Satellitenbild vom 1. März. Oben rechts das Lavafeld, unten links sieht man sehr schön die Caldera des Bárðarbunga, die sich während der sechsmonatigen Eruption deutlich gesenkt hat. Quelle: vedur.is |
Der vergangene Februar war extrem stürmisch und warm. Als ich nach Island kam, regnete es in Strömen und war aller Schnee erstmal weg, zumindest in Küstennähe. Ich wollte aber gerne eine Skitour unternehmen, die knapp über dem Meeresspiegel beginnt: also hieß es erstmal, zu warten. Ich erledigte das komplette Kultur-Programm in Reykjavík: Konzertbesuch, Museumsbesuch, Schwimmbadbesuch, Haare schneiden, Blutspenden - eben was man halt so macht, wenn man in Island ist... Und zwischendurch wurde Reykjavik von Winterstürmen ganz schön gebeutelt.
Am 15. und 16 Februar fiel in Vík wieder Schnee, und das war der Startschuss für meine Tour. Ich wollte den Mýrdalsjökull von Ost nach West nördlich umrunden: also von Skaftártunga über den Mælifellssandur, an Hvanngil und Emstrur vorbei in die Fljótshlíð. Gesamtstrecke: 80-100km (je nach Wegwahl und Abstecher). Problemlos umsetzbar in 5-6 Tagen. Realistische Einschätzung: 9-11 Tage (Eingeplant: Schlechtwetterstops in Hütten und Gutwetterfototage). Insgesamt war ich für 14 Tage vorbereitet, weil ich ja nur die grobe Wettervorhersage für 8 Tage einsehen konnte und nicht wusste, inwieweit Stürme mich danach in Hütten festsetzen würden. Auch deshalb hatte ich diese Route gewählt: insgesamt lagen sieben Hütten an der Strecke, von denen mindestens der Vorraum offen sein würde. Das verhieß Schutz und Sicherheit bei hohen Windstärken!
Die Route, beginnend (rechts) und endend (links) bei den orangefarbenen Punkten, mit den angedachten Übernachtungen bei den roten Punkten. |
Die Tour begann bei sanftem Sonnenschein. Fotomotive lockten, aber die Wettervorhersage drängte mich dazu, Strecke zu machen und so schnell wie möglich Höhe zu gewinnen. In der kommenden Nacht sollte es zwar schneien, am folgenden Tag aber regnen - die Gefahr war also da, dass mir der wenige Schnee unter den Ski wegschmelzen würde. Also zog ich los und überwand 20 Kilometer und 80 Höhenmeter, bevor es zu dunkel wurde, um weiterzugehen.
Die Tage Mitte Februar sind noch recht kurz: wenn man bei Sonnenaufgang startet, bleiben einem etwa 8 Stunden, bevor es düster wird. Die Strecke ist zwar keine Herausforderung, allerdings will ich schon sehen, wo es hingeht. Am ersten Tag musste ich drei Brücken finden und an den nicht überbrückten Bächen Schneebrücken suchen und die beste Route wählen. Im Dunkeln zu laufen kam deshalb nicht in Frage!
Wasserfall an der Leirá |
Nachmittags begann es zu schneien. Ich lief so lange, wie es mir die Dämmerung erlaubte, baute dann mein neues Hillebergzelt auf und versuchte zu schlafen. Leider wechselte mitten in der Nacht die Windrichtung und begann es wie versprochen zu regnen, und zwar ziemlich heftig für isländische Verhältnisse. Um vier Uhr Nachts schaufelte ich einen Wall aus Schnee, um das Zelt vor den stärksten Böen zu schützen: es um 90 Grad umzusetzen kam aber nicht in Frage, da ich es mit Schneeankern befestigt hatte, die bombenfest saßen. An Schlaf war nicht mehr zu denken, weil die Windböen das Kondenswasser meiner Atmung als Sprühregen im Zelt verteilten. Alles wurde nass! Was für ein Start in diese Wanderung...
In der Morgendämmerung baute ich das Zelt im Regen ab. Aus mindestens 30cm Schnee waren 10cm nasser Matsch geworden und meine schöne, ehemals zelthohe Schneemauer war zu einem Maulwurfshügel verkümmert. Ich ging etwa zwei Kilometer weiter bis zum Holmsárfoss, an dem eine sehr einfache, für mich aber in dem Moment sehr luxuriöse Hütte stand. Völlig nass beschloss ich, dort abzuwarten, was der kommende Tag bringen würde, und meine Sachen zu trocknen. Klamm ist kalt, nur trocken hält warm!
Das Warten lohnte sich. Am kommenden Morgen war es kühler und statt Regen fiel Nieselschnee. Mit dem ersten Licht ging es los, hinein in einen anspruchsvollen Vormittag. Es war windstill und angenehm, die Sicht aber lag bei etwa 100 Meter. Navigation ging hier nur mit Hilfe des GPS und Peilungen mit dem Kompass.
Wie man sieht, sah man nicht viel... :) |
Den Platz für die Mittagspause konnte ich mir nicht selber aussuchen. Einer meiner Zugriemen (aus Draht) brach einfach durch. Darauf war ich allerdings vorbereitet gewesen, und so hatte ich alles dabei, um ihn in wenigen Minuten auszuwechseln.
Währenddessen kam Wind auf und konnte ich den Wolken dabei zusehen, wie sie sich hoben. Wie schön, endlich die Landschaft sehen zu können, durch die ich wanderte! Und noch schöner war es, als ich entdeckte, dass es nicht nötig war, den Fluss Bláfjallakvísl zu furten (bei Öldufell, auf der Tour gibt es zwei Flüsse gleichen Namens). Eine stabile, breite Schneebrücke spannte sich darüber. Ohne Verzögerung ging es weiter, am Öldufell vorbei, hinauf auf 580 Meter Höhe. Dann stand ich endlich auf dem Mælifellssandur, der Sanderebene nördlich des Mýrdalsjökull.
Jetzt war ich definitiv im Hochland angekommen! Der Öldufellsjökull (eine Zunge des Mýrdalsjökull) war von dunklen Wolken verhangen, die Sonne aber stand darüber und ließ die Landschaft in allen Nuancen von Blau, Gold und Silber erstrahlen. Der Wind nahm immer weiter zu und trieb mir den feinen Pulverschnee entgegen - die Anblicke waren spektakulär, zumal sich das Licht andauernd änderte. Ich kam vor lauter Staunen und Fotografieren eine Weile kaum voran...
Navigation war ab sofort kein Thema mehr: alle Berge der Umgebung waren gut zu sehen, vor allem natürlich der wunderschöne Mælifell. Ich ging einfach frei nach Schnauze und genoss die Wanderung durch diese kalte Wunderwelt. Die Flüsse, die auf meiner Karte eingezeichnet waren, blieben unter dem Schnee verborgen: es waren ja keine Quellflüsse, sonder Gletscherflüsse, die im Winter normalerweise versiegen.
In der Dämmerung kam ich dann am Mælifell an. Ich hatte mich auf den letzten Kilometern dazu entschieden, nicht die 5km entfernte Hütte bei Strútur anzusteuern, sondern zu zelten. Es war zwar windig, aber die ganze Situation fühlte sich nicht nach Sturm an. Stetiger, heftiger Wind, der etwas Treibschnee transportierte - aber kein Sturm. Also baute ich mein Zelt schön exponiert vor diesem wunderbaren Vulkankegel auf und hielt mich dabei bewusst außerhalb der Windschatten der umliegenden Hügel, um keine großen Schneeansammlungen am Zelt zu provozieren. Dann schmolz ich meine obligatorischen drei Liter Wasser und machte mir mein Abendessen. Und als ich dann aus dem Zelt lugte, hatte ich Glück: in gelegentlichen Wolkenlücken glühte schwaches Nordlicht. Nicht spektakulär, aber sichtbar - und gut genug, um ein paar Fotos für meinen Sponsor Hilleberg zu machen. Und so fand ich heraus, dass ein gelber Schwamm, den man über eine Taschenlampe legt, rotes Licht produziert - und mein olivgrünes Zelt in ganz neuem Licht erstrahlen ließ!
Es sind Momente und Tage wie diese, die mich diese Strapazen auf mich nehmen lassen. Warum sonst sollte ich freiwillig einen 45kg schweren Pulka (Schlitten) hinter mir herziehen? Warum diese Ungewissheit ertragen, dass Stürme über einen hereinbrechen könnten oder jegliche Hilfe weit entfernt ist? Die Schmerzen der scheuernden Schuhe, die unangenehme Kälte, die oft schlafarmen Nächte... Aber - genau das macht das Erlebnis zu etwas Besonderem. Wie sonst sollte ich so etwas erleben? Unberührte Landschaften, die kaum jemand im Winter zu sehen bekommt. Totale Stille. Tagelang keine menschlichen Geräusche - kein Telefon, keine Gespräche, keine fremden Probleme, keine Zivilisationsgeräusche. Außer Flugzeuge, denn diese Gegend ist die Einflugschneise für fast alle Flüge von und nach Europa, wie mir jetzt klar geworden ist...
Auf Tour reduziert sich das Leben auf das absolut Wesentliche. Navigation. Wetter. Gefahren. Mein gesamtes Wissen wird auf die Probe gestellt, ständig muss ich mich und die Natur richtig einschätzen. Herrscht hier Lawinengefahr? Hält die Schneebrücke? Was wird das Wetter in den nächsten Stunden bringen - soll ich die Tagesetappe wagen, oder lieber abwarten?
Und dann der ständige Wind, die ewige Kälte, die einen zu immerwährender Bewegung zwingt. Selbst die wohl verdiente Mittagspause dauert nur 15 Minuten, weil man sonst auskühlt. Am Ende des Tages will das Zelt genau richtig aufgebaut werden und muss eine Menge Wasser gekocht (und getrunken) werden. Und es wird gegessen, den ganzen Tag über wird immer nur gefuttert: Schokolade, Trockenobst, Kekse, ständig verlangt der Körper nach Energie. Und dennoch nehme ich auf solchen Touren immer ab.
Neben den Naturerlebnissen liebe ich es besonders, dass einem normale Dinge plötzlich ganz wichtig werden. Woran man sich auf einmal freuen kann, ist teilweise schon sehr lustig! Aufs Klo gehen, wenn mal kein Wind weht und einem nicht der A... abfriert. Eine warme Flasche im Schlafsack, die zum ersten Mal seit Stunden die Zehen wieder auftaut. Ein warmes Abendessen, das salzig und nicht süß ist. Sich einfach nur hinlegen und ein paar Stunden gar nichts tun... Das Leben reduziert sich hier auf die absolut notwendigen Dinge: alles ist sehr direkt und überschaubar, nichts ist kompliziert. Und das ist wunderbar!
Immer mal wieder werde ich gefragt, ob ich keine Angst habe, so ganz alleine dort draußen in so lebensfeindlicher Natur unterwegs zu sein. Die Antwort ist ganz klar und einfach: nein, Angst habe ich nie. Sorgen ja, ich mache mir über verdammt viele Dinge Gedanken, aber Angst habe ich nie. Zum einen kenne ich die Gegenden und Wetterlagen sehr gut, in denen ich mich fortbewege. Zum anderen habe ich in den vergangenen Jahren extrem viel gelernt: sowohl über die Natur, als auch über das Überleben darin, als auch über mich. Die Risiken, die ich eingehe, die sind klar kalkuliert. Ich meine, mal ganz ehrlich: was kann schon passieren? Stürze und Lawinen sind sehr unwahrscheinlich, ich bin ja nicht in alpinem Gelände unterwegs. Zu tiefe Flüsse ohne stabile Schneebrücken hätten mich zum Umdrehen bewegt - besser trocken zurück, als nass weiter, ich bin ja nicht lebensmüde...
Viel gefährlicher aber sind Stürme: so starke Winde, die das Zelt zerreißen und meine Ausrüstung fortwehen oder unter dem Schnee vergraben. Sollte das der Fall sein, bin ich aber schon längst dabei, mir eine Schneehöhle zu graben, und habe die wichtigsten Dinge (Schlafsack, Navigation und Kocher) in Sicherheit gebracht. Aber um diese Situation generell zu umgehen, übernachtete ich auf dieser Tour immer in der Nähe von Hütten. Denn die wehen nicht weg...
Andere Gefahren sind der Benzinkocher: absolute Vorsicht ist geboten, gerade im Zelt. Materialfehler werden dadurch minimiert, dass ich erstklassige Ausrüstung habe: solche Aktionen macht man nicht mit Billigmarken. Und generell darf man nichts überstürzen und muss alles mit logischem Menschenverstand angehen. Übermüdung und Überanstrengung vermeiden. Nicht bei Nacht unterwegs sein und nichts tun, wovor man Angst hat.
Ich war jederzeit bereit, umzudrehen und den gleichen Weg zurückzugehen. Ich jage keine Rekorde, ich bin kein Extremsportler oder muss mich vor irgendwem beweisen: ich will einfach nur eine gute Zeit da draußen haben, mir alles mit eigener Körperkraft erarbeiten und niemanden dabei stören. Genau deswegen habe ich auch einen kleinen Satellitensender mit dabei: ein zigarettengroßes Gerät namens SPOT, das auf Knopfdruck meine GPS-Position an ausgewählte Emailadressen versendet und meine Freunde und Familie wissen lässt, dass alles in Ordnung ist. Dieses SPOT hat auch eine Notruf-Taste, die dann ein internationales Notsignal sendet und die lokalen Rettungsdienste alarmiert: aber diese Taste will ich nicht nutzen. Wenn es dazu kommt, habe ich Fehler gemacht. Und genau das will ich tunlichst vermeiden.
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