Dienstag, 10. März 2015

Island - von Stürmen und Höhlen

Der Winter in Island ist dieses Jahr extrem stürmisch. Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen trifft die Insel mit voller Wucht, und das mehrmals die Woche. Dass es hier stürmen kann, das ist nichts Neues, aber dass so viele Orkane so dicht aufeinander folgen, ist nicht normal. Es sind meiner Meinung nach eindeutig Auswirkungen des Klimawandels: und zwar solche, mit denen die Isländer nicht gerechnet haben. Denn die Neowikinger stehen dem Klimawandel bisher eher neutral gegenüber. Sie wissen, dass der Rest der Welt schon jetzt unter den negativen Auswirkungen leidet, aber hier auf Island, da erwartet man viele positive Veränderungen. Mit den steigenden Temperaturen wird Island grüner werden, die Landwirtschaft wird viel mehr Pflanzen anbauen können, und außerdem wird die Insel eine strategisch wichtige Position für Aktivitäten am Nordpol einnehmen und wirtschaftlich stark davon profitieren. Dass die Stürme immer extremer werden und immer häufiger, davon hat bisher kaum jemand gesprochen.



Dieser Winter aber zeigt, wie unangenehm kalt die Zukunft im Klimawandel werden kann, selbst für eine moderne Nation wie Island. Ständig sind wichtige Straßen geschlossen, stecken Autos fest und bleiben die Inlandsflüge am Boden. Das öffentliche Leben geht allerdings immer irgendwie weiter, denn die Isländer sind einiges gewöhnt, was Winterstürme angeht. Sie fahren beispielsweise auch dann noch zu Bekannten, auf Sportturniere oder zu Konfirmationsfeiern, wenn wir Deutschen schon lange kein Auto mehr anrühren würden...

Die Konsequenz daraus ist allerdings, dass sie dann auch wirklich stecken bleiben, wenn auf den Pässen zu viel Schnee liegt. Dann hilft man sich erst gegenseitig, und wenn das nichts bringt, ruft man die Bergrettung. Dies geschieht momentan andauernd: die Freiwilligen der Bergrettung sind nahe am Burnout. Ständig müssen sie Straßen sperren, Autos aus dem Schnee befreien und aus Gräben ziehen - und einen Touristen nach dem anderen retten (öhömm...).
Zwei Tage, nachdem ich zurück nach Reykjavík gebracht worden war, gab es zwei Großeinsätze an einem Tag. Drei Franzosen mussten im Norden bei Urðarvötn gerettet werden und auch zwei Deutschen flog das Zelt weg, die den Strútsstígur gehen wollten. Trotz wissentlich schlechter Wettervorhersage hatten sie keinen Schutz in Hütten gesucht und infolgedessen Zelt und Ausrüstung verloren. Über diese Leute berichteten die Medien hinterher allerdings gar nichts. Das war wohl zu normal...



Eine Woche später (also vor zwei und fünf Tagen) rettete die Bergrettung dieselben Leute zweimal. Drei Finnen hatten sich zu einer Querung des Vatnajökull aufgemacht, was meiner Meinung nach schon bescheuert genug ist um diese Jahreszeit. Sowas macht man im Mai, wenn die Tage lang und das Wetter gut sind - aber doch nicht jetzt, in der Sturmsaison schlechthin! Aber das ist ein Satz, den ich mir selber auch anhören musste...
Na ja, die drei waren jedenfalls unterwegs, als einer von ihnen krank wurde. Sie riefen die Bergrettung, um den Kranken abholen zu lassen, und diese wollte auch die anderen beiden mitnehmen, weil ein weiterer Sturm nahte. Aber die weigerten sich und setzten ihre Reise fort: um drei Tage später ein echtes Notsignal zu senden. Der Sturm hatte ihnen Zelt und Ausrüstung genommen, nun mussten sie wirklich gerettet werden: bei schlechtem Wetter und unter Zeitdruck. Ob sie sich eine Schneehöhle gebaut haben, so wie wir seinerzeit mehrmals im "Arctic Nature Guide"-Studium, das weiß ich allerdings nicht...



Bei all dem Mistwetter war mir klar, dass ich diesen Monat nicht noch einmal auf Skiern ins Hochland aufbrechen wollte. Raus in die Natur zog es mich allerdings schon! Also entschied ich mich dazu, am Vatnajökull Eishöhlen zu (be)suchen: ich schnappte mir meine gesamte Eiskletterausrüstung, eine abgespeckte Winter-Zeltausrüstung und meinen Monowalker-Wanderanhänger und machte mich auf den Weg zu einer Wochenendtour. Es ist nicht nur die Schönheit der isländischen Gletscher, die mich reizt, sondern auch dieser Prozess des Entdeckens: nicht zu wissen, was man erleben wird, wenn man sich dem Gletscher nähert oder um die nächste Möräne herumläuft. Ich fühle mich jedes Mal, wie ein Kind bei Weihnachten, wenn ich auf allen Vieren in kleine, dunkle Löcher hinein krieche, die sich dann eben manchmal als türkisfarbene Eishöhlen entpuppen.



Ich denke, dass allen klar ist, dass solche Aktivitäten ein gewisses Grundrisiko bergen. Ich habe gelernt, die vorherrschenden Gefahren einzuschätzen und bin mir der Risiken sehr bewusst, die mir begegnen können. Die Gletscher Islands sind zwar wunderschön, aber auch hochgradig instabil: das Eis auf Island ist sehr warm, es fließt ziemlich schnell und befindet sich deswegen in ständiger Veränderung. Ein kleiner Temperaturumschwung und die ganze Höhle stürzt ein... Immer wieder sterben Menschen in und an isländischen Gletschern! Wer solche Höhlen sehen möchte, der soll sich daher ortskundige Guides nehmen, die wissen, wann man welchen Eispalast sicher betreten kann.



Die Faszination des Eises die ist für mich aber ungebrochen: seit meiner Ausbildung zum "Arctic Nature Guide" auf Svalbard, bei der wir ja einen Gletscherkurs absolvierten und in unserer Freizeit in und an Gletschern herumkletterten, suche ich jeden Winter ein bis zwei Tage lang nach Eishöhlen. Diese Freude des Entdeckens, die sich immer ändernde Schönheit des türkisfarbenen Eises: das ist etwas ganz Besonderes, das mich immer wieder begeistert.





In Island gibt es aber nicht nur Höhlen im Eis, sondern auch in den vielen Lavafeldern. Sie sind viel schwieriger zu finden, dafür aber nicht einsturzgefährdet und bestehen meist aus scharfkantiger, grober Lava. Krabbeln ist darin unmöglich, es sei denn, man ist extrem gut gepolstert... Ich habe deswegen bisher nur einige wenige betreten: meist große Höhlen, in denen man stehen und gehen kann. Sie leuchten natürlich nicht so mystisch, wie die durchscheinenden Eishöhlen, aber sie sind nicht minder faszinierend!



Diese Lavahöhlen können von innen sehr farbig sein, also leuchtend gelb, orange und rot - man muss sie nur beleuchten. In einer der bekanntesten, der Raufarhólshellir, war ich dank meiner Freundin Arianne, die mit ihren Kindern, Freunden und mir einen Besuch dorthin organisiert hat. Mit Helmen und Kopflampen sind wir in die von Schneewehen verdeckte Höhle eingestiegen. Es eröffnete sich eine Wunderwelt aus farbiger Lava und Eis-Stalaktmiten, die uns alle verzaubert und begeistert hat.

Mit diesen Bildern verabschiede ich mich für's Erste aus Island. In den nächsten Wochen warten Deutschland und die Schweiz auf mich mit weiteren Aufführungen der "Inseln des Nordens". Ich freue mich darauf - genau wie auf die darauffolgenden Monate in Skandinavien und Svalbard. Mehr darüber im nächsten Eintrag - wann auch immer der sein wird... ;-)

Liebe Grüße - und bis dahin!
Kerstin

Samstag, 7. März 2015

Hvanngil - die Rettung und ihre Folgen

Montag der 23. Februar war frisch angebrochen, der siebte Tag meiner Skiwanderung. Ich hatte gerade die dritte Nacht in Hvanngil verbracht, in der Sicherheit der sturmumtosten Hütte. Der Wind hatte etwas nachgelassen, dennoch habe ich sehr unruhig geschlafen. Würde ich heute wie erhofft weiterziehen können, oder würde ich einen weiteren Tag in der Hütte ausharren müssen? Wie umständlich würde sich die Querung der Bláfjallakvísl gestalten? Würde ich auf dem Weg nach Emstrur endlich wieder ein Telefonnetz finden, um ein kleines Lebenszeichen per SMS verschicken zu können? Fragen über Fragen und eine gewisse Unruhe quälten mich, die mich nicht einschlafen ließ und die ich mir nicht wirklich erklären konnte.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf wachte ich um ziemlich genau 5 Uhr Morgens erschrocken auf. Mein Schlafzimmer war hell erleuchtet und rot-blau gekleidete Gestalten mit grellen Kopflampen stapften in die kalte Hütte.
"Kerstin?" fragten sie, "Bist du Kerstin?"
Ich war völlig verwirrt. Träumte ich? War wirklich jemand mitten in der Nacht bei dem Wetter nach Hvanngil gereist? Und wieso kannten die meinen Namen - und trugen die rot-blaue Kleidung der isländischen Bergrettung? Und als ich mir diese Frage stellte, wusste ich schon Bescheid.
Verdammt, die waren wegen mir hier!


Die sechs Männer, die im Halbkreis um mich herumstanden, waren in der Tat Mitglieder der Bergrettung - und sie waren wirklich nur wegen mir angereist. Eine große Suche sei schon am Samstag Abend gestartet worden, sagten sie mir: weil mein SPOT ab Freitag Mittag nicht mehr gesendet habe. Sie dachten, ich wäre in die Bláfjallakvísl gefallen oder hätte mich verletzt. Aufgrund des extremen Sturmes hatten sie sofort eine landesweite Rettungsaktion ausgerufen.



Diese Schocknachricht musste ich erst einmal verdauen. Während meine sechs "Retter" froh waren, dass sie mich lebendig gefunden hatten, tranken sie erstmal Kaffee und ruhten sich aus. Sie waren hundemüde, hatten die ganze Nacht damit verbracht, mit ihren zwei Schneekettenfahrzeugen gegen den Sturm anzukämpfen. 10 Stunden hatten sie für die Strecke gebraucht, die sie normalerweise in etwas über einer Stunde zurücklegen. Ursprünglich wären sie ein Fahrzeug mehr gewesen, aber das wäre kaputt gegangen. Drei andere Kettenfahrzeuge hätten versucht, über den Mýrdalsjökull nach Hvanngil zu kommen, hätten aber aufgeben müssen. Ein Team aus Jeeps war meinen Spuren von Skaftártúnga aus gefolgt, hatte aber auch umdrehen müssen. Und genau in dem Moment rief die Einsatzleitung alle anderen geplanten Einsatzkräfte zurück. Ein Team aus Schneemobilen hätte am Morgen starten sollen, genau wie auch der große Rettungshelikopter von Landsbjörg, der nach meinem Handysignal suchen sollte.


Ich setzte heißes Wasser für neuen Kaffee auf,
und währenddessen schauten wir uns mein SPOT an. Alles wirkte in bester Ordnung, es blinkte, tat wie immer. Warum hatte es die vergangenen Tage über nicht gesendet? Waren die Batterien leer, wurde gefragt? Ich verneinte, hatte beim Mælifell die Batterien gewechselt, nur um sicher zu sein. Ob ich aus dem Haus gesendet habe, mit einem Metalldach über mir, fragten sie. Auch das konnte ich verneinen - ich war ja nicht blöd! Natürlich hatte ich seitdem auch aus dem Freien Signale verschickt. Es war alles extrem seltsam - und mir total unangenehm.

Meine "Retter" waren guter Laune; ihnen schien die ganze Aktion trotz Müdigkeit großen Spaß zu machen. Ob ich mit zurückkommen wolle, fragten sie: ich verneinte. Ich wollte diese Tour gerne beenden, fragte lediglich nach der Wettervorhersage. Die war solala, sagten sie mir, heute okay, morgen ein weiterter Sturm. Wir überlegten, dass ich mich ja jetzt vom Handy melden und die Funkgeräte in den Hütten nutzen könne, um mein tägliches Lebenszeichen zu geben. Aber als wir das planten, meldete sich die Einsatzleitung aus Reykjavík: nichts da, ich solle mit in die Zivilisation kommen. Die Wetterprognose sei nicht gut, und überhaupt: sie wollten mich partout nicht im Hochland lassen. Die Retter hatten ein Recht darauf, einen Geretteten mitzubringen!

In dem Moment protestierte ich nicht. Verdammt, sie hatten eine riesige Suchaktion nach mir gestartet, leider völlig unnötig - klar, dass ich mich dem Wunsch der Einsatzleitung nicht widersetzte. Schnell packte ich meine Sachen zusammen, ließ die Männer aber noch etwas länger warten, denn: die Jungs hatten natürlich weder ihre Schuhe ausgezogen noch die Eingangstüre geschlossen. Die ganze Hütte war voller Schnee, und das konnte ich nicht so lassen! Ich putzte die Hütte so schnell ich konnte, schmiss bestimmt drei Eimer voll Schnee aus der Türe, verschloss den Eingang und versteckte den Schlüssel wieder. Und nachdem ich außen auch die Gasflasche wieder zugedreht hatte, konnte es losgehen.








Als wir starteten, war es noch gänzlich dunkel; im Laufe der Fahrt aber begann langsam die Dämmerung. Meine Ausrüstung hatten sie im hinteren Waggon der ersten Raupe verstaut, ich saß im Fahr-Abteil der zweiten Raupe. Mit 20-40km/h rollten diese Ungetüme über den Schnee. Die von mir so gefürchtete Bláfjallakvísl war gar kein Problem: der Sturm hatte den am Samstag noch offen fließenden Fluss gänzlich geschlossen. Man sah nur eine Senke im Schnee; die tonnenschweren Kettenfahrzeuge rollten langsam drüber, brachen hinten kurz ein, aber das war offenbar gar kein Problem. Weiter ging es, an Mosar vorbei, querten den reißenden Fluss Markjarfljót über die enge Brücke, und dann ging es am Einhyrningur entlang ins breite Flussbett der Markarfljót.


Die letzten Kilometer vor Ankunft in der Fljótshlið waren reiner Eismatsch: die Raupen fuhren durch teils hüfttiefen Eisschlamm. Ich bin mir nicht sicher, wie ich dieses Stück zu Fuß bewältigt hätte. In ein paar Tagen (und nach dem nächsten Sturm) wäre es vielleicht kälter gewesen oder aber hätte mehr Schnee gelegen, sodass ich aufs steinige Ufer hätte ausweichen können. In dem Moment war es definitiv angenehmer, diesen Eismatsch im Fahrzeug zu durchqueren.

Kaum, dass wir auf einer richtige Straße angekommen waren, wurde umgeladen: zwei Lastwagen warteten auf die Schneeraupen und ein Kleinbus auf uns Insassen. Alles war perfekt durchorganisiert. In der Ortschaft Hella stand ein Gespräch mit einem sehr freundlichen Polizisten an, der mich bat, ihnen mein SPOT dazulassen, zur Untersuchung. Ein weiteres kurzes Interview mit einem Verantwortlichen der Bergrettung folgte. Ich bekam viel Lob zu hören: über die Informationen, die ich meiner Freundin Arianne aber auch online auf www.safetravel.is und der SPOT-Seite hinterlassen hatte, über meine Routenplanung, mein Verhalten, meine Ausrüstung. Mehr als einmal bekam ich zu hören, dass sie sich in Anbetracht der Situation und Suche relativ wenig Sorgen gemacht hatten, weil sie den Eindruck hatten, dass ich mir im Ernstfall sehr gut selber hätte helfen können. Dennoch retten die Isländer lieber schneller als zu spät, und waren in dem Falle sehr froh, dass alles einem scheinbar kaputten Gerät zu verschulden und nichts Ernsthaftes passiert war. Nichts desto trotz war mir das Ganze natürlich total unangenehm. So viele Menschen, so viel Einsatz von Maschinen und Treibstoff, und alles in meinem Namen. Genau das hatte ich doch durch das Mitnehmen dieses vermaledeiten SPOTs zu verhindern versucht!

Schnell ging es von Hella aus weiter. Meine "Retter" kamen aus Kópavogur und wollten entweder ins Bett oder zur Arbeit. Es arbeiten ja alle freiwillig bei der Bergrettung, das muss man sich immer wieder vor Augen halten! Für diese Jungs war der Anreiz, diese teuren Maschinen fahren zu dürfen ohne irgendetwas dafür zahlen zu müssen oder gar an die Benzinkosten zu denken. Die Einsätze der Bergrettung sind für die Geretteten komplett umsonst: von daher kamen glücklicherweise keine verpflichtenden Kosten auf mich zu. Die isländische Bergrettung finanziert sich (dank der vielen freiwilligen Helfer) komplett durch Spenden und den Verkauf von Feuerwerkskörpern. Klingt verrückt, aber funktioniert landesweit - zumindest noch. Die steigende Anzahl an Touristen und damit die zunehmende Frequenz der Einsätze bringt die Bergrettung langsam an ihr Limit. Aber das ist ein anderes Thema...

Sobald wir wieder in der Zivilisation waren, wurde mir eines klar: diese Rettung, die keine gewesen war, hatte landesweit für Aufsehen gesorgt. Die Medien rissen sich um ein Interview mit mir. Allein auf der zweistündigen Fahrt von Hella nach Reykjavík bekam ich sechs Interviewanfragen. Ich hätte sie sicherlich ablehnen können, aber erstens wollte ich, dass die Medien meine Geschichte erzählten und sich nichts aus den Fingern saugten. Zweitens wollte ich das Licht auf die eigentlichen Helden dieser Situation richten: die isländische Bergrettung. Ich finde es absolut unglaublich, dass so viele Leute jederzeit Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Fremde zu retten, und das in mehreren hundert Einsätzen jährlich. Der Fokus liegt hinterher aber immer auf den Geretteten, nie auf den Rettern. Dem wollte ich entgegenwirken. Also sagte ich zu und gab noch im Auto drei Interviews am Telefon - allerdings nicht, bevor ich mit meinen Eltern und meiner Freundin Arianne gesprochen hatte, die sich, wie so viele, große Sorgen um mich gemacht hatten. Und das, während ich eine fantastische Zeit in Hvanngil hatte - die ganze Situation war so traurig ironisch!

Bild: DV ehf / Sigtryggur Ari
Als ich dann am Hauptquartier der Bergrettung Kópavogur aus dem Bus kletterte, warteten die Journalisten da schon auf mich: zwei Fernsehkameras und drei Menschen mit Fotoapparaten hielten mich bestimmt eine Stunde lang in Schach. Meine Güte... Selbst, als ich dann am Mittag wieder bei meiner Freundin angekommen war, war der Medienspuk noch nicht vorbei: die staatliche Fernsehanstalt RUV kam auch vorgefahren, ungefähr eine Minute, nachdem ich gespottet hatte, dass mir jetzt nur noch das Staatsfernsehen fehlen würde...

Bild: Júlía Guðmundsdóttir Gähwiller
Am Abend und am darauffolgenden Morgen war ich in allen Nachrichten und Zeitungen des Landes zu sehen. Die Vermisste, die gar keine Hilfe brauchte. Die Gerettete, die gar nicht gerettet werden wollte. Spätestens ab dem Zeitpunkt kennt mich ganz Island - und das meine ich wirklich so. Ich bin in der vergangenen Woche von sechs Fremden angesprochen worden, die genau wussten, wer ich war. Aufmerksamkeit, die ich gerne vermieden hätte, auch wenn ich sehr positiv aus dem ganzen hervorgekommen bin.

Auch wenn ich natürlich wünsche, dass diese ganze Rettung nicht geschehen wäre, muss ich sagen, dass ich kein schlechtes Gewissen habe. Ich habe nichts falsch gemacht und in bestem Wissen gehandelt. Ich habe die ganze Zeit über nur richtige Entscheidungen getroffen: dass dieses SPOT kaputt gehen würde, das konnte ja niemand ahnen. Klar, im Nachhinein ist man immer klüger. Ich hätte das Notfunkgerät in Hvanngil nutzen können, um von mir hören zu lassen. Aber wieso, wenn ich doch glaubte, dass mein Spot 3-4 mal täglich senden würde? Ich hätte andere Technik mitnehmen können, ein Satellitentelefon oder zumindest einen Sender, der auch Nachrichten empfangen kann. Beides hielt ich für nicht notwendig, da ich doch zwei Geräte bei mir trug, die Nachrichten versenden konnten: SPOT und mein Handy, und die genügen ja in den allermeisten Fällen. Dass der unwahrscheinliche Fall der Fälle eintreten würde - tja, shit happens. Noch einmal soll das aber nicht geschehen - und deswegen werde ich in Zukunft auf andere Technik umsteigen, auf zwei Geräte parallel, das ist wohl die einzige Alternative. Vertraue niemals nur einer Technik, alles kann kaputt gehen. Das ist die große Lehre, die ich daraus ziehe.

Das SPOT ist übrigens wirklich kaputt: der "OK"-Knopf sendet nur noch sporadisch. Arianne hat es letztes Wochenende auf der Kaldidalur-Strecke ausprobiert, schön exponiert auf Bergspitzen und im Flachland: keines der sechs Signale kam an. Vielleicht ist es ein Wackelkontakt, ich weiß es nicht, ich will das Gerät zum Hersteller senden, wenn die endlich auf meine Anfragen reagieren. Die sagten nämlich bisher nur, dass das Gerät extrem zuverlässig sei und sie einen mechanischen Fehler ausschließen. Nun ja, meiner Definition nach ist ein nicht mehr sendender Sender kaputt. Und er hat ganz schön viele Kosten verursacht - zum Glück aber nicht mehr als das. Niemand wurde verletzt, niemand ist gestorben. Ich kann deswegen nur sehr dankbar sein. Und bin es auch!











Freitag, 6. März 2015

Hvanngil: die Ruhe vor dem Sturm

Viel schlief ich nicht in dieser Nacht am Mælifell, das muss ich zugeben. Das kleine Tunnelzelt wurde vom Wind immer wieder ziemlich durchgeschüttelt, und weil es noch recht neu ist und ich mich an seine Geräusche noch nicht so gewöhnt habe, schreckte ich bei jedem lauten Knall oder Reißen empor. Zu Sonnenaufgang hatte ich alles zusammengepackt und mich dazu entschieden, die Reise fortzusetzen. Es würde ein windiger Tag werden, die kalten Böen kamen seitlich von Vorne, aber die Sicht war gut. Die Sonne versteckte sich entweder hinter Wolken oder schien kalt hindurch. Es war eigentlich ganz in Ordnung, wenn auch kein so tolles Fotowetter mehr, wie am gestrigen Tag. Statt dessen bekam ich im Laufe des Tages zunehmend Probleme mit schmerzenden Sehnen in meinen Füßen: bei jedem Schritt stach es böse in den Fersen. Kein Spaß - aber nicht zu ändern. Schritt für Schritt ging es vorwärts nach Nordwesten. 16 Kilometer sollten es an diesem Tag werden, ebenso viele, wie am Tag zuvor, nur ohne Steigung - also eine einfache Etappe.


In dieser weißen Welt sah ich dann mein erstes (und einziges) Tier der ganzen Tour: ein Rabe flog über meine Spuren hinweg, ließ sich auf einem Stein nieder und beobachtete mein Treiben eine ganze Weile lang. Dann flog er Richtung Hvanngil davon. Und ich zog ihm hinterher: die Hütten bei Hvanngil waren mein Tagesziel. Laut (der mittlerweile vier Tage alten) Wettervorhersage sollte heute der Sturm beginnen, der drei Tage andauern sollte. Und tatsächlich schlug mir auf dem letzten Kilometer schneebeladener, starker Wind entgegen. Schnee ist in Hvanngil ganz offenbar keine Mangelware. Von der Hütte war aus der Ferne nur da Dach zu erkennen; die Schneewehen um die Häuser waren über zwei Meter hoch. Ich war heilfroh, dass der Vorraum bei Hvanngil wie erwartet offen war, nachdem ich den Schnee von der Türe weggeschaufelt hatte.


Der Vorraum war wie eine kleine Hütte:12 luxuriös-trockene Quadratmeter, mit einem hohen Dach, wo ich wunderbar mein Zelt und Schlafsack trocknen konnte. Außerdem stand dort ein Gasofen mit voller Gasflasche - herrlich! Müde von der unruhigen vorhergehenden Nacht im Zelt legte ich mich einfach vor die mit einem Vorhängeschloss abgeschlossene Eingangstür zur Hütte, und schlief, noch bevor es draußen richtig dunkel geworden war.

Um drei Uhr nachts wachte ich auf und wunderte mich über die unerwartete Stille. Kein Wind war zu hören, kein Heulen oder Pfeifen. Und als ich dann aus der Hütte lugte, staunte ich nicht schlecht: der Sturm hatte wolkenlosem Sternenhimmel Platz gemacht! Sehr aktives Nordlicht huschte über das mondlose Firmament - jetzt hielt mich nichts mehr in der Hütte.
Was für ein tolle Überraschung!


Die Lichter verebbten um fünf Uhr, und da der Sonnenaufgang erst vier Stunden später stattfand, legte ich mich noch einmal kurz hin. In der Morgendämmerung zog ich aber wieder los: einen kleinen Hügel hinauf, den Hvanngilskrókur, von dem ich mir eine tolle Übersicht über die umliegende Umgebung erhoffte.
Ich wurde nicht enttäuscht: die folgenden Stunden sollten der Höhepunkt der ganzen Reise sein. Ein fantastischer Sonnenaufgang über einer völlig unberührten Winterlandschaft: keinerlei Spuren von Autos oder Schneemobilen, keine Kondensstreifen am Himmel. Und das Allerschönste war, dass ich durch meine Arbeit als Hüttenwart auf Emstrur ja jeden Berg hier kannte. Ein unglaubliches Privileg, das so zu erleben!

Stórkónufell und Entjujökull, Emstrur
Die Hänge des Stórasúla und Laufafell im ersten Sonnenlicht

Hattfell, bei Emstrur

Nachdem ich mir beim Fotografieren richtig viel Zeit gelassen und den Morgen so richtig genossen hatte, war der Tag zu fortgeschritten, um vor Sonnenuntergang noch die nächste Hütte erreichen zu können. Emstrur oder Mosar lagen zwar nur 11 Kilometer entfernt, aber es gab einen Fluss, der offen war und den ich hätte furten müssen; die Bláfjallakvísl bei Hvanngil. Und das hätte ganz schön viel Zeit in Anspruch genommen. Außerdem wollte ich den Sonnenuntergang fotografieren: also blieb ich hier, und rechnete damit, länger zu bleiben - denn es stand ja noch ein Sturm aus...



Zurück in der Hütte, kam mir der Vorraum gar nicht mehr so groß vor, vor allem nicht in Anbetracht der Tatsache, dass ich nun mehrere Tage hierbleiben würde. Als langjähriger Hüttenwart des FÍ vermutete ich, dass hier irgendwo ein Notschlüssel versteckt sein würde - und tatsächlich fand ich ihn nach kurzem Suchen. Was für ein tolles Gefühl es war, die Hütte zu betreten, das Gas anzuschließen, und festzustellen, dass die Gasheizung funktionierte... Ein Hoch auf den Ferðafélag Íslands! :-)

Nachmittags zogen langfasrige Cirruswolken vom Mýrdalsjökull hinüber und streckten sich wie die Finger einer Hand in meine Richtung aus. Es war ein klares Zeichen dafür, dass sich ein Tiefdruckgebiet näherte. Und tatsächlich: als ich kurze Zeit später loszog, um zu fotografieren, wurde das Licht schon bleiern. Innerhalb einer Stunde veränderte sich die Lichtstimmung von sonnig-heiter zu unheilverkündend grau - wenn ich jetzt nur auf mein Zelt angewiesen gewesen wäre, hätte ich wohl schon begonnen, mir eine Schneehöhle zu graben. Da rückte ein ausgewachsener Wintersturm an!

Ich blieb so lange draußen, wie es die zunehmenden Winde es erlaubten, denn es war beeindruckend, diesen schnellen Wetterwechsel mitzuerleben. Unmittelbar bevor die Sonne von den grauen Wolken gänzlich verschluckt wurde, zauberte sie ein faszinierende Halo: im von Böen teilweise schon mannshoch aufgewirbelten Schnee brach sich das Sonnenlicht in einer Art Regenbogenfragment: eine sogenannte linke Nebensonne, die ich noch nie so intensiv farbig erlebt habe.

Jetzt wurde es draußen extrem ungemütlich. Der Wind nahm immer weiter zu und die Sonne ging hinter schneebringenden Wolken unter: es war Samstag Abend. Der von mir lange erwartete Sturm war endlich da.
Weil so schlechtes Wetter herrschte, war es mir wichtig, dass meine Freundin (und 'Sicherheitsbeauftragte) Arianne davon erfuhr, dass ich in der Sicherheit einer Hütte war. Mein Handy funktioniert hier natürlich nicht: an einigen Stellen der Wanderung gibt es Netz, an anderen nicht, und dies war ein Funkloch. Typisch. Aber deswegen hatte ich ja das SPOT dabei, und statt zweimal täglich ließ ich es jetzt bis zu vier Mal täglich Nachrichten versenden. Am Freitag und Samstag ließ ich das Gerät im Freien funken, aber als der Sturm begann, fand ich einen Ort im Fenster des Vorraums, wo das Gerät funktionierte.

Dieses SPOT ist eigentlich ein sehr einfaches kleines Gerät. Es hat drei Knöpfe mit vorgespeicherten Nachrichten, z.B. "Alles OK" oder "Bin verspätet, aber alles ist gut", und einen mit dem internationalen Notsignal. Man macht das Ding an, drückt auf den entsprechenden Knopf, und bekommt vom SPOT dann mitgeteilt, dass es a) Satellitenkontakt hat und meine GPS-Position bestimmen konnte und b) die Mitteilung gesendet hat. Der ganze Prozess dauert 15-25 Minuten: man lässt es einfach in Ruhe vor sich hin blinken, und wenn die Lichter (bis auf eines) erloschen sind, ist der Vorgang abgeschlossen. Das Senden hat in der Vergangenheit auf allen möglichen Touren zuverlässig funktioniert, und von daher machte ich mir auch keine größeren Gedanken. Ich hatte alleine von Hvanngil seit meiner Ankunft am Freitag Abend jetzt schon fünf Signale gesendet. Und machte bei jedem Essen munter weiter: 3-4 Mal täglich sendete ich ein "Alles OK!" mit meiner momentanen Position. 

In der Zwischenzeit vergnügte ich mich in der Hütte mit dem Schreiben meines Tagebuchs, dem Sichten meiner Fotos, dem Putzen der Hütte (einmal Hüttenwart, immer Hüttenwart...) und dem Lesen der Jahrbücher der FÍ. Denn das Wetter ließ nichts anderes zu: Samstag Nacht und den gesamten Sonntag tobte ein solcher Sturm draußen, dass mein Zelt das unmöglich überlebt hätte. Die Sicht betrug unter 10 Meter und die Hütte erbebte unter den Schlägen der Windböen. Vor lauter Krach hörte ich so gut wie gar nichts: die Hütte ächzte, heulte und knirschte, der Schnee prasselte gegen die Fenster und zwängte sich durch jede noch so kleine Lücke. Es war ein ausgewachsener Wintersturm, wie ich ihn bisher zum Glück nur im Schutze von Hütten erlebt habe. Das war absolut kein Wetter, um draußen unterwegs zu sein. Und ganz besonders keines, um zu zelten.




Mittwoch, 4. März 2015

Island - ein Winterabenteuer beginnt

Mein Jahresurlaub hat mich dieses Jahr einmal wieder nach Island geführt - diese Insel lässt mich einfach nicht los. Die vergangenen Wochen waren allerdings so stressig und erlebnisreich, dass ich keinerlei Pläne für meine Zeit auf Island geschmiedet habe. Eine Reise zum Vulkanausbruch kam nicht in Frage: zu inaktiv war der Krater, die Lavafontänen sprühten nicht mehr über den Rand hinaus. Eine Skitour dorthin wäre töricht gewesen: die Menge an giftigen Gasen, die der Vulkan ausstößt, ist im gleichen Maße angewachsen, wie sich der Lavaausstoß verringert hat. Am 28 März, also letzten Samstag, wurde der Ausbruch bei Holuhraun übrigens für beendet erklärt: momentan fließt keine Lava mehr. Allerdings bin ich in Habacht-Stellung. Nach dem Ausbruch ist vor dem Ausbruch! Keiner weiß, was jetzt passieren wird: wird der Vulkan jetzt vielleicht im Krater ausbrechen? Wird sein Nachbar, der Torfajökull, ausbrechen? Alles ist möglich. Ich bin gespannt!

Satellitenbild vom 1. März. Oben rechts das Lavafeld, unten links sieht man sehr schön die Caldera
des Bárðarbunga, die sich während der sechsmonatigen Eruption deutlich gesenkt hat. Quelle: vedur.is





Der vergangene Februar war extrem stürmisch und warm. Als ich nach Island kam, regnete es in Strömen und war aller Schnee erstmal weg, zumindest in Küstennähe. Ich wollte aber gerne eine Skitour unternehmen, die knapp über dem Meeresspiegel beginnt: also hieß es erstmal, zu warten. Ich erledigte das komplette Kultur-Programm in Reykjavík: Konzertbesuch, Museumsbesuch, Schwimmbadbesuch, Haare schneiden, Blutspenden - eben was man halt so macht, wenn man in Island ist... Und zwischendurch wurde Reykjavik von Winterstürmen ganz schön gebeutelt.


Am 15. und 16 Februar fiel in Vík wieder Schnee, und das war der Startschuss für meine Tour. Ich wollte den Mýrdalsjökull von Ost nach West nördlich umrunden: also von Skaftártunga über den Mælifellssandur, an Hvanngil und Emstrur vorbei in die Fljótshlíð. Gesamtstrecke: 80-100km (je nach Wegwahl und Abstecher). Problemlos umsetzbar in 5-6 Tagen. Realistische Einschätzung: 9-11 Tage (Eingeplant: Schlechtwetterstops in Hütten und Gutwetterfototage). Insgesamt war ich für 14 Tage vorbereitet, weil ich ja nur die grobe Wettervorhersage für 8 Tage einsehen konnte und nicht wusste, inwieweit Stürme mich danach in Hütten festsetzen würden. Auch deshalb hatte ich diese Route gewählt: insgesamt lagen sieben Hütten an der Strecke, von denen mindestens der Vorraum offen sein würde. Das verhieß Schutz und Sicherheit bei hohen Windstärken!

Die Route, beginnend (rechts) und endend (links) bei den orangefarbenen Punkten,
mit den angedachten Übernachtungen bei den roten Punkten.




Die Tour begann bei sanftem Sonnenschein. Fotomotive lockten, aber die Wettervorhersage drängte mich dazu, Strecke zu machen und so schnell wie möglich Höhe zu gewinnen. In der kommenden Nacht sollte es zwar schneien, am folgenden Tag aber regnen - die Gefahr war also da, dass mir der wenige Schnee unter den Ski wegschmelzen würde. Also zog ich los und überwand 20 Kilometer und 80 Höhenmeter, bevor es zu dunkel wurde, um weiterzugehen. 

Die Tage Mitte Februar sind noch recht kurz: wenn man bei Sonnenaufgang startet, bleiben einem etwa 8 Stunden, bevor es düster wird. Die Strecke ist zwar keine Herausforderung, allerdings will ich schon sehen, wo es hingeht. Am ersten Tag musste ich drei Brücken finden und an den nicht überbrückten Bächen Schneebrücken suchen und die beste Route wählen. Im Dunkeln zu laufen kam deshalb nicht in Frage!

Wasserfall an der Leirá


Nachmittags begann es zu schneien. Ich lief so lange, wie es mir die Dämmerung erlaubte, baute dann mein neues Hillebergzelt auf und versuchte zu schlafen. Leider wechselte mitten in der Nacht die Windrichtung und begann es wie versprochen zu regnen, und zwar ziemlich heftig für isländische Verhältnisse. Um vier Uhr Nachts schaufelte ich einen Wall aus Schnee, um das Zelt vor den stärksten Böen zu schützen: es um 90 Grad umzusetzen kam aber nicht in Frage, da ich es mit Schneeankern befestigt hatte, die bombenfest saßen. An Schlaf war nicht mehr zu denken, weil die Windböen das Kondenswasser meiner Atmung als Sprühregen im Zelt verteilten. Alles wurde nass! Was für ein Start in diese Wanderung...



In der Morgendämmerung baute ich das Zelt im Regen ab. Aus mindestens 30cm Schnee waren 10cm nasser Matsch geworden und meine schöne, ehemals zelthohe Schneemauer war zu einem Maulwurfshügel verkümmert. Ich ging etwa zwei Kilometer weiter bis zum Holmsárfoss, an dem eine sehr einfache, für mich aber in dem Moment sehr luxuriöse Hütte stand. Völlig nass beschloss ich, dort abzuwarten, was der kommende Tag bringen würde, und meine Sachen zu trocknen. Klamm ist kalt, nur trocken hält warm!

Das Warten lohnte sich. Am kommenden Morgen war es kühler und statt Regen fiel Nieselschnee. Mit dem ersten Licht ging es los, hinein in einen anspruchsvollen Vormittag. Es war windstill und angenehm, die Sicht aber lag bei etwa 100 Meter. Navigation ging hier nur mit Hilfe des GPS und Peilungen mit dem Kompass.
Wie man sieht, sah man nicht viel... :)
Das funktionierte allerdings ganz wunderbar: bis zum Mittag hatte ich etwa 300 Höhenmeter überwunden. Teilweise durfte ich den Kompass nicht aus den Augen lassen: Südöstlich des Öldufell herrschte totales Whiteout. Ich lief über ein gänzlich schneebedecktes Bergplateau durch tiefliegende Wolken, welche selbst die direkt angrenzenden Berge verschluckten - es gab keine visuellen Anhaltspunkte, es war einfach alles nur weiß. Ohne den Kompass begann ich schon nach wenigen Schritten, starke Linkskurven zu laufen. Es war echt lustig - anstrengend, aber lustig!

Den Platz für die Mittagspause konnte ich mir nicht selber aussuchen. Einer meiner Zugriemen (aus Draht) brach einfach durch. Darauf war ich allerdings vorbereitet gewesen, und so hatte ich alles dabei, um ihn in wenigen Minuten auszuwechseln. 

Währenddessen kam Wind auf und konnte ich den Wolken dabei zusehen, wie sie sich hoben. Wie schön, endlich die Landschaft sehen zu können, durch die ich wanderte! Und noch schöner war es, als ich entdeckte, dass es nicht nötig war, den Fluss Bláfjallakvísl zu furten (bei Öldufell, auf der Tour gibt es zwei Flüsse gleichen Namens). Eine stabile, breite Schneebrücke spannte sich darüber. Ohne Verzögerung ging es weiter, am Öldufell vorbei, hinauf auf 580 Meter Höhe. Dann stand ich endlich auf dem Mælifellssandur, der Sanderebene nördlich des Mýrdalsjökull.

Jetzt war ich definitiv im Hochland angekommen! Der Öldufellsjökull (eine Zunge des Mýrdalsjökull) war von dunklen Wolken verhangen, die Sonne aber stand darüber und ließ die Landschaft in allen Nuancen von Blau, Gold und Silber erstrahlen. Der Wind nahm immer weiter zu und trieb mir den feinen Pulverschnee entgegen - die Anblicke waren spektakulär, zumal sich das Licht andauernd änderte. Ich kam vor lauter Staunen und Fotografieren eine Weile kaum voran...


Navigation war ab sofort kein Thema mehr: alle Berge der Umgebung waren gut zu sehen, vor allem natürlich der wunderschöne Mælifell. Ich ging einfach frei nach Schnauze und genoss die Wanderung durch diese kalte Wunderwelt. Die Flüsse, die auf meiner Karte eingezeichnet waren, blieben unter dem Schnee verborgen: es waren ja keine Quellflüsse, sonder Gletscherflüsse, die im Winter normalerweise versiegen.

In der Dämmerung kam ich dann am Mælifell an. Ich hatte mich auf den letzten Kilometern dazu entschieden, nicht die 5km entfernte Hütte bei Strútur anzusteuern, sondern zu zelten. Es war zwar windig, aber die ganze Situation fühlte sich nicht nach Sturm an. Stetiger, heftiger Wind, der etwas Treibschnee transportierte - aber kein Sturm. Also baute ich mein Zelt schön exponiert vor diesem wunderbaren Vulkankegel auf und hielt mich dabei bewusst außerhalb der Windschatten der umliegenden Hügel, um keine großen Schneeansammlungen am Zelt zu provozieren. Dann schmolz ich meine obligatorischen drei Liter Wasser und machte mir mein Abendessen. Und als ich dann aus dem Zelt lugte, hatte ich Glück: in gelegentlichen Wolkenlücken glühte schwaches Nordlicht. Nicht spektakulär, aber sichtbar - und gut genug, um ein paar Fotos für meinen Sponsor Hilleberg zu machen. Und so fand ich heraus, dass ein gelber Schwamm, den man über eine Taschenlampe legt, rotes Licht produziert - und mein olivgrünes Zelt in ganz neuem Licht erstrahlen ließ!

Es sind Momente und Tage wie diese, die mich diese Strapazen auf mich nehmen lassen. Warum sonst sollte ich freiwillig einen 45kg schweren Pulka (Schlitten) hinter mir herziehen? Warum diese Ungewissheit ertragen, dass Stürme über einen hereinbrechen könnten oder jegliche Hilfe weit entfernt ist? Die Schmerzen der scheuernden Schuhe, die unangenehme Kälte, die oft schlafarmen Nächte... Aber - genau das macht das Erlebnis zu etwas Besonderem. Wie sonst sollte ich so etwas erleben? Unberührte Landschaften, die kaum jemand im Winter zu sehen bekommt. Totale Stille. Tagelang keine menschlichen Geräusche - kein Telefon, keine Gespräche, keine fremden Probleme, keine Zivilisationsgeräusche. Außer Flugzeuge, denn diese Gegend ist die Einflugschneise für fast alle Flüge von und nach Europa, wie mir jetzt klar geworden ist...

Auf Tour reduziert sich das Leben auf das absolut Wesentliche. Navigation. Wetter. Gefahren. Mein gesamtes Wissen wird auf die Probe gestellt, ständig muss ich mich und die Natur richtig einschätzen. Herrscht hier Lawinengefahr? Hält die Schneebrücke? Was wird das Wetter in den nächsten Stunden bringen - soll ich die Tagesetappe wagen, oder lieber abwarten?
Und dann der ständige Wind, die ewige Kälte, die einen zu immerwährender Bewegung zwingt. Selbst die wohl verdiente Mittagspause dauert nur 15 Minuten, weil man sonst auskühlt. Am Ende des Tages will das Zelt genau richtig aufgebaut werden und muss eine Menge Wasser gekocht (und getrunken) werden. Und es wird gegessen, den ganzen Tag über wird immer nur gefuttert: Schokolade, Trockenobst, Kekse, ständig verlangt der Körper nach Energie. Und dennoch nehme ich auf solchen Touren immer ab. 

Neben den Naturerlebnissen liebe ich es besonders, dass einem normale Dinge plötzlich ganz wichtig werden. Woran man sich auf einmal freuen kann, ist teilweise schon sehr lustig! Aufs Klo gehen, wenn mal kein Wind weht und einem nicht der A... abfriert. Eine warme Flasche im Schlafsack, die zum ersten Mal seit Stunden die Zehen wieder auftaut. Ein warmes Abendessen, das salzig und nicht süß ist. Sich einfach nur hinlegen und ein paar Stunden gar nichts tun... Das Leben reduziert sich hier auf die absolut notwendigen Dinge: alles ist sehr direkt und überschaubar, nichts ist kompliziert. Und das ist wunderbar!


Immer mal wieder werde ich gefragt, ob ich keine Angst habe, so ganz alleine dort draußen in so lebensfeindlicher Natur unterwegs zu sein. Die Antwort ist ganz klar und einfach: nein, Angst habe ich nie. Sorgen ja, ich mache mir über verdammt viele Dinge Gedanken, aber Angst habe ich nie. Zum einen kenne ich die Gegenden und Wetterlagen sehr gut, in denen ich mich fortbewege. Zum anderen habe ich in den vergangenen Jahren extrem viel gelernt: sowohl über die Natur, als auch über das Überleben darin, als auch über mich. Die Risiken, die ich eingehe, die sind klar kalkuliert. Ich meine, mal ganz ehrlich: was kann schon passieren? Stürze und Lawinen sind sehr unwahrscheinlich, ich bin ja nicht in alpinem Gelände unterwegs. Zu tiefe Flüsse ohne stabile Schneebrücken hätten mich zum Umdrehen bewegt - besser trocken zurück, als nass weiter, ich bin ja nicht lebensmüde... 

Viel gefährlicher aber sind Stürme: so starke Winde, die das Zelt zerreißen und meine Ausrüstung fortwehen oder unter dem Schnee vergraben. Sollte das der Fall sein, bin ich aber schon längst dabei, mir eine Schneehöhle zu graben, und habe die wichtigsten Dinge (Schlafsack, Navigation und Kocher) in Sicherheit gebracht. Aber um diese Situation generell zu umgehen, übernachtete ich auf dieser Tour immer in der Nähe von Hütten. Denn die wehen nicht weg...

Andere Gefahren sind der Benzinkocher: absolute Vorsicht ist geboten, gerade im Zelt. Materialfehler werden dadurch minimiert, dass ich erstklassige Ausrüstung habe: solche Aktionen macht man nicht mit Billigmarken. Und generell darf man nichts überstürzen und muss alles mit logischem Menschenverstand angehen. Übermüdung und Überanstrengung vermeiden. Nicht bei Nacht unterwegs sein und nichts tun, wovor man Angst hat. 

Ich war jederzeit bereit, umzudrehen und den gleichen Weg zurückzugehen. Ich jage keine Rekorde, ich bin kein Extremsportler oder muss mich vor irgendwem beweisen: ich will einfach nur eine gute Zeit da draußen haben, mir alles mit eigener Körperkraft erarbeiten und niemanden dabei stören. Genau deswegen habe ich auch einen kleinen Satellitensender mit dabei: ein zigarettengroßes Gerät namens SPOT, das auf Knopfdruck meine GPS-Position an ausgewählte Emailadressen versendet und meine Freunde und Familie wissen lässt, dass alles in Ordnung ist. Dieses SPOT hat auch eine Notruf-Taste, die dann ein internationales Notsignal sendet und die lokalen Rettungsdienste alarmiert: aber diese Taste will ich nicht nutzen. Wenn es dazu kommt, habe ich Fehler gemacht. Und genau das will ich tunlichst vermeiden.