Ein junger Norweger in einem weißen VW-Bus stoppte nur zwei Minuten nachdem ich den Daumen in den Wind hielt und nahm mich eineinhalb Stunden mit gen Norden. Danach lud mich der Präsident des Reiseveranstalters "Din Tur" auf ein Mittagessen ein und brachte mich ebenfalls eine gute Stunde weiter nördlich. Zwei weitere, kürzere Mitfahrten folgten bei ebenfalls sehr netten Norwegern, die sich allesamt darüber wunderten, dass eine Frau sich alleine per Anhalter auf den Weg macht.

Gegen Mittag stand ich etwas länger an der zweispurig ausgebauten E6 und sah Lastwagen und Wohnmobile an mir vorbeiziehen - und ein altes, grünes, klappriges Auto. Besagtes alte, grüne und klapprige Auto sah ich fünf Minuten später ein zweites Mal, was mich nicht wenig erstaunte - bis es an den Straßenrand fuhr und genau vor mir stoppte. Am Steuer saß eine Frau mittleren Alters, und auf der Rückbank lieferten sich zwei Kinder gerade eine Plüschtierschlacht. Auf dem Beifahrersitz stapelten mehrere Taschen, und auch der Kofferraum war bis oben hin zugeschichtet. "Macht nichts", sagte die Frau, die sich mir als Anja vorstellte, "Wenn du dich zwischen die Kinder quetschen willst, dann versuchen wir deinen Rucksack auf dem Beifahrersitz unterzubringen!"
Gesagt, getan: ich zwängte mich zwischen die beiden großen Kindersitze, deren Insassen mich etwas verunsichert beäugten. Dann ging die Fahrt los.



Die Scheu der Kinder währte nicht lange, denn nachdem ich mich vorstellte, plapperten die beiden neunjährigen Zwillinge Aksel und Bjørg (ø ist das norwegische ö) wie zwei kleine Wasserfälle auf Norwegisch auf mich ein. Leider sprachen sie viel zu schnell, und das auch noch im schlimmsten Trondheimer Dialekt. Nach meinem bisher achtwöchigen Norwegenaufenthalt hatte ich bis dato fast ausschließlich Englisch gesprochen und tue mich mit den regional stark unterschiedlichen Dialekten noch sehr schwer. Doch das half nichts: die Kinder sprachen kein Englisch, und in Rücksicht auf diese taten Anja und ich das auch nicht. So sollte mir diese Autofahrt als meine bisher intensivste Norwegisch-Lehrstunde in Erinnerung bleiben - und als erstaunliches Beispiel, wie schnell wildfremde Menschen sich auch sprachlich aufeinander einstellen können. Nach fünf Minuten verstand ich die Kinder und diese mich - ich sah zwar im Rückspiegel, dass Anja sich regelmäßig ins Fäustchen grinste, aber das tat nichts zur Sache. So schlecht mein Norwegisch auch ist: wir verstanden uns. Sehr gut sogar!

Wie sich herausstellte, war Anja in ihrer Jugend ebenfalls oft per Anhalter unterwegs gewesen, hatte in den letzten Jahren aber niemals jemanden mitgenommen, auch weil man kaum noch Anhalter sieht - das ist in Norwegen nicht anders als in Deutschland. Nachdem sie an mir vorbeigefahren waren, hatten sie und ihre Kinder eine gut zweiminütige Diskussion darüber, ob im Auto Platz für "das nett lachende Mädel" sei. Die Kinder hatten wohl einstimmig beschlossen, dass ihre Plüschtiere ihren Platz gerne für mich freimachen würden, und so wurde gewendet und ich eingeladen. Und da war ich nun.



Die kleine Familie befand sich auf den Weg zu Anjas Eltern in der Troms-Gegend: und die lag gut 800km weiter nördlich. So kam es, dass ich an diesem Tag bis 23 Uhr im Auto saß, bereits den Polarkreis überquerte und mit den Dreien auch am nächsten Tag noch eine Weile mitfuhr. Als wir uns herzlich verabschiedeten, Emails ausgetauscht und gegenseitige Besuche angedroht hatten, war mein norwegisches Eis gebrochen: seit diesem Tag spreche ich nur noch Norwegisch. Komplett falsch, mit unmöglicher Aussprache (sie sagen ich hätte einen isländischen Akzent) und keinerlei Grammatikkenntnissen, aber egal: ich werde verstanden und nur das zählt! Die Norweger sind aufgrund der vielen Dialekte innerhalb ihrer Sprache ohnehin an seltsame Aussprache gewöhnt und verstehen mich in der Regel gut, egal wie falsch ich Dinge auch ausspreche. Norwegisch ist ein interessanter Mix aus Deutsch und Isländisch, wobei die Verwandtschaft zum Deutschen wirklich gravierend ist! Ich hatte erwartet, dass ich viel mehr isländische Anlehnungen antreffen würde, aber weit gefehlt: meine Deutschkenntnisse helfen mir hier weit mehr, als mein Isländisch. Eine für mich überraschende Feststellung!

Da ich in nur zwei Tagen mehr als zwei Drittel der Distanz zurückgelegt hatte, legte ich zwei Tage Pause ein und erkundete Norwegens Nationalberg. Diesen Titel hat der Berg Stetind im Tysfjord aufgrund seiner markanten Form erhalten: 1392m hoch hebt er sich fast senkrecht aus einem Fjord heraus und ist nur bis etwa 800m Höhe ohne Kletterhilfe zu besteigen.



Bei dem anhaltend guten Wetter ließ ich mir die steile Wanderung aber nicht nehmen und stand so im Schein der hochstehenden Mitternachtssonne am "falschen Gipfel", welcher für schwindelfreie Nichtkletterer der letzte gefahrlos erreichbare Punkt ist, bevor die senkrechte Felswand beginnt.





Und mit diesen ersten Bildern aus Norwegen will ich diesen ersten Blogeintrag dann auch beenden!