Seit 2013 versuche ich, jedes Jahr eine mehrtägige Skitour in Island zu unternehmen. Dieses Jahr war mir aber nicht klar, ob mir das gelingen würde, denn ich bin ja erst ziemlich spät hier angekommen. Und ob im April noch genügend Schnee für ein solches
Unterfangen liegt, hängt vom vorhergehenden Winter ab - das ist
wirklich jedes Jahr total unterschiedlich.
Dieses Jahr war die Schneelage im Nordosten
Islands auch im Frühjahr noch so gut, dass ich eine Gegend besuchen
konnte, die ich schon länger im Visier hatte: die Ecke bei Dettifoss
und Þeistareykir nördlich
des Mývatn. Die Landschaft ist hier extrem abwechslungsreich
und fotografisch sehr interessant, zudem ziemlich leicht zu
erreichen und dennoch ab vom Schuss. Also perfekt für eine kleine
Tour, die nur darauf ausgerichtet war, mal ein paar Tage lang die
Seele baumeln zu lassen...Und so ging es am 10. April dann endlich los. Olaf, der auf dem Weg zurück zur Fähre in Seyðisfjörður war, setzte mich und meinen Pulka am Dettifoss ab - bei herrlichem Sonnenschein und hervorragender Wettervorhersage für die Region. Ich konnte es gar nicht erwarten, endlich loszustarten!
Ein festes Ziel hatte
ich keines, ebensowenig wie einen festgenagelten Plan. Ich wollte die Gegend erkunden, dabei definitiv Gjástykki und
Þeistareykir besuchen, und als Endpunkt entweder Húsavík oder Mývatn anpeilen. Die Entfernungen waren dabei sehr überschaulich: die gesamte Tour (egal welches Ziel) lag bei um die 60 Kilometer. Auf Ski ist das in drei Tagen gut zu schaffen - ich aber hatte Proviant für 7 Tage dabei. Also alles easy! Zudem ist man hier oben
relativ nahe an der Zivilisation: es gibt überall Telefondeckung, und ich wäre jederzeit in der Lage gewesen,
innerhalb eines (sehr langen) Tagesmarsches zu einer Straße oder gar
Siedlung zu gelangen.
Aber erst einmal wollte ich meine Ruhe haben: keine Touristen, auch keine Isländer, einfach nur mal alleine sein und die Stille und Natur genießen. Rekorde können gerne andere aufstellen: ich wollte einfach nur den Moment leben und den normalen Alltag gänzlich hinter mir lassen.
Aber erst einmal wollte ich meine Ruhe haben: keine Touristen, auch keine Isländer, einfach nur mal alleine sein und die Stille und Natur genießen. Rekorde können gerne andere aufstellen: ich wollte einfach nur den Moment leben und den normalen Alltag gänzlich hinter mir lassen.
Die erste Nacht zeltete ich auf einem Hügel namens Grjóthals, von dem aus ich mir schöne Ausblicke und Bergpanoramen zu Sonnenuntergang und Sonnenaufgang erhoffte. Ich sollte nicht enttäuscht werden: nachts herrschte zwar Hochnebel (der am Zelt gefror...), abends und morgens aber eröffnete sich mir ein wahres Winterwunderland. Dass man nur ein paar Kilometer von der Ringstraße entfernt schon so ein Gefühl von Einsamkeit verspüren kann, ist einfach nur wunderbar!
Am nächsten Tag erkundete ich das Lavafeld des nördlichen Gjástykki. Ursprünglich hatte ich geplant, hier eine Nacht zu verbringen, aber da das Wetter so fantastisch und ich in Wanderlaune war, beschloss ich, nach Þeistareykir weiterzuziehen. Nach knapp 20 Kilometern kam ich dann auf dem Bóndhólsskarð an, einem niedrigen Pass, der direkt oberhalb des Tales liegt. Dort oben wollte ich zwei Nächte zelten, um von dort aus Wanderungen hinunter ins Tal zu unternehmen.
Þeistareykir ist eines der größten Hochtemperaturgebiete Islands - und wird leider seit neuestem "erschlossen". Sprich: es wird gerade zerstört. Obwohl ich das wusste, war ich geschockt, wie weit die Bauarbeiten in dem zuvor unberührten Tal schon fortgeschritten waren. Eine Teerstraße führt nun von Húsavík hierher und spaltet sich in ein Netz von Wegen auf, die zu den unterschiedlichen Bohrlöchern führen. Ein Kraftwerk ist im Bau, und etwa einen Kilometer davon entfernt befindet sich eine Containersiedlung, in der die Arbeiter leben.
Kräne, Bagger und schweres Gefährt waren überall unterwegs, schufen neue Wege, planierten die zuvor unberührte Natur und legten dicke Leitungen im Zickzack zu den weit verstreut liegenden Bohrlöchern. Meiner Meinung nach hat man hier in keiner Weise darauf geachtet, irgendwo auch nur das Gefühl von Wildnis zu erhalten: ziemlich überall sind Bohrlöcher, Röhren und neue Wege entstanden. Und wozu das Ganze? Damit in Húsavik ein neues Industriegebiet mit Strom versorgt werden kann.
Dort nämlich wird gerade die weltweit modernste Produktionsanlage für Siliziummetall errichtet: von einer deutschen Firma namens PCC aus Düsseldorf. Die brüsten sich damit, dass nur erneuerbare Energien verwendet werden. Ja toll - und dafür wurden dann auch die letzten unberührten Hochtemperaturgebiete Islands zerstört, die weltweit einzigartig sind. Komisch, diese Tatsache findet man nirgends auf deren Homepage. Warum nur...?
Dieses neue Großindustrieprojekt wird auch Islands Ausstoß von Treibhausgasen weiter erhöhen, denn für die Produktion von Siliziummetall muss Quarzit aus Polen eingeschifft werden, sowie Kohle (aus Russland, glaube ich) und Holzspäne, die dann bei der Metallproduktion verbrannt werden - und folglich als Treibhausgase in der Atmosphäre enden. Aber darüber spricht natürlich niemand: denn es ist ja alles immer nur ganz toll umweltfreundlich...
Im Tal von Þeistareykir
wird die Lobeshymne auf die Geothermie natürlich
auch gesungen. Wie überall in den zerstörten Gebieten, so hat
Landsvirkjun auch hier schon große Schilder aufgestellt, welche die
Nutzung der Erdwärme preisen und auflisten, was das
Energieunternehmen nicht schon Tolles für die Gegend geleistet hat.
Beispielsweise wurden einige Wanderwege
markiert (wow - welch eine unglaubliche Wohltat und Investition!) und
eine seltenst hässliche Scheune in direkter Nachbarschaft zur
netten kleinen Wanderhütte gebaut. Solch eine Farce...
Meinen Frust habe ich
heruntergeschluckt, so gut es ging - ich wusste ja, wie es um die Gegend bestellt
war. Ich wollte halt endlich einmal dort gewesen sein und es mit
eigenen Augen sehen - auch, um herauszufinden, was noch übrig
geblieben ist von der ehemaligen Schönheit.
Für mich als Fotografen war
schnell klar: es ist eine riesige Herausforderung geworden, Bilder zu machen, welche nicht
irgendeine Art von Infrastruktur erkennen lassen. Wenn man weiß, dass diese Gegend bis vor zwei Jahren noch komplett unberührt war, nur ein Jeeptrack hierher führte und eine kleine, nette Wanderhütte hier stand, dann kann es einem schon das Wasser in die Augen treiben.
Ich habe daher versucht, die veränderten Umstände als Herausforderung anzusehen, um trotz allem besondere Fotos entstehen zu lassen. Dank eines tollen, farbenfrohen Sonnenuntergangs ist mir das dann auch ansatzweise gelungen...
Ich habe daher versucht, die veränderten Umstände als Herausforderung anzusehen, um trotz allem besondere Fotos entstehen zu lassen. Dank eines tollen, farbenfrohen Sonnenuntergangs ist mir das dann auch ansatzweise gelungen...
In der Nacht vom 12. auf den 13. April sollte ich für die teils sehr frustrierenden Erlebnisse des Besuchs bei Þeistareykir doppelt und dreifach entschädigt werden. Ich war bis nach Sonnenuntergang unten bei den Solfataren geblieben und stieg in der Abenddämmerung auf den 150 Meter höheren Pass auf, an dem mein Zelt stand. Als der Nordhorizont noch gelb-rot glühte, man alles (auch alle Farben) noch wunderbar sehen konnte und maximal die fünf hellsten Sterne am Firmament sichtbar waren - da tauchten plötzlich sich bewegende Schlieren am Himmel auf.
Ich stutzte.
Waren das etwa Nordlichter?
Eineinhalb Stunden bevor ich sie eigentlich erwartete?
Ich traute meinen Augen nicht und suchte den Himmel noch einmal ab. Und tatsächlich: es waren die frühsten Nordlichter, die ich je gesehen hatte: stark leuchtend und schnell wandernd hoben sie sich erst sehr schwach, dann aber immer stärker vom hellblauen Himmel ab.
Was für eine Überraschung!
Ich stutzte.
Waren das etwa Nordlichter?
Eineinhalb Stunden bevor ich sie eigentlich erwartete?
Ich traute meinen Augen nicht und suchte den Himmel noch einmal ab. Und tatsächlich: es waren die frühsten Nordlichter, die ich je gesehen hatte: stark leuchtend und schnell wandernd hoben sie sich erst sehr schwach, dann aber immer stärker vom hellblauen Himmel ab.
Was für eine Überraschung!
Alle Pläne fürs Abendessen waren dahin: ich fotografierte in den folgenden Stunden, als gäbe es kein Morgen mehr. Diese Nordlichter waren die hellsten, die ich je gesehen hatte: fast ununterbrochen jagten sie über den Himmel, wie fröhliche Geisterkinder, die dort oben Fangen spielten. Erst nach Mitternacht wurden sie etwas schwächer und erlaubten mir, mich (hundemüde und hungrig wie ein Wolf) in mein Zelt zurückzuziehen. Was für ein unglaublicher Abend war das denn jetzt gewesen?!
Der nächste Tag stellte mich vor eine Entscheidung. Ursprünglich hatte ich angedacht, eventuell nach Húsavík zu wandern. Durch ein Gespräch mit zwei Schneemobilfahrern (Bauarbeiter aus Þeistareykir, von denen einer aus Húsavik kam) wusste ich auch, dass dort noch genügend Schnee lag. Jetzt hatte ich aber gesehen, dass die neue Teerstraße ziemlich genau dort verlief, wo ich auch langgegangen wäre - und neben einer Straße zu laufen, erscheint mir überhaupt nicht attraktiv. Außerdem sah ich genau dort auch noch eine Hochspannungsleitung, die mir jegliche Bilder in diese Richtung kaputt gemacht hätte: nein, nach Húsavík zog mich nicht mehr sonderlich viel. Statt dessen reizte mich eine 90-Grad Wende nach Süden: denn dort lag Leirhnjúkur, ein junges Lavafeld, das sehr fotogen war. Also nichts wie los in Richtung Mývatn!
Und so zog ich am vierten Tag bei strahlendem Sonnenschein und beinahe sommerliche Temperaturen los, gen Süden. Im T-Shirt ski zu fahren, ist für mich definitiv etwas Besonderes! Es wurde so dermaßen warm, dass der Schnee schmolz und mich kaum mehr vorankommen ließ. Meine Ski fanden keinen Halt mehr in der matschigen Schneesuppe, und die Felle halfen auch nur so lange, bis sie durchnässt waren und der Schnee an ihnen hängen blieb. Jetzt verstand ich, warum die Isländer Ski mit Schuppen besitzen: die hätten mir jetzt eher geholfen.
Meine Ski nämlich (die ich entweder wachse oder Felle benutze) sind für trockenen, kalten Schnee ideal, wie eben auf Svalbard, wofür ich sie mir ja kaufte. In Plustemperaturen war ich bisher noch nicht unterwegs gewesen - das war ein wirklich lehrreicher Nachmittag, muss ich sagen! :-)
Zur weiteren Frustvermeidung suchte ich mir nach nicht einmal 13 Kilometern einen netten Zeltplatz irgendwo im Nirgendwo - und schlief gut in der folgenden Nacht. Es gab da zwar auch Nordlichter, aber nicht mehr so intensive, und außerdem zogen Wolken auf.
Der nächste Morgen empfing mich mit Whiteout-ähnlichen, sehr tiefliegenden Wolken, die sich aber bald hoben und mir für den Rest des Tages herrlich silbrige Lichtstimmungen bescherten. Auch das liebe ich am Winter: diese farblosen Anblicke voll feiner Helligkeitsabstufungen. Manchmal scheint es, als sei die gesamte Landschaft versilbert - es ist magisch!
Das Wetter war auf dieser Tour unglaublich gut - ehrlich gesagt konnte ich das gar nicht glauben... Tagsüber herrschten Temperaturen von 0-10°C, im windstillen Sonnenschein sicherlich manchmal noch mehr. Nachts wurde es glaube ich kaum kälter als -12°C - es war sooo angenehm! Zudem sah ich die Sonne täglich zumindest für ein paar Stunden: es gab kein schlechtes Wetter, keinen starken Wind, keinen Sturm und so gut wie keinen Niederschlag. Und das sieben Tage am Stück - in Island grenzt das an ein Wunder!
Dem ständig angenehmen Wetter ist es dann auch zu verdanken, dass ich meine Tour in geradezu lächerlich kleine Etappen stückelte. Ich ging nach Lust und Laune, blieb je zweimal am gleichen Ort und baute an den anderen Tagen das Zelt spät ab und früh wieder auf - um dann meistens am Abend bis weit in die Nacht mit der
Kamera loszuziehen. Auch am fünften Tag der Tour zog ich den Pulka nur am Vormittag, denn nach nur wenigen Kilometern war ich schon an meinem letzten Hauptziel angekommen: Leirhnjúkur.
Leirhnjúkur ist eine Reihe von Kratern, die den berühmten Kröflueldar entstammen, den Krafla-Feuern. Hier gab es Mitte bis Ende der Siebzieger Jahre mehrere Ausbrüche. Die Lava direkt bei Leirhnjúkur ist noch so warm, dass es überall dampft: es ist ein toller Ort, richtig unwirklich und urzeitlich.
Am siebten Tag machte ich mich dann auf den Weg zurück in die Zivilisation. Es kündigte sich ein Wetterwechsel an, das Essen wurde knapp und ich hatte eigentlich alles gesehen, was ich mir so vorgenommen hatte. Zumal ich nun endlich den letzten Tag hinter mich bringen wollte: dieser nämlich hatte mir von Anfang an Sorgen bereitet. Ich hatte mich bisher auf 400-500 Meter Höhe befunden und verlor an jenem letzten Tag 150 Höhenmeter. Die Schneelage unten am Mývatn ist oft nicht gut - und so spät im Jahr war sie kritisch, das wusste ich. Von daher fürchtete ich, dass mir mehrere Kilometer vor dem Ziel der Schnee ausgehen würde - ganz besonders, weil es in den vergangenen Tagen so verflixt warm gewesen war.
Der Ausblick zur Mittagszeit bestätigte meine Befürchtungen. Noch war alles gut zu handhaben, ich lief halt immer im Zickzack um die Lavabrocken herum: aber etwa drei Kilometer vor der Ortschaft wurde Schnee dann wirklich zur Mangelware. Ich war heilfroh, dass ich direkt am Berg Hliðarfjall frische Skispuren fand, wahrscheinlich vom Vortag. Denen folgte ich, was mir einiges an Sucherei ersparte. Aber ganz zum Schluss blieb mir dann keine andere Wahl mehr: ich musste den Schlitten über schneeloses Gelände ziehen. Zum Glück fand ich einen "Kanal" aus Heideland: die Kufen meines Schlittens über scharfe Lavasteine und Sand zu ziehen, hätte ich wohl nicht über's Herz gebracht. Mein armer Pulka! Ich brauche echt bald mal Räder für das Ding...
Zum Glück hatte ich den Schneemangel erwartet und die einzig richtige Route gewählt. Durch das kleine Tal Krossdalur kam ich mitten in die Ortschaft Reykjahlíð hinein. Am Ortsrand türmten sich noch die Überreste alter Schneewehen, auf denen ich den Pulka fast bis zur Bushaltestelle ziehen konnte. Glück gehabt!
Und toll war auch, dass ich dann noch den letzten Bus erwischte, bevor ein Schneesturm das gesamte öffentliche Verkehrnetz der Region lahmlegte und mich für zwei Tage in Akureyri festsetzte... Aber das ist eine andere Geschichte! ;-)
Ja, und so schnell waren sie herum, 7 Tage im sonnigen Nordisland. Es war eine herrliche Tour, geprägt von einem erholsamen Mix aus Einsamkeit, Sport, Entspannung und Fotografie. Besonders diese absolut außergewöhnliche Nordlichtnacht bei Þeistareykir wird mir lange in Erinnerung bleiben!
Ich will hier zum Schluss einen Refrain der Wise Guys zitieren, den ich (leicht umgeändert) in jener Nacht bis zum Umwinken gesummt und gesungen habe - weil es so super gut passte!
Das ist der Hammer!
Völlig ohne Worte.
'Ne Nacht von jener Sorte,
die man kaum erfassen kann.
Völlig ohne Worte.
'Ne Nacht von jener Sorte,
die man kaum erfassen kann.
Das ist der Hammer.
Das ist für die Ewigkeit.
Sorgen, Ängste, Katzenjammer
sind weit weg. Unendlich weit.
Das ist der Hammer!