Freitag, 27. Januar 2012

Das unmögliche Foto

Als ich Anfang Januar wieder Abschied von Island nehmen musste, hielt sich meine Freude auf Spitzbergen wirklich sehr in Grenzen. Die vorhergehenden drei Wochen waren traumhaft gewesen: Island befand sich im Griff des schneereichsten Winters der vergangenen 25 Jahre, und außerdem war es dort tagsüber hell und konnte man nachts regelmäßig Nordlichter am Himmel sehen. Auch und vor allem weil ich Urlaub hatte und fotografieren konnte schien alles nett und leicht - konträr zu Spitzbergen. Dort warteten 24 Stunden Dunkelheit auf mich, Alltagsleben, Verpflichtungen und Stress. Nordlichter sind so weit im Norden eine Ausnahmeerscheinung, unter anderem auch weil es immer wieder zu Perioden tagelanger Dauerbewölkung kommt. Zudem erlebt das Archipel momentan einen der wärmsten und niederschlagsärmsten Winter des zurückliegenden Vierteljahrhunderts: statt -20°C liegen die Temperaturen um dem Gefrierpunkt (heute regnet es bei +6°C!), die Fjorde denken nicht ans Zufrieren (und werden es vermutlich auch nicht mehr tun), und Schnee ist hier sowieso Mangelware.

Nun schien es aber, als ob Svalbard meine kaum vorhandenen Erwartungen heben wollte: bei meiner Rückkehr empfing mich ein wunderschöner, monderleuchteter Sternenhimmel, an dem mittelstarke Nordlichter tanzten. Das Wetter sollte sich laut Prognose zwei Tage später ändern: es war eine "Jetzt oder Nie!"-Situation! Nicht ohne ein enormes schlechtes ökologisches Gewissen bestellte ich mir für den kommenden Tag ein Taxi (das erste eigens georderte meines Lebens: das kommt davon, wenn man weder Auto noch Schneemobil besitzt!) und fuhr mit diesem am 9. Januar um 6 Uhr früh zum 12 Kilometer entfernten Ende der Straße. Eine zweistündige Wanderung im Schein des Vollmondes brachte mich hinein in die scheinbar unberührte Bergkulisse des Tals Bolterdalen. Dort hielt ich mich bereit, um die hellste Zeit der Polarnacht zu fotografieren: die fünf Stunden, in denen der Südhimmel etwas heller wird, als der Nordhimmel.

Um 10 Uhr morgens aber traute ich meinen Augen kaum: Am Südhorizont der vom Vollmond erhellten Szenerie, welche bisher monoton grau-blau gewesen war, zeigte sich ein Hauch von Farbe! Ich musste mit der Kamera ein Beweisfoto machen, um es glauben zu können, denn: eigentlich ist dieser Anblick Anfang Januar unmöglich! Die Sonne befand sich viel zu weit unter dem Horizont, um unter normalen Bedingungen ihr warmes Licht bis zu uns hinauf zu schicken. Was also war hier los?
Die Antwort bekam ich erst ein paar Tage später. Ein paar Mal im Jahrzehnt (!!!) geschieht es, dass sich Tiefdruckgebiete so zwischen Skandinavien und Svalbard ausdehnen, dass hochliegende Cirrostratus (Schleierwolken) die Sonnenstrahlen mal eben 1000 Kilometer weiter gen Norden leiten, als es eigentlich der Fall wäre. Bei dem schwachen rosa Schimmer, den man im obrigen Bild erkennt, blieb es aber nicht: um die Mittagszeit stand der ganze Südhorizont in Flammen und erhellte die Welt in dunklen, sehr intensiven Rosatönen. Es war, um es mal gelinde auszudrücken, UNGLAUBLICH!


Im Foto sieht es so aus, als ob es wahnsinnig hell gewesen wäre: mir kam es zwar so vor, allerdings verstärkt die Langzeitbelichtung auch hier die Farben und Kontraste. Es war eigentlich noch Nacht, man konnte fast überall noch Sterne sehen, auch am pinkfarbenen Himmel, und ich warf noch keinen Schatten. Für meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen waren Licht und Farben aber extrem intensiv, und für die Kamera halt auch.

Als wäre dieses völlig unerwartete Farbenspiel nicht großartig genug, geschah nun etwas, das ich nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte: ein dünner Bogen schwacher Aurora wanderte dem pinkfarbenen Himmel entgegen. War ich zuvor sprachlos gewesen, konnte ich jetzt nicht einmal mehr irgendwelche protestierenden Gedanken denken. Möglich oder unmöglich hin oder her - das war einfach nur GENIAL!


Für solche überraschenden, unbeschreiblich schönen Momente lebe ich: die Launen der Natur sind für mich das Gewaltigste, Emotionalste und Tollste, was es auf dieser Welt gibt! Hätte ich mich nicht auf einem emotionalen Höhenflug befunden, wäre ich fast traurig gewesen, auch dieses Erlebnis mal wieder "nur" alleine zu erleben: dass ich hier Zeuge eines einmaligen Phänomens wurde, war mir schon an Ort und Stelle vollkommen bewusst! Umso wichtiger erschien es mir, dies mit der Kamera festzuhalten, um es zumindest auf diese Art mit anderen teilen zu können!

Auch dies ist eine Langzeitbelichtung (10 Sekunden), welche die Szenerie heller und farbiger darstellt, als es in Wirklichkeit war. Aber wie sollte ich das fotografisch korrekt darstellen? Inmitten der dunklen, blau-silbrigen Stimmung schienen die Berge Pink zu glühen, erhellt von den nördlichsten Ausläufern der farbigen Schleierwolken. Links im Bild wird der Himmel vom tiefstehenden Vollmond erhellt. Es war ein Anblick, der nicht von dieser Welt zu sein schien!

Bis zu diesem Tag war ich der Überzeugung gewesen, dass ein solches Motiv in der Natur nicht vorkommt: von der Sonne erleuchtete Wolken/Landschaft und Nordlichter schließen sich kategorisch aus. Rosa Wolken stehen normalerweise an einem blauen Himmel, welcher schon viel zu hell ist, um die im Vergleich dazu schwachen Nordlichter durchscheinen zu lassen. Aus dem simplen Grund kann man nicht sehen, was ich sah. Es geht einfach nicht, Ende der Diskussion!
:-)


Was die Natur hier wieder einmal deutlich gemacht hat, ist, dass sie sich nicht an menschengemachte Regeln oder Erkenntnisse hält. Was ich erleben durfte, war keine normale Morgendämmerung: unser Stern stand viel weiter unter dem Horizont, als es normalerweise bei rosa Wolken der Fall war. Eigentlich herrschte ja fast noch Nacht: es hatte gerade einmal die nautische Dämmerung begonnen! Das Sonnenlicht war über lange Umwege extrem gefiltert worden und leuchtete an einem dunklen, schönen Nachthimmel. Und genau dies ließ mich nun Bilder machen, die ich so noch nirgendwo gesehen habe und von denen ich vermute, dass sie weltweit einzigartig sind.

Dieses Motiv, so simpel es ausschaut, ist eine extrem rare Laune der Natur, ein Zusammenspiel vieler Zufälle. Der größte davon war aber wohl die Tatsache, dass ich 14 Stunden nach meiner Ankunft in Svalbard, nach einer zweitägigen Reise und einer schlaflosen Nacht am Flughafen Oslo NICHT ausschlief und gemütlich frühstückte, sondern statt dessen in dieses Tal wanderte - ahnungslos, ohne große Erwartungen, ja sogar fast mit einem Groll gegen das "blöde" und "unfotogene" dunkle Svalbard. Im Nachhinein glaube ich immer, einem Bauchgefühl gefolgt zu sein, einem stillen Drängen, das mich schon so oft in ähnliche Situationen geführt hat. Und das mich mit Svalbard versöhnte, in dem es mich an diesem einmaligen Naturwunder teilhaben ließ: wortlos, staunend wie ein kleines Kind, ehrfürchtig und glücklich zugleich.

Ist Natur nicht wunderbar...?

Samstag, 21. Januar 2012

30 Stunden Jökulsárlón

Der zweite Januar begann mit Schneefall. Das verwirrte mich zugegebenermaßen etwas, denn die Wettervorhersage hatte für die kommenden 24 Stunden eigentlich wolkenlosen Himmel versprochen. Auch laut der neuesten Prognose sollte Kaiserwetter herrschen: also ordnete ich den Schnee als lokale isländische Wetterlaune ein, packte meine gesamte Kameraausrüstung zusammen und stopfte Essen für 24 Stunden, meinen Schlafsack und eine große Thermoskanne mit Heißwasser in meinen Wanderrucksack. All dies schnallte ich dann auf meinen Kinderschlittenpulka, bevor ich mich durch sieben Lagen Winterkleidung in ein Michelin-Männchen verwandelte.
Ich hatte nur noch zwei Tage Zeit für Unternehmungen in Island und mir aufgrund der guten Wetterprognose in den Kopf gesetzt, nun 30 Stunden non-stop bei Jökulsárlón zu verbringen. Diesen Ort habe ich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts zwar schon oft besucht, bin aber jedesmal wieder gleichermaßen von der Landschaft fasziniert, die auf Erden absolut einzigartig ist!

Um die Mittagszeit erreichte ich den Gletschersee. Tatsächlich war hier das Wetter viel besser! Die Sonne ging hinter sich auflockerndernden Wolken auf und beleuchtete eine Landschaft, die einem Märchenbuch zu entstammen schien. Türkisfarbene Eisberge trieben im klaren Wasser der Lagune, die nur am Ausfluß nicht zugefroren war.

Auch hier waren über Nacht einige Zentimeter Neuschnee gefallen, die jegliche menschliche Spuren verschleierten. So hatte ich die Lagune und auch den Strand noch nie gesehen: es war, als würde ich hier zum ersten Mal im Leben fotografieren. Es war atemberaubend schön!

An einen traumhaften Sonnenuntergang schloss sich eine ewig lange blaue Stunde, die sich schon um 17 Uhr zur Nacht gewandelt hatte. Die Milchstraße ging auf, der Mond auch, der Himmel wurde immer heller als der Mond immer höher zum Zenit wanderte. Es wehte kaum ein Lüftchen, ein paar Wolken entstanden und verpufften wieder, und ich wanderte entlang des Seeufers und genoss die Nacht. Schätzungsweise -8°C Lufttemperatur hatte es bei fast totaler Windstille, die Ebbe wandelte sich zu Flut, und Kormorane und schnaufende Seehunde wechselten sich dabei ab, mich singendes und klickendes zweibeiniges Wesen am Eisrand zu begutachten. Ich war allerbester Laune, es war einfach nur toll - und dennoch suchte ich den Himmel sehnsüchtig nach dem ab, was für mich die Sahnehaube im Kakao gewesen wäre: Polarlicht.

Laut Langzeitprognosen sollte es diesen Winter die besten Nordlichtsichtungen des Jahrzehnts geben, weil die Sonne auf dem Weg zu ihrem Aktivitätsmaximum ist. Der Herbst hatte auch vielversprechend begonnen: in Nordamerika und Skandinavien wurden tolle und vielfarbige Auroras gesichtet. Bloß in Svalbard herrschte genau an diesen Nächten Mistwetter - war ja klar. Und als es auf Svalbard und Island im November und Dezember immer dunkler wurde, legte die Sonne eine Ruhepause ein, die auch über Weihnachten und Neujahr anhielt.

Auch und gerade weil ich in den vergangenen Wochen keine Aurora gesehen hatte wünschte ich sie mir umso mehr herbei. Ich hatte nicht ganz ohne Grund beschlossen, genau diese Nacht an Jökulsárlón durchzumachen: meiner Einschätzung nach musste in den kommenden Stunden ein Sonnenwind aus einem sogenannten Coronal Hole eintreffen, einer Schwachstelle im Magnetfeld der Sonne. Die Polarlichtvorhersagen behaupteten zwar alle, dass es erst eine Nacht später zu stärkerer Aurora kommen würde, aber ich war da anderer Meinung. Außerdem war alles perfekt: super Wetter, frischer Schnee, der Halbmond genau hell genug, um die Landschaft zu erleuchten und gleichzeitig noch nicht zu hell, um Nordlichter zu überstrahlen - es MUSSTE einfach diese Nacht geschehen!

Ich war nicht die einzige, die an diesem bekannten Ort auf Nordlichter hoffte. Kein Wunder: es gibt kaum eine schönere Kulisse als Jökulsárlón! Und so fuhren zwischen 20 und 21 Uhr zwei Autos vor, parkten, und stellten Stative auf: zwei Italiener, ein Deutscher und zwei Kanadier hofften auf ihr Glück. Ich war von diesem Massenandrang wenig begeistert, packte meine sieben Sachen und ging in aller Ruhe zum Strand hinunter. Mein Bauchgefühl und Wissen sagte mir, dass sich Nordlichter nicht vor 23:00 Uhr blicken lassen würden. Ich weiß nicht warum, aber ich sehe die allermeisten schönen Nordlichter eine halbe Stunde vor Mitternacht, plus-minus 15 Minuten. Von daher verbrachte ich die erste Hälfte der Nacht mit normaler Landschaftsfotografie und schlichtweg mit fröhlichem Warten. Der zunehmende Halbmond schien zusammen mit den hellsten Sternen vom strahlend blauen Himmel und beleuchtete die schneebedeckte Landschaft so stark, dass meine an die Dunkelheit angepassten Augen jedes winzigste Detail wahrnahmen: so entstanden Bilder, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen: richtige Traumlandschaften.

Um 22:30 Uhr ging ich wieder zur Lagune und suchte mir einen guten Standpunkt für Nordlichtfotografie. Ich erkannte einen Schimmer von Helligkeit am Nordhorizont, schöpfte Hoffnung und baute meine Kamera auf. Das war der Startschuss für die anderen Fotografen, die daraufhin aus ihren Autos kamen und sich ebenfalls bereit hielten. Meine Zeitangabe von 23:30 Uhr nahmen sie erstaunt aber gerne hin: nun waren die Erwartungen hoch.

Und tatsächlich: die erste fotogene Aura ließ sich um 23:16 Uhr blicken. Ein recht statisches Nordlichtband wanderte langsam immer weiter Richtung Zenit. Um 23:33 Uhr war es dann soweit: farbiges, filigranes Nordlicht waberte gut erkennbar für Auge und Kamera über den blauen Winterhimmel. Ich wusste, dass uns nun ein mehrere Stunden andauerndes Spektakel bevorstand: dies hier war Aurora wie aus dem Lehrbuch!

Nun, da ich endlich abschätzen konnte, wie sich das Nordlicht entwickeln würde, machte das Warten wieder richtig Spaß, wurde ich wach und warm! Und tatsächlich: mehrmals in den kommenden Stunden erlebte ich Nordlichter der Stärke 3 (auf der Skala von 0-9). Die Farbe Grün war nun klar erkennbar, zweimal wurde es so stark, dass auch weiß und lila sichtbar wurden. Währenddessen ging der Mond unter und veränderte sich die Lichtstimmung drastisch - es war ein Traum!

Da ich die Nacht durchmachte, fühlten sich auch die anderen Fotografen angespornt, die längeren Ruhepausen des Nordlichtes abzuwarten. Ab 3 Uhr nachts fanden wir uns alle zusammen auf demselben Hügel ein und führten ein paar nette Gespräche: unmittelbar bevor die Nordlichtaktivität ihr Maximum erreichte.



Ab 5 Uhr begann das Nordlicht am Himmel zu flackern und zu verblassen: ein ganz klares Zeichen, dass das Spektakel hiermit vorbei war. Also gab ich Entwarnung und schickte meine aufgedrehten internationalen Mitfotografen ins Bett: wir waren Zeuge von 6 Stunden ununterbrochener Nordlichtaktivität gewesen. Keiner von uns hätte sich mehr erträumen können!

Die Italiener und der Deutsche fuhren übermüdet aber glücklich zurück ins Hotel und auch die Kanadier gaben auf und zogen sich in ihren VW-Bus zurück. Und ich? Wäre auch ins Bett gegangen, hätte ich es gekonnt, aber statt dessen wanderte ich noch etwas und genoss die Tatsache, nun wirklich der einzige Mensch zu sein, der die immer schwacher werdenden Nordlichter und die Winternacht genießen konnte. Irgendwann konnte auch ich mich nicht mehr wachhalten und döste so lange, wie die Kälte es zuließ. Als der Himmel sich langsam wieder erhellte war ich aber schon wieder auf den Beinen und und fotografierte Stunden später den wundbaren, wolkenlosen Sonnenaufgang. Dann aber verließ auch mich die Konzentration und der Drang zum Fotografieren: per Anhalter fuhr ich mit einer netten isländische Familie zurück zu Siggis Bauernhof und holte dort in der Wärme des Hauses erst einmal eine gute Mütze Schlaf nach!

Damit endete mein Fotourlaub auf Island: drei Tage später war ich wieder auf Svalbard. Die nächsten Berichte werden also wieder aus der norwegischen Arktis stammen! Beenden will ich diesen Eintrag aber mit Bildern aus dieser traumhaften Nacht an der Gletscherlagune: Island hat mich reich beschenkt mit Motiven und Naturerlebnissen.
Danke, kleines Eiland am Polarkreis - es war ein fantastischer Islandaufenthalt!



Samstag, 14. Januar 2012

Die Schönheit des Eises

Nachdem die Pläne für Sylvester in Landmannalaugar nun endgültig aufgegeben worden waren, musste eine neue Alternative her. Während viele Isländer und fast alle Touristen über den Jahreswechsel in die Hauptstadt reisten, nahm ich am letzten Tag des alten Jahres den letzten Bus gen Osten und überraschte Siggi, einen alleinstehenden Kleinbauern, der genau zwischen Skaftafell und Jökulsárlón wohnt. Im Sommer fährt Siggi den Bus, der täglich zwischen Skaftafell und Landmannalaugar pendelt - daher kenne ich ihn. Nicht gut, aber gut genug, um mich über Sylvester bei ihm in seinem großen Farmhaus einzuquartieren.

Siggi ist ein typischer Isländer vom Land. Aufgewachsen im "richtigen" Island fernab der Großstadt ist er mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben und erarbeitet sich Geld erst, bevor er es ausgibt. Er hat er den Hof seiner Eltern übernommen, ist nicht wie seine Geschwister nach Reykjavík abgewandert und hat sich genügsam dem Jobbedarf der Region angepasst: er ist Busfahrer und Milchwagenfahrer geworden. Eine Frau hat er nie finden können, wie sehr viele Menschen vom Land: ich würde schätzen, dass mindestens ein Viertel aller isländischen Bauern alleinstehende Männer sind. Wie Siggi. Er hütet stoisch seine neun Kühe und fünf Bullen, die dann gemolken und gefüttert werden, wenn es ihm passt, nicht umgekehrt.

Dies ist Siggi wie er leibt und lebt: ein bescheidener und sehr lebensfroher Zeitgenosse!

Den Sommer befindet sich der Kleinbauer im Dauerstress und jongliert Heuernte und Touristensaison fast ohne Schlaf, in der er wie gesagt täglich von Skaftafell nach Landmannalaugar und zurück fährt. Im Winter dagegen gibt es kaum Arbeit, untätig ist er aber nicht gänzlich. Frühmorgens um 6 Uhr fährt er die gesamte Strecke zwischen Skeiðarársandur und Jökulsárlón ab, das sind hin und zurück mal eben 160 Kilometer. Er ist verantwortlich für diese 80 Kilometer der Ringstraße und muss dem Straßenverkehrsamt im Winter täglich berichten, wie der Zustand des Weges ist. Er schätzt die Problemstellen ein, bewertet sie nach bestimmten Kriterien (die dann im Internet der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden) und fordert beispielsweise das Schneeräumfahrzeug aus Höfn an, beziehungsweise kümmert sich persönlich um das Streuen von Sand.

Das alles erklärte er mir, als ich ihn am Neujahrsmorgen auf eben jener Straßenzustandskontrollfahrt begleitete und mich noch weit vor Sonnenaufgang bei Skaftafell absetzen ließ. Ich hatte keine großen Erwartungen an den Tag, da ich nicht einschätzen konnte, wie die Schnee- und Eisverhältnisse sein würden. Nach Weihnachten hatte es hier 50 Zentimeter Neuschnee gegeben, die dann aber an einem Tag komplett wegregneten, bevor es am letzten Dezembertag wieder etwas geschneit hatte. Typisches Islandwetter eben.

An diesem Tag aber zeigte sich kaum eine Wolke am Himmel und erlebte ich um 11 Uhr einen wunderschönen Sonnenaufgang. Fröhlich stapfte ich durch die verschneite Landschaft und versuchte mich den Ausläufern des Vatnajökull so weit zu nähern, wie es eben möglich war. Mich reizten die Formen und Farben des Gletschers, den ich aber nicht nicht betreten konnte, weil mir das Eis auf den Lagunen davor nicht fest genug erschien. Teilweise hatten sich große Regenwasserseen gebildet oder war offenes Gletscherwasser zu sehen. Nichts desto trotz gelangen mir einige wunderschöne Bilder von Strukturen und Formen des grünlich-grau-blauen Eises, das im Licht der tiefstehenden Sonne ein paar Minuten lang leuchtete, wie trübes Glas.

Viel zu schnell zwang mich die einbrechende Dunkelheit zur Rückkehr: liebend gerne hätte ich nochmal acht Stunden hier verbracht! Aber was sprach schon dagegen? Und so kehrte ich drei Tage später an denselben Ort zurück. Die Temperaturen hatten sich seitdem beständig unter dem Gefrierpunkt befunden: und waren die Lagunen am Gletscherrand wieder so stark zugefroren, dass sie mein Gewicht auch nach mehrmaligem Hüpfen geräuschlos aushielten. So bekam ich, endlich, Zutritt zu den Gegenden, die mir sonst immer verwehrt gewesen waren! Plötzlich befand ich mich mitten im türkisfarbenen Eis der sich unablässig verändernden bewegenden Gletscher Islands, in einer Wunderwelt aus Formen und Schattierungen.

Einen ganzen Tag lang turnte ich mit Kamera und Steigeisen auf und um den Gletscher herum, erkletterte mir Gletscherspalten und kam dem ächzenden, knarrenden und knallenden Eis dabei so richtig nahe. Und dann, als ich schon gar nicht mehr daran glaubte, fand ich, wonach ich zwei Tage lang gesucht hatte: meine erste isländische Eishöhle!

Was ich mir da staunend erkletterte, war ein farbiger Palast aus Eis, ein sanft-grünlich durchscheinendes Kunstwerk aus gefrorenen Wellen. Es war atemberaubend schön!

Schon seit Jahren hatte ich geträumt, dies endlich einmal erleben zu dürfen: solche unglaublich schönen Höhlen gibt es in Island gar nicht so selten, aber man kann sie kaum betreten, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Die Gletscher Islands sind sehr warme Gletscher, fließen sehr schnell und sind extrem instabil. Im Sommer befinden sie sich meist unerreichbar jenseits von Lagunen und reißenden Gletscherflüssen: nur im Winter, nach längeren Kaltwetterperioden, sind sie begehbar und einigermaßen sicher für diejenigen, die sich mit isländischen Gletschern auskennen. Dies sage ich so ausdrücklich, weil in den letzten Jahren mehrere Menschen auf der Suche nach und beim Bestaunen von Eishöhlen zu Tode kamen. Natur kann lebensgefährlich sein, wenn man nicht weiß, was man tut!

Ich wusste auch dank des neuntägigen Gletscherkurses vergangenen Herbstes schon relativ genau, in welches Risiko ich mich begab, und genoss an diesem Tag furchtlos, dass sich mir ein langersehnter Traum erfüllte! Der Aufenthalt in diesem gefrorenen Tunnel war wie ein Ausflug in eine andere Welt! Jeder Blickwinkel änderte die Reflexe und Muster im durchscheinenden und gleichzeitig spiegelnden Eis, das unter meiner Berührung selbst jetzt im Winter sofort zu tauen begann. Es war ein wahres Kleinod, und ein extrem vergängliches noch dazu. Diese Höhle wird den nächsten Sommer wohl kaum überleben: zu warm ist das Eis, zu beweglich der Gletscher. Was hätte ich darum gegeben, ihre Schönheit im Sonnenschein zu betrachten! Deshalb aber ist mir eines jetzt schon völlig klar: dies war ganz bestimmt nicht meine letzte Suche nach Eishöhlen! Höhlenforschung kann ich ab sofort neben Nordlichtjagd und Vulkanfieber zu meinen größten Hobbies zählen!

Mittwoch, 11. Januar 2012

Der Weg ist das Ziel

Weihnachten verbrachte ich in Vík. Südisland befand sich weiterhin im Griff von Schneestürmen, da war es völlig sinnlos, die Anreise nach Landmannalaugar auch nur zu versuchen. Ich quartierte mich statt dessen in der Jugendherberge im Schlechtwetterloch Islands ein und verbrachte vier wunderschöne Tage am sturmgepeitschen, schwarzen Sandstrand des kleinen Ortes.



Dieser bisher kilometerlange Strand wird seit letztem Sommer leider von einem 300 Meter langen Deich verschandelt. Die Stadtbewohner versuchen irgendwie die Erosion des Meeres zu stoppen, die langsam aber sicher das Land abträgt. Und genauso, schleichend, verändert sich Island Monat für Monat, wird immer weniger wild, immer menschengemachter: ein Deich hier, eine ausgebaute Straße da, ein Toilettenhaus oder ein neuer Campingplatz hier, neue Zäune, Absperrungen und Schilder dort. Was Touristen in ihren ersten Islandreisen gar nicht wahrnehmen können sehe ich mittlerweile mit aller Deutlichkeit: mein Island, das Land, in das ich mich nach dem Abitur Hals über Kopf verliebt habe, existiert eigentlich schon gar nicht mehr. Auch in diesem Naturparadies ist die Natur auf dem Rückzug, und zwar in einem erschreckenden Tempo. Und das zeigen meine Landschaftsfotos ja nie, denn diese deprimierende Tatsache muss ich nicht auch noch fotografieren. Das täte noch mehr weh als ohnehin schon.



Ich hätte mir eine erquickendere Weihnachtsbotschaft gewünscht, aber gut, die Realität ist nun einmal in den seltensten Fällen rosa und ganz gewiss nicht naturfreundlich. Dennoch versuchte ich, mir schöne Tage in Vík zu machen und mich, wie immer, mit diesen neuen Negativbotschaften zu arrangieren. Ein Deich am Strand und jede Menge Touristen, die mir einfach mal so durch Motive rannten, an denen ich schon seit fünf Stunden wartete: man ist selbst im isländischen Winter nicht mehr alleine mit der Natur. Auch hier muss man teilen - auch mit ignoranten Normaltouristen, die keinerlei Rücksicht auf geduldige Fotografen nehmen. Warum auch, die sitzen ja nur regungslos am Strand herum, harren selbst im schlimmsten Wetter unverständlicherweise draußen aus und machen dabei noch nicht mal Fotos von sich selber...



Am 26. Dezember reihte ich mich dann ein in die Liege der Naturzerstörer. Ich wurde von Broddi mit seinem Superjeep abgeholt, der sich allerdings mal eben um 12 Stunden verspätete, weshalb wir die Anreise daraufhin noch einen Tag nach hinten verschoben. Früh am nächsten Morgen starteten wir dann endlich zur langersehnten Fahrt nach Landmannalaugar!



Es war ein Wintertag aus dem Bilderbuche: die Dämmerung tauchte alles in wunderbare Farben. Hekla (die kuppelförmige Erhebung im obigen Bild) zeigte sich wie alle Berge Islands momentan im gänzlich weißen Kleid und täuschte auch mich darüber hinweg, dass sie eigentlich schon seit zwei Jahren unmittelbar vor dem Ausbruch steht.

So schön die Landschaft auch war, durch die wir fuhren, die Ernüchterung kam umgehends: diese Reise würde kein Spaß werden. Unter etwa 30cm feinstem Pulverschnee lag eine Schicht gefrorenen Schnees, die den schweren Jeep mal hielt, und mal nachgab. Darunter befand ich eine weitere Schicht grobkörnigen Schnees, der die Reifen durchdrehen ließ - es war zum Verzweifeln. Zehn Meter Fahren, einbrechen, zurückfahren, Schwung holen, etwas weiter kommen, einbrechen, wieder zurückfahren. Und alle 100 Meter steckten wir dann gänzlich fest und hieß es: raus zum Schneeschaufeln!


Kurzum: es war Superjeepfahren, wie es beschissener nicht sein kann. Ich bin einfach nicht der Typ, der Spaß daran hat, mir mit tonnenschweren Benzinschleudern neue Wege zu bahnen: es hat für mich rein gar nichts nichts mit Naturerfahrung zu tun, eher mit Naturkaputtfahrung. Allerdings stand ich mit der Meinung in der Szene der Superjeepbenutzer gänzlich alleine da: Bilder wie das folgende werden so manchen autobegeisternen Menschen zum sehnsüchtigen Seufzen anregen. Wieso sonst wollen soviele Touristen umbeding eine Superjeeptour unternehmen? Was ist der Reiz der ganzen Sache, außer von A nach B zu gelangen? Ich glaube ich werde diesen "Sport" wohl nie verstehen...



Nachdem wir uns den ersten Berg hinauf- und wieder hinabgequält hatten bekamen wir Verstärkung. Fünf weitere Superjeeps mit Reifengrößen zwischen 38 und 44 Zoll folgten unserer Fährte und spielten sinnlos im Schnee. Die Fahrer: dickbäuchige, biertrinkende Männer zwischen vierzig und fünfzig Jahren alt, jeweils zu zweit in Autos, die jedes für sich vier bis acht Passagiere befördern konnten. Kurzum: es waren Superjeepfahrer aus dem Bilderbuch.
Von nun an wechselten wir uns ab mit dem Bahnen der Spur und fuhren alle wie auf einer Perlenschnur aufgereiht nacheinander.



So ging es Stunde um Stunde mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von unter zwei Stundenkilometern voran, denn die Schneeverhältnisse änderten sich nicht. Bevor ich den Koller bekam und mein Rücken unerträglich wurde, wanderte ich einfach neben den Autos her und drehte den Männern eine lange Nase, wenn ich sie überholte. Von denen dachte nur einer daran, mal einen Schritt aus den Wagen zu machen: zehn Meter stapfte er durch den Schnee, dann hatte er genug. Verständlich, denn bei dem Körpergewicht sank er so tief ein wie die Autos - das wäre vermutlich auch mir etwas zu mühsam gewesen!



Um 20 Uhr hatten wir die Hälfte der Strecke geschafft, als unser bester Spurbahner einen Motorschaden erlitt. Damit wurde uns die ohnehin anstehende Entscheidung aus den Händen genommen: wir gaben auf uns drehten um.
18 Kilometer in 10 Stunden, weitere 13 Kilometer standen noch an - das war einfach nur sinnlos!

Broddi und ich übernachteten wieder in Hrauneyjar, und als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster schauten, schneite es wieder. Feinster Pulverschnee, und keine Wetteränderung in Sicht. Nach einer weiteren Stunde aus Telefonaten und dem Beurteilen von Wetterprognosen war klar: Landmannalaugar war abgeschrieben. Die Gruppen, die über Sylvester kommen wollten, hatten abgesagt, und von überall kamen nun Superjeepfahrer zurück, da die Verhältnisse im ganzen Hochland gleich waren: selbst die heißgeliebten und hochgepriesenen Superduperwunderjeeps der Isländer kamen mit den momentanen Schneeverhältnissen einfach nicht zurecht. Auch wenn ich ein bisschen enttäuscht war, so war ich dennoch guter Laune: ich liebe es, wenn die Natur uns Menschen in ihre Schanken weist! Und Landmannalaugar läuft mir ja nicht weg!

Zum Abschluss will ich dann noch ein paar Bilder zeigen, die ich zu Weihnachten in Vík machte und diesen eigentlich totfotografierten Strand mal in ganz anderem Licht zeigen.



Es macht einfach immer wieder Spaß, bekannte Dinge neu zu entdecken, in anderem Wetter, anderen Blickwinkeln und vor allem mit viel Zeit. Zeit, um sich auch auf Details einzulassen, um die Augen mal andere Dinge sehen zu lassen, als das Offensichtliche. Seien es simple Eiszapfen unmittelbar an der zerklüfteten Steilküste, oder von Raben geschaffene Kunstwerke am verschneiten Lavastrand, als sie zwischen den Schneeschauern am Strand nach Nahrung suchten.



Samstag, 7. Januar 2012

Islandchaos

Nun, da ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich schon wieder auf dem Weg nach Svalbard. Einerseits habe ich auf Island neue Energie tanken können und blicke positiv auf die vor mir liegende, äußerst spannende Zeit, andererseits sehne ich mich zurück nach Bewegungsfreiheit und Sonnenlicht. In Longyearbyen hat sich in den vergangenen Wochen ja nichts verändert: hohe Berge, unsichtbare Eisbären und fehlende Infrastruktur engen immer noch ein, die Sonne befindet sich immer noch weit unter dem Horizont, und der Unterricht beginnt auch bald wieder. Auch wenn es ein abenteuerliches Studium ist, so stellt sich doch so etwas wie langweiliger Alltag ein - um diesen komme auch ich nicht herum!

Nun und in den nächsten Blogeinträgen will ich auf die vergangenen drei Wochen zurückblicken. Der hinter mir liegende Islandaufenthalt zählt völlig ohne Zweifel zu den chaotischsten Dingen, die ich je erlebt habe. Besonders und vor allem, weil Island mal wieder eines bewiesen hat: dass man hier patout nichts planen kann. Spontaneität und Chaos gehören eben so sehr zu der kleinen Insel, wie Regelmäßigkeit und Planung zu Deutschland. Das weiß ich ja mittlerweile, und deshalb hatte ich auch nicht viel geplant. Ich habe Hin- und Rückflüge gebucht, mich bei meiner guten Freundin Arianne in Reykjavík für den ersten Tag angemeldet, und vom FÍ die Bestätigung erhalten, dass ich irgendwann über die Feiertage in irgendeiner Hütte würde arbeiten können. Vorzugsweise Landmannalaugar. So der Stand der Dinge, bevor ich nach Island kam.


Die erste Woche wollte ich reisend an der Südküste verbringen, hatte mir dafür extra ein schneefestes Zelt organisiert und mir von Arianne einen Campingkocher ausgeliehen. Am Tag nach meiner Ankunft führte ich ein kurzes Gespräch mit meinen Chef: der 22ste Dezember wurde als Anreisetag für Landmannalaugar festgelegt. Die Wettervorhersage war noch zwei Tage lang gut: dann sollte ein ausgedehntes Tiefdruckgebiet die Insel erreichen. Also eilte ich noch an diesem ersten Abend in Island per Anhalter Richtung Osten, kam bis nach Skógar, übernachtete dort bei -8°C im Zelt und fand früh am nächsten Morgen ein nettes britisches Paar, das gen Osten wollte und mich willig bis nach Dyrholaey fuhr. Dort schleifte ich meinen Rucksack ein paar hundert Meter über den 20cm tiefen Schnee (tragen darf ich schwere Lasten ob meines mittlerweile chronisch schmerzenden Rückens ja weiterhin nicht), baute mein Zelt sehr notdürftig auf und eilte mich, die Umgebung im restlichen Licht des Tages zu erkunden und potentielle Motive für den kommenden Morgen auszukundschaften.


Als die Sonne untergegangen war machte ich mich daran, das Tunnelzelt sturmsicher im Schnee zu verankern: das dauerte eine geschlagene Stunde. Danach stand für mich fest, dass ich hier mindestens zwei Nächte bleiben würde - und lebte ich die kommenden zwei Tage und Nächte nur fürs Fotografieren und das Genießen der verschneiten Küstenlandschaft. Einige Fotoresultate habe ich ja schon im vorhergegangenen Blogeintrag gezeigt.


Nach zwei kalten Nächten in der winterlich-einsamen Idylle des Türlochfelsens begann es zu schneien und baute ich in Windeseile mein Zelt ab. Ich musste hier weg bevor der angekündigte Schneesturm die Straße zuschneite: ich zog mein Gepäck ja auf Rollen übers Eis, und das wäre bei Schneefall nicht möglich gewesen. Aber wie immer hatte ich Glück: von den zwei Autos, die mir an diesem Morgen begegneten, hielt das erste schon auf dem Hinweg nach Dyrhólaey an und bot mir an, mich auf dem Rückweg mitzunehmen. Eine Stunde später war ich in der Jugendherberge in Vík und freute mich dort vor allem auf eines: auf eine warme Dusche!


Leider machte ich den Fehler, unmittelbar nach meiner Ankunft mein Handy einzuschalten - das sofort klingelte. Mein Chef Palli war dran und fragte, ob ich am nächsten Morgen eine Busrundfahrt begleiten könne. Eine Gruppe Norweger suchte einen norwegischsprechenden Guide, der ihnen etwas über die Kultur Westislands erzählen konnte.

Och neeee - verflixt und zugenäht! Ich hatte echt keine Lust! Erstens hatte ich mich schon auf vier weitere Fototage bei Vík und Jökulsárlón gefreut, zweitens war ich nicht in der Stimmung zu arbeiten, drittens befand ich mein Norwegisch als nicht gut genug, und viertens hatte ich nicht die geringste Ahnung über Kultur in Westisland. Aber Palli war so eindringlich, dass ich zusagte: er war mir schon so oft entgegengekommen, und jetzt war ich an der Reihe. Also habe ich mich ohne die ersehnte Dusche wieder aus der Jugendherberge ausgecheckt, bin im letzten Licht des Tages nach Reykjavík getrampt, wo ich spontan wieder bei Arianne unterkam und die letzten Stunden des Tages damit verbrachte, westisländische Geschichte und Kunst zu büffeln. Allerdings erst nachdem ich mit Ariannes Familie noch eine Eiskunstlaufdarstellung besucht hatte, bei der die älteste Tochter der Familie mitwirkte und ich die Bilder fürs Familienalbum machte.





Am nächsten Morgen brachte ein äußerst dankbarer Palli mich zum Hotel, wo ich meine Gruppe aus 13 tanzenden Rentnern von den Lofoten kennenlernte. Palli blieb ein paar Minuten dabei, offensichtlich neugierig auf meine Norwegischkenntnisse, die (wie ich erstaunt feststellte) weitaus besser als seine waren. Was folgte, war im Endeffekt ganz lustig: ich sagte unserem Fahrer wo es hingehen sollte, und stotterte auf Norwegisch all das Wissen von mir, was ich mir in der Nacht zuvor angelesen hatte. In Borgarnes schleppte ich die Gruppe in ein Museum, wo alle eine Stunde lang einer interessanten Tonband-Führung auf Norwegisch folgten. Auf dem Rückweg von Reykholt erlebten wir später einige bange Minuten, weil vor uns zwei Autos und ein Bus von heftigsten Windböen von der Straße geweht wurde. Der angekündigte Sturm war da.

Nach einem langen Tag entließ ich eine zufriedene und müde Rentnergruppe in ihr Hotel. Nun hatte ich noch zwei Tage zu überbrücken, bevor es auf nach Landmannalaugar ging. Da die Wettervorhersage schlecht war, reiste ich lokal und fotografierte in Reykjavík und Hveragerði Weihnachtsbeleuchtung. Nachdem ich jetzt schon über längst verstorbene Wikinger gepredigt, im norwegischen Kreise über die Gründe der Finanzkrise spekuliert und pirouettendrehende Isländerinnen fotografiert hatte, war mir alles egal - ich befand mich ganz offensichtlich in einem akuten Anfall von Kulturwahn...


Während ich am Tag der Wintersonnwende meine Einkäufe für meinen zweiwöchigen Landmannalaugaraufenthalt tätigte, sah ich in einem Laden einen Stapel einfachster Plastikschlitten stehen und hatte eine Idee: ich würde mir für meinen Fotorucksack einen Mini-Pulka basteln! Dann bräuchte ich wirklich gar nichts mehr tragen und konnte meine mittlerweile extrem schmerzende Wirbelsäule entlasten. Gesagt, getan - ein paar Stunden später zog ich meine Einkäufe auf einem blauen Kinderschlitten über den Schnee und freute mich an dieser rückenschonenden umweltfreundlichen Transportvariante, die ich von nun an täglich einsetzen sollte - dem Schnee sei dank!

Fortsetzung folgt bald...