Der zweite Januar begann mit Schneefall. Das verwirrte mich zugegebenermaßen etwas, denn die Wettervorhersage hatte für die kommenden 24 Stunden eigentlich wolkenlosen Himmel versprochen. Auch laut der neuesten Prognose sollte Kaiserwetter herrschen: also ordnete ich den Schnee als lokale isländische Wetterlaune ein, packte meine gesamte Kameraausrüstung zusammen und stopfte Essen für 24 Stunden, meinen Schlafsack und eine große Thermoskanne mit Heißwasser in meinen Wanderrucksack. All dies schnallte ich dann auf meinen Kinderschlittenpulka, bevor ich mich durch sieben Lagen Winterkleidung in ein Michelin-Männchen verwandelte.
Ich hatte nur noch zwei Tage Zeit für Unternehmungen in Island und mir aufgrund der guten Wetterprognose in den Kopf gesetzt, nun 30 Stunden non-stop bei Jökulsárlón zu verbringen. Diesen Ort habe ich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts zwar schon oft besucht, bin aber jedesmal wieder gleichermaßen von der Landschaft fasziniert, die auf Erden absolut einzigartig ist!
Um die Mittagszeit erreichte ich den Gletschersee. Tatsächlich war hier das Wetter viel besser! Die Sonne ging hinter sich auflockerndernden Wolken auf und beleuchtete eine Landschaft, die einem Märchenbuch zu entstammen schien. Türkisfarbene Eisberge trieben im klaren Wasser der Lagune, die nur am Ausfluß nicht zugefroren war.
Auch hier waren über Nacht einige Zentimeter Neuschnee gefallen, die jegliche menschliche Spuren verschleierten. So hatte ich die Lagune und auch den Strand noch nie gesehen: es war, als würde ich hier zum ersten Mal im Leben fotografieren. Es war atemberaubend schön!
An einen traumhaften Sonnenuntergang schloss sich eine ewig lange blaue Stunde, die sich schon um 17 Uhr zur Nacht gewandelt hatte. Die Milchstraße ging auf, der Mond auch, der Himmel wurde immer heller als der Mond immer höher zum Zenit wanderte. Es wehte kaum ein Lüftchen, ein paar Wolken entstanden und verpufften wieder, und ich wanderte entlang des Seeufers und genoss die Nacht. Schätzungsweise -8°C Lufttemperatur hatte es bei fast totaler Windstille, die Ebbe wandelte sich zu Flut, und Kormorane und schnaufende Seehunde wechselten sich dabei ab, mich singendes und klickendes zweibeiniges Wesen am Eisrand zu begutachten. Ich war allerbester Laune, es war einfach nur toll - und dennoch suchte ich den Himmel sehnsüchtig nach dem ab, was für mich die Sahnehaube im Kakao gewesen wäre: Polarlicht.
Laut Langzeitprognosen sollte es diesen Winter die besten Nordlichtsichtungen des Jahrzehnts geben, weil die Sonne auf dem Weg zu ihrem Aktivitätsmaximum ist. Der Herbst hatte auch vielversprechend begonnen: in Nordamerika und Skandinavien wurden tolle und vielfarbige Auroras gesichtet. Bloß in Svalbard herrschte genau an diesen Nächten Mistwetter - war ja klar. Und als es auf Svalbard und Island im November und Dezember immer dunkler wurde, legte die Sonne eine Ruhepause ein, die auch über Weihnachten und Neujahr anhielt.
Auch und gerade weil ich in den vergangenen Wochen keine Aurora gesehen hatte wünschte ich sie mir umso mehr herbei. Ich hatte nicht ganz ohne Grund beschlossen, genau diese Nacht an Jökulsárlón durchzumachen: meiner Einschätzung nach musste in den kommenden Stunden ein Sonnenwind aus einem sogenannten Coronal Hole eintreffen, einer Schwachstelle im Magnetfeld der Sonne. Die Polarlichtvorhersagen behaupteten zwar alle, dass es erst eine Nacht später zu stärkerer Aurora kommen würde, aber ich war da anderer Meinung. Außerdem war alles perfekt: super Wetter, frischer Schnee, der Halbmond genau hell genug, um die Landschaft zu erleuchten und gleichzeitig noch nicht zu hell, um Nordlichter zu überstrahlen - es MUSSTE einfach diese Nacht geschehen!
Ich war nicht die einzige, die an diesem bekannten Ort auf Nordlichter hoffte. Kein Wunder: es gibt kaum eine schönere Kulisse als Jökulsárlón! Und so fuhren zwischen 20 und 21 Uhr zwei Autos vor, parkten, und stellten Stative auf: zwei Italiener, ein Deutscher und zwei Kanadier hofften auf ihr Glück. Ich war von diesem Massenandrang wenig begeistert, packte meine sieben Sachen und ging in aller Ruhe zum Strand hinunter. Mein Bauchgefühl und Wissen sagte mir, dass sich Nordlichter nicht vor 23:00 Uhr blicken lassen würden. Ich weiß nicht warum, aber ich sehe die allermeisten schönen Nordlichter eine halbe Stunde vor Mitternacht, plus-minus 15 Minuten. Von daher verbrachte ich die erste Hälfte der Nacht mit normaler Landschaftsfotografie und schlichtweg mit fröhlichem Warten. Der zunehmende Halbmond schien zusammen mit den hellsten Sternen vom strahlend blauen Himmel und beleuchtete die schneebedeckte Landschaft so stark, dass meine an die Dunkelheit angepassten Augen jedes winzigste Detail wahrnahmen: so entstanden Bilder, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen: richtige Traumlandschaften.
Um 22:30 Uhr ging ich wieder zur Lagune und suchte mir einen guten Standpunkt für Nordlichtfotografie. Ich erkannte einen Schimmer von Helligkeit am Nordhorizont, schöpfte Hoffnung und baute meine Kamera auf. Das war der Startschuss für die anderen Fotografen, die daraufhin aus ihren Autos kamen und sich ebenfalls bereit hielten. Meine Zeitangabe von 23:30 Uhr nahmen sie erstaunt aber gerne hin: nun waren die Erwartungen hoch.
Und tatsächlich: die erste fotogene Aura ließ sich um 23:16 Uhr blicken. Ein recht statisches Nordlichtband wanderte langsam immer weiter Richtung Zenit. Um 23:33 Uhr war es dann soweit: farbiges, filigranes Nordlicht waberte gut erkennbar für Auge und Kamera über den blauen Winterhimmel. Ich wusste, dass uns nun ein mehrere Stunden andauerndes Spektakel bevorstand: dies hier war Aurora wie aus dem Lehrbuch!
Nun, da ich endlich abschätzen konnte, wie sich das Nordlicht entwickeln würde, machte das Warten wieder richtig Spaß, wurde ich wach und warm! Und tatsächlich: mehrmals in den kommenden Stunden erlebte ich Nordlichter der Stärke 3 (auf der Skala von 0-9). Die Farbe Grün war nun klar erkennbar, zweimal wurde es so stark, dass auch weiß und lila sichtbar wurden. Währenddessen ging der Mond unter und veränderte sich die Lichtstimmung drastisch - es war ein Traum!
Da ich die Nacht durchmachte, fühlten sich auch die anderen Fotografen angespornt, die längeren Ruhepausen des Nordlichtes abzuwarten. Ab 3 Uhr nachts fanden wir uns alle zusammen auf demselben Hügel ein und führten ein paar nette Gespräche: unmittelbar bevor die Nordlichtaktivität ihr Maximum erreichte.
Ab 5 Uhr begann das Nordlicht am Himmel zu flackern und zu verblassen: ein ganz klares Zeichen, dass das Spektakel hiermit vorbei war. Also gab ich Entwarnung und schickte meine aufgedrehten internationalen Mitfotografen ins Bett: wir waren Zeuge von 6 Stunden ununterbrochener Nordlichtaktivität gewesen. Keiner von uns hätte sich mehr erträumen können!
Die Italiener und der Deutsche fuhren übermüdet aber glücklich zurück ins Hotel und auch die Kanadier gaben auf und zogen sich in ihren VW-Bus zurück. Und ich? Wäre auch ins Bett gegangen, hätte ich es gekonnt, aber statt dessen wanderte ich noch etwas und genoss die Tatsache, nun wirklich der einzige Mensch zu sein, der die immer schwacher werdenden Nordlichter und die Winternacht genießen konnte. Irgendwann konnte auch ich mich nicht mehr wachhalten und döste so lange, wie die Kälte es zuließ. Als der Himmel sich langsam wieder erhellte war ich aber schon wieder auf den Beinen und und fotografierte Stunden später den wundbaren, wolkenlosen Sonnenaufgang. Dann aber verließ auch mich die Konzentration und der Drang zum Fotografieren: per Anhalter fuhr ich mit einer netten isländische Familie zurück zu Siggis Bauernhof und holte dort in der Wärme des Hauses erst einmal eine gute Mütze Schlaf nach!
Damit endete mein Fotourlaub auf Island: drei Tage später war ich wieder auf Svalbard. Die nächsten Berichte werden also wieder aus der norwegischen Arktis stammen! Beenden will ich diesen Eintrag aber mit Bildern aus dieser traumhaften Nacht an der Gletscherlagune: Island hat mich reich beschenkt mit Motiven und Naturerlebnissen.
Danke, kleines Eiland am Polarkreis - es war ein fantastischer Islandaufenthalt!
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