Dienstag, 26. November 2024

November in Island

Hallo zusammen!
Hier kommt endlich mal wieder ein Lebenszeichen von mir: Und zwar diesmal wieder aus Island.

Es ist lange her, dass ich einen Winter in Island verbracht habe. Das liegt einerseits daran, dass ich in den letzten Jahren oft mit Fotovorträgen in den deutschsprachigen Ländern unterwegs war, andererseits aber auch daran, dass ich nicht mehr fliege. Der einzige Weg für mich, nach Island zu gelangen, ist also per Schiff. Es gibt leider nur eine einzige Passagierfähre zwischen Island und dem Rest der Welt: Norröna, von der färingischen Reederei Smyrilline. Sie macht allerdings seit einigen Jahren vier Monate Winterpause. Das bedeutet, dass ich zwischen Mitte November und Mitte März Island entweder nicht verlassen bzw. nicht erreichen kann - denn eine Alternative gibt es leider nicht.

Mir war in diesem Jahr nach einem ordentlichen Winter, und so habe ich vor zwei Wochen die letzte Fähre von Dänemark aus nach Island genommen. Meine „lange Reise nach Norden“ dauert immer 5-8 Tage, je nach Richtung, Wetter und Mitfahrgelegenheit. Diesen Herbst bin ich dann also Mitte November an einem Tag mit verschiedenen Zügen vom Rheinland nach Norddänemark gereist, habe in einem Hotel in Aalborg übernachtet und am nächsten Morgen stressfrei die letzten 1,5 Stunden Zugfahrt nach Hirtshals unternommen, einem kleinen Städtchen ganz oben an der nördlichen Spitze von Dänemark. Wenn ich Zeit habe, gehe ich die 35 Minuten vom Bahnhof zur Fähre zu Fuß, denn nach insgesamt 12 Stunden Bahnfahrt tut Bewegung ziemlich gut.


Es folgten knapp drei Tage auf der Fähre, diesmal (fast) ohne Zwischenstopp auf den Färöern, weil wegen des stürmischen Wetters nur zum Ab- und Beladen der Autos gestoppt und regelrecht nach Island durchgefahren wurde. Nach einer ordentlichen Schaukelpartie kamen wir nach insgesamt nur zweieinhalb Tagen in Island an - und da war mittlerweile der Winter eingekehrt.

Sorry wegen der Qualität - auch ich knipse ab und zu mit'm Handy...


Seyðisfjörður, der Ort in Island, an dem die Fähre ankommt, liegt so weit von der Hauptstadt entfernt, wie es geografisch nur möglich ist: nämlich im Nordosten der Insel. Ich fahre und besitze, ebenfalls vor allem aus Klimaschutzgründen, ja auch kein Auto, was bedeutet, dass ich so ziemlich überall auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen bin. Genau dieser ist in Island, zumindest außerhalb der Hauptstadt, kaum existent. Züge/Bahnen gibt es hier nicht, funktionierende Mitfahrbörsen auch nicht, und die private Busfirma, welche sich um den öffentlichen Nahverkehr kümmert, fährt viele Orte in Island, wenn überhaupt, nur 1-3 Mal pro Woche an. Kein Wunder, dass hier jeder ein Auto besitzt und beinahe mitleidig auf alle herunterschaut, welche die Busse nutzen (müssen)! Leider gibt es zwischen dem Fähranleger und der Hauptstadt des Nordens, Akureyri, nur viel Mal die Woche eine Verbindung: und zwar ausgerechnet NICHT an den Tagen wenn die Fähre ankommt bzw. abfährt. Dass es Passagiere gibt, die ohne Auto die Fähre nutzen, scheint niemand auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen...

Ich war also darauf eingestellt, mal wieder per Anhalter zu fahren und hatte mir 3 Tage eingeplant; schließlich sind die Tage hier schon kurz und das Wetter eher unangenehm. Allerdings hatte ich riesiges Glück, denn unmittelbar vor dem Anlegen fand ich auf der Fähre einen netten Isländer, der an diesem Tag noch nach Reykjavík fahren wollte - und bereit war, mich mitzunehmen.
Das kommt einem Sechser im Lotto gleich! :)

Und so verbrachten wir zwei dann die nächsten 730 Kilometer auf der Ringstraße: erst langsam und vorsichtig auf glatten Winterwegen, aber ab der Ostfjorde wurde das Wetter besser und ab Höhe Höfn (etwa 1/3 der Strecke war geschafft) wurden die Straßen komplett eis- und die Landschaft schneefrei. So kam ich, rund 12 Stunden nach Ankunft der Fähre, bereits in Reykjavík an: damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu rechnen gewagt!

Noch ein Handyfoto - aus den Ostfjorden

Jetzt passierte aber alles Schlag auf Schlag, denn kaum, dass ich bei meiner "isländischen Familie" in Reykjavík angekommen war, hieß es: Erdbebenserie bei Grindavík; Vulkanausbruch steht unmittelbar bevor. Und tatsächlich, keine zwei Stunden nach meiner Ankunft in Reykjavík, stand im Süden der Himmel wieder in Flammen. Wir brauchten keine Webcams einzuschalten, ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster genügte: ja, in 30 Kilometer Entfernung brachte ein Vorhang aus Lavafontänen den Nachthimmel zum Leuchten.

Wow, Island, ehrlich?
Was für ein Willkommensgeschenk!

Oder, wie einer meiner Freunde kommentierte:
„Das wird ja zur Regel bei dir, Kerstin, dass es wieder losgeht, wenn du kommst...“

Verrückt!

Der Blick von Reykjavík in Richtung des 60 Minuten alten Ausbruchs

Hätte mir vor vier jemand Jahren gesagt, dass ich mich einmal an Vulkanausbrüche gewöhnen würde und sogar okay damit sein würde, nicht sofort hinzufahren, ich hätte diejenige Person für verrückt erklärt. Aber: Dies ist jetzt der 10. Vulkanausbruch auf Reykjanes in drei Jahren. Wir hatten zuerst drei Ausbrüche beim Fagradalsfjall (in den Jahren 2021 - 2023), gefolgt von jetzt sieben Ausbrüchen bei Sundhnúksgígar (ein paar Kilometer weiter westlich, nördlich der mittlerweile evakuierten Stadt Grindavík). Dort fließt seit dem 18. Dezember 2023 etwa alle sechs Wochen an etwa dergleichen Stelle Lava: die Ausbrüche variieren von kurzen von 2 Tagen bis knapp zwei Monaten. Diese Spaltenausbrüche nennen die Isländer „eldar“, „Feuer“, auf Deutsch am beschreibendsten übersetzt mit „Ausbruchsserie“. 

Einfach ausgedrückt handelt es sich hierbei um ein Vulkansystem, das keinen festen „Krater“ hat, keine gefestigten „Wege für die Lava nach oben“, sondern der, wann immer der Druck groß genug ist, sich einen neuen Weg nach oben sucht. Weil die vielen Erdbeben (welche die aufsteigende Magma verursacht) die dünne Erdkruste ziemlich brüchig gemacht haben, kommen die nachfolgenden Eruptionen allerdings schon irgendwie im gleichen Gebiet raus. Wie lange solche „Feuer“ andauern kann niemand sagen. Das letzte Beispiel einer solchen Ausbruchsserie gab es bei Krafla, im Nordosten Islands beim Mývatn, wo es in den Jahren 1975 bis 1984 immer wieder zu solchen Vulkanausbrüchen kam. Allerdings waren es dort neun Ausbrüche in neun Jahren. Wir haben hier jetzt zehn Ausbrüche in drei Jahren. Ähnlich und doch ganz anders...

Detail des "Feuervorhangs" des Ausbruchs vom August, in der ersten Nacht, am 22.08.24

Die Silhouette von Reykjavík mit dem Glühen des 30 Kilometer entfernten Vulkanausbruchs.
Für viele Hauptstadtbewohner ist dieser Anblick tatsächlich mittlerweile zur Normalität geworden.


Nach einer guten Mütze Schlaf fing ich am 21. November dann an, mal auszuloten, was in Sachen Vulkanbesuchs möglich sein würde. Seit Dezember 2023 befinden sich die Ausbrüche in einer eher flachen Gegend und sind zudem sehr nahe an wichtiger Infrastruktur. Da gibt es einerseits die kleine Stadt Grindavík, in der ehemals 3500 Menschen lebten, von denen sich aber mittlerweile (bis auf einige sehr wenige) woanders angesiedelt haben: denn die Stadt ist durch die vielen Bodenbewegungen von Erdspalten regelrecht zerrissen worden.




Ebenfalls im Einflussbereich der Vulkanausbrüche liegt die „Blaue Lagune": Ein Luxus-Bad in dem Touristen für extrem viel Geld im Abwasser eines Kraftwerks baden. Viel wichtiger ist aber besagtes Geothermiekraftwerk Svartsengi. Das produziert 76,5 MW Strom durch Dampfturbinen und 80 MW Strom aus Heißwasser und versorgt außerdem ganz Reykjanes mit Heißwasser. Im vergangenen Jahr wurden vom isländischen Staat Milliarden (!) in den Schutz all dieser Infrastruktur gesteckt, was sich vor allem durch den Bau von Dämmen auszeichnet, welche die Lava zur Seite ablenken sollen - und das hat bisher auch super funktioniert.

Diese Karte (Stand 22.November) zeigt einerseits die neuen Lavafelder (das neueste ist Purpur), die momentan aktive Spalte (die hellroten Striche) - und die Dämme um die Gebäudekombination Kraftwerk / Blaue Lagune (die dicken braunen Striche). Alle anderen braunen Linien sind entweder Hochspannungsleitungen oder Wasserleitungen. Und schwarz sind Straßen.
Quelle: https://www.vedur.is/um-vi/frettir/eldgos-hafid-a-sundhnuksgigarodinni


Wegen der andauernden Bodenbewegung (eine Mischung aus Kontinentaldrift und von Magma verursachter Erdbeben) ist die Gegend mittlerweile von mächtigen Erdspalten durchzogen. Mehrfach kam es bei Grindavík schon zu Unfällen; das schlimmste Beispiel ist das spurlose Verschwinden eines Arbeiters. Er hinterließ nur ein Loch im vorher scheinbar unversehrten Erdboden: darunter der Eingang zu einer über 30 Meter tiefen Spalte, deren Grund mit Wasser gefüllt war. Die Person wurde trotz Rettungsaktion nie wieder gefunden. Auch auf dem (illegalen) Weg zum Vulkan brach sich ein Tourist das Bein, als er in einen Spalt im Boden fiel. Die Erdspalten können offensichtlich sein, sind aber teilweise von Moos und der obersten Erdschicht verborgen - bis man darauf tritt und durch bricht. Man kann das am ehesten mit Gletscherspalten vergleichen, die teilweise offen liegen, teilweise aber auch schneebedeckt und unsichtbar sind.

Wer auf Reykjanes unterwegs ist, trifft sie überall, kleine und große Spalten im Boden...

Wegen all diesen Dingen sind die Ausbrüche seit Dezember 2023, also seit sich die Ausbruchsstelle vom Fagradalsfjall nach Sundhnúksgígar verschob, für die Öffentlichkeit gesperrt. Touristen müssen an der „Hauptstraße“ zwischen Keflavík und Reykjavík bleiben, bzw. idealerweise an den offiziellen Parkplätzen, die ab und zu (bei abzweigenden Straßen) zu finden sind. Allerdings halten sich viele Touris nicht daran und wandern einfach drauf los, hinein in die Gefahrenzone. Momentan kommt noch eine zusätzliche Gefahr dazu: im Norden des momentanen Lavafeldes befindet sich ein alter Übungsplatz des amerikanischen Militärs. Dort kann Munition liegen, u.a. Granaten, die durch die Lava hochgehen könnten. Noch ist das nicht passiert, jedenfalls hat das niemand mitbekommen, aber das ist ein Grund, weshalb ich mich beim letzten Ausbruch (im August 2024) nicht unter die vielen Touris und Neoisländer gemischt habe - sondern in der Ferne geblieben bin.


Direkt zur Lava bzw. in „gute fotografische Nähe“ zu diesem Ausbruch kommt man nur auf drei Wege: illegal, indirekt via Drohne, oder mit einer Spezialerlaubnis. Die ersten beiden Optionen üben wenig Reiz auf mich aus, und so habe ich mich direkt im Dezember erkundigt, was ich tun muss, um legal zum Ausbruch zu gelangen. Da ich seit zehn Jahren akkreditierter Pressefotograf bin und über einen deutschen und internationalen Presseausweis verfüge, war der Weg nicht kompliziert, aber doch mühsam, denn: ich muss jeden Besuch ankündigen und auf die Erlaubnis warten, hinein zu dürfen.

Dass ich weder ein Auto fahre noch eines besitze, macht alles noch komplizierter. Dennoch habe ich es immer wieder geschafft, im vergangenen Jahr näher an die verschiedenen Ausbrüche heranzukommen - also wenn ich denn zeitgleich in Island war.

Und jetzt? NATÜRLICH wollte ich mir ein Bild der Lage machen. Also bin ich am Tag nach Beginn des momentanen Ausbruchs mit einem Freund in Richtung der Blauen Lagune gereist. Was wir dort vorfanden, war spannend, denn ich hatte sowas noch nie gesehen: die Lava floss außen an den Schutzwällen entlang. Dabei machte sie alles platt, was sie vorfand: inklusive eines Parkplatzes für 300 Autos und eines kleinen Service-Gebäudes (aus Containern errichtet).
Als wir ankamen, war schon alles unter der Lava verschwunden - fast so, als sei da nie menschliche Infrastruktur gewesen...


Die Ausbruchsserie bei Sundhnúksgígar ist, das muss ich zugeben, fotografisch lange nicht so attraktiv und interessant, wie die Ausbrüche beim Fagradalsfjall. Der Grund ist erstens die schiere Größe: die Lava bedeckt so schnell solch weite Flächen, dass alles im Hintergrund im Hitzeflimmern unscharf gemacht wird. Vom Boden aus scharfe Fotos vom Krater oder den Fontänen zu machen, ist mittlerweile schier unmöglich geworden! Anfangs, als das neue Lavafeld noch kleiner war, kam man noch näher heran, wie im nachfolgenden Foto aus dem April 2024. Aber mittlerweile ist ein so großes Gebiet von neuer, flirrend heißer Lava bedeckt, dass solche Bilder wohl der Vergangenheit angehören - zumindest solange die Ausbrüch an dieser Stelle stattfinden...


Der zweite Grund, weshalb die jetzigen Ausbrüche nicht so fotogen sind, ist die Landschaft.
Hier, bei Sundhnúksgígar, ist alles von menschlicher Infrastruktur durchzogen: es gibt Straßen, Wege, Hochspannungsleitungen und mittlerweile überall aufgeschüttete Erddämme - sowie ein Heer von mutigen Arbeitern, die beständig Dämme ausbessern und in direkter Nähe zur glühenden Lava am Arbeiten sind. Große Gebiete sind abgesperrt, da kommt man auch als Presse nicht hin: eben weil dort fleißig Erde bewegt wird, um die Infrastruktur zu retten.



Bei den ersten drei Ausbrüchen am Fagradalsfjall gab es Hügel und Täler, konnte man teilweise über dem Krater stehen und seine Perspektive durch Wandern verschieben. Hier kann man erstens nicht mehr wandern, weil entweder neue Lava da ist oder eben die Gefahr der unsichtbaren Spalten besteht, und ist zweitens alles ziemlich flach. Das heißt: dieser Ausbruch ist nur aus der Luft einigermaßen fotogen. Ich fliege nicht, also sind Flugzeuge und Helikopter für mich keine Option. Und es hilft diesbezüglich nicht, dass ich eine akute Aversion gegen Drohnen habe und diese folglich konsequent ablehne. Ich fotografiere, was ich selbst mit meinen Augen gesehen habe. Drohnenfotografie ist für mich eher eine Art Computerspiel, das außerdem alle Umstehenden durch Lärm und blinkende Lichter irre stört. Und wegen all diesen Gründen sind diese Ausbrüche für mich jetzt nicht mehr soooo interessant. Ich sage niemals nie, wenn ich nahe an einen Vulkan herankomme, aber die wirklich guten Fotos, die machte ich im Jahr 2021.

Geldingadalir, Mai 2021


Mit dem Hintergrundwissen hatte ich keinerlei Erwartungen, was den Besuch am gerade einmal 16 Stunden alten Vulkanausbruch am 21. November 2024 anging. Umso spannender war es, als ich hier zum ersten Mal sah, was Lava mit einer Teerstraße macht: Nämlich kurzen Prozess! Sie fackelt erst den Asphalt ab, was eine ziemlich böse ausschauende, schwarze Rauchwolke produziert, und verdeckt diesen dann unter einer in diesem Fall 3-5 Meter dicken Schicht ʻAʻā Lava.
Das zu sehen ist ziemlich beeindruckend, gerade wenn man weiß, dass keine 50 Meter dahinter mal ein Parkplatz und Servicegebäude lag.



Diese Lavazunge ist etwa 3,5 Kilometer von der Spalte entfernt, und wir waren alle überrascht, wie schnell sie sich vorangearbeitet hat. Die wenigen Leute vor Ort (Presse, Wissenschaftler, Bewohner aus Grindavík und Bergrettung/Sicherheit) mussten langsam aber sicher die Autos versetzen. Als die Sonne unterging und das Glühen stärker wurde, ergaben sich tolle, gespenstische Bilder.



Die Blaue Lagune selbst ist weiterhin unbeschädigt; nur der Parkplatz ist jetzt sehr dezimiert worden. Aber es wird schon wieder fleißig daran gearbeitet, dass die bekannteste (und wohl am besten vermarktete) Attraktion Islands bald wieder Besucher empfangen kann: angeblich soll die Blaue Lagune in ein paar Tagen wieder öffnen.
Kein Kommentar ...

Der Himmel sieht besonders an den ersten Tagen der Ausbrüche teilweise irre beeindruckend aus,
denn die Gase bzw. Wolken filtern das Sonnenlicht auf gespenstische Art und Weise...
Das meine ich mit "Hitzeflimmern": den mittleren Schlot der Spalte konnte man hinter
dem Lavafeld nur als unscharfes Leuchten erkennen. Die Hitze schluckt einfach jedes Detail!


Und dann, ganz gegen Ende unseres kurzen aber intensiven Aufenthalts am Rand der Lavazunge, gab es einen Schichtwechsel bei den „Aufpassern“ und wurde uns erlaubt, näher an die Lava ranzugehen und die Straße etwas zu verlassen. Mal ein paar Minuten lang wieder „richtige“ Landschaftfotografie zu betreiben, hat irre Spaß gemacht! Zudem liebe ich die Geräusche, die so eine sich bewegende Lavafront macht: es ist ein Konzert aus Klirren, hellen Glockentönen, Knallen (kleine Gasexplosionen), Brutzeln und Knistern. 

Zum Schluss mag ich euch noch ein paar „naturbelassene“ Fotos zeigen, von den letzten Minuten des kurzen Vulkanaufenthalts. Und damit verabschiede ich mich dann: bis zum nächsten Blogeintrag. Bleibt mir gesund und munter: und kommt gut durch die nächsten Wochen! :)

LG - Kerstin


Der Blick von Reykjavík mit Spiegelung im Skerjafjörður an einem ausnahmsweise windstillen Abend.

Samstag, 5. August 2023

Wandern bei Kangerlussuaq

Seit meiner Rückkehr aus Südgeorgien versuche ich, aus Klimaschutzgründen nicht mehr zu fliegen. Die Winter verbringe ich jetzt überwiegend in Deutschland und halte Vorträge, allerdings nicht zu dicht gepackt, weil dieses ständige Tingeln von Stadt zu Stadt (mit der Bahn und von Hotel zu Hotel) echt anstrengend ist. Die Sommer arbeite ich gerade weiterhin als Guide auf Schiffen. Das bedeutet, dass ich Skandinavien bis in die Arktis noch machen kann, weil besagte Schiffe meistens im Mai in Norwegen oder den britischen Inseln beginnen und die Saison dann im August / September in Island ausklingen lassen. Folglich arbeite ich weiterhin von Mai bis September in der Arktis: beginnend mit einer Bahnfahrt meist nach Norwegen, und endend in Island, wo sich dann mein mittlerweile jährlicher Island-Herbsturlaub anschließt. Und dann bringt mich die Autofähre Norröna irgendwann wieder zurück nach Deutschland...

Jetzt ist aber Sommer, und dieses Mal habe ich es gar geschafft, mit einem Schiff nach Westgrönland zu gelangen, zum ersten Mal in meinem Leben! Nach Westgrönland zu kommen ist meist kein Problem; die meisten Schiffe fahren aber dann weiter nach Westen, entweder durch die Nordwestpassage, oder aber von hier aus die amerikanische Küste runter in Richtung Südamerika. Da ist es schwierig, ohne Flug zurück nach Europa zu gelangen. Dieses Jahr aber fährt eine der Firmen, für die ich arbeite Anfang September von Westgrönland aus zurück nach Island! Folglich habe ich mich in Kangerlussuaq absetzen lassen und hatte jetzt 11 Tage Zeit für mich selbst, bevor besagtes Schiff hierher kommt, auf dem ich dann wieder für 4 Wochen arbeite.

Kangerlussuaq ist ein 500-Seelen-Dorf in Westgrönland. Es ist eine ehemalige amerikanische Militärbasis, welche heute eine der größten Landebahnen für Interkontinentalflugzeuge hat. Folglich kommen die meisten Grönlandreisenden zuerst hierher, um dann in kleineren Flugzeugen in andere Gegenden Westgrönlands zu reisen. Hier, in Kangerlussuaq, beginnt (oder endet, je nachdem) auch der "Arctic Circle Trail" (ACT), ein 160 Kilometer langer Wanderweg, der sich wachsener Beliebtheit erfreut. Wirklich nachvollziehen kann ich das nicht, denn nach allem, was ich an Fotos gesehen habe, ist es eine Wanderung durch eine grüne, moorige Hügellandschaft, fern der typischen Sehenswürdigkeiten Grönlands. Einsam ist es dort definitiv und schön ist die Landschaft auch: ich denke einmal, dass momentan 2-10 Wanderer täglich den Weg beginnen. Aber Hand auf’s Herz: da kann man auch gleich durch’s schottische Hochland wandern! Ich gehe doch nicht nach Grönland, um durch Schottland zu laufen... *kopfschüttel*

Der ACT kam aber für mich schon allein deshalb nicht in Frage, da ich nicht genügend Zeit hatte. Die Langstreckenwanderung ist nämlich kein Rundweg, sondern führt nach Westen, zur Küste nach Sisimiut, zur zweitgrößten Stadt Grönlands. Ich aber musste ja innerhalb von zehn Tagen wieder in Kangerlussuaq sein. Weil mich das Inlandeis ohnehin viel mehr interessierte, bin ich dann in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen, nach Osten. Mit dabei war mein Wanderanhänger, den ich seit meinem Bandscheibenproblem für Mehrtageswanderungen nutze und mit dem ich praktischerweise auch noch viel mehr mitnehmen kann, als wenn ich "nur" einen Rucksack tragen würde. Die Hälfte des Gewichts liegt auf dem Reifen, die andere Hälfte auf meiner Hüfte. Und mein Fotorucksack ist praktischerweise so groß, dass er auf der Haupttasche aufliegt: und somit ebenfalls kaum auf meinen Schultern (und meiner kaputten Bandscheibe) lastet. Ich liebe diese sperrige aber praktische Wanderkombi! :)


Ziel des ersten Tages: der wenig befahrenen Schotterstraße 19 km lang folgen und dann noch 5 km "offroad" hin zum Russell-Gletscher. Es handelt sich dabei um eine Touristenattraktion: vom Dorf aus werden täglich Bustouren dorthin angeboten (wobei aber auch die Bustouristen noch 30-45 Minuten laufen müssen, bis sie die Gletscherkante sehen können). Da es hier nirgendwo Zeltplätze gibt ist "wild zelten" erlaubt und gang und gäbe. Ich war erstaunt, wie beliebt diese Richtung für Wanderer ist: an dem Abend sah ich noch 5 weitere Zelte, die aber alle in großem Abstand zueinander sich ihr jeweils eigenes Eckchen suchten... Ich vermute, dass die meisten dieser Wanderer den ACT um einen Tag verlängern - um doch noch Eis zu sehen...


Beim Russell-Gletscher blieb ich für zwei Nächte: erstens, weil ich die Gegend fotografisch erkunden wollte und zweitens, weil ich meine Hüfte verarzten musste. Egal was ich auch mache: der Hüftgurt des Wanderanhängers scheuert mir immer die Haut oberhalb meiner Hüftknochen kaputt. Damit kann ich mittlerweile aber gut leben: es bedeutet halt meist, dass der zweite oder dritte Tag jeder Reise ein Pausentag ist und ich schlichtweg genügend Alkoholtupfer und Pflaster dabei haben muss, damit sich in den Folgetagen keine Infektion einschleicht. Und weil ich obendrein auch noch genau an dem Tag meine Periode bekommen habe (alle guten Dinge sind drei!) genoss ich das gute Wetter und erwanderte mir die relativ übersichtliche Gegend zwischen der imposanten Gletscherzunge und dem sie umfließenden, mächtigen Gletscherfluss.




Seht ihr den braunen Stein da links unten im Bild? Das ist ein Moschusochse, genauer gesagt ein einsames und nur so halb-scheues Männchen. Die Weibchen mit Jungtieren halten viiiiel größeren Abstand zu uns Menschen: schließlich wird hier alles, was nicht bei drei auf den Bäumen sein kann, von den Inuit gejagt. Sind schon verrückt-coole Tiere, diese Ziegenverwandten!


 
Der dritte Tag meiner Wanderung war genauso sonnig, wie schon die vorhergehenden: ein Traum! Ich stiefelte die Schotterstraße noch einmal 15 Kilometer weiter bis fast zu ihrem Ende und fand dann auf gut 500 Meter Höhe einen der genialsten Zeltplätze überhaupt. Was für eine Aussicht!



Die Bilder, die mich mit Zelt zeigen, sind übrigens für Hilleberg entstanden, die schwedische Firma, welche mich mit hochqualitativen Zelten ausgestattet hat. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich mal von jemandem sponsorn lassen würde! Aber, he, Hillebergzelte gegen Fotos ist ein super fairer Deal! Ich freue mich, die freuen sich - eine echte Win-win-Situation! :)



Was man auf den ganzen schönen Bildern nicht sieht, ist die Menge an Stech- und Kriebelmücken, die hier unterwegs sind. Auch das war ein Grund, warum ich viel lieber in Richtung Gletscher als in Richtung Moorlandschaft aufgebrochen bin. Und weshalb ich mein Zelt immer an windigen Orten aufgebaut habe, nämlich oben auf Pässen und Hügeln, statt unten in den Tälern. Angeblich war die Mückenplage letzten Sommer noch viel schlimmer, aber wenn man aus Island kommt und da eigentlich nur die nicht-stechenden Kriebelmücken gewohnt ist, war das heftiger Tobak. Erst habe ich die Stechmücken verflucht, aber nachdem es mehrere Tage sonnig und warm war, gab es plötzlich auch noch ganze Schwärme von blutsaugenden Kriebelmücken ("black flies"). Die haben mich so dermaßen in den Wahnsinn getrieben, dass ich meinen Tagesrhythmus weitestgehend umgedreht habe und nachts aktiv war - denn das war der einzige Zeitpunkt, an denen man aufs Klo gehen konnte, ohne völlig zerstochen zu werden. Tagsüber lag ich dann meist im Zelt und habe versucht, bei den saunamäßigen Temperaturen zu schlafen - und den Mücken dabei eine lange Nase gedreht. Ein Hoch auf den Erfinder des Mückennetzes!!!



Als ich dann in der Nähe des Inlandeises war, bin ich oft zwei Tage an einem Ort geblieben bzw. habe mein Zelt nur mal ein Tal weiter wieder aufgeschlagen. Die Umgebung habe ich in Nachttouren erkundet: hier ging die Sonne vier Stunden unter, das heißt, es blieb nachts immer noch hell.



Schnell kristallisierten sich zwei Lieblingstiere für mich heraus: das waren einerseits die neugierigen und kommunikativen Spornammern (kleine Singvögel) und außerdem die schnellen aber ebenfalls vorsichtig-neugierigen Polarhasen. Die sind die amerikanischen Verwandten der Schneehasen, die es in den Alpen, in Skandinavien und Russland gibt. Die flinken Grasfresser, die hier oben auch im Sommer ein fast weißes Fell haben, habe ich jeden Tag getroffen - teils waren sie scheu, teilweise aber ließen sie mich auf gute Sicht-Distanz an sich heran. Schade, dass ich mein großes Objektiv in Kangerlussuaq gelassen hatte - aber he, selbst mit dem 200 mm Objektiv kann man mit Geduld recht gute Wildtierfotos machen!



Am Inlandeis angekommen, holte ich meine Steigeisen heraus und erkundete die hügelige Eislandschaft. Das Eis fließt hier von mehreren Seiten in verschiedenen Gletscherzungen ins Tal hinab: dementsprechend faszinierend hügelig präsentierte sich der Gletscher. Ich verbrachte zwei Abende auf ihm und war dankbar, dass ich mein GPS dabei hatte - denn in dieser hügeligen Eislandschaft kann man tatsächlich schnell den Überblick verlieren!




Das Wetter war fantastisch, die Temperaturen sommerlich und warm - viel zu warm dafür, dass ich hier nördlich des Polarkreises und direkt am grönländischen Eisschild war. Soweit das Auge blicken konnte, sah ich nur nacktes Eis oder schneefreie Berge. So wunderschön diese Gletscherwelt auch ist: ich bin / war mir sehr bewusst, dass alles schmilzt, überall und in zunehmendem Maße. Selbst hier, auf dieser zweitgrößten permanent vereisten Fläche der Welt, schmilzt das Eis rasant und bildet sich nicht mehr nach. Selten wird einem Vergänglichkeit bewusster, als bei einer Wanderung auf einem schmelzenden Gletscher...



Und dann, am fünften Tag, schlug das Wetter um und begann es wieder, zu regnen. Die Region hier hatte im Juli dreimal mehr Regen, als es normal ist, und zudem viel zu warme Temperaturen. Kein Wunder, dass die Mücken Party gefeiert haben!



Zu warm, zu viel Eisschmelze, zu viel Regen, viel zu viele Mücken: dem aufmerksamen Beobachter zeigt die Natur, dass sie sich verändert. So wunderbar meine Wanderung auch war, so ist diese unterschwellige Trauer doch auch immer dabei. Wenn ich einen Eisbären sehe (nicht hier, hier gibt’s keine: zu weit südlich, zu weit vom Meer entfernt...) dann sehe ich auch, wie dünn das Tier ist. Wenn ich Eis sehe, dann sehe ich die Schönheit - aber auch, dass alles schmilzt und unwiederbringlich verloren geht. Die Klimakatastrophe beeinflusst die ganze Welt - und ich kann meine Augen dem schon lange nicht mehr verschließen.



Langsam machte ich mich nun auf den Rückweg, suchte mir weitere wunderschöne Stellplätze für mein Zelt, genoss die Natur hier auch bei Regen und Bewölkung. Dabei musste ich feststellen, dass die Kriebelmücken bei Regen nochmal eine Runde aufdrehen. Was war ich froh, dass ich ein Mückennetz für den Kopf dabei hatte - und sich die Viecher an die Regel hielten, zwischen 21 Uhr und 7 Uhr Waffenruhe zu halten. Nie zuvor war es leichter, nachtaktiv zu sein, als auf dieser Wanderung! :)




Die letzten 20 Kilometer zurück nach Kangerlussuaq folgte ich nicht mehr der Schotterpiste (die kannte ich ja schon), sondern beschloss, einen auf der Wanderkarte eingezeichneten Wanderweg zu suchen. Ziemlich schnell stellte ich fest: diese eingezeichneten Routen sind nichts anderes als Vorschläge, wo man potentiell langgehen kann - aber keineswegs, dass da ein Pfad zu erkennen sein sollte, oder dass es gar möglich ist. Ich hatte mit meinem Wanderanhänger also ziemlich Spaß, 200 Höhenmeter auf einen Bergrücken raufzukommen. Die Aussicht von dort oben lohnte sich aber sowas von! Dort zu zelten war ebenfalls herrlich - viiiiel besser, als unten an der Schotterstraße! :)


Hier noch eine Übersichtskarte über die insgesamt 140 Kilometer, die ich in den neun Tagen zurückgelegt habe: etwa die Hälfte mit dem Monowalker (meinem Wanderanhänger, also mit vollem Gepäck) und die andere Hälfte "nur" mit meinem Fotorucksack auf bis zu 10 km langen Tages- bzw. Nachtwanderungen



Und damit verabschiede ich mich mal wieder; morgen geht es an Bord besagten Schiffes, das mich in einem Monat dann wieder in Island absetzen wird. Ich wünsche euch alles Gute - und versuche, mich bald mal wieder auf diesem Wege zu melden!




Dienstag, 2. November 2021

Geldingadalir: der erste Tag des Ausbruchs

Am 19. März um 20:45 Uhr war es soweit: auf Reykjanes hatte eine Eruption begonnen, zum ersten Mal seit 800 Jahren! Das rote Leuchten war aus weiter Ferne zu sehen; ganz Island war aufgeregt und wollte mehr wissen. Ein Erkundungsflug des Katastrophenschutzes brachte erste Bilder und eine ungefähre Ortsangabe: eine 150-200 Meter lange Spalte hatte sich aufgetan in den sogenannten "Geldingadalir", einem kleinen Tal genau östlich des 390 Meter hohen Berges (und ehemaligen Vulkans) Fagradalsfjall.

Quelle: vedur.is
 
Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein totaler Vulkan-Fan bin. Ich
fliege deswegen nicht um die Welt (das halte ich in Zeiten der Klimakrise für ethisch nicht vertretbar - daher war ich jetzt auch nicht auf La Palma...) - aber wenn ich in Island bin, dann versuche ich, den Ausbruch mitzubekommen.
Als ich Mitte März das Zimmer im Erdbebenepizentrum Grindavík mietete, da lächelten die Leute über mich, und wurde mir gesagt: „Die Intrusion kann einfach aufhören, oder noch Wochen bis Monate auf sich warten lassen, bis es zum Ausbruch kommt.“
Und klar, das stimmte. Aber mein Bauchgefühl drängte mich zur Eile: je besser mensch* vorbereitet ist, desto schneller und effektiver kann mensch* reagieren - das ist ja immer so im Leben. Und genau deswegen hatte ich in den Tagen nach meiner Ankunft in Grindav
ík schon mehrere lange Wanderungen zurückgelegt, um die Gegend besser kennenzulernen, hatte Landkarten studiert und mir potentielle Ausbruchsstellen im Kopf und auf der Karte bereits über einen Wanderweg erschlossen. Mein Vulkan-Wanderrucksack war gepackt: darin enthalten Helm, GPS und meine gesamte 'Extrem-Wanderausrüstung', genau wie auch eine Gasmaske mit Ersatz-Filtersets.

*Ja, das ist gendern, und ja, ich versuche mich jetzt auch daran, Schritt für Schritt in Richtung einer gerechteren Sprache. Und statt man/frau nutzt Mensch jetzt halt 'mensch'. Klingt total nett im normalen Sprachgebrauch, versucht es mal! :)

Ebenfalls Tage vor dem Ausbruch hatte ich bereits Kontakt aufgenommen mit dem isländischen Katastrophenschutz und sie nach den Ansprechpartnern gefragt, an die ich mich wenden musste, für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass wegen des Vulkanausbruchs die Umgebung gesperrt werden würde. Gibt es eine Sperrzone, dann werden Wissenschaftler:innen und Presse normalerweise bis zu einem gewissen Aussichtspunkt durchgelassen - und genau das wollte ich gerne vorher schon geklärt haben. Eine Antwort kam zwar, aber genau so, wie ich sie es erwartet hatte:
„Nö, diesbezüglich haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, es kann ja noch Monate dauern, bis es zum Ausbruch kommt...“
Die Polizei der Gegend war ähnlich ratlos.
„Aber es gibt doch noch gar keinen Vulkanausbruch!“ wurde mir verwundert gesagt.
Oh Leute. Mal etwas davon gehört, die Dinge schon zu planen, bevor sie geschehen...?


Und weil der aktive Vulkanausbruch jetzt da war und ich so schnell wie möglich dahin wollte, versuchte ich es Freitag Nacht nochmal. Ich sprach bei der Polizei vor, welche zusammen mit unzähligen Teams der Bergrettung alle Zufahrtsstraßen absperrten, die in die Nähe des Ausbruchs führten. Aber wie erwartet hieß es da nur: „Nein, wir lassen da niemanden hin, es müssen erst Spezialisten einschätzen, wie gefährlich das Ganze ist.“

Hmmm... Ich habe mich ja nun auch schon etwas eingelesen in das Thema bzw. weiß schon etwas mehr über isländische Vulkane. Ja, der Vulkanismus auf Reykjanes ist ziemlich kompliziert, aber es handelte sich ganz klar um eine Spalteneruption jenseits von Wasserquellen und ohne eine Magmakammer - also von der harmlosesten Sorte, welche mensch sich vorstellen kann - und zudem eine ziemlich kleine, das hatten mir die ersten Bilder schon gezeigt. Die größte Gefahr ging von verschiedenen Gasarten aus, die sich in Senken sammeln konnten - aber ich wollte ja gar
'nur' auf eine der umliegenden Bergkuppen, um Lava zu sehen. Das allerdings so bald wie möglich, denn ich befürchtete, dass diese Eruption nur wenige Stunden andauern könnte. Bei den Krafla-Feuern (1975-84) dauerte der erste Ausbruch nicht einmal 12 Stunden. Die Zeit drängte also!

Während ich die Polizei davon zu überzeugen versuchte, dass ich wusste, was ich tat, sah ich ein Presseauto nach dem anderen durch die Sperre hindurchfahren - soviel zum Thema „Da dürfen nur Spezialisten rein!“
Ich habe selbst einen Presseausweis, bin also theoretisch genauso berechtigt wie die isländischen Medien, bei einer solchen Verordnung durchgelassen zu werden - aber wie erwartet war das Ganze vergeblich. Dazu beigetragen hat ohne Zweifel die Tatsache, dass ich aus Klimaschutzgründen kein Auto fahre und deshalb nicht so 'professionell' rüberkomme, wie ein modisch angezogener Pressemensch in einem Superjeep. Stur
versuchte ich es an anderer Stelle ein drittes Mal und kam sogar bis zum Polizeichef durch, der mir endlich eine Antwort gab: ab 7 Uhr morgens würden sie die Straße öffnen, vorher dürfe ich mit dem Auto aber nicht näher ran.

Oje, da saß ich jetzt in einer echten Zwickmühle. In Wander-Reichweite war ein aktiver Vulkanausbruch - und ich durfte nicht hin! Der Grund der Vollsperrung lag für mich klar auf der Hand: es sollte eine Massenwanderung in der Dunkelheit verhindert werden. Viele Isländer*innen (und Neo-Isländer*innen...) sind nämlich genauso drauf, wie ich: sie rennen hin zu Vulkanausbrüchen, nicht fort davon. Dies war eine stürmische Nacht Ende März: hätten sie die Straßen (und jegliche 4x4-Zufahrtswege) nicht gesperrt, wären hunderte bis tausende von Menschen ohne Pfad, ohne jegliche Ahnung von Gegend und Terrain querfeldein durch die Dunkelheit gestolpert: die perfekte Voraussetzung für Unfälle. Zumal von denen garantiert kaum jemand Gasmaske und Messgerät dabei gehabt hätte...

So sehr ich den Grund für die Sperrung verstand, so sehr frustrierte es mich, dass sie halt DOCH Leute reinließen: in Island geht alles mit den richtigen Kontakten. Dieses ungerechte System á la „Ich kenne jemanden, der mir Zutritt verschaffen kann, ätschbätsch“ geht mir allerdings mittlerweile so gegen den Strich, dass ich beschloss, das Spielchen der unterschiedlichen Interpretationen mitzuspielen. Mir war gesagt worden, dass ich mit dem Auto nicht näher hindürfe: aber niemand hatte mir explizit verboten, die 12 Kilometer zu Fuß zurückzulegen! Wenn ich jetzt loswanderte (es war mittlerweile weit nach Mitternacht), würde ich meiner Einschätzung nach ziemlich genau zur generellen Öffnung der Gegend in Sichtweite des Vulkanausbruchs sein und die letzte Dunkelheit noch mitbekommen (was fotografisch sehr interessant war) - das klang nach einem guten Kompromiss.


Und so verschwand ich dann wie eine Diebin in der Nacht und der Dunkelheit. Alles war so optimal geplant, wie möglich: ich näherte mich aus Windrichtung an, hatte die Wettervorhersage studiert (stabil) und bin es gewohnt, nachts in der arktischen Natur zu wandern. In meinem Zimmer lagen Informationen über meine Route, genau wie die Anweisung, auf keinen Fall irgendeine Rettungsaktion für mich zu starten. Ich ging hier auf eigenes Risiko los, und damit entsagte ich mich dem 'Recht', gerettet zu werden - nun, zumindest war das in meinem Kopf so. Wenn dich die Offiziellen anweisen, nicht zu gehen, und du gehst doch, dann hast du keinerlei Anspruch mehr auf Hilfe. Diese Herangehensweise finde ich nur fair!

Die ersten beiden Stunden rechnete ich noch nicht damit, dass meine Aktion Erfolg haben würde: ich war diese Route noch nie zuvor gegangen, hatte den Weg über intensives Karten-Lesen allerdings als 'gut machbar' eingestuft. Dem war auch so: der wenig frequentierte Wanderweg, welchem ich folgte, war super zu laufen und führte mich an den 'schlimmsten' alten Lavafeldern vorbei. Meine gründliche Recherche hatte sich voll ausgezahlt. Wie erwartet, so sah ich andere Menschen durch die Dunkelheit wandern, mitten durch ziemlich unwegsames Gelände (bröckelige, von sensitivem Moos bedeckte alte Lavafelder), welche im Gegensatz zu mir ziemlich helle Kopflampen benutzten. Ich habe eine exzellente Nachtsicht und bin es gewohnt, nur bei herrschendem Umgebungslicht unterwegs zu sein. Ich kann ohne künstliches Licht nachts dreidimensionaler sehen und viel mehr Details wahrnehmen, als der Lichtkegel einer hellen Lampe es erlauben würde. Zumal der Wiederschein der Lava die Gegend immer mehr erhellte, je näher ich dem Ausbruch kam!








Der einfache Weg von Süden aus, den ich gerne gegangen wäre (es aber nicht konnte, weil die Straße dorthin gesperrt war), war auch frequentiert: von besagten einheimischen Pressemenschen. Denen begegnete ich dann noch, als ich auf dem Fagradalsfjall ankam: wie erwartet, so hatten sie keine Gasmasken dabei, ja trugen teilweise nicht einmal vernünftige Outdoorkleidung. Es war genau, wie ich es befürchtet hatte: sie ließen die Leute wegen ihres Bekanntheitsgrades und Vitamin B rein, und nicht unbedingt aufgrund ihrer Erfahrungen oder Qualifikationen. In dem Moment verpuffte mein schlechtes Gewissen komplett. Zumal die Morgendämmerung unmittelbar bevorstand und es nicht mehr lange bis zur generellen Öffnung des Gebietes war...

Als ich den Fagradalsfjall emporkraxelte (da gab es noch keinen Weg, dieser Berg war vor dem Vulkanausbruch ein extrem selten besuchtes Ausflugziel) stieg meine Aufregung und Vorfreude. Das rote Glühen wurde immer intensiver und letztlich so stark, dass es die ganze Umgebung aufhellte, wie ein roter Vollmond. Und als ich schließlich nassgeschwitzt das Plateau des Berges erreichte und dem sich zurückziehendem Team des staatlichen Fernsehens 'RUV' grüßend zunickte, da war es endlich soweit: ich konnte den Vulkanausbruch sehen! Wie irre war das denn, bitteschön?

Der junge Krater mit dem Berg Keilir im Hintergrund




 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Die folgenden Stunden vergingen wie in einem Augenblick. Ich ging noch ein wenig näher ran, blieb aber oben am Bergrücken. Dieser Anblick war so gigantisch, dass ich erstens gar nicht näher hin wollte und zweitens ich sowieso viel lieber in sicherer Höhe blieb. Ein Vulkanausbruch fördert neben der Lava immer auch große Mengen von Gasen, von denen einige ungefährlich für uns sind, andere aber tödlich: darauf gehe ich in einem späteren Beitrag nochmal genauer ein. In etwa 300 Metern Entfernung saß ich oben am Berghang und blickte auf die leise fauchenden Vulkanschlote und die sich langsam um sie herum ausbreitende Lava hinab. Ich sah zwei andere Leute, welche sich ins Tal hinunter gewagt hatten, ohne Gasmaske und scheinbar ohne jegliche Ahnung von der potentiellen Gasgefahr. Der Helikopter der Bergrettung kam, als es gerade hell genug geworden war, und wies besagte Tal-Wanderer mit Lautsprecheransagen an, gefälligst von dort zu verschwinden. Mich sahen sie bestimmt auch, aber ich saß in gesunder Distanz und Höhe, und zudem war es jetzt nach 7 Uhr - also war alles im grünen Bereich!
 


In diesen Stunden, die sich wie Minuten anfühlten, machte ich keine preisverdächtigen Fotos - das wollte ich auch gar nicht. Ich war einfach nur glücklich, dass ich den Vulkanausbruch sehen durfte, bevor er aufhörte. Hach, im Nachhinein ist es schon lustig, dass dies meine größte Angst war: dass ich den Vulkanausbruch verpassen könnte, weil er nur ein paar Stunden andauern könnte, eben wie die Krafla-Feuer. Aber wer hätte denn Ende März schon gedacht, dass dieser Vulkanausbruch ein halbes Jahr lang währen würde?

Und so saß ich dort oben, fasziniert und voller Ehrfurcht, so etwas erleben zu dürfen. Ich sog alle Sinneseindrücke in mich auf. Das Leuchten der Lava: orange in allen Schattierungen. Das Geräusch der beiden direkt nebeneinanderliegenden und sich langsam immer höher aufbauenden Schlote: ein Fauchen und ein Platschen, das wie ein Solfatar und eine Schlammquelle in einem Hochtemperaturgebiet klang - nur halt größer. Die Veränderung der Farben, von der Dämmerung in den stark bewölkten Tag hinein. Ansonsten war es still, so herrlich still: da waren nur der Vulkan, und ich. Und genau diese Stille, diese Einsamkeit, war das tollste Geschenk und die größte Besonderheit dieses ersten Besuchs in Geldingadalir. Wie besonders das war, sollte ich am Tag (und den Wochen) danach erst richtig begreifen...


Ich kann mich kaum an den Weg zurück erinnern; ich war im absoluten Hoch der Gefühle, als ich dann den kürzesten Weg zur Straße zurückging; jenen Weg, der in den kommenden Tagen zum offiziellen Wanderweg nach Geldingadalir werden würde. Ich begegnete den ersten Leuten, die ins Gebiet gelassen worden waren; viele waren es noch nicht, aber als ich dann die Teerstraße (den

Suðurstrandavegur) entlangschlurfte, begegnete ich mehr und mehr Autos - die aber leider alle in die falsche Richtung fuhren. Ich war unendlich dankbar, als dann doch ein Fahrzeug nach Grindavík unterwegs war: ein Kleinbus der Bergrettung.

„Kerstin!“ wurde ich begrüßt, von einer Person, die ich nicht kannte. Das ist aber in mehrerer Hinsicht nichts Ungewöhnliches: erstens kann ich mir die Gesichter und Namen von Personen nur dann merken, wenn ich öfters mit ihnen zu tun habe, und zweitens kennen mich in Island echt viele.
„Ist der Ausbruch noch im Gange? Kannst du uns Fotos zeigen?“
Also ließ ich meine Kamera durch den Superjeep wandern und berichtete parallel vom Terrain und der einfachsten Route zum Vulkan. Die drei Freiwilligen der Bergwacht hatten die Nacht damit verbracht, mit ihrem Auto einen Weg abzusperren und dafür zu sorgen, dass niemand ins Gebiet hineinfuhr - und sie brannten darauf, heute im Laufe des Tages privat dorthin zu wandern, wo ich gerade gewesen war. In Grindavík setzten sie mich dann bei der spontan errichteten Einsatzzentrale des Katastrophenschutzes ab, wo ich dann noch einmal Infos über Wegbeschaffenheit und meine Einschätzung der (geringen) Gefahr dieses Vulkanausbruchs weitergab, solange man sich auf den Bergrücken aufhielt.
Und dann wanderte ich die letzten 200 Meter bis zu meiner Wohnung, unendlich dankbar, dass mir die Autofahrt diese letzten
6 Kilometer eingespart hatte. Seit dem Aufwachen vor 30 Stunden hatte ich gut 40 Kilometer in den Knochen, und meine Füße und Beine wollten keinen Schritt mehr tun... Obwohl es Mittag war, fiel ich wie ein Stein ins Bett: von orange-schwarzer Lava träumend, die sich langsam in ein kleines Tal ergoss...