Hallo zusammen,
ein kurzer Blogbeitrag diesmal, weil ich mal wieder viel zu wenig Zeit habe: auch, weil hier Hochsaison ist und ein Schiff nach dem anderen unseren kleinen, ruhigen Ort in einen Rummelplatz verwandelt und wir fünf vom Museum wirklich alle Hände zu tun haben. Von Ruhe und Besinnlichkeit ist hier im hektischen Südsommer nichts zu spüren! Aber da ich von lauter britischen Weihnachts-Fans umgeben bin, gibt es kein Entrinnen: Plastik-Weihnachtsbäume, Lametta-Girlanden und Christbaumkugeln hängen in vielen Räumen, und abends dudelt Weihnachtsmusik. AAAAAAH...
Nun, in dem Zuge: frohe Weihnachten! Auf dass wir bald wieder mehrere Monate Ruhe davon haben!
:-)
Nein, im Ernst: ich wünsche euch ein paar ruhige Feiertage, und dass ihr gut ins neue Jahr hineinrutscht!
Liebe Grüße von diesem absolut besonderen Fleckchen Erde,
Eure Kerstin
Samstag, 23. Dezember 2017
Donnerstag, 7. Dezember 2017
Frühling bei den See-Elefanten
Im Jahr 1675 geriet der britische Kaufmann Antoine de la Roché nach der Umrundung Südamerikas in einen Sturm: sein Segelschiff wurde so weit nach Süden abgetrieben, dass ein gebirgiges Land mit tiefen Buchten in Sichtweite kam. Antoine und seine Mannschaft gingen dort zwar nicht an Land, fanden aber ein 14 Tage lang Schutz vor den Winden, bevor sie sich wieder auf den Weg nach Norden machten. Das Fleckchen unkartiertes Irgendwas wurde daraufhin als "Roché Island" in den Karten eingetragen - und lange Zeit nicht mehr besucht. 1756 wurde die Insel von einem spanischen Schiff gesichtet und "San Pedro" oder "Pepys Island" genannt. Wiederum 20 Jahre später, im Jahr 1775, segelte der britische Kapitän und Entdecker James Cook ganz gezielt in die Region. Angelockt von den vorherigen Entdeckungen hoffte er, hier den vermuteten antarktischen Kontinent zu finden. Im Angesicht der teilweise fast 3000m hohen Berge muss er geglaubt haben, dass seine Suche von Erfolg gekrönt war: bis er das Südkapp umrundete und begriff, dass es sich hierbei um eine Insel und nicht den erhofften Kontinent handelte. Seine Enttäuschung hielt er in einem sich bis heute haltenden Ortsnamen fest: die Südspitze der Insel heißt "Cape Disappointment".
Das Segelschiff "Bark Europa" besuchte uns Ende November. Was für ein herrliches Schiff! |
Cook betrat als erster Mensch die Insel, kartografierte die von ihm bereiste Küstenlinie - und beanspruchte das neue Land kurzerhand für Großbritannien. In dem Zuge benannte er sie dann auch neu: "Isle of Georgia" taufte er sie, zu Ehren des amtierenden britischen Königs, George III. Und das erklärt dann auch den heutigen Namen, "South Georgia", Südgeorgien.
Diese 160 Kilometer lange Insel ist das einzige Stückchen Land in einem riesigen Ozean, der genau an dieser Stelle auch noch sehr reich an Nährstoffen und Tierleben ist: die Gewässer gehören zu den besten Fischgründen der Welt. Genau deswegen ist die Insel von enormer Bedeutung für die Seevögel und Robben des Südatlantik bzw. Südpolarmeeres. Selbst die spezialisiertesten Seevögel brauchen Land, um brüten zu können, und gleiches gilt für Robben, deren Jungen im offenen Meer schlichtweg ertrinken würden. Zwei Robbenarten teilen sich die Insel: da sind einmal die See-Elefanten, und dann die Pelzrobben, genauergesagt die Antarktischen Seebären. Obwohl beide Robben in enormer Anzahl vorkommen, vertragen sie sich: auch und vor allem deshalb, weil sich ihre Paarungszeiten unterschiedlich über den Sommer verteilen. Die See-Elefanten sind als erstes dran: von September bis November belegen die Weibchen die Strände, an denen sie ihre Jungen gebären. Dabei pflastern sie das Ufer regelrecht zu: dicht an dicht liegen sie nebeneinander, Weibchen neben Jungtier, neben Weibchen, neben Jungtier.
Es gibt Tiere, die wir Menschen sofort als hübsch empfinden: See-Elefanten gehören definitiv nicht in diese Kategorie von Lebewesen. Ein Guide-Kollege hat sie mal treffend als "blubber-slugs" bezeichnet, als speckige (oder rotzende) Nacktschnecken. Nicht nur, dass sie die meiste Zeit des Tages unbeweglich im Sand liegen, nein: sie haben meistens triefende Rotznasen und bekacken sich ständig selbst. Die gelbe Farbe ist nicht etwa ihre Fellfarbe (die ist nämlich grau bis beige-braun), sondern stammt von ihren Exkrementen. Es ist eine echte Herausforderung, Bilder von ihnen zu machen, bei denen sie nicht extrem unvorteilhaft aussehen.
See-Elefanten haben im Vergleich zu anderen Robben riesigen Augen, welche einen Hinweis auf ihren Lebensraum geben: sie jagen und fressen Tiefseefisch und tauchen dafür über 2000 Meter tief. Der namensgebende Rüssel, den die ausgewachsenen Männchen haben, wird zur Ernährung aber nicht gebraucht. Er scheint Resonanzkörper für die lauten Rufe der Männchen zu sein, die ihren Territorialanspruch deutlich in die Welt hinausrülpsen. Und vermutlich ist dieser Rüssel vor allem ein Statussymbol: je größer er ist, desto toller fühlt sich der Mann. Dieses Phänomen ist uns Menschen ja nicht ganz unbekannt...
Generell muss ich sagen: Es sind verdammt seltsame Viecher, diese größten Robben der Welt! Die Weibchen allein sind mit ihren drei Metern Länge und 800kg Gewicht ein imposanter Anblick, wirken aber wie Zwerge im Angesicht der gigantischen Männchen. Fünf Meter lang und viereinhalb Tonnen schwer ist ein ausgewachsener, 15 Jahre alter See-Elefantenbulle. Sie liegen normalerweise wie dicke, fette Würste im Sand - es sei denn, sie sehen einen Konkurrenten, der ihnen ihre Weibchen streitig machen will. Dann können sich diese scheinbar unbeweglichen Kolosse auf Menschengröße aufrichten!
Während die Weibchen scheinbar relativ gefahrlos und stressfrei leben, haben es die Männchen verdammt schwer. Um sich paaren zu können, müssen sie einen Harem aus Weibchen gegenüber allen anderen Männchen verteidigen, und das schaffen nur die größten und ältesten Bullen. Sie sind ständig auf der Hut: sobald sie ein anderes Männchen sehen, ist's aus mit lustig.
Absolut.
Dann ziehen sie eine Grimasse, die wir Menschen sofort mit rasender Wut in Verbindung bringen - und verfallen in eine Art Berserker-Modus.
Mit erstaunlichem Tempo robben diese Kolosse dann in direktem Wege zum Widersacher - über alles und jeden hinweg, der ihnen im Wege steht, und das sind meist Weibchen und ihre Jungtiere. Okay, vielleicht leben diese doch nicht so stressfrei wie behauptet - aber immerhin prügeln sie sich nicht ständig, wie die Männchen.
Kämpfende See-Elefanten richten sich mannshoch gegenüber auf und lassen ihr weit geöffnetes Maul mit Schwung auf den anderen heruntersausen. Keine Ahnung, wie viele Tonnen an Gewicht dann in Bewegung sind. Es ist absolut beeindruckend, einen solchen Kampf mitzuerleben!
Die etwa 5 cm langen Eckzähne reißen teils schlimme Wunden: die gesamte Kopf-, Nacken- und Halspartie der Bullen ist ein Schlachtfeld aus Narben. Ich habe einen großen, toten Bullen gesehen, der wahrscheinlich verblutet ist, und andere mit horrenden Wunden beobachtet. Die Sterblichkeitsrate der Bullen muss groß sein: nur so ist zu erklären, warum man (im Vergleich zu den Weibchen) relativ wenig erwachsene Bullen sieht. Und diese oft aussehen, wie gerade erst dem Metzger entronnen...
Wie so oft im Tierreich kämpfen die Männchen um das Recht, sich fortzupflanzen: der stärkste Bulle zeugt die meisten Nachkommen. Wochenlang bewachen sie einen Harem aus Weibchen, die an Land kommen, um dort ihre Jungen zu gebären. Im Gegensatz zu den Männchen, die ständig irgendwelche Widersacher verscheuchen oder sich prügeln, versuchen die Weibchen, so viel wie möglich zu schlafen, während sie ihre Jungen säugen. Sie sind allerdings ziemlich streitlustig und regen sich liebend gerne über diese oder jene Nachbarin auf, die ständig zu nerven scheinen. See-Elefantenweibchen haben zwar nicht den lustigen Rüssel der Männchen, aber rülpsend rufen und dabei lustig aussehen, das können sie auch prima.
Die neugeborenen Robbenbabys nehmen innerhalb von drei Wochen schlappe 140 Kilogramm an Gewicht zu: die Milch der Weibchen besteht zum Großteil aus Fett. Etwa zweieinhalb Wochen nach der Geburt werden die Weibchen wieder empfängnisbereit und paaren sich dann mit dem Männchen, das in diesen Tagen den Harem sein eigen nennt. Und etwas über drei Wochen nach der Geburt der Jungtiere treten die Weiber die Flucht an und schwimmen aufs offene Meer hinaus, um sich wieder fett zu fressen. Ihr dann (laut Textbuch) 180 kg schweres Junges lassen sie dabei an Land zurück.
Die kleinen Robben sind ab ihrer vierten Lebenswoche komplett auf sich alleine gestellt - und verbringen die kommenden 3 Monate mit Spiel und Schlaf. Sie sind (wie fast alle jungen Tiere) herrlich naiv und neugierig - und kennen so gut wie keine Scheu, besonders und vor allem nicht gegenüber kleinen, robbenförmigen Dingen, wie etwa am Boden herumkriechende Fotografen...
Die kleinen Speckschwarten gehen immer öfters ins Wasser und rotten sich mit anderen Gleichaltrigen zusammen, um vor allem zu schlafen und dabei extrem lustige, schnaubend-pupsende Laute von sich zu geben. Jede fünfte bis achte Schulklasse hätte seine helle Freude an der Geräuschkulisse einer See-Elefantenkolonie. Da ich euch diese erheiternden Variationen von nicht tischmanierlichen Lauten nicht vorenthalten will, habe ich eine Tonaufnahme vorbereitet und daraus auf die Schnelle ein superschlechtes Video kreiert. Mal gucken, ob das mit dem Hochladen und Abspielen klappt!?
Zu meinem großen Erstaunen scheinen die Jungtiere noch zu wachsen, nachdem sie von ihren Müttern am Strand zurückgelassen wurden. Ich habe absolut keine Ahnung, wie das gehen soll, aber sie werden noch ein bisschen größer, obwohl sie nichts mehr zu sich nehmen. Wenn noch jemand einen Nobelpreis gewinnen will, dann kann ich empfehlen, doch mal das Genom oder was auch immer zu entschlüsseln, das es den See-Elefanten ermöglicht, ohne Nahrung und allein durch Schlaf Fett in Muskeln umzuwandeln. Diese Fähigkeit hätte ich auch gerne!
Und nun wünsche ich euch noch einen schönen Tag und eine frohe Weihnachtszeit.
Bis zum nächsten Blogbeitrag!
:-)
Bis zum nächsten Blogbeitrag!
:-)
Montag, 13. November 2017
Der erste Monat in Grytviken
Genau einen Monat bin ich nun in Südgeorgien - irre, wie die Zeit verfliegt!
Die ersten Tage lassen sich am besten beschreiben mit: „Einweisungs- bzw. Vorlesungsmarathon“ sowie „biosecurity“, also Bio-Sicherheit - keine Ahnung, ob es dafür ein offizielles deutsches Wort gibt. Biosecurity beschreibt den Vorgang, dass alles, was wir auf die Insel bringen, ausgepackt und kontrolliert werden muss. Das betrifft unser persönliches Gepäck genauso wie Essen, Ausrüstungsgegenstände und beispielsweise alle Waren, welche wir im Shop verkaufen. Ziel dieser Aktion ist es, sicherzustellen, dass wir nichts Lebendiges nach Südgeorgien mitbringen: keine Kakerlaken oder Kleidermotten in unseren Taschen, keine Mäuse, Ratten, Spinnen oder Ohrenpitscher in den Kartons, keine Pflanzensamen in den Klettverschlüssen unserer Jacken und Rucksäcke, keine Erde von irgendwoanders, in der sich die Eier von Insekten verstecken könnten.
Grund für diese Wahnsinnsarbeit ist die isolierte Lage Südgeorgiens und die Tatsache, dass nur wir Menschen solche neuen Lebewesen mitbringen. So wurden in der Vergangenheit schon mehrere Pflanzen eingeschleppt (darunter Löwenzahn und Hahnenfuß...), verschiedene Käfer und Spinnenarten, der gute alte Regenwurm, Mäuse und Ratten - um nur ein paar derer zu nennen, die sich hier erfolgreich angesiedelt haben. Von daher ist man hier sehr streng mit der Gepäckkontrolle - gerade und besonders bei Personen, die gerade auf den Falklandinseln waren (ähnliches Klima) oder gar aus den nördlichen Polregionen kommen (noch viel ähnlicheres Klima). Bei zwei Containerladungen Waren für unseren Shop könnt ihr euch sicher vorstellen, dass es lange dauert, jeden einzelnen Gegenstand auszupacken und anzugucken. Und außer einer toten Fruchtfliege haben wir nichts gefunden. Aber man kann uns nicht nachsagen, Bio-Sicherheit nicht ernst zu nehmen!
In den darauffolgenden zwei Wochen bestand unsere Hauptaufgabe darin, eine Bestandsaufnahme für den Shop zu machen. Ein intensiver Tag mit Inventur dessen, was noch da war, und gut 14 Tage Auspacken der neuen Waren, einsortieren ins Lager, und langsames Bestücken des Shops. Ihr müsst euch das so vorstellen: im Museum befindet sich auch ein kleiner Shop, schätzungsweise 10x7 Meter groß, in dem wir über 100 verschiedene Artikel verkaufen. Darunter befinden sich 12 verschiedene Arten von T-Shirts, Fleece-Jacken, Socken, Postkarten, Poster, Gläser und Tassen, Whisky, Handschuhe und Mützen, Stifte, Notizbücher, richtige Bücher, Schmuck - und alle nur erdenklichen Arten von Pinguinen. Pinguine als Stofftiere, Schlüsselanhänger, Magneten, als Holz-Statuen, auf Kerzen und bereits erwähnten T-Shirts, Mützen, Tassen usw. usf...
Hand auf's Herz: wir verkaufen ganz schön viel Schrott, und das zu ziemlich überteuerten Preisen. Aber das Zeug verkauft sich wie warme Semmeln, und der Erlös kommt komplett dem SGHT (South Georgia Heritage Trust) zugute - jener kleinen NGO, für die ich arbeite (na ja, sagen wir's mal so: ich bekomme ein Taschengeld für meinen Einsatz...). Der SGHT (www.sght.org sowie www.museum.gs) kümmert sich als einzige Institution ihrer Art um den Erhalt des Natur- und Kulturerbes Südgeorgiens. Mit jedem verkauften Pinguin-Stehrümmchen werden also die Naturschutzprojekte hier unterstützt, von denen ich später bestimmt mal berichten werde. Und in dem Fall bin selbst ich gut darin, diesen unnützen Kitsch überzeugend an meist wohlhabende Touristen zu verkaufen... ;-)
Und so habe ich im vergangenen Monat Dinge gelernt, um die ich mich mein Leben lang nie gekümmert habe. Ich kann jetzt T-Shirts so falten, dass es nicht mehr so aussieht, als habe ich sie einfach in die Ecke geschmissen. Ich glaube, ich kann endlich am Ärmel erkennen, ob ich ein Unisex-T-Shirt vor mir habe oder eins mit Frauen-Schnitt (und bin immer noch der Meinung, dass letzteres Hauptverantwortlich ist für unterkühlte Nieren und Erkältungen...). Ich weiß, welche Münzen und Scheine des britischen Sterling-Pfundes gültig bzw. ungültig sind (die spinnen, die Briten!) und habe herausgefunden, dass Asiaten ihre Dollarscheine liebend gerne mit ihren Initialien bestempeln (Warum nur? Warum???). Euro-Scheine sehen dagegen alle total neu aus: ob die europäischen Banken alte Scheine schneller aus dem Umlauf nehmen, als die Amerikaner oder Briten? Ihr seht: solche Gedanken macht sich eine Kerstin, die stundenlang in einem Shop arbeitet. :-)
Wenn keine Kreuzfahrtschiffe da sind, die uns so lange auf Trab halten, bis sie wieder abgereist sind, sind unsere Arbeitstage ziemlich geregelt: normalerweise von morgens neun bis nachmittags fünf Uhr. Da die Sonne momentan um 4:15 Uhr aufgeht und um 20 Uhr untergeht, habe ich vor und nach der Arbeit noch Zeit, um zu fotografieren - und besonders an unseren freien Tagen. Sarahs erklärtes Ziel ist es, uns pro Woche zwei Freitage freizuschaufeln - bisher klappte das relativ gut, aber auch nur, weil die Saison der Kreuzfahrtschiffe gerade erst beginnt - und wir als Museums-Team ziemlich effizient arbeiten.
Lange Rede, kurzer Sinn: ich war trotz vieler Arbeit oft draußen zum Fotografieren. Das Wetter war sehr abwechslungsreich aber generell viel besser, als gedacht: heute ist der erste richtige Regentag, und weil er auf einen freien Tag fällt, habe ich deswegen das erste Mal die Chance, ein neuen Blogbeitrag zu verfassen - denn ohne Regen wäre ich jetzt entweder daußen zum Fotografieren, oder würde nach einer durchwachten Nacht tagsüber den Schlaf nachholen. Nichts gegen euch, aber habe ich die Wahl zwischen einem Ausflug in die Natur oder Computerarbeit, dann wird Natur immer den Zuschuss bekommen! :)
Das Museum wird zwar vom SGHT betrieben, kann aber nur in Kooperation mit dem BAS (dem British Antarctic Survey) am Laufen gehalten werden. So holen wir unsere Essensvorräte aus den Lagerräumen des BAS auf KEP (King Edward Point - die britische Forschungsstation in einem Kilometer Entfernung). Zudem leben wir nach ihren Sicherheits-Regeln. Die besagen beispielsweise, dass man sich nur innerhalb der Ein-Personen-Reisegrenze frei bewegen kann. Praktisch bedeutet das: nur ein genau definiertes (und für mich relativ kleines) Gebiet darf alleine bereist werden - will man woanders hin, muss man mindestens zu zweit sein und ein Funkgerät und Erste-Hilfe-Tasche dabei haben.
Leider gibt es hier keinen anderen ambitionierten Fotografen der bereit wäre, ohne große Vorankündigung eine Nacht durchzumachen, oder nach nur drei Stunden Schlaf zu einer Nachtwanderung aufzubrechen, um rechtzeitig vor Sonnenaufgang an einem fotogenen Ort zu sein. Also habe ich im vergangenen Monat die Einpersonengrenze ziemlich genau kennengelernt. Es ist zwar verdammt doof, nur wegen irgendwelcher Bürokratenregeln NICHT zur Eselspinguinkolonie gehen zu können, und auch nicht zu mehreren direkt außerhalb des Gebietes liegenden Tümpeln, aber: verglichen mit allen anderen antarktischen Stationen habe ich verdammt viele Fotomotive in direkter Reichweite. Innerhalb meines Freigang-Gebietes befinden sich immerhin ein 314 Meter hoher Berg, vier Seen/Tümpel, zwei Bäche, sechs See-Elefantenkolonien und eine kleine Gruppe sich mausernder Königspinguine. Und Bilder davon werde ich euch im nächsten Blogpost zeigen!
Die ersten Tage lassen sich am besten beschreiben mit: „Einweisungs- bzw. Vorlesungsmarathon“ sowie „biosecurity“, also Bio-Sicherheit - keine Ahnung, ob es dafür ein offizielles deutsches Wort gibt. Biosecurity beschreibt den Vorgang, dass alles, was wir auf die Insel bringen, ausgepackt und kontrolliert werden muss. Das betrifft unser persönliches Gepäck genauso wie Essen, Ausrüstungsgegenstände und beispielsweise alle Waren, welche wir im Shop verkaufen. Ziel dieser Aktion ist es, sicherzustellen, dass wir nichts Lebendiges nach Südgeorgien mitbringen: keine Kakerlaken oder Kleidermotten in unseren Taschen, keine Mäuse, Ratten, Spinnen oder Ohrenpitscher in den Kartons, keine Pflanzensamen in den Klettverschlüssen unserer Jacken und Rucksäcke, keine Erde von irgendwoanders, in der sich die Eier von Insekten verstecken könnten.
V.r.n.l.: Meine Chefin Sarah, Kuratorin Charlotte und ich im 'biosecurity room' |
Grund für diese Wahnsinnsarbeit ist die isolierte Lage Südgeorgiens und die Tatsache, dass nur wir Menschen solche neuen Lebewesen mitbringen. So wurden in der Vergangenheit schon mehrere Pflanzen eingeschleppt (darunter Löwenzahn und Hahnenfuß...), verschiedene Käfer und Spinnenarten, der gute alte Regenwurm, Mäuse und Ratten - um nur ein paar derer zu nennen, die sich hier erfolgreich angesiedelt haben. Von daher ist man hier sehr streng mit der Gepäckkontrolle - gerade und besonders bei Personen, die gerade auf den Falklandinseln waren (ähnliches Klima) oder gar aus den nördlichen Polregionen kommen (noch viel ähnlicheres Klima). Bei zwei Containerladungen Waren für unseren Shop könnt ihr euch sicher vorstellen, dass es lange dauert, jeden einzelnen Gegenstand auszupacken und anzugucken. Und außer einer toten Fruchtfliege haben wir nichts gefunden. Aber man kann uns nicht nachsagen, Bio-Sicherheit nicht ernst zu nehmen!
Meine Kollegin Vickie inmitten von Kartons bzw. Pinguinen |
In den darauffolgenden zwei Wochen bestand unsere Hauptaufgabe darin, eine Bestandsaufnahme für den Shop zu machen. Ein intensiver Tag mit Inventur dessen, was noch da war, und gut 14 Tage Auspacken der neuen Waren, einsortieren ins Lager, und langsames Bestücken des Shops. Ihr müsst euch das so vorstellen: im Museum befindet sich auch ein kleiner Shop, schätzungsweise 10x7 Meter groß, in dem wir über 100 verschiedene Artikel verkaufen. Darunter befinden sich 12 verschiedene Arten von T-Shirts, Fleece-Jacken, Socken, Postkarten, Poster, Gläser und Tassen, Whisky, Handschuhe und Mützen, Stifte, Notizbücher, richtige Bücher, Schmuck - und alle nur erdenklichen Arten von Pinguinen. Pinguine als Stofftiere, Schlüsselanhänger, Magneten, als Holz-Statuen, auf Kerzen und bereits erwähnten T-Shirts, Mützen, Tassen usw. usf...
Hand auf's Herz: wir verkaufen ganz schön viel Schrott, und das zu ziemlich überteuerten Preisen. Aber das Zeug verkauft sich wie warme Semmeln, und der Erlös kommt komplett dem SGHT (South Georgia Heritage Trust) zugute - jener kleinen NGO, für die ich arbeite (na ja, sagen wir's mal so: ich bekomme ein Taschengeld für meinen Einsatz...). Der SGHT (www.sght.org sowie www.museum.gs) kümmert sich als einzige Institution ihrer Art um den Erhalt des Natur- und Kulturerbes Südgeorgiens. Mit jedem verkauften Pinguin-Stehrümmchen werden also die Naturschutzprojekte hier unterstützt, von denen ich später bestimmt mal berichten werde. Und in dem Fall bin selbst ich gut darin, diesen unnützen Kitsch überzeugend an meist wohlhabende Touristen zu verkaufen... ;-)
Und so habe ich im vergangenen Monat Dinge gelernt, um die ich mich mein Leben lang nie gekümmert habe. Ich kann jetzt T-Shirts so falten, dass es nicht mehr so aussieht, als habe ich sie einfach in die Ecke geschmissen. Ich glaube, ich kann endlich am Ärmel erkennen, ob ich ein Unisex-T-Shirt vor mir habe oder eins mit Frauen-Schnitt (und bin immer noch der Meinung, dass letzteres Hauptverantwortlich ist für unterkühlte Nieren und Erkältungen...). Ich weiß, welche Münzen und Scheine des britischen Sterling-Pfundes gültig bzw. ungültig sind (die spinnen, die Briten!) und habe herausgefunden, dass Asiaten ihre Dollarscheine liebend gerne mit ihren Initialien bestempeln (Warum nur? Warum???). Euro-Scheine sehen dagegen alle total neu aus: ob die europäischen Banken alte Scheine schneller aus dem Umlauf nehmen, als die Amerikaner oder Briten? Ihr seht: solche Gedanken macht sich eine Kerstin, die stundenlang in einem Shop arbeitet. :-)
Wenn keine Kreuzfahrtschiffe da sind, die uns so lange auf Trab halten, bis sie wieder abgereist sind, sind unsere Arbeitstage ziemlich geregelt: normalerweise von morgens neun bis nachmittags fünf Uhr. Da die Sonne momentan um 4:15 Uhr aufgeht und um 20 Uhr untergeht, habe ich vor und nach der Arbeit noch Zeit, um zu fotografieren - und besonders an unseren freien Tagen. Sarahs erklärtes Ziel ist es, uns pro Woche zwei Freitage freizuschaufeln - bisher klappte das relativ gut, aber auch nur, weil die Saison der Kreuzfahrtschiffe gerade erst beginnt - und wir als Museums-Team ziemlich effizient arbeiten.
V.l.n.r: Charlotte, ich, Pat, Sarah, Vickie |
Lange Rede, kurzer Sinn: ich war trotz vieler Arbeit oft draußen zum Fotografieren. Das Wetter war sehr abwechslungsreich aber generell viel besser, als gedacht: heute ist der erste richtige Regentag, und weil er auf einen freien Tag fällt, habe ich deswegen das erste Mal die Chance, ein neuen Blogbeitrag zu verfassen - denn ohne Regen wäre ich jetzt entweder daußen zum Fotografieren, oder würde nach einer durchwachten Nacht tagsüber den Schlaf nachholen. Nichts gegen euch, aber habe ich die Wahl zwischen einem Ausflug in die Natur oder Computerarbeit, dann wird Natur immer den Zuschuss bekommen! :)
King Edward Cove: links Grytviken, rechts am Buchtausgang die BAS-Station KEP |
Das Museum wird zwar vom SGHT betrieben, kann aber nur in Kooperation mit dem BAS (dem British Antarctic Survey) am Laufen gehalten werden. So holen wir unsere Essensvorräte aus den Lagerräumen des BAS auf KEP (King Edward Point - die britische Forschungsstation in einem Kilometer Entfernung). Zudem leben wir nach ihren Sicherheits-Regeln. Die besagen beispielsweise, dass man sich nur innerhalb der Ein-Personen-Reisegrenze frei bewegen kann. Praktisch bedeutet das: nur ein genau definiertes (und für mich relativ kleines) Gebiet darf alleine bereist werden - will man woanders hin, muss man mindestens zu zweit sein und ein Funkgerät und Erste-Hilfe-Tasche dabei haben.
Leider gibt es hier keinen anderen ambitionierten Fotografen der bereit wäre, ohne große Vorankündigung eine Nacht durchzumachen, oder nach nur drei Stunden Schlaf zu einer Nachtwanderung aufzubrechen, um rechtzeitig vor Sonnenaufgang an einem fotogenen Ort zu sein. Also habe ich im vergangenen Monat die Einpersonengrenze ziemlich genau kennengelernt. Es ist zwar verdammt doof, nur wegen irgendwelcher Bürokratenregeln NICHT zur Eselspinguinkolonie gehen zu können, und auch nicht zu mehreren direkt außerhalb des Gebietes liegenden Tümpeln, aber: verglichen mit allen anderen antarktischen Stationen habe ich verdammt viele Fotomotive in direkter Reichweite. Innerhalb meines Freigang-Gebietes befinden sich immerhin ein 314 Meter hoher Berg, vier Seen/Tümpel, zwei Bäche, sechs See-Elefantenkolonien und eine kleine Gruppe sich mausernder Königspinguine. Und Bilder davon werde ich euch im nächsten Blogpost zeigen!
Montag, 16. Oktober 2017
Einmal Siegburg-Grytviken, bitte
So: der erste Blogpost aus Südgeorgien. Ab sofort wird es weniger Bilder geben, und diese sind außerdem in ziemlich mieser Qualität. Aber damit ihr nicht komplett auf visuelle Eindrücke verzichten müsst, gibt's aufgeblasene Minifotos - die durch bessere ausgetauscht werden, wenn ich wieder zurück in der Zivilisation bin.
Wie oft ich in meinem Leben schon meine Taschen packte, um für längere Zeit woanders zu leben und zu arbeiten, das weiß ich schon gar nicht mehr. Obwohl ich mich daher schon als „Pack-Profi“ bezeichne, war es erstaunlich viel Aufwand, sich für ein halbes Jahr abseits der Zivilisation vorzubereiten. So brauchte ich etwa ziemlich ins Detail gehende ärztliche Atteste, habe alle Impfungen auf den neusten Stand gebracht und alle Vorsorgeuntersuchungen abgehakt. Ich glaube, ich war noch nie so gesund wie jetzt, zumindest auf dem Papier... Dann fielen mir auch so Kleinigkeiten auf, wie: dass ich noch nie im Leben eine Ersatzbrille besessen habe, und es ziemlich ungünstig sei, wenn mir diese in Südgeorgien kaputtgehen würde: mit dem Ergebnis, dass meine Brille an dem Tag zerbrach, als ich die Neue in den Händen hielt. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht...
Dann stand ich vor solchen Fragen wie: wieviel Zahnpasta und Sonnencreme braucht man für 6 Monate? Was kommt als Weihnachtsgeschenk für meine mir noch unbekannten Kollegen in Frage, und (extrem wichtig!) wieviel Tafeln Schokolade sollte bzw. kann ich mitnehmen? Gleichzeitig musste ich immer daran denken, dass all diese Sachen in maximal drei Taschen / Rucksäcke passen sollten, die ich alleine in Züge wuchten und von Bahnhof zu Bahnhof transportieren musste. Ich hatte zwar großzügige 54 Kilogramm Freigepäck, doch die musste ich überhaupt erstmal nach England bringen, von wo die Reise offiziell starten würde.
Am dritten Oktober war es dann soweit: meine Eltern verabschiedeten mich am Siegburger ICE-Bahnhof. Mit dabei waren drei Taschen von insgesamt 61 Kilogramm Gewicht. Da war zum einen meine Sporttasche auf Rädern (Gewicht: 31kg), mein Fotorucksack (mit 17 kg so schwer wie noch nie...) und ein Wanderrucksack (13kg), den ich vor der Brust trug. Mit dabei waren vier Kilo Schokolade und gut ein Kilogramm anderer Süßgkeiten wie vegetarische Gummibärchen und Lakritze... Trotz all dem Gepack war es erstaunlich unkompliziert, mit drei Zügen von Siegburg nach Oxford zu fahren. Alle Züge hatten Verspätung, was zusammen mit sehr langen Umsteigezeiten dazu führte, dass ich nie warten musste - wobei ich es wohl ohne ein Taxi innerhalb Londons zeitlich nicht mehr geschafft hätte, den letzten Anschlusszug zu erwischen.
In Oxford hatte ich 24 Stunden zu überbrücken: ich wollte nicht am selben Abend anreisen, ganz einfach, weil die Chance eines verpassten Anschlusszugs zu groß war und ich die Abreise in die Antarktis auf KEINEN FALL verpassen wollte. Den Tag in England verbrachte ich hauptsächlich mit gutem Internet (wo ich u.a. den letzten Blogpost schrieb), bevor ich abends mit einem Bus zum 50 Minuten entfernten Flughafen der Royal Air Force (RAF Brize Norton) fuhr. Es war schon ein seltsames Gefühl, im Dunkeln in diesen von Nato-Draht umrundeten Militärkomplex hineinzuwandern und mich durchzufragen, wohin ich mich denn nun wenden sollte. Glücklicherweise war man es gewohnt, ratlose Zivilisten nach der Air-Bridge, der Luftbrücke fragen zu hören, und so bekam ich ziemlich schnell einen Besucherpass ausgehändigt und wurde nach etwas Wartezeit zum Terminal gebracht.
Und dann setzte sich fort, was sich auf der Bahnreise schon eingebürgert hatte: alles verspätete sich. Der Check-in verzögerte sich um anderthalb und der Start gar um drei Stunden. Schätzungsweise 150-200 Briten (darunter auch vier meiner zukünftigen Kollegen) warteten geduldig auf den Flug nach Süden. Die meisten von uns wollten auf die Falklandinseln, aber etwa ein Viertel flogen nach Ascension Island, einem anderen britischen Überseegebiet knapp südlich des Equators, ziemlich genau mittig zwischen Brasilien und Afrika gelegen - also echt irgendwo im Nirgendwo. Bis zum obligatorischen Tankstopp auf Kap Verde würden wir zusammen unterwegs sein, dann aber stiegen die Ascension-Reisenden um in eine andere Maschine.
Um halb Zwei Uhr nachts waren wir dann endlich in der Luft. Ich saß (wie erhofft) in einer grauen James-Bond-Maschine, allerdings eine, die bis auf die graue Farbe und den Schriftzug „Royal Air Force“ ganz normal aussah: eine AirTanker A330, also ein stinknormaler Langstrecken-Passagierflieger. Es war das geräumigste Flugzeug, in dem ich je gereist bin: die Sitze super weit auseinander die Crew ehrlich nett und nicht gestresst, und das Essen absolut annehmbar. Wirklich “royal”! Die Preise für den Flug waren das allerdings auch, wie ich später erfuhr - aber in meinem Fall war mir das egal, denn die Kosten trug mein Arbeitgeber, nicht ich...
Nach nur fünfeinhalb Stunden Flug, unmittelbar vor dem Morgengrauen, landeten wir auf den Kapverden auf der Insel Sal. Der Inselstaat vor der westafrikanischen Küste war leider nur ein Zwischenstopp, also ein reiner Flughafenaufenthalt. Ursprünglich gedacht als kurzer Tankstopp, verlängerte sich der Aufenthalt dort dank Schlechtwetters auf den Falklandinseln auf sieben Stunden - in der Wartehalle, man ließ uns partout nicht raus. Grrrrr...
Nach weiteren 11 Stunden Flugzeit war ich dementsprechend froh, als wir um kurz nach Mitternacht deutsche Zeit (20 Uhr Falklandzeit) endlich landeten.
Die folgenden zwei Tage fühlten sich ein bisschen an, wie Urlaub. Der einzige offizielle Termin war ein Treffen mit dem Governeur der Falklandinseln (wir erhielten eine kurze Einführung in die Wichtigkeit unserer Arbeit...), ansonsten aber erkundeten wir die kleine Hauptstadt Stanley und erledigten die letzten Einkäufe. Mir wurde beim Schlendern durch die beiden hiesigen Einkaufszentren plötzlich klar, dass die Briten die Erfinder meiner Lieblings-Chipssorte sind (Salt & Vinegar - Salz und Essig), woraufhin ich den gesamten Laden plünderte und nun noch ein Gepäckstück mehr hatte: eine große Kiste mit 17 Packungen Chips. Jetzt konnte definitiv nichts mehr schiefgehen!
Südgeorgien hat keinen Flughafen: die einzige Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ist folglich per Schiff. Da die Haupteinnahmen des kleinen britischen Überseeterritoriums aus dem Fischfang stammen, gibt es ein Fischereipatrouillenschiff, die „Pharos SG“, das Wilderer abschrecken soll und die stark leglimitierte Fischerei kontrolliert (der Fischfang dort ist MSC-zertifiziert). Besagte Pharos ist ganzjährig in dem Gebiet unterwegs und dient deshalb auch als Versorgungs- und Transportfahrzeug für die wissenschaftlichen Stationen dort unten. Zusätzlich zur nur 15-köpfigen Crew kann die Pharos bis zu 12 Passagiere mitnehmen: in unserem Falle fünf Mitarbeiter des SGHT (South Georgia Heritage Trust, für den ich arbeite), sowie ein fünfköpfiges Team aus Tischlern, Elektrikern und sonstigenden handwerklich-begabten Baufachleuten des BAS (British Antarctic Survey), welche sich den Sommer über um den Erhalt der Bausubstanz kümmern würden.
Mit einem Tag Verspätung (war ja klar!) starteten wir zur fünftägigen Überfahrt nach Südgeorgien. Die Zeit verging elendig langsam: die See war erst ruhig, brachte das Schiff ab dem zweiten Tag aber so dermaßen zum schaukeln, dass an durchgängigen Schlaf kaum zu denken war. Folglich gab es in den fünf Tagen Überfahrt eigentlich nur vier Tätigkeiten: schlafen, essen, entspannen und lesen. Meine Seekrankheit hielt sich in Grenzen: mir war zwar nicht wohl, aber ich wollte auch nicht andauernd sterben und konnte tatsächlich ab und zu auch mal lesen. Das war doch schonmal was!
Dann aber war es geschafft: am Morgen des fünften Tages erreichten wir King Edward Point, die wissenschaftliche Station in King Edward Cove, in deren direkter Nachbarschaft Grytviken liegt. Es war Freitag, der 13. Oktober: also hatte die Anreise aus Deutschland ganze 10 Tage gedauert. Nicht schlecht, dafür dass ich mich nun an einem der entlegensten Orte der Welt befinde, und einem der wenigen zu dem man nicht fliegen kann. Was für ein Privileg, was für ein Abenteuer! :)
Wie oft ich in meinem Leben schon meine Taschen packte, um für längere Zeit woanders zu leben und zu arbeiten, das weiß ich schon gar nicht mehr. Obwohl ich mich daher schon als „Pack-Profi“ bezeichne, war es erstaunlich viel Aufwand, sich für ein halbes Jahr abseits der Zivilisation vorzubereiten. So brauchte ich etwa ziemlich ins Detail gehende ärztliche Atteste, habe alle Impfungen auf den neusten Stand gebracht und alle Vorsorgeuntersuchungen abgehakt. Ich glaube, ich war noch nie so gesund wie jetzt, zumindest auf dem Papier... Dann fielen mir auch so Kleinigkeiten auf, wie: dass ich noch nie im Leben eine Ersatzbrille besessen habe, und es ziemlich ungünstig sei, wenn mir diese in Südgeorgien kaputtgehen würde: mit dem Ergebnis, dass meine Brille an dem Tag zerbrach, als ich die Neue in den Händen hielt. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht...
Dann stand ich vor solchen Fragen wie: wieviel Zahnpasta und Sonnencreme braucht man für 6 Monate? Was kommt als Weihnachtsgeschenk für meine mir noch unbekannten Kollegen in Frage, und (extrem wichtig!) wieviel Tafeln Schokolade sollte bzw. kann ich mitnehmen? Gleichzeitig musste ich immer daran denken, dass all diese Sachen in maximal drei Taschen / Rucksäcke passen sollten, die ich alleine in Züge wuchten und von Bahnhof zu Bahnhof transportieren musste. Ich hatte zwar großzügige 54 Kilogramm Freigepäck, doch die musste ich überhaupt erstmal nach England bringen, von wo die Reise offiziell starten würde.
Am dritten Oktober war es dann soweit: meine Eltern verabschiedeten mich am Siegburger ICE-Bahnhof. Mit dabei waren drei Taschen von insgesamt 61 Kilogramm Gewicht. Da war zum einen meine Sporttasche auf Rädern (Gewicht: 31kg), mein Fotorucksack (mit 17 kg so schwer wie noch nie...) und ein Wanderrucksack (13kg), den ich vor der Brust trug. Mit dabei waren vier Kilo Schokolade und gut ein Kilogramm anderer Süßgkeiten wie vegetarische Gummibärchen und Lakritze... Trotz all dem Gepack war es erstaunlich unkompliziert, mit drei Zügen von Siegburg nach Oxford zu fahren. Alle Züge hatten Verspätung, was zusammen mit sehr langen Umsteigezeiten dazu führte, dass ich nie warten musste - wobei ich es wohl ohne ein Taxi innerhalb Londons zeitlich nicht mehr geschafft hätte, den letzten Anschlusszug zu erwischen.
In Oxford hatte ich 24 Stunden zu überbrücken: ich wollte nicht am selben Abend anreisen, ganz einfach, weil die Chance eines verpassten Anschlusszugs zu groß war und ich die Abreise in die Antarktis auf KEINEN FALL verpassen wollte. Den Tag in England verbrachte ich hauptsächlich mit gutem Internet (wo ich u.a. den letzten Blogpost schrieb), bevor ich abends mit einem Bus zum 50 Minuten entfernten Flughafen der Royal Air Force (RAF Brize Norton) fuhr. Es war schon ein seltsames Gefühl, im Dunkeln in diesen von Nato-Draht umrundeten Militärkomplex hineinzuwandern und mich durchzufragen, wohin ich mich denn nun wenden sollte. Glücklicherweise war man es gewohnt, ratlose Zivilisten nach der Air-Bridge, der Luftbrücke fragen zu hören, und so bekam ich ziemlich schnell einen Besucherpass ausgehändigt und wurde nach etwas Wartezeit zum Terminal gebracht.
Und dann setzte sich fort, was sich auf der Bahnreise schon eingebürgert hatte: alles verspätete sich. Der Check-in verzögerte sich um anderthalb und der Start gar um drei Stunden. Schätzungsweise 150-200 Briten (darunter auch vier meiner zukünftigen Kollegen) warteten geduldig auf den Flug nach Süden. Die meisten von uns wollten auf die Falklandinseln, aber etwa ein Viertel flogen nach Ascension Island, einem anderen britischen Überseegebiet knapp südlich des Equators, ziemlich genau mittig zwischen Brasilien und Afrika gelegen - also echt irgendwo im Nirgendwo. Bis zum obligatorischen Tankstopp auf Kap Verde würden wir zusammen unterwegs sein, dann aber stiegen die Ascension-Reisenden um in eine andere Maschine.
Um halb Zwei Uhr nachts waren wir dann endlich in der Luft. Ich saß (wie erhofft) in einer grauen James-Bond-Maschine, allerdings eine, die bis auf die graue Farbe und den Schriftzug „Royal Air Force“ ganz normal aussah: eine AirTanker A330, also ein stinknormaler Langstrecken-Passagierflieger. Es war das geräumigste Flugzeug, in dem ich je gereist bin: die Sitze super weit auseinander die Crew ehrlich nett und nicht gestresst, und das Essen absolut annehmbar. Wirklich “royal”! Die Preise für den Flug waren das allerdings auch, wie ich später erfuhr - aber in meinem Fall war mir das egal, denn die Kosten trug mein Arbeitgeber, nicht ich...
Nach nur fünfeinhalb Stunden Flug, unmittelbar vor dem Morgengrauen, landeten wir auf den Kapverden auf der Insel Sal. Der Inselstaat vor der westafrikanischen Küste war leider nur ein Zwischenstopp, also ein reiner Flughafenaufenthalt. Ursprünglich gedacht als kurzer Tankstopp, verlängerte sich der Aufenthalt dort dank Schlechtwetters auf den Falklandinseln auf sieben Stunden - in der Wartehalle, man ließ uns partout nicht raus. Grrrrr...
Nach weiteren 11 Stunden Flugzeit war ich dementsprechend froh, als wir um kurz nach Mitternacht deutsche Zeit (20 Uhr Falklandzeit) endlich landeten.
Stanley |
Die folgenden zwei Tage fühlten sich ein bisschen an, wie Urlaub. Der einzige offizielle Termin war ein Treffen mit dem Governeur der Falklandinseln (wir erhielten eine kurze Einführung in die Wichtigkeit unserer Arbeit...), ansonsten aber erkundeten wir die kleine Hauptstadt Stanley und erledigten die letzten Einkäufe. Mir wurde beim Schlendern durch die beiden hiesigen Einkaufszentren plötzlich klar, dass die Briten die Erfinder meiner Lieblings-Chipssorte sind (Salt & Vinegar - Salz und Essig), woraufhin ich den gesamten Laden plünderte und nun noch ein Gepäckstück mehr hatte: eine große Kiste mit 17 Packungen Chips. Jetzt konnte definitiv nichts mehr schiefgehen!
Government House - Stanley |
Südgeorgien hat keinen Flughafen: die einzige Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ist folglich per Schiff. Da die Haupteinnahmen des kleinen britischen Überseeterritoriums aus dem Fischfang stammen, gibt es ein Fischereipatrouillenschiff, die „Pharos SG“, das Wilderer abschrecken soll und die stark leglimitierte Fischerei kontrolliert (der Fischfang dort ist MSC-zertifiziert). Besagte Pharos ist ganzjährig in dem Gebiet unterwegs und dient deshalb auch als Versorgungs- und Transportfahrzeug für die wissenschaftlichen Stationen dort unten. Zusätzlich zur nur 15-köpfigen Crew kann die Pharos bis zu 12 Passagiere mitnehmen: in unserem Falle fünf Mitarbeiter des SGHT (South Georgia Heritage Trust, für den ich arbeite), sowie ein fünfköpfiges Team aus Tischlern, Elektrikern und sonstigenden handwerklich-begabten Baufachleuten des BAS (British Antarctic Survey), welche sich den Sommer über um den Erhalt der Bausubstanz kümmern würden.
MV Pharos SG |
Mit einem Tag Verspätung (war ja klar!) starteten wir zur fünftägigen Überfahrt nach Südgeorgien. Die Zeit verging elendig langsam: die See war erst ruhig, brachte das Schiff ab dem zweiten Tag aber so dermaßen zum schaukeln, dass an durchgängigen Schlaf kaum zu denken war. Folglich gab es in den fünf Tagen Überfahrt eigentlich nur vier Tätigkeiten: schlafen, essen, entspannen und lesen. Meine Seekrankheit hielt sich in Grenzen: mir war zwar nicht wohl, aber ich wollte auch nicht andauernd sterben und konnte tatsächlich ab und zu auch mal lesen. Das war doch schonmal was!
Dann aber war es geschafft: am Morgen des fünften Tages erreichten wir King Edward Point, die wissenschaftliche Station in King Edward Cove, in deren direkter Nachbarschaft Grytviken liegt. Es war Freitag, der 13. Oktober: also hatte die Anreise aus Deutschland ganze 10 Tage gedauert. Nicht schlecht, dafür dass ich mich nun an einem der entlegensten Orte der Welt befinde, und einem der wenigen zu dem man nicht fliegen kann. Was für ein Privileg, was für ein Abenteuer! :)
King Edward Point (vorne rechts) und Grytviken (hinten links) |
Mittwoch, 4. Oktober 2017
Südgeorgien - ein neues Abenteuer beginnt
Ich habe ja nun schon mehrfach durchblicken lassen, dass ich seit Jahresbeginn versuche, eine neue Beschäftigung zu finden. Das ist gar nicht so einfach, wenn man wie ich keine "normalen" Jobs sucht, sondern exotische Beschäftigungen, die
a) in direkter Nähe zu schöner, kalter Natur stattfinden, und
b) unbedingt auch irgendwie mit Naturschutz zu tun haben sollten.
Nach langem Suchen habe ich tatsächlich ein paar Stellen gefunden, auf die meine Kriterien zutreffen, und gleichzeitig gestaunt, wie beliebt diese sind. Wer hätte schon gedacht, dass sich mehrere hundert Leute dafür bewerben, bis zu eineinhalb Jahre lang auf eine entlegenen Insel geschickt zu werden? Ziemlich lange dachte ich, keine einzige meiner sieben Bewerbungen würde zum Ziel führen. Als die Absagen eine nach der anderen eintrudelten und ich schon einen Plan B ausgearbeitet hatte, da kam sie doch noch, die Zusage. Und so kann ich jetzt total glücklich verkünden: ich werde das kommende halbe Jahr auf Südgeorgien arbeiten!!!
Südgeorgien, auf Englisch "South Georgia", wird von den meisten Leuten oft deplaziert. Entweder hält man es für den Süden von Georgien, also jenem Land zwischen Russland und der Türkei, oder aber für den Süden des amerikanischen Bundesstaates Georgia. Aber nein: "mein" Südgeorgien ist eine bananenförmige, subantarktische Insel, die ziemlich ausgesetzt im wilden Südatlantik östlich der Südspitze Südamerikas liegt. Das nächste bewohnte Land sind die Falklandinseln (1300 km nordwestlich), und genau wie diese gehört Südgeorgien zum britischen Überseeterritorium, wird aber gleichzeitig von Argentinien beansprucht.
Das obige Bild zeigt Südgeorgien am 8. August 2002, also im (Süd-)Winter, unserem Nord-Sommer.
Im Süd-Sommer (November bis Februar) herrschen hier durchaus gemäßigte Verhältnisse: die Temperaturen liegen normalerweise bei 2 - 10 °C. Das ist für antarktische Verhältnisse tropisch!
Grund für diese Saunatemperaturen ist die Lage der Insel: Südgeorgien befindet sich ziemlich genau auf dem kompletten 54° südlichen Breitengrad. Auf Deutschland übertragen ist das die Position und Distanz von Lübeck bis nach Westerland auf Sylt. Wir sind also noch ziemlich weit vom Südpol entfernt: 1500 Kilometer sind es von Südgeorgien zur nördlichsten Spitze der antarktischen Halbinsel, und schlappe 4000 Kilometer bis zum Südpol.
Wo genau die Antarktis beginnt, ist (wie so oft) eine Definitionssache. Erstmal gibt es die geographisch-astronomische Definition, welche da lautet: Antarktis ist alles südlich des südlichen Polarkreises, also: von 66° 33′ südlicher Breite bis zum Südpol. Dann gibt es die "offizielle" Definition: Antarktis ist alles südlich des 60. Breitengrades. Und schließlich gibt es da noch die ozeanografische Abgrenzung: Antarktis ist alles südlich der antarktischen Konvergenz, also jener Zone, welche die nördliche Grenze des Südpolarmeeres / Antarktischen Ozeans bildet.
Unter Normalsterblichen meint man mit "Antarktis" erstmal der Kontinent. Will man es genauer sagen, dann gilt die Zone vom Südpol zum südlichen Polarkreis als "eigentliche Antarktis", und die Zone vom südlichen Polarkreis zur Antarktischen Konvergens als "Subantarktis". Und damit haben wir's: Südgeorgien liegt in der Subantarktis - Ende der Diskussion!
Jetzt aber endlich zurück nach Südgeorgien. Die Insel ist 165 Kilometer lang und bis zu 35 Kilometer breit - und liegt mitten im wilden Südatlantik. Jeder zweite Tag ist ein Regentag, es ist generell verdammt stürmisch, und auf den Bergen bleibt der Schnee das ganze Jahr liegen. Es gibt dort unzählige Gletscher, und die Landschaft ist gebirgig und zerklüftet. Elf Berge sind über 2000 m hoch; als höchste Erhebung gilt der Mount Paget mit 2934 m.
Südgeorgien hat keine permanente zivile Bevölkerung. Es gibt hier jedoch zwei wissenschaftliche Stationen, Bird Island und King Edward Point, auf der Forscher des British Antarctic Survey
ganzjährig leben. Dies dient sicherlich auch dem politischen Zweck, den britischen Anspruch auf Souveränität über die Insel gegenüber Argentiniens Gebietsansprüchen zu untermauern - es ist der gleiche Konflikt, der auch immer noch um die Falklandinseln schwelt.
Touristen gibt es (dank der sich an wachsender Beliebtheit erfreuenden Expeditions-Kreuzfahrtschiffe) aber einige: dieses Jahr werden zum ersten Mal 10.000 Besucher erwartet, die von Südamerika über die Falklandinseln in die Antarktis reisen und dabei einen 2-4 tägigen Stopp in Südgeorgien einlegen. So bin auch ich schon dreimal dorthin gekommen, als Guide, in den Jahren 2013 und 2014. Das obige Bild zeigt die MS Expedition, ein Schiff für bis zu 140 Passagiere, in Stromnes Bay. Es entstand Ende Januar, also im Hochsommer: wie man sehen kann, ist das Land in Küstennähe schneefrei und grün, denn es gibt hier bis etwa 50 Pflanzenarten, darunter aber weder Bäume noch Sträucher.
Wenn es überhaupt so etwas wie eine Siedlung auf Südgeorgien gibt, dann ist es das alte Walfängerdorf Grytviken, von einem norwegischen Kapitän im Jahre 1904 gegründet und etwa 50 Jahre lang bewohnt gewesen. Grytviken gilt als der beste Naturhafen der Insel, und wohl auch deswegen liegt direkt neben der alten Walfängersiedlung heute die größte Forschungsstation Südgeorgiens, King Edward Point.
Die Touristenschiffe kommen alle nach Grytviken: erst einmal, weil sie es müssen (sie bekommen dann offiziellen Besuch von der Inselverwaltung...). Stürme sind an der Tagesordnung: in Grytviken kann man aufgrund seiner geschützten Lage auch dann oft noch an Land gehen, wenn draußen ein Orkan tobt. Und, last but not least, gibt es in Grytviken doch tatsächlich ein Museum, einen kleinen Shop, ein Postamt und das Grab von Ernest Shackelton - alles sehr attraktive Dinge für die meist wohlsituierten Touristen älteren Semesters.
Und genau hier, im Museum des South Georgia Heritage Trust in Grytviken, werde ich ein halbes Jahr arbeiten und wohnen. Ich bin als einer von zwei Museumsassistenten angeheuert worden und werde hauptverantwortlich sein für die Reinhaltung des Museums (es ist das Haus rechts im Bild, mit dem leuchtend rotem Dach) sowie den Kontakt mit den Gästen, die im Sommer jeden zweiten Tag erwartet werden. Im Grunde genommen ist es also der Arbeit als Hüttenwart recht ähnlich, da war ich ja auch vor allem als Putzteufel und Touristendompteur angeheuert worden. Hier bin ich halt in absolut exklusiver, total spannender Natur und freue mich (wie blöde) auf die sich mir bietenden Fotomotive. Was für mich auch zählt, ist die Tatsache, dass die Einnahmen aus dem Shop (welchen ich betreuen werde) fast ausschließlich in den Naturschutz der Insel fließen: ich hoffe, dazu in einem späteren Blogbeitrag mehr berichten zu können.
Südgeorgien ist ein Tierparadies der Sonderlative. Es gibt hier vier Albatross-Arten und eine Menge Robben (vor allem See-Elefanten und Antarktische Seebären). Dazu kommen fünf Millionen Goldschopfpinguine, drei andere Pinguinarten - und dann auch noch schätzungsweise 400.000 Königspinguine.
Grytviken liegt in einer kleinen Bucht, in welche sich nur ein paar Tiere verirren. Ich gehe stark davon aus, dass ich kaum von dort fort kommen und die großen Tierkolonien im kommenden halben Jahr nicht zu Gesicht bekommen werde. Aber das ist ja auch gar nicht Sinn der Sache: mein Ziel ist es, das kleine Gebiet um Grytviken intensiv kennenzulernen. Dies sehe ich als riesiges Privileg an, weshalb sich meine Vorfreude kaum beschreiben lässt!
Heute abend geht es schon los: diese Zeilen schreibe ich bereits in Oxford, wohin ich gestern Abend innerhalb von 5 Stunden mit drei Zügen gereist bin. Heute abend treffe ich drei meiner Kollegen am RAF Flughafen Brize Norton (westlich von Oxford), und dann geht's mit einem Direktflug auf die Falklandinseln, und dann irgendwann später mit einem Fischerei-Schiff nach Grytviken.
Irgendwann Mitte Oktober sollte ich dort ankommen und bis März/April 2018 dort bleiben - wann genau es zurück gehen wird, werde ich wohl erst relativ spontan erfahren. Wie es um die Internetverbindung bestellt ist, weiß ich auch nicht: schlecht soll sie sein, und Facebook könne ich vergessen, wurde mir gesagt. Emails kann ich wohl empfangen, sofern sie keinen Anhang haben - aber ob ich überhaupt in der Lage sein werde, zu bloggen, wird sich auch erst vor Ort zeigen. Solltet ihr also im kommenden halben Jahr nicht von mir hören, ist dennoch alles in Ordnung: ich habe dann einfach nur keinen Zugang zu meinem Blog. Aber ich hoffe schwer, dass ich hier den ein oder anderen Beitrag schreiben kann, zur Not auch ohne Bilder!
Von daher verbleibe ich jetzt einfach mal mit fröhlichen Grüßen und stürze mich voller Freude auf in ein neues, exklusives Abenteuer.
Südgeorgien, ich komme !!!
a) in direkter Nähe zu schöner, kalter Natur stattfinden, und
b) unbedingt auch irgendwie mit Naturschutz zu tun haben sollten.
Nach langem Suchen habe ich tatsächlich ein paar Stellen gefunden, auf die meine Kriterien zutreffen, und gleichzeitig gestaunt, wie beliebt diese sind. Wer hätte schon gedacht, dass sich mehrere hundert Leute dafür bewerben, bis zu eineinhalb Jahre lang auf eine entlegenen Insel geschickt zu werden? Ziemlich lange dachte ich, keine einzige meiner sieben Bewerbungen würde zum Ziel führen. Als die Absagen eine nach der anderen eintrudelten und ich schon einen Plan B ausgearbeitet hatte, da kam sie doch noch, die Zusage. Und so kann ich jetzt total glücklich verkünden: ich werde das kommende halbe Jahr auf Südgeorgien arbeiten!!!
Südgeorgien ist die nördlichste der rot umkreisten Inseln Quelle: Wikipedia , by TUBS |
Südgeorgien, auf Englisch "South Georgia", wird von den meisten Leuten oft deplaziert. Entweder hält man es für den Süden von Georgien, also jenem Land zwischen Russland und der Türkei, oder aber für den Süden des amerikanischen Bundesstaates Georgia. Aber nein: "mein" Südgeorgien ist eine bananenförmige, subantarktische Insel, die ziemlich ausgesetzt im wilden Südatlantik östlich der Südspitze Südamerikas liegt. Das nächste bewohnte Land sind die Falklandinseln (1300 km nordwestlich), und genau wie diese gehört Südgeorgien zum britischen Überseeterritorium, wird aber gleichzeitig von Argentinien beansprucht.
Bild von MODIS Rapid Response Project bei NASA/GSFC |
Das obige Bild zeigt Südgeorgien am 8. August 2002, also im (Süd-)Winter, unserem Nord-Sommer.
Im Süd-Sommer (November bis Februar) herrschen hier durchaus gemäßigte Verhältnisse: die Temperaturen liegen normalerweise bei 2 - 10 °C. Das ist für antarktische Verhältnisse tropisch!
Grund für diese Saunatemperaturen ist die Lage der Insel: Südgeorgien befindet sich ziemlich genau auf dem kompletten 54° südlichen Breitengrad. Auf Deutschland übertragen ist das die Position und Distanz von Lübeck bis nach Westerland auf Sylt. Wir sind also noch ziemlich weit vom Südpol entfernt: 1500 Kilometer sind es von Südgeorgien zur nördlichsten Spitze der antarktischen Halbinsel, und schlappe 4000 Kilometer bis zum Südpol.
Karte von Wikipedia/Apcbg |
Wo genau die Antarktis beginnt, ist (wie so oft) eine Definitionssache. Erstmal gibt es die geographisch-astronomische Definition, welche da lautet: Antarktis ist alles südlich des südlichen Polarkreises, also: von 66° 33′ südlicher Breite bis zum Südpol. Dann gibt es die "offizielle" Definition: Antarktis ist alles südlich des 60. Breitengrades. Und schließlich gibt es da noch die ozeanografische Abgrenzung: Antarktis ist alles südlich der antarktischen Konvergenz, also jener Zone, welche die nördliche Grenze des Südpolarmeeres / Antarktischen Ozeans bildet.
Unter Normalsterblichen meint man mit "Antarktis" erstmal der Kontinent. Will man es genauer sagen, dann gilt die Zone vom Südpol zum südlichen Polarkreis als "eigentliche Antarktis", und die Zone vom südlichen Polarkreis zur Antarktischen Konvergens als "Subantarktis". Und damit haben wir's: Südgeorgien liegt in der Subantarktis - Ende der Diskussion!
Quelle: Wikipedia, von Ivanov, L. and N. Ivanova |
Jetzt aber endlich zurück nach Südgeorgien. Die Insel ist 165 Kilometer lang und bis zu 35 Kilometer breit - und liegt mitten im wilden Südatlantik. Jeder zweite Tag ist ein Regentag, es ist generell verdammt stürmisch, und auf den Bergen bleibt der Schnee das ganze Jahr liegen. Es gibt dort unzählige Gletscher, und die Landschaft ist gebirgig und zerklüftet. Elf Berge sind über 2000 m hoch; als höchste Erhebung gilt der Mount Paget mit 2934 m.
Südgeorgien hat keine permanente zivile Bevölkerung. Es gibt hier jedoch zwei wissenschaftliche Stationen, Bird Island und King Edward Point, auf der Forscher des British Antarctic Survey
ganzjährig leben. Dies dient sicherlich auch dem politischen Zweck, den britischen Anspruch auf Souveränität über die Insel gegenüber Argentiniens Gebietsansprüchen zu untermauern - es ist der gleiche Konflikt, der auch immer noch um die Falklandinseln schwelt.
Touristen gibt es (dank der sich an wachsender Beliebtheit erfreuenden Expeditions-Kreuzfahrtschiffe) aber einige: dieses Jahr werden zum ersten Mal 10.000 Besucher erwartet, die von Südamerika über die Falklandinseln in die Antarktis reisen und dabei einen 2-4 tägigen Stopp in Südgeorgien einlegen. So bin auch ich schon dreimal dorthin gekommen, als Guide, in den Jahren 2013 und 2014. Das obige Bild zeigt die MS Expedition, ein Schiff für bis zu 140 Passagiere, in Stromnes Bay. Es entstand Ende Januar, also im Hochsommer: wie man sehen kann, ist das Land in Küstennähe schneefrei und grün, denn es gibt hier bis etwa 50 Pflanzenarten, darunter aber weder Bäume noch Sträucher.
Ein junger antarktischer Seebär im dominierenden Tussock-Gras in Fortuna Bay, ebenfalls im Hochsommer |
Wenn es überhaupt so etwas wie eine Siedlung auf Südgeorgien gibt, dann ist es das alte Walfängerdorf Grytviken, von einem norwegischen Kapitän im Jahre 1904 gegründet und etwa 50 Jahre lang bewohnt gewesen. Grytviken gilt als der beste Naturhafen der Insel, und wohl auch deswegen liegt direkt neben der alten Walfängersiedlung heute die größte Forschungsstation Südgeorgiens, King Edward Point.
Karte von Rotesdiadem - Wikipedia / CC-BY-SA 4.0 |
Die Touristenschiffe kommen alle nach Grytviken: erst einmal, weil sie es müssen (sie bekommen dann offiziellen Besuch von der Inselverwaltung...). Stürme sind an der Tagesordnung: in Grytviken kann man aufgrund seiner geschützten Lage auch dann oft noch an Land gehen, wenn draußen ein Orkan tobt. Und, last but not least, gibt es in Grytviken doch tatsächlich ein Museum, einen kleinen Shop, ein Postamt und das Grab von Ernest Shackelton - alles sehr attraktive Dinge für die meist wohlsituierten Touristen älteren Semesters.
Und genau hier, im Museum des South Georgia Heritage Trust in Grytviken, werde ich ein halbes Jahr arbeiten und wohnen. Ich bin als einer von zwei Museumsassistenten angeheuert worden und werde hauptverantwortlich sein für die Reinhaltung des Museums (es ist das Haus rechts im Bild, mit dem leuchtend rotem Dach) sowie den Kontakt mit den Gästen, die im Sommer jeden zweiten Tag erwartet werden. Im Grunde genommen ist es also der Arbeit als Hüttenwart recht ähnlich, da war ich ja auch vor allem als Putzteufel und Touristendompteur angeheuert worden. Hier bin ich halt in absolut exklusiver, total spannender Natur und freue mich (wie blöde) auf die sich mir bietenden Fotomotive. Was für mich auch zählt, ist die Tatsache, dass die Einnahmen aus dem Shop (welchen ich betreuen werde) fast ausschließlich in den Naturschutz der Insel fließen: ich hoffe, dazu in einem späteren Blogbeitrag mehr berichten zu können.
Südgeorgien ist ein Tierparadies der Sonderlative. Es gibt hier vier Albatross-Arten und eine Menge Robben (vor allem See-Elefanten und Antarktische Seebären). Dazu kommen fünf Millionen Goldschopfpinguine, drei andere Pinguinarten - und dann auch noch schätzungsweise 400.000 Königspinguine.
Königspinguinkolonie in St. Andrews Bay |
Grytviken liegt in einer kleinen Bucht, in welche sich nur ein paar Tiere verirren. Ich gehe stark davon aus, dass ich kaum von dort fort kommen und die großen Tierkolonien im kommenden halben Jahr nicht zu Gesicht bekommen werde. Aber das ist ja auch gar nicht Sinn der Sache: mein Ziel ist es, das kleine Gebiet um Grytviken intensiv kennenzulernen. Dies sehe ich als riesiges Privileg an, weshalb sich meine Vorfreude kaum beschreiben lässt!
Heute abend geht es schon los: diese Zeilen schreibe ich bereits in Oxford, wohin ich gestern Abend innerhalb von 5 Stunden mit drei Zügen gereist bin. Heute abend treffe ich drei meiner Kollegen am RAF Flughafen Brize Norton (westlich von Oxford), und dann geht's mit einem Direktflug auf die Falklandinseln, und dann irgendwann später mit einem Fischerei-Schiff nach Grytviken.
Irgendwann Mitte Oktober sollte ich dort ankommen und bis März/April 2018 dort bleiben - wann genau es zurück gehen wird, werde ich wohl erst relativ spontan erfahren. Wie es um die Internetverbindung bestellt ist, weiß ich auch nicht: schlecht soll sie sein, und Facebook könne ich vergessen, wurde mir gesagt. Emails kann ich wohl empfangen, sofern sie keinen Anhang haben - aber ob ich überhaupt in der Lage sein werde, zu bloggen, wird sich auch erst vor Ort zeigen. Solltet ihr also im kommenden halben Jahr nicht von mir hören, ist dennoch alles in Ordnung: ich habe dann einfach nur keinen Zugang zu meinem Blog. Aber ich hoffe schwer, dass ich hier den ein oder anderen Beitrag schreiben kann, zur Not auch ohne Bilder!
Von daher verbleibe ich jetzt einfach mal mit fröhlichen Grüßen und stürze mich voller Freude auf in ein neues, exklusives Abenteuer.
Südgeorgien, ich komme !!!
Sonntag, 1. Oktober 2017
Island - zernarbte Wildnis
Dieser Blogbeitrag widmet sich einem leidigen Thema: Offroad-Fahren in Island. Schon im Jahr 2015 begann ich, die ersten Zeilen zu schreiben, aber erst
jetzt habe ich Zeit und Muße gefunden, tiefer zu recherchieren und meinen Frust aufs digitale Papier zu bringen.
Die vergangenen Jahre war ich mehrmals im Spätsommer / Herbst im isländischen Hochland unterwegs. So sehr ich mich auf jeden Islandbesuch freue, so sehr fürchte ich auch immer, was ich wohl diesmal wieder an negativen Dingen erleben und sehen werde. Ich weiß ja, wie enorm die Besucherzahlen gestiegen sind - und das bedeutet unweigerlich, dass auch die Probleme deutlicher sind, die von uns Menschen verursacht werden. Und eine der sichtbarsten und hässlichsten Auswirkungen menschlicher Anwesenheit im Hochland ist das sogenannte Offroad-Fahren.
Seit ich Island kenne, hält sich unter Touristen hartnäckig der Glaube, dass es völlig in Ordnung sei, dort mit motorisierten Vehikeln die Wege und Pisten zu verlassen. Dieser Irrglaube wird dadurch geschürt, dass es manchmal tatsächlich nicht verboten ist, im Winter beispielsweise. Und so sieht man ständig und so ziemlich überall Reifenspuren abseits der Wege. Es fängt damit an, dass es keine Parkplätze und Haltebuchten gibt, und man deswegen neben der Piste parkt. Oder, auch ganz klassisch, dass man einem anderen Fahrzeug ausweichen will, und dies einfach mit einem Schlenker neben der Fahrbahn tut. Offiziell ist das aber schon verboten: man darf den Weg nicht verlassen, Ende der Diskussion. Bei Gegenverkehr wird auf einer engen Piste von einem erwartet, dass man so lange zurückfährt, bis ein Passieren ohne Verlassen der Strecke möglich ist. Erstens ist das ziemlich unrealistisch, und zweitens macht das eh so gut wie niemand. Das Ergebnis sind völlig ausgefransten Hochlandwege, gesäumt von Spuren ausweichender oder parkender Fahrzeuge: und das wiederum ist meiner Meinung nach ein Grund, weshalb Menschen überhaupt auf die Idee kommen, absichtlich querfeldein zu fahren. Die Gründe fürs Offroadfahren sind so vielfältig, wie es Meinungen und Menschen gibt: manche mögen wirklich nicht wissen, dass es illegal ist, andere handeln aus dem Bauch heraus, und wieder anderen ist das ganze scheißegal, sie wollen einfach nur ihren Spaß haben. Und die Folgen sind dann über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg sichtbar.
Wie gesagt: Offroad fahren ist in Island streng verboten und wird hart bestraft. Bis zu 150.000 ISK kann so ein Spaß kosten, das sind beim momentanen Wechselkurs 1200 €. Aber: im Hochland sind Polizeistreifen, Ranger und Bergrettung nur spärlich vertreten; die Chance, dass man erwischt wird, ist klein. Und eben weil man überall Spuren sieht, lädt es zum Nachahmen ein. Ein echtes Trauerspiel.
Es wurde in den letzten Jahren auf dieses Problem reagiert: in Mietwagen wurden Aufkleber angebracht, offizielle Websiten sprechen das Verbot an, in Tankstellen hängen Plakate und an den Straßen stehen immer mehr Hinweisschilder. Aber allein die schiere Masse von Besuchern trägt dazu bei, dass das Problem des Offroad-Fahrens weiterhin zunimmt.
Wenn dann einmal diejenigen erwischt werden, die solch langanhaltende Narben in der Landschaft hinterlassen, dann kommt das meist gleich groß in den isländischen Medien. Da werden dann Sachen gesagt, wie: "Die Ausländer sind für die meisten Offroad-Spuren verantwortlich!". Und klar gibt es eine Menge Touristen, die teils aus purer Unwissenheit / Desinteresse machen, was sie wollen: ein berühmtes Beispiel ist der Wüstenfotograf Michael Martin, der mit seinem Motorrad munter von den Pisten abbog und der die Bilder erst aus seinem Vortrag herausnahm, als ich ihn deswegen ziemlich zornig hinterher zur Rede stellte.
Meine ganz persönliche Erfahrung ist es aber, dass viele Spuren auf die Konten von Isländern gehen.
Das Problem ist: echtes Offroad-Fahren, also das Verlassen der offiziellen Wege, ist im Winter erlaubt. Sobald die Erde gefroren oder schneebedeckt ist, fahren die Isländer mit ihren Superjeeps wo immer sie es wollen. Und gerade im Herbst und im Frühjahr führt das zur Bildung von Spuren: denn die Erde ist dann nie immer überall gefroren oder schneebedeckt. Klar, man sinkt dann nicht so tief ein, wie im Sommer, aber die Reifen rasieren trotzdem die oberste Bodenschicht ab. Auch wenn alle Isländer, die ich darauf ansprach, das Gegenteil behaupten: ich kann einfach nicht glauben, dass ein mehrere Tonnen schwerer Superjeep keine Spuren hinterlässt, wenn gerade einmal ein paar Zentimeter Schnee zwischen ihm und der Vegetation liegen und die Lufttemperaturen schon über dem Gefrierpunkt sind. Von meiner Zeit als Bauer weiß ich: wenn ein Traktor unter diesen Bedingungen auf ein Feld fährt, sieht man im Frühjahr Spuren, und zwar deutlich! Und wenn dann auch noch die Räder durchdrehen, was ständig passiert, sind die Chancen noch höher, Schaden anzurichten.
Ich glaube, ich habe selten eine Superjeepfahrt mitgemacht, auf der sich nicht mindestens ein Fahrzeug bis (fast) auf den Erdboden herunter gewühlt hatte, eine Achse brach oder das Auto gar in einem See oder Fluss versank. Kritische Kommentare, ob das ganze mit Hinblick auf bleibende Spuren bzw. generellen Naturschutz nicht vielleicht mit Skepsis zu betrachten sei, wurden in den meisten Fällen als lächerlich abgewunken: Quatsch, der Natur passiere nichts, der "Boden ist ja gefroren", und "das bisschen Öl / Diesel wird eh gleich ins Meer gespült".
Begründet wird der gigantische CO2-Ausstoß der Isländer durch den extrem hohen, konsumorientierten Lebensstandard: durch die vielen Importe, von denen die Insel abhängig ist, den häufigen Reisen (Flügen) ins Ausland, der Schwerindustrie und natürlich auch dem häufigen Gebrauch von überhaupt nicht kraftstoffsparenden Fahrzeugen. Sollten die oben erwähnten Zahlen stimmen, dann sind die Isländer Weltmeister im CO2-Ausstoß (pro Kopf), bzw. befinden sich in einer Liga mit den ölfördernden Nationen und Nordamerika. Und niemand weiß es bzw. will es wahrhaben.
Aber zurück zum Thema Offroad-fahren. Und hin zu einem weiteres Fortbewegungsmittel, über das ich bisher noch gar nicht gesprochen habe: Schneemobile. Es mag besonnene Schneemobilfahrer in Island geben, aber die habe ich noch nicht kennengelernt. Die meisten fahren, weil sie die Geschwindigkeit lieben und total gerne auf supersteilen Hängen ihre Schleifen drehen. Und wenn da mal ein bisschen schneefreies Land zu sehen ist, stellt das kein Hindernis dar - ist ja "gefrorene Erde"!
Man kann sich seine Realität wirklich wunderbar zurechtbiegen...
Ein weiteres Problem sind meiner Meinung nach die Schafabtriebe. In Island ist das meiste Land in Privatbesitz, oder zumindest haben irgendwelche Privatmenschen immer irgendwelche Rechte. Beispielsweise die Bauern, wenn sie ihre Schafe im Hochland zusammentreiben: also genau dort, wo die Vegetation aufgrund der viel kürzeren Wachstumsperiode am empfindlichsten ist. Früher geschah das mit Pferden (die auch ziemliche Erosion verursachen, aber auch da redet kaum einer drüber!), heute aber eigentlich hauptsächlich mit Quads und Jeeps. Und diese Fahrzeuge fahren wo immer es ihnen beliebt - völlig egal, ob sie Spuren hinterlassen oder nicht.
So sieht der moderne Schafabtrieb mittlerweile aus: statt zu Fuß oder auf dem Pferderücken unterwegs zu sein, kommen mehr und mehr Quads und Motorräder zum Einsatz, begleitet von einem Tross Jeeps. Auffällig viele junge Männer machen sich einen eindeutigen Spaß daraus, die Schafe zu treiben, mit Helmkameras und schnellen Geschwindigkeitsveränderungen. Die angrenzenden Bilder machte ich nördlich von Fjaðrárgljúfur: hier wurden die Schafe von 5 Quads, drei Motorrädern und einem Fußgänger getrieben. Drei Reiter waren auch dabei, aber ohne wirklich am Geschehen teilzuhaben, genau wie die Motorräder, die einfach nur hintendran querfeldein fuhren.
Noch gibt es Schafabtriebe, bei denen traditionell hauptsächlich zu Fuß und Pferd getrieben wird, aber das obige Bild ist kein Einzelfall. Es gibt natürlich überall jene, die sich vorbildlich benehmen und denen Offroad-Fahren zuwider ist: eine wachsende Mehrheit, will ich meinen, auch unter den eher traditionellen Bauern. Aber leider gibt es immer (noch) eine Menge schwarze Schafe. Zumal das Thema gemeinschaftlich ignoriert wird: Offroadfahren im Zuge des Schafabtriebs wird von den meisten Isländern hingenommen. Ganz nach dem Motto: "Das war schon immer so, das ist doch kein Problem, bald wird es Winter, da sieht man die Spuren eh nicht mehr."
Nun, ich kann dem nicht zustimmen. Einige der Spuren verschwinden, andere aber nicht. Gerade im Herbst, wenn die Spuren überall deutlich zu sehen sind, sind Jahr für Jahr mehr Reisende im Hochland unterwegs - die von den frischen Tracks verlockt werden, zu schauen, wohin dieser "Weg" wohl führen mag. So kann ganz schnell ein deutlicher Pfad entstehen, der von den legalen Wegen kaum zu unterscheiden ist, besonders, wenn man sich als Ausländer eh nicht so gut in Island auskennt. Genau dies fotografierte ich auf folgendem Bild, als ein (Klischee lässt grüßen) übergewichtiger Irgendwer auf den Hügel fuhr, dort mit laufendem Motor 10 Minuten stand und mit seinem Handy Fotos von der schönen Aussicht machte - alles komplett Offroad. Und leider viel zu weit von mir entfernt, um irgendetwas tun zu können.
Und dann sind da noch jene Isländer unterwegs, die mit ihren Quads oder Motorrädern ganz gezielt ins Hochland reisen, um dort offroad spaß zu haben. Sie wissen ganz genau, dass es verboten ist, aber es scheint ihnen herzlich egal zu sein: erstens sind die "echten" Schaftreiber ja auch im gleichen Gebiet offroad unterwegs, und zweitens werden sie eh nicht erwischt. Und all dies summiert sich: die Touristen, die Cross-Biker und Quad-Fahrer, die pro Region bis zu drei Schafabtriebe: also drei Wochenenden nacheinander, in denen meist mehrere Jeeps und Quads / Cross-Motorräder um jeden einzelnen Berg herumfahren. Sind Wege da, werden sie benutzt, aber halt auch nicht immer. Und ganz besonders nicht von der jungen Motor-Cross-Generation, die Spaß haben will. Und das halt leider oft außerhalb der offiziellen Pisten. Das Problem ist so alt wie der Motorsport selbst - aber es ändert sich halt auch nichts, wenn die Übeltäter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Wer leidet, das ist das Angesicht der isländischen Natur. Man kann von Glück reden, dass es sich hier "nur" um einen Schönheitsmakel handelt, um den zerstörten Schein einer heilen Welt. Vielleicht hasse ich diese Offroadspuren genau deshalb so, weil es unmissverständlich aufzeigt, wie es um die isländische Natur mittlerweile bestellt ist: Sie ist zernarbt von den jährlich steigenden Besucherzahlen und dem mangelnden Respekt vieler ihrer Einwohner. Und ob sich daran je etwas zum Besseren ändern wird, das weiß ich nicht.
Die vergangenen Jahre war ich mehrmals im Spätsommer / Herbst im isländischen Hochland unterwegs. So sehr ich mich auf jeden Islandbesuch freue, so sehr fürchte ich auch immer, was ich wohl diesmal wieder an negativen Dingen erleben und sehen werde. Ich weiß ja, wie enorm die Besucherzahlen gestiegen sind - und das bedeutet unweigerlich, dass auch die Probleme deutlicher sind, die von uns Menschen verursacht werden. Und eine der sichtbarsten und hässlichsten Auswirkungen menschlicher Anwesenheit im Hochland ist das sogenannte Offroad-Fahren.
Seit ich Island kenne, hält sich unter Touristen hartnäckig der Glaube, dass es völlig in Ordnung sei, dort mit motorisierten Vehikeln die Wege und Pisten zu verlassen. Dieser Irrglaube wird dadurch geschürt, dass es manchmal tatsächlich nicht verboten ist, im Winter beispielsweise. Und so sieht man ständig und so ziemlich überall Reifenspuren abseits der Wege. Es fängt damit an, dass es keine Parkplätze und Haltebuchten gibt, und man deswegen neben der Piste parkt. Oder, auch ganz klassisch, dass man einem anderen Fahrzeug ausweichen will, und dies einfach mit einem Schlenker neben der Fahrbahn tut. Offiziell ist das aber schon verboten: man darf den Weg nicht verlassen, Ende der Diskussion. Bei Gegenverkehr wird auf einer engen Piste von einem erwartet, dass man so lange zurückfährt, bis ein Passieren ohne Verlassen der Strecke möglich ist. Erstens ist das ziemlich unrealistisch, und zweitens macht das eh so gut wie niemand. Das Ergebnis sind völlig ausgefransten Hochlandwege, gesäumt von Spuren ausweichender oder parkender Fahrzeuge: und das wiederum ist meiner Meinung nach ein Grund, weshalb Menschen überhaupt auf die Idee kommen, absichtlich querfeldein zu fahren. Die Gründe fürs Offroadfahren sind so vielfältig, wie es Meinungen und Menschen gibt: manche mögen wirklich nicht wissen, dass es illegal ist, andere handeln aus dem Bauch heraus, und wieder anderen ist das ganze scheißegal, sie wollen einfach nur ihren Spaß haben. Und die Folgen sind dann über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg sichtbar.
Bild: Landsvirkjun, Quelle: www.mbl.is |
Es wurde in den letzten Jahren auf dieses Problem reagiert: in Mietwagen wurden Aufkleber angebracht, offizielle Websiten sprechen das Verbot an, in Tankstellen hängen Plakate und an den Straßen stehen immer mehr Hinweisschilder. Aber allein die schiere Masse von Besuchern trägt dazu bei, dass das Problem des Offroad-Fahrens weiterhin zunimmt.
Bild: Umhverfisstofnun, Quelle: www.dv.is |
Wenn dann einmal diejenigen erwischt werden, die solch langanhaltende Narben in der Landschaft hinterlassen, dann kommt das meist gleich groß in den isländischen Medien. Da werden dann Sachen gesagt, wie: "Die Ausländer sind für die meisten Offroad-Spuren verantwortlich!". Und klar gibt es eine Menge Touristen, die teils aus purer Unwissenheit / Desinteresse machen, was sie wollen: ein berühmtes Beispiel ist der Wüstenfotograf Michael Martin, der mit seinem Motorrad munter von den Pisten abbog und der die Bilder erst aus seinem Vortrag herausnahm, als ich ihn deswegen ziemlich zornig hinterher zur Rede stellte.
Meine ganz persönliche Erfahrung ist es aber, dass viele Spuren auf die Konten von Isländern gehen.
Das Problem ist: echtes Offroad-Fahren, also das Verlassen der offiziellen Wege, ist im Winter erlaubt. Sobald die Erde gefroren oder schneebedeckt ist, fahren die Isländer mit ihren Superjeeps wo immer sie es wollen. Und gerade im Herbst und im Frühjahr führt das zur Bildung von Spuren: denn die Erde ist dann nie immer überall gefroren oder schneebedeckt. Klar, man sinkt dann nicht so tief ein, wie im Sommer, aber die Reifen rasieren trotzdem die oberste Bodenschicht ab. Auch wenn alle Isländer, die ich darauf ansprach, das Gegenteil behaupten: ich kann einfach nicht glauben, dass ein mehrere Tonnen schwerer Superjeep keine Spuren hinterlässt, wenn gerade einmal ein paar Zentimeter Schnee zwischen ihm und der Vegetation liegen und die Lufttemperaturen schon über dem Gefrierpunkt sind. Von meiner Zeit als Bauer weiß ich: wenn ein Traktor unter diesen Bedingungen auf ein Feld fährt, sieht man im Frühjahr Spuren, und zwar deutlich! Und wenn dann auch noch die Räder durchdrehen, was ständig passiert, sind die Chancen noch höher, Schaden anzurichten.
Ich glaube, ich habe selten eine Superjeepfahrt mitgemacht, auf der sich nicht mindestens ein Fahrzeug bis (fast) auf den Erdboden herunter gewühlt hatte, eine Achse brach oder das Auto gar in einem See oder Fluss versank. Kritische Kommentare, ob das ganze mit Hinblick auf bleibende Spuren bzw. generellen Naturschutz nicht vielleicht mit Skepsis zu betrachten sei, wurden in den meisten Fällen als lächerlich abgewunken: Quatsch, der Natur passiere nichts, der "Boden ist ja gefroren", und "das bisschen Öl / Diesel wird eh gleich ins Meer gespült".
Und über den Treibstoffverbrauch dieser Monster wird teilweise regelrecht geprahlt: 20 Liter auf 100 Kilometer sind der Durchschnitt, und alles darunter oder darüber ist ein Gesprächsthema wert, das aber eines niemals beinhaltet: die Verbindung zwischen dem durch die Fahrt generierten CO2-Ausstoß und dem Klimawandel. Die Isländer sonnen sich in ihrem völlig ungerechtfertigtem Ruf als "grüne Nation", denn sie wissen teils selbst nicht, dass sie zur Weltspitze gehören, was den CO2- Ausstoß pro-Kopf angeht. Ich habe versucht, das Thema zu recherchieren: es gibt kaum Daten, aber was ich gefunden habe, hat mich sprachlos werden lassen. 14 Tonnen CO2 produziert der Durchschnitts-Isländer pro Jahr, was einen ökologischen Fußabdruck von unglaublichen 12.7 ha/Person gleichkommt. Zur Erinnerung: Zwei Tonnen pro Person und Jahr gelten als langfristige Schmerzgrenze, damit die Welt nicht aus den Angeln kracht.
Begründet wird der gigantische CO2-Ausstoß der Isländer durch den extrem hohen, konsumorientierten Lebensstandard: durch die vielen Importe, von denen die Insel abhängig ist, den häufigen Reisen (Flügen) ins Ausland, der Schwerindustrie und natürlich auch dem häufigen Gebrauch von überhaupt nicht kraftstoffsparenden Fahrzeugen. Sollten die oben erwähnten Zahlen stimmen, dann sind die Isländer Weltmeister im CO2-Ausstoß (pro Kopf), bzw. befinden sich in einer Liga mit den ölfördernden Nationen und Nordamerika. Und niemand weiß es bzw. will es wahrhaben.
Das Aluminiumwerk im Reyðarfjörður. Laut alter Informationen werden hier pro verarbeiteter Tonne Aluminium 1,86 Tonnen CO2 ausgestoßen |
Man kann sich seine Realität wirklich wunderbar zurechtbiegen...
Ein weiteres Problem sind meiner Meinung nach die Schafabtriebe. In Island ist das meiste Land in Privatbesitz, oder zumindest haben irgendwelche Privatmenschen immer irgendwelche Rechte. Beispielsweise die Bauern, wenn sie ihre Schafe im Hochland zusammentreiben: also genau dort, wo die Vegetation aufgrund der viel kürzeren Wachstumsperiode am empfindlichsten ist. Früher geschah das mit Pferden (die auch ziemliche Erosion verursachen, aber auch da redet kaum einer drüber!), heute aber eigentlich hauptsächlich mit Quads und Jeeps. Und diese Fahrzeuge fahren wo immer es ihnen beliebt - völlig egal, ob sie Spuren hinterlassen oder nicht.
So sieht der moderne Schafabtrieb mittlerweile aus: statt zu Fuß oder auf dem Pferderücken unterwegs zu sein, kommen mehr und mehr Quads und Motorräder zum Einsatz, begleitet von einem Tross Jeeps. Auffällig viele junge Männer machen sich einen eindeutigen Spaß daraus, die Schafe zu treiben, mit Helmkameras und schnellen Geschwindigkeitsveränderungen. Die angrenzenden Bilder machte ich nördlich von Fjaðrárgljúfur: hier wurden die Schafe von 5 Quads, drei Motorrädern und einem Fußgänger getrieben. Drei Reiter waren auch dabei, aber ohne wirklich am Geschehen teilzuhaben, genau wie die Motorräder, die einfach nur hintendran querfeldein fuhren.
Noch gibt es Schafabtriebe, bei denen traditionell hauptsächlich zu Fuß und Pferd getrieben wird, aber das obige Bild ist kein Einzelfall. Es gibt natürlich überall jene, die sich vorbildlich benehmen und denen Offroad-Fahren zuwider ist: eine wachsende Mehrheit, will ich meinen, auch unter den eher traditionellen Bauern. Aber leider gibt es immer (noch) eine Menge schwarze Schafe. Zumal das Thema gemeinschaftlich ignoriert wird: Offroadfahren im Zuge des Schafabtriebs wird von den meisten Isländern hingenommen. Ganz nach dem Motto: "Das war schon immer so, das ist doch kein Problem, bald wird es Winter, da sieht man die Spuren eh nicht mehr."
Nun, ich kann dem nicht zustimmen. Einige der Spuren verschwinden, andere aber nicht. Gerade im Herbst, wenn die Spuren überall deutlich zu sehen sind, sind Jahr für Jahr mehr Reisende im Hochland unterwegs - die von den frischen Tracks verlockt werden, zu schauen, wohin dieser "Weg" wohl führen mag. So kann ganz schnell ein deutlicher Pfad entstehen, der von den legalen Wegen kaum zu unterscheiden ist, besonders, wenn man sich als Ausländer eh nicht so gut in Island auskennt. Genau dies fotografierte ich auf folgendem Bild, als ein (Klischee lässt grüßen) übergewichtiger Irgendwer auf den Hügel fuhr, dort mit laufendem Motor 10 Minuten stand und mit seinem Handy Fotos von der schönen Aussicht machte - alles komplett Offroad. Und leider viel zu weit von mir entfernt, um irgendetwas tun zu können.
Und dann sind da noch jene Isländer unterwegs, die mit ihren Quads oder Motorrädern ganz gezielt ins Hochland reisen, um dort offroad spaß zu haben. Sie wissen ganz genau, dass es verboten ist, aber es scheint ihnen herzlich egal zu sein: erstens sind die "echten" Schaftreiber ja auch im gleichen Gebiet offroad unterwegs, und zweitens werden sie eh nicht erwischt. Und all dies summiert sich: die Touristen, die Cross-Biker und Quad-Fahrer, die pro Region bis zu drei Schafabtriebe: also drei Wochenenden nacheinander, in denen meist mehrere Jeeps und Quads / Cross-Motorräder um jeden einzelnen Berg herumfahren. Sind Wege da, werden sie benutzt, aber halt auch nicht immer. Und ganz besonders nicht von der jungen Motor-Cross-Generation, die Spaß haben will. Und das halt leider oft außerhalb der offiziellen Pisten. Das Problem ist so alt wie der Motorsport selbst - aber es ändert sich halt auch nichts, wenn die Übeltäter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Bild: Gunnar Árnason, Quelle: www.dv.is |
Bild: Lögreglan, Quelle: www.visir.is |
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