Dies ist Teil Zwei meines Blog-Eintrages über die Antarktischen Seebären: Teil Eins ist weiter unten!
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Um den niedrigen Temperaturen des Südpolarmeeres trotzen zu können, wurden die Antarktischen Seebären mit einem herrlich dichten Fell ausgestattet. Genau dies war leider der Grund, weshalb sie im 19ten Jahrhundert fast ausgerottet wurden: es war stark gefragt für Mützen und Mäntel der Protzgesellschaft der westlichen Welt. Die unmittelbar nach der Entdeckung Südgeorgiens eintreffenden nordamerikanischen Robbenfänger machten die Kolonien dieser Tiere dem Erdboden gleich und 'ernteten' wirklich jedes einzelne Tier, ohne Gedanken an die Zukunft und Nachhaltigkeit. Es ist doch immer die gleiche Geschichte mit uns Menschen... Und so kam es, dass die Art schon in den 1830er Jahren als ausgestorben galt! Zum Glück haben einige Tiere dieses gedankenlose Massenschlachten überlebt und es die Art im Laufe der vergangenen 180 Jahre geschafft, sich wieder zu erholen.
Geblieben ist ihnen eine angeborene Wut auf alles, was zwei Beine hat und aufrecht geht: zumindest ist das meine persönliche Erklärung, weshalb die Seebären uns Menschen gegenüber chronisch schlecht gelaunt sind. Wagt ein Zweibeiner es auch nur ins Sichtfeld eines Seebären zu kommen, wird er erst angeknurrt, und dann angegriffen, manchmal auch vice versa. Es sind echte Grummeltrolle, diese Robben: chronisch miesepetrig und höchst bissig.
Mit diesen Zähnen ist absolut nicht zu spaßen: sie sind spitz und voller netter Bakterien, die nur darauf warten, eine Wunde so richtig fies festern zu lassen. Selbst ein kleiner Kratzer wird hier auf der Station mit der Zahnbürste ausgeschrubbt (autsch...) und sofort mit zwei Arten von Antibiotika behandelt, sofern er von einem Seebärenbiss stammt: dies nämlich, sagen hier alle, ist mit die sicherste Art, sich eine Blutvergiftung einzuhandeln, inklusive einer herrlichen Infektion. Also generell nichts, was irgendwie erstrebenswert wäre...
Die Seebären sind raue Gesellen, deren liebstes Spiel es ist, miteinander zu ringen und sich gegenseitig zu jagen. Ich vergleiche sie gerne mit kleinen Hunden: sie sind extrem aktiv (hyperaktiv wäre ein anderes Wort...) und gleichzeitig äußerst aggressiv, zumindest so lange, bis es ans Eingemachte geht. Hat man den Nerv, den Angreifern die Stirn zu bieten, dann erlebt man, dass sie ihren Angriff dann abbrechen, wenn ihre Schnurrbarthaare den Gegner berühren - zumindest meistens. Manchmal beißen sie trotzdem. Und genau deswegen verlassen wir hier in Grytviken das Haus nicht, ohne einen Stock dabeizuhaben: denn der stoppt die Robben und nimmt den Biss entgegen, so er kommen sollte.
Bei der Menge an Pelzrobben, welche die Strände hier bevölkern, ist es ziemlich schwierig, sich in Ufernähe zu bewegen, ohne eine Robbe zu verstimmen. Schätzungsweise 6 Millionen Antarktische Seebären gibt es wieder hier auf Südgeorgien, wobei die Anzahl weiterhin steigt. Auf dieser einen Insel leben 98 Prozent der globalen Population! Das obige Bild ist ein 'leerer' Strand hier bei uns tief im Fjordinneren. Die Küsten mit direktem Zugang zum offenen Meer sind viel, viel voller. Dort kann man sich als Mensch wirklich gar nicht mehr bewegen! Zumal auf den Stränden ja 'nur' jene Robben sind, die geschlechtsreif sind bzw. einem Harem zugehören. Die Jungen und Außenseiter wandern hinein in die Vegetation und klettern im Laufe des Sommers gar die Berghänge empor, wo sie sich liebend gerne zwischen den Tussockgräsern verstecken. Wie oft wir uns dort gegenseitig erschreckt haben, kann ich schon gar nicht mehr zählen...
Ständig angeknurrt und angegriffen zu werden, ist zugegebenermaßen ein eher unschönes Gefühl. Da jährlich mehrere Menschen von Seebären gebissen werden, habe ich von Seiten der Kreuzfahrttouristen und Guides öfters die Frage gehört, was denn die Regierung Südgeorgiens gegen das 'Pelzrobbenproblem' zu tun gedenke. Ich antworte dann immer: die Robben haben ja wohl mehr Recht, hier zu sein, als wir! Dass sie sich im letzten Jahrzehnt expotentiell vermehrt haben (in etwa so, wie die Touristen auf Island...), bedeutet nicht, dass dies nicht der Lauf der Natur wäre. Wir Menschen haben fast alles ausgerottet hier unten, allen voran die krillfressenden Wale. Ohne diese Riesenstaubsauger gibt es momentan viel mehr Futter im umliegenden Meer, wovon die Robben profitieren. Die Wale erholen sich zwar mittlerweile auch, aber halt viel langsamer: und nun nach Jahrzehnten des großen Fressens, herrscht bei den Seebären totale Überbevölkerung. Die Population hat, vermutlich, die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht. In Anbetracht dessen ist es wohl kaum verwunderlich, dass die Tiere ein großes Maß an Stressverhalten und Aggression zeigen!
Nach einem Sommer unter Seebären muss ich sagen: bei den kleinen Grummeltrollen handelt es sich um eine von uns Menschen chronisch missverstandene Spezies. Kaum einer mag sie, alle begegnen ihnen mit Misstrauen und Kontra-Aggression. Dabei sind die kleinen Schnappkiefer eigentlich nur verstört! Es sind echte Angstbeißer, deren Überlebensmotto ist: „Angriff ist die beste Verteidigung!“ Man muss sich nur mal in ihre Situation versetzen! Wir Menschen sind extrem einschüchternde Gestalten: riesig ragen wir über ihnen auf, und unsere normale (für sie schnelle) Schrittgeschwindigkeit wirkt extrem bedrohlich auf sie. Kein Wunder, dass sie verängstigt sind: und deswegen laut von sich hören lassen. Würde man ihr Knurren übersetzen, dann käme wahrscheinlich Folgendes dabei heraus:
„Eh, stör mich nicht beim Schlafen! Du bist mir zu groß und unheimlich – und außerdem ist das mein Territorium! Sag mal, hast du Tomaten auf den Ohren? VERPISS DICH!“
Wenn man einen respektvollen Abstand einhält, die Robben nicht direkt anschaut und sich langsam bewegt, dann sind die Tiere merkbar gelassener. Klar, sie knurren immer noch, aber es ist mehr ein „Eh, du bist zu groß - halte lieber Abstand!“ und kein „Ich fürchte um mein Leben und beiße dich gleich!“
Und lässt man sich dann am Boden nieder und ragt man nicht mehr so riesig über ihnen auf, dann kommen sie, um einen auszukundschaften: neugierig-still bist verunsichert-knurrend hoppeln sie einem entgegen. Die Jungtiere sind, wie alle jungen Tiere, viel unbefangener und neugieriger: sie lasse ich gerne an mir schnüffeln und an meinen Stiefeln oder Schnürsenkeln herumknabbern.
Bei den Einjährigen (Teenagern) ist schon etwas mehr Vorsicht geboten, und bei allem ab Schäferhundgröße kommt der Stock als Abstandhalter zum Einsatz – sicher ist sicher. Ich habe weiterhin einen ordentlichen Respekt vor ihren Zähnen und potentiell unberechenbar-aggressivem Naturell. Aber generell gilt: verhält man sich ruhig, dann ignorieren bzw. akzeptieren sie einen ziemlich schnell, oder aber betrachten einen als willkommenes Unterhaltungsprogramm. Sie sind im Grunde ihrer Seele friedfertige, harmoniebedürftige Gesellen, diese Grummeltrolle – bei Aufregung vergessen sie das bloß manchmal. ;-)