Für Freitag den 17. Juli war Regenwetter vorhergesagt worden. Deshalb war ich erstaunt, bei gutem Wetter aufzuwachen: es war zwar bewölkt, regnete aber nicht. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis es nass werden würde: die Wolken drückten sich immer tiefer an die Berge und in Richtung Inselmitte war der Himmel so richtig dunkel... Deshalb weiß ich auch nicht genau, warum ich mich spontan dazu entschloss, genau in diese dunkle Regenwolke zu reisen: wissend, dass ich nass werden würde, packte ich alles zusammen und fuhr mit dem morgendlichen Bus etwa 30km weiter gen Süd-Osten. In der Inselmitte angekommen, regnete es jedoch nicht, und so verließ ich den Bus irgendwo im Nirgendwo und folgte dem 40km langen Wanderweg, der einmal quer durch Senja führt.
Obwohl: von einem Weg war weit und breit nichts zu sehen. Hätte ich nicht die Wanderkarte gehabt und mich an den Seen und Bergen orientieren können, ich hätte keine Ahnung gehabt, wo ich hingehen sollte. In Meeresnähe können die Birkenwälder auf Senja sehr dicht sein - hat man die aber einmal durchquert und kommt in Sumpfgebiete oder in die Nähe der Baumgrenze (die so hoch im Norden schon bei 300m beginnt), dann kann man das Land schnell überblicken. Und so fand ich dann oben auf dem ersten Hügel dann auch eine Wegwarte, deren oberster Stein vor Jahren rot angepinselt worden war. Ich hatte den Wanderweg gefunden!
Den unregelmäßig verteilten Steinhäuflein folgend erklomm ich den ersten Berg, auf dessen Spitze mich der auffrischende Wind prompt mit Regenwolken einhüllte. Aber solange es nur leicht nieselte und ich immer mal wieder Fernsicht hatte, war ich guten Mutes und ließ mir viel Zeit dabei, die nächsten Steinhügel zu suchen, meine Position auf der Karte zu kontrollieren, zu Mittag zu essen und sogar etwas zu fotografieren. Letzteres ist immer kompliziert wenn es regnet, aber mit ein wenig Geduld, Plastiktüten und mehreren Putztüchern funktioniert auch das ganz gut. So entstand unter anderem dieses Bild, das einen wahrscheinlich unbenannten Bergbach und in der Ferne den See Ovre Svanvatnet zeigt.
Der Weg führte immer weiter bergauf bis zu einem niedrigen Pass, der ins benachbarte Tal führte. Hier allerdings liefen die Regenwolken so richtig auf und wandelte sich der Nieselregen in richtigen Regen. Meine Jacke, die ich nun schon seit drei Jahren nutze und die nie wieder imprägniert worden ist, hält aber nur noch Nieselregen und begann nun, alles schön nach innen abzuleiten, bis auch mein Fleecejacke nass war und mir trotz Bewegung allmählich kalt wurde. Dazu kam, dass ich den Wanderweg völlig verloren hatte: ich war wieder im Wald angekommen und fand keine Markierungen mehr. Die mit einem Streifen roter Farbe markierten Baumstämme waren entweder umgefallen, oder aber die Farbe mitsamt der Rinde abgeblättert bzw. vom Regen bringenden Südwestwind abgeschliffen worden. Dass ich den (ohnehin nicht existierenden) Weg verloren hatte war nicht schlimm, ich wusste ja dank der Karte dass ich auf den nächsten Bergrücken hinauf musste - aber wie war halt die große Frage.
So dachte ich mir, einfach unten im Tal beim See zu zelten - ein Plan, der leider nicht aufging, da das Tal ein einziges großes Moor war. Dort unten angekommen, gluckste mir das Wasser in den Schuhen und hatte ich die Nase voll von Regen und kaltem Wasser im Allgemeinen. Ich wanderte querfeldein die andere Talseite empor, aus den Bäumen heraus, und schlug mein Zelt am erstbesten ebenen Fleck auf, den ich fand. Zu einem Beweisfoto konnte ich mich noch durchringen, dann flüchtete ich mich in mein trockenes Zelt und meinen warmen Schlafsack und verbannte alles Nasse nach draußen.
Für die nächsten eineinhalb Tage sollte der Regen nur minutenweise nachlassen. Die Situation und auch die Landschaft erinnerte mich sehr an meinen neuntägigen Regentrip in Neuseelands Fiordland Nationalpark. Dort hatte ich oft von anderen Menschen den Vergleich zu Norwegen gehört. Das kann ich jetzt bestätigen: zumindest ähneln sich der Dusky-Track und der mittlere Teil der Senja-Traverse sehr!
Ich selber blieb faul auch am nächsten Tag im Zelt sitzen - schon allein weil ich zum Fotografieren hergekommen war, nicht, um irgendwelche Pläne einzuhalten oder Wanderungen auf Teufel komm raus zu beenden.
Auf Senja ist man niemals weit von der Zivilisation entfernt: mindestens einmal am Tag sieht bzw. überquert man eine häufig befahrene Straße und kommt an mehreren (Sommer)Häusern vorbei. So schön Norwegen auch ist: wild und abgeschieden ist es definitiv nicht. Jeder Fjord ist per Asphaltstraße erreichbar, jede Insel von Sommerhäusern erobert, und jeder höhere Berg mit einem Sendemast ausgestattet, und fast jedes schöne Motiv von Stromleitungen verschandelt. Aber das wusste ich ja, von daher will ich mich nicht beklagen. Als Wildnisfotograf hat man es hier definitiv wesentlich schwerer als in Neuseeland oder Island - aber mit ein wenig Einsatz kann man auch hier Bilder machen, die unberührte Landschaft vermitteln. Man muss dann halt Bäume oder Steine nutzen, um Masten, Häuser oder Straßen zu verdecken. Oder, wie in meinem Fall, Regenwolken nutzen, welche sich hervorragend eignen, um nervige Telefonsender auf Bergspitzen unsichtbar zu machen!
So saß ich also zwei Tage im verregneten Zelt, sammelte das Regenwasser zum Trinken und leitete mit Plastiktüten Wassertropfen ab, die an altbekannten Stellen durch das Außenzelt sickerten. Ich habe bisher immer vergessen, die Naht an diesen Stellen besser abzudichten, und behelfe mir seither einfach mit Plastiktüten, die ich ohnehin immer im Gepäck habe... Hauptsache mein Zelt ist Sturm- und Windsicher! Ein paar Tropfen stören da nicht...
Besonders nachts wartete ich auf die kurzen Regenpausen. Um in diesen fotografieren zu können, musste ich im Regen aufbrechen, mir im Regen mein Motiv suchen, im Regen die Kamera auf dem Stativ aufbauen und den Ausschnitt suchen, und dann so lange warten, bis in einer windflauen Minute nur wenig Nieselregen fiel. Die Bilder, die dabei entstanden, mögen niemanden in Begeisterungsstürme versetzen, zeigen aber immerhin auch mal eine nicht-sonnige Landschaft!
Nach der zweiten Nacht wurden die Regenpausen immer länger und der Südhimmel immer heller. Nachmittags sah man dann sogar den blauen Himmel und nutzte ich den trockenen Wind, um all meine nassen Sachen zu trocknen. Am Abend wollte ich weiterwandern, zumindest die fünf Kilometer bis zur nächsten Straße. Ich spekulierte darauf, dass der nächste Bergrücken bis dahin wolkenfrei sein würde. Die folgende Tagesetappe der Wanderung führte nämlich 18km über alpines Terrain. Ich hatte nicht vor, diese 18km zu laufen, dafür war mir das Wetter zu heikel, allerdings wollte ich gerne auf den Gipfel des ersten Berges steigen und dort oben die Mitternachtssonne fotografieren. Zumindest wenn das Wetter mitspielte.
Um 18 Uhr war alles trocken, hatte ich mein Zelt abgebrochen und den Rucksack gepackt, und begab mich auf die gemütliche Wanderung entlang mehrerer Seen bis zur hochgelegenen Straße. Dort schien die Sonne und war es plötzlich sommerlich warm - eine Wohltat nach den beiden kalten Regentagen!
Fortsetzung folgt...