Samstag, 8. September 2012

Ein Sommer auf See


Schneller als gedacht ist schon wieder September und zieht der Herbst ins Land. Hinter mir liegt ein Sommer auf See und verbrachte ich zweieinhalb Monate auf insgesamt drei schaukelnden Schiffen, die Svalbard/Spitzbergen umrundeten. Kann mal einer die Zeit verlangsamen, bitte...?
Es begann damit, dass ich für die Firma Polar Quest (Polar Kreuzfahrten) als Praktikant auf dem Schiff „Ocean Nova“ anheuerte. Das kleine, blau-weiße Expeditionskreuzfahrtschiff beherbergt bei voller Belegung 75 Gäste, normalerweise aber so um die 65, die von einem 7-köpfigen Guideteam und einer Schiffsbesatzung von etwa 40 rund um die Uhr betreut werden. Expeditionskreuzfahrtschiffe sind wesentlich kleiner und meist auch weniger luxuriös als große Luxusliner, die ich gerne als "schwimmende Städte" bezeichne. Die kleineren Expeditionskreuzfahrtschiffe sind schwimmende Hotels mit Vollpension: drei- bis viermal täglich gibt es Essen, die je nach Preisklasse unterschiedlich großen Zimmer haben Toilette und Dusche und werden täglich gereinigt. Es gibt eine Bar, eine Bibliothek, einen großen Aufenthaltsraum mit Glasfassade, und ein kleines Fitnessstudio mit Tretmühle, Fahrrad und Hanteln. Das alles scheint so der Standard für sogenannte Expeditionskreuzfahrtschiffe zu sein.
Nach zwei jeweils 7-tägigen Reisen auf der Ocean Nova (eine Umrundung Spitzbergens und eine Umrundung von Austlandet mit Rückkehr entlang der Nordwestküste) hatte ich zwei Tage Aufenthalt in Longyearbyen, bevor ich das Schiff wechselte und für die gleichen Firmen nun zwei 10tägige Reisen auf der „Quest“ unternahm (zwei Umrundungen Spitzbergens mit Reise zur Packeisgrenze). Die Quest ist eine kleine Badewanne mit Platz für 47 Passagiere, die dort in Ölsardinenmanier gestapelt werden. Alles ist klein und eng auf dem Schiff – weswegen man als Gruppe sehr zusammenwächst und in der Abwicklung der Landgänge alles schnell und reibungslos vonstatten geht.
Das Klientel, das diese Reisen bucht, sind meist unternehmungslustige, ältere und gebildete Menschen, die vor allem eines sehen möchten: Tierleben. Die „big five“ von Svalbard sind: Eisbär, Walross, Wal (egal welcher), Polarfuchs und Bartrobbe. Und all diese Begegnungen kann man, zumindest grob, einigermaßen planen: genau dies macht der Expeditionsleiter. Er/sie weiß genau, wo sich Walross-Schlafplätze befinden, wo das letzte Mal Buckelwale gesichtet wurden oder aber wo ungefähr sich Eisbären finden lassen. Die Treibeisgrenze wird von allen Schiffen total gerne angefahren, so sie denn in der Nähe von Spitzbergen ist: einerseits ist es ein irrsinniges Erlebnis, das See-Eis des vergangenen Winters auf dem blauen Wasser schwimmen zu sehen, und andererseits ist dies das bevorzugte Habitat des Eisbären. Und diese kommen, wenn es neugierige Tiere sind, auf den Eisschollen teilweise extrem nahe an das Schiff heran um uns auszukundschaften – dies sind die besten Eisbärenbegegnungen überhaupt!
Die letzten noch zugefrorenen Buchten und Fjorde sind ebenfalls Eisbärensammelstellen: die auf Robbenjagd spezialisierten Bären lauern auf dem Eis jenen Tieren auf, die sich auf dem Eis ausruhen wollen. Alle paar Jahre wird außerdem ein Walkadaver irgendwo an Land gespült: wenn das der Fall ist können sich dort Dutzende von Bären versammeln und relativ gefahrlos aus sehr großer Nähe von Booten aus betrachtet werden. Ein solches Spektakel gab es dieses Jahr aber nicht zu bestaunen!
Wie ich im Laufe der vergangenen Monate nun ja schon mehrmals geschrieben habe, war der vergangene Winter zu warm und hat sich deshalb nicht viel See-Eis gebildet. Das war für die Kreuzfahrtschiffe einerseits gut, weil man dieses Jahr wirklich alle Ziele erreichen konnte und nicht von Eisbarrieren gestoppt wurde. Für die hiesige Tierwelt war das aber eine mehr oder weniger große Katastrophe. Es geht hier nicht nur um Eisbären, die immer weiter gen Norden wandern müssen, oder um Sattelrobben, denen die Jungen ertrinken weil das Eis unter ihnen schmilzt bevor sie schwimmen können. Das wahre Problem beginnt bei den ganz kleinen Lebewesen: bei Algen. Diese wachsen nämlich unter dem Meereis, nutzen das Eis also als Halt im sonst so unruhigen Wasser – schließlich fungiert das Eis ja auch als Wellenbrecher und besteht zudem aus konzentiertem Süßwasser und konzentrierten Mineralien. Der lange Polarsommer bringt Sonnenlicht im Übermaß: die Produktivität dieser winzigen Algen ist enorm. Von den Algen leben Einzeller und Plankton, von dem Plankton leben Fische und Quallen, leben Wale, Robben und Eisbären – kurzum: die ganze Arktis basiert auf Algenwachstum. Und das ist wie gesagt unmittelbar an Meereis geknüpft, das den Sommer überdauert.
Bildet sich im Winter weniger Eis oder schmilzt es zu früh ab, dann verkleinert sich die Fläche unter der die Algen wachsen können. In unserem Fall reden wir mal eben von der Fläche Europas! Dann gibt es weniger Nahrung für alle Beteiligten, und in Folge weniger Krill, weniger Fische, Robben, Wale und Eisbären.
Wir haben diesen Sommer genügend große Tiere gesehen, aber wir mussten sie teilweise sehr lange suchen. Diese Tiere waren aber zum Glück entweder normalgewichtig oder eher sehr gut im Futter: nur zwei mal sah ich wirklich dünne Tiere, eines davon war ein Weibchen mit einem Jungen.
Neben Eisbärensichtungen, von denen wir pro Reise 2-20 verzeichnen konnten, sahen wir auch Seevögel wie etwa die Dickschnabellumme zuhauf, ebenso wie Walrosse und Buckelwale. Alle meine Kollegen, die schon mehrere Jahre Svalbard bereisten, sagten, dass dies der Sommer der Buckelwale gewesen sei: wir hatten mehrere wirklich hautnahe Begegnungen mit ihnen, und zweimal hatten wir das riesige Glück, ihnen in Zodiaks nahekommen zu dürfen. Das für mich unglaublichste Ergebnis war, als wir um Mitternacht im warmen Licht der tiefstehenden Sonne bei ganz ruhigem Wetter zwei Buckelwale beim Fressen beobachten durften. Buckelwale sind Bartenwale, das heißt dass sie sich von kleinen Meerestieren ernähren, von Krill oder kleinen Fischen. Damit sie davon möglichst viel auf einmal Schlucken können tauchen die Wale meist in Gruppen von 2-3 Tieren unter den Schwarm und atmen Luft aus während sie im Kreis unterhalb des Schwarmes schwimmen. So bilden sie ein Netz aus Luftblasen, dass den Krillschwarm noch mehr zusammentreibt. Während sie diese Spirale aus Luftblasen bilden schwimmen sie an die Wasseroberfläche, und sind sie dort angekommen befindet sich der gesamte Schwarm extrem komprimiert innerhalb weniger Kubikmeter Wasser: dann heißt es für die 15 Meter lange Wale nur noch: Maul auf und auftauchen!
Praktischerweise können wir diese Luftblasen sehr gut sehen und wissen daher bis zu eine Minute vorher wo ungefähr der/die Wal/e auftauchen werden. An jenem Abend Mitte August war ich einer von sechs Zodiakfahrern, die im großen Halbkreis um den Ort herumstanden, an dem die Wale zuvor aufgetaucht waren. Ich sah dann wieder Blasen aufsteigen, drehte mein Boot in die richtige Richtung und schaltete den Motor komplett aus: allerdings ohne mit eingeplant zu haben, dass das Boot ja noch leicht durchs Wasser glitt. Auch durch die leichte Dünung driftete ich etwa 15 Meter weiter, als ich es geplant hatte, und befand mit plötzlich unmittelbar über dem großen Kreis aus Blubberblasen. Ich vertraute den Walen jedoch einerseits genug (sie würden uns auch ohne den knatternden Motor definitiv bemerken!) und es war andererseits auch zu gefährlich, den Motor wieder anzuschalten und wegzufahren: die großen Tiere würden jeden Augenblick auftauchen und ich wollte sie nicht verletzen. Also sagte ich meinen Gästen, dass sie die Ruhe bewahren sollten und dass gleich unmittelbar neben dem Boot ein oder zwei lastwagengroße Wesen erscheinen würden. Und Tatsache: zehn Meter von uns entfernt bliesen die beiden Wale und zeigten uns ihren Buckel.
Dabei aber blieb es nicht: unmittelbar neben dem Zodiak tauchten sie nacheinander wieder auf – der zweite Wal näher als der erste, zum Anfassen nah. Beim Atemholen blieb es nicht: sie begannen ihren nächsten Tauchgang und hoben ihre Fluken etwa zwei Meter neben unserem Boot aus dem Wasser, ohne Spritzen, sanft und leise, und etwa ziemlich genau so groß, wie unser Zodiak-Gummiboot mit uns 11 Menschen an Bord lang war! Ein Teil meiner Gäste jauchzte vor Freude, wir anderen waren sprachlos – und auch ich wusste gar nicht, wohin mit meinen Gedanken, als ich den Motor wieder anwarf und uns schnell in einen größeren Abstand zu den riesigen Meeressäugern brachte. Ihnen so nahe zu kommen war nicht beabsichtig gewesen: generell sollten wir einen Mindestabstand von 25-30m einhalten, um weder die Wale noch uns zu gefährden. Dennoch war es eines der Erlebnisse diesen Sommers, die sich mir am meisten eingeprägt haben – fantastisch!
Das waren nur ein paar Bilder und Ereignisse des vergangenen Sommers – ich werde mich bald wieder melden, mit neuen/alten Eindrücken der vergangenen Wochen. Bei mir wird es noch zwei Wochen lang garantiert nicht langweilig werden: genauso spontan, wie ich den Job auf der m/s Expedition bekam (das Schiff, auf dem ich die vergangenen zwei Wochen arbeitete), erhielt ich nun das Angebot, nicht mit dem Flugzeug sondern besagtem Kreuzfahrtschiffchen nach Island zu reisen. Die Fahrt führt uns aber nicht direkt auf meine geliebte Insel, sondern wird die Ostküste Grönlands erkunden. Auch hier bin ich angeheuert um als Guide, Zodiakfahrer und Eisbärenwache Touristen und Natur zu beschützen: da ich noch nie in Grönland war (und auch nicht glaubte, dass ich so bald dorthin gelangen würde) freue ich mich natürlich total! Wer hätte gedacht dass ich mit meiner Seekrankheit dann doch so gut klarkommen würde, dass ich diese Art der Schiffsreisen gut überstehen würde?

Das nächste Mal werde ich mich also in frühestens drei Wochen melden – dann vermutlich aus Deutschland. Dort werde ich die kommenden drei Monate wieder zur Landratte mutieren – und von den vielen Erlebnissen zehren, die ich diesen Sommer erfahren durfte.
Auf bald!