Viel schlief ich nicht in dieser Nacht am
Mælifell, das muss ich zugeben. Das kleine Tunnelzelt wurde vom Wind immer wieder ziemlich durchgeschüttelt, und weil es noch recht neu ist und ich mich an seine Geräusche noch nicht so gewöhnt habe, schreckte ich bei jedem lauten Knall oder Reißen empor. Zu
Sonnenaufgang hatte ich alles zusammengepackt und mich dazu
entschieden, die Reise fortzusetzen. Es würde ein windiger Tag
werden, die kalten Böen kamen seitlich von Vorne, aber die Sicht war
gut. Die Sonne versteckte sich entweder hinter Wolken oder schien
kalt hindurch. Es war eigentlich ganz in Ordnung, wenn auch kein so
tolles Fotowetter mehr, wie am gestrigen Tag. Statt dessen bekam ich
im Laufe des Tages zunehmend Probleme mit schmerzenden Sehnen in
meinen Füßen: bei jedem Schritt stach es böse in den Fersen. Kein
Spaß - aber nicht zu ändern. Schritt für Schritt ging es vorwärts nach
Nordwesten. 16 Kilometer sollten es an diesem Tag werden, ebenso viele, wie am Tag zuvor, nur ohne Steigung - also eine einfache Etappe.
In dieser weißen Welt sah ich dann mein erstes (und
einziges) Tier der ganzen Tour: ein Rabe flog über meine Spuren
hinweg, ließ sich auf einem Stein nieder und beobachtete mein
Treiben eine ganze Weile lang. Dann flog er Richtung Hvanngil davon.
Und ich zog ihm hinterher: die Hütten bei Hvanngil waren mein
Tagesziel. Laut (der mittlerweile vier Tage alten) Wettervorhersage sollte heute der Sturm beginnen, der
drei Tage andauern sollte. Und tatsächlich schlug mir auf dem
letzten Kilometer schneebeladener, starker Wind entgegen. Schnee ist in Hvanngil ganz offenbar keine Mangelware. Von der Hütte war aus der Ferne nur da Dach zu erkennen; die Schneewehen um die Häuser waren über zwei Meter hoch. Ich war
heilfroh, dass der Vorraum bei Hvanngil wie erwartet offen war,
nachdem ich den Schnee von der Türe weggeschaufelt hatte.
Der Vorraum war wie eine kleine Hütte:12
luxuriös-trockene Quadratmeter, mit einem hohen Dach, wo ich
wunderbar mein Zelt und Schlafsack trocknen konnte. Außerdem stand
dort ein Gasofen mit voller Gasflasche - herrlich! Müde von der
unruhigen vorhergehenden Nacht im Zelt legte ich mich einfach vor die
mit einem Vorhängeschloss abgeschlossene Eingangstür zur Hütte,
und schlief, noch bevor es draußen richtig dunkel geworden war.
Um drei Uhr nachts wachte ich auf und wunderte mich
über die unerwartete Stille. Kein Wind war zu hören, kein Heulen oder Pfeifen.
Und als ich dann aus der Hütte lugte, staunte ich nicht schlecht:
der Sturm hatte wolkenlosem Sternenhimmel Platz gemacht! Sehr aktives
Nordlicht huschte über das mondlose Firmament - jetzt hielt mich
nichts mehr in der Hütte.
Was für ein tolle Überraschung!
Was für ein tolle Überraschung!
Ich wurde nicht enttäuscht: die folgenden Stunden sollten der Höhepunkt der ganzen Reise sein. Ein fantastischer Sonnenaufgang über einer völlig unberührten Winterlandschaft: keinerlei Spuren von Autos oder Schneemobilen, keine Kondensstreifen am Himmel. Und das Allerschönste war, dass ich durch meine Arbeit als Hüttenwart auf Emstrur ja jeden Berg hier kannte. Ein unglaubliches Privileg, das so zu erleben!
Stórkónufell und Entjujökull, Emstrur |
Die Hänge des Stórasúla und Laufafell im ersten Sonnenlicht |
Hattfell, bei Emstrur |
Nachdem ich mir beim Fotografieren richtig viel Zeit gelassen und den Morgen so richtig genossen hatte, war der Tag zu fortgeschritten, um vor Sonnenuntergang noch die nächste Hütte erreichen zu können. Emstrur oder Mosar lagen zwar nur 11 Kilometer entfernt, aber es gab einen Fluss, der offen war und den ich hätte furten müssen; die Bláfjallakvísl bei Hvanngil. Und das hätte ganz schön viel Zeit in Anspruch genommen. Außerdem wollte ich den Sonnenuntergang fotografieren: also blieb ich hier, und rechnete damit, länger zu bleiben - denn es stand ja noch ein Sturm aus...
Nachmittags zogen langfasrige Cirruswolken vom Mýrdalsjökull hinüber und streckten sich wie die Finger einer Hand in meine Richtung aus. Es war ein klares Zeichen dafür, dass sich ein Tiefdruckgebiet näherte. Und tatsächlich: als ich kurze Zeit später loszog, um zu fotografieren, wurde das Licht schon bleiern. Innerhalb einer Stunde veränderte sich die Lichtstimmung von sonnig-heiter zu unheilverkündend grau - wenn ich jetzt nur auf mein Zelt angewiesen gewesen wäre, hätte ich wohl schon begonnen, mir eine Schneehöhle zu graben. Da rückte ein ausgewachsener Wintersturm an!
Ich blieb so lange draußen, wie es die zunehmenden Winde es erlaubten, denn es war beeindruckend, diesen schnellen Wetterwechsel mitzuerleben. Unmittelbar bevor die Sonne von den grauen Wolken gänzlich verschluckt wurde, zauberte sie ein faszinierende Halo: im von Böen teilweise schon mannshoch aufgewirbelten Schnee brach sich das Sonnenlicht in einer Art Regenbogenfragment: eine sogenannte linke Nebensonne, die ich noch nie so intensiv farbig erlebt habe.
Jetzt wurde es draußen extrem ungemütlich. Der Wind nahm immer weiter zu und die Sonne ging hinter schneebringenden Wolken unter: es war Samstag Abend. Der von mir lange erwartete Sturm war endlich da.
Weil so schlechtes Wetter herrschte, war es mir wichtig, dass meine Freundin (und 'Sicherheitsbeauftragte) Arianne davon erfuhr, dass ich in der Sicherheit einer Hütte war. Mein Handy funktioniert hier natürlich nicht: an einigen Stellen der Wanderung gibt es Netz, an anderen nicht, und dies war ein Funkloch. Typisch. Aber deswegen hatte ich ja das SPOT dabei, und statt zweimal täglich ließ ich es jetzt bis zu vier Mal täglich Nachrichten versenden. Am Freitag und Samstag ließ ich das Gerät im Freien funken, aber als der Sturm begann, fand ich einen Ort im Fenster des Vorraums, wo das Gerät funktionierte.
Dieses SPOT ist eigentlich ein sehr einfaches kleines Gerät. Es hat drei Knöpfe mit vorgespeicherten Nachrichten, z.B. "Alles OK" oder "Bin verspätet, aber alles ist gut", und einen mit dem internationalen Notsignal. Man macht das Ding an, drückt auf den entsprechenden Knopf, und bekommt vom SPOT dann mitgeteilt, dass es a) Satellitenkontakt hat und meine GPS-Position bestimmen konnte und b) die Mitteilung gesendet hat. Der ganze Prozess dauert 15-25 Minuten: man lässt es einfach in Ruhe vor sich hin blinken, und wenn die Lichter (bis auf eines) erloschen sind, ist der Vorgang abgeschlossen. Das Senden hat in der Vergangenheit auf allen möglichen Touren zuverlässig funktioniert, und von daher machte ich mir auch keine größeren Gedanken. Ich hatte alleine von Hvanngil seit meiner Ankunft am Freitag Abend jetzt schon fünf Signale gesendet. Und machte bei jedem Essen munter weiter: 3-4 Mal täglich sendete ich ein "Alles OK!" mit meiner momentanen Position.
In der Zwischenzeit vergnügte ich mich in der Hütte mit dem Schreiben meines Tagebuchs, dem Sichten meiner Fotos, dem Putzen der Hütte (einmal Hüttenwart, immer Hüttenwart...) und dem Lesen der Jahrbücher der FÍ. Denn das Wetter ließ nichts anderes zu: Samstag Nacht und den gesamten Sonntag tobte ein solcher Sturm draußen, dass mein Zelt das unmöglich überlebt hätte. Die Sicht betrug unter 10 Meter und die Hütte erbebte unter den Schlägen der Windböen. Vor lauter Krach hörte ich so gut wie gar nichts: die Hütte ächzte, heulte und knirschte, der Schnee prasselte gegen die Fenster und zwängte sich durch jede noch so kleine Lücke. Es war ein ausgewachsener Wintersturm, wie ich ihn bisher zum Glück nur im Schutze von Hütten erlebt habe. Das war absolut kein Wetter, um draußen unterwegs zu sein. Und ganz besonders keines, um zu zelten.
Liebe Kerstin, vielen Dank für den spannenden Bericht und die wunderbaren Fotos. Ich wünschte sehr von Herzen, dass angesichts der explosiv ansteigenden Einsätze der isländischen Rettungswacht die Leute solche Berichte lesen UND ernst nehmen würden. Dass sich bei dir dann trotz ausgefeilter Maßnahmen und Überlegungen dennoch solch ein Einsatz ereignet hat, ist halt eben Pech, aber im Rahmen der Fehlbarkeit von Technologie wohl leider nicht immer vermeidbar.
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