Montag, 28. August 2017

Mit Greenpeace zur Bäreninsel - Teil 3

Ein paar Stunden waren wir nun schon auf der Bäreninsel, und das Wetter hielt sich. Es war dicht bewölkt, aber trocken - und das war auch gut so, denn dank unserer Fotografen machten wir kaum Strecke. Einmal im Foto-Modus, bekam man sie kaum vom Fleck: Ich fand's klasse, denn so konnte auch ich das ein oder andere Bild machen. Da ich hier nicht als Fotograf angeheuert war, sondern als Eisbärenwache und Guide, hatte ich viel Gepäck und Gewehr auf den Schultern, sowie (mit Ulvar zusammen) die Verantwortung für's Wohlergehen der Gruppe. Meine Kamera ganz Zuhause zu lassen kam nicht in Frage, aber ich konnte nur eine extrem abgespeckte Ausrüstung einpacken: eine Kamera mit einem Objektiv, das war's. Aber das reichte für schnelle Dokufotografie, wenn es der Moment erlaubte, und solcherlei Momente gab es zum Glück öfters.







Wir waren mittlerweile zum östlichsten Ausläufer der südlichen Vogelklippen vorgedrungen: Oben der Blick nach Nordosten, in unsere Ankerbucht Sørhamna hinein.

Während unseres 14-stündigen Landaufenthaltes kamen wir nicht weit: wir wanderten nur etwa fünf Kilometer an den 200 Meter hohen Klippen entlang und genossen das Erlebnis. Die Bäreninsel liegt auf 74° nördlicher Breite, was bedeutet, dass die Sonne im Sommer nicht untergeht und wir trotz Bewölkung bis etwa 22:30 Uhr noch gutes Fotolicht hatten - nun ja, gut genug für Dokumentarfotografie zumindest.



Während Christian und Will sich am Boden herumrollten (meine Güte - mir war gar nicht klar wie bescheuert ich selber aussehen muss wenn ich fotografiere!), 360° Kameras an langen Selfie-Sticks über die Klippen hielten und die Drohne fliegen ließen, kümmerten Ulvar und ich uns ums leibliche Wohl des Landteams. Wir richteten ein provisorisches Lager ein, schmolzen Wasser aus den Restschneefeldern, kochten es auf und riefen zum sehr verspäteten Mittagessen, später dann zu mehreren Kaffee- bzw. Schokopausen, und einem Abendessen (Astronautennahrung: Heißwasser drauf und fertig...).



Nachdem weit und breit immer noch kein Eisbär in Sicht war, und es noch zwei Nichtfotografen gab die in der Vertikalen blieben, gab es auch für mich kein Halten mehr: ich erlaubte es mir, ebenfalls in den Foto-Wahn-Modus zu verfallen. Die Südküste der Bäreninsel von oben ist so viel spektakulärer, als ich es mir vorgestellt hatte! Ich dachte immer, der Blick von unten sei am Interessantesten, doch ich wurde hier eines Besseren belehrt. Diese Küste ist der Hammer!







Zum ersten Mal im Leben kam ich auf Sichtweite an Trottellummen heran, was für mich etwas Besonderes war. Auf Spitzbergen hatte ich bisher nur Kontakt zu ihren arktischen Verwandten gehabt, den Dickschnabellummen. Diese sind sehr selten im Süden zu finden, die Bäreninsel ist mit ihre südlichste Brutpopulation. Bei den Trottellummen verhält es sich umgekehrt: sie haben den Süden für sich beansprucht, brüten von Portugal bis hoch zur Bäreninsel. Die nah miteinander verwandten Vögel unterscheiden sich durch eine leicht andere Gefiederzeichnung und Markierungen am Kopf. Dickschnabellummen, die arktische Art welche auf Spitzbergen vorkommt, haben zwischen der oberen und unteren Schnabelhälfte einen weißen Strich, der den ohnehin schon breiteren Schnabel noch dicker erscheinen lässt.



Trottellummen haben diesen Strich nicht, sondern sind entweder komplett schwarz am Kopf, oder tragen eine Brille: einen Ring um's Auge, dem ein weißer "Henkel" in Richtung Nacken entspringt.
Ob eine Trottellumme eine Brille hat, oder nicht, hat nichts mit dem Geschlecht oder einer besonderen Unterart zu tun: dieses Merkmal ist einfach nur eine Farbvariante innerhalb derselben Population. Spannenderweise gibt es dabei ein Nord-Süd-Gefälle: Bei Trottellummen in Portugal gibt es so gut wie keine Brillenträger, wogegen hier auf der Bäreninsel bis zu 50% der Vögel bebrillt sind.



Ab dem Abend nahm die Bewölkung langsam aber sicher zu und hüllten sich die Gipfel in graues Nass. Dadurch wurde es um kurz vor Mitternacht zu dunkel, um noch gute Fotos zu machen, Mitternachtssonne hin oder her. Und da die Fotografen ihre Wunschbilder im Kasten hatten, machten wir tatsächlich noch eine kleine Wanderung, um noch einen anderen Aspekt der Insel zu sehen: die wüstenhafte Berglandschaft nördlich der Vogelfelsen.



Um zwei Uhr Nachts traten wir den Rückweg an und erreichten die Nordklippen von Sørhamna, in der die 'Arctic Breeze' wieder geankert hatte. Da es weiterhin keinen sicheren Weg hinab zum Strand gab, hatten wir auf dem ersten Kilometer eine Tasche hierhin geschleppt, die mit Kletterausrüstung gefüllt war: 60 Meter Seil, Klettergurte, Helme, Anker und Brimborium. Ulvar befestigte den Anker und ich seilte mich als Erste die gut 20 Meter hohe Klippe herab, bevor ich auf einem steilen aber ab dort gut begehbarem Schotterfeld zum Stehen kam. Hier wartete ich auf die anderen und half ihnen beim Ausklinken. Als die anderen, einer nach dem anderen, zum Schiff gebracht wurden wurden, kam zum Schluss auch Ulvar runter. Zusammen schafften wir es dann auch, das doppelt durchgezogene Seil aus dem Anker zu ziehen, sodass nur dieser oben blieb: Mission abseiling completed!


Die dreieinhalb Tage Rückfahrt habe ich aus dem Kalender gestrichen. Wir flohen vor einem Sturm in Richtung Russland, und segelten unter Motor so lange Richtung Südosten, dass ich schon dachte, bald in Murmansk anzukommen. Die Barentssee machte ihrem Ruf mal wieder alle Ehre. Meine guten Seekrankheitspillen waren aus, und ich fand alles ziemlich scheisse und verbrachte so viel Zeit in der Horizontalen, dass ich vor lauter Rückenschmerzen letztlich kaum mehr liegen konnte. Eh, diese Seefahrt immer. Warum ist der Mensch bloß je auf die blöde Idee gekommen, Schiffe zu nutzen...?



Und dann waren wir endlich wieder in Tromsø angekommen, zusammen mit der 'Arctic Sunrise'. Unser Rendezvous war kein Zufall: Will und Christian mussten das Schiff wechseln und direkt wieder losstarten. Die Reise auf der 'Arctic Sunrise' würde sie diesmal wieder fast bis zur Bäreninsel bringen, bis zu einer Ölplattform, der nördlichsten dort oben, um zu protestieren. Das Schiff blieb aber noch zwei Tage im Hafen, zwei herrliche Tage, bei denen Ulvar und auf dem Schiff bei allem aushalfen, bei dem wir helfen konnten  - und einfach nur eine gute Zeit hatten. Wie schon im Jahr 2009, so durfte ich feststellen, dass auf den Greenpeace-Schiffen enorm imponierende Persönlichkeiten zu finden sind: tolle Charaktere, voller Drang, die Welt zum Besseren zu verändern. Dazu gehörte auch Lucy Lawless, eine neuseeländische Schauspielerin, die in den Neunzigern als "Xena - die Kriegerprinzessin" berühmt wurde - und schon mehrmals mit Greenpeace gegen die Ölindustrie gekämpft hat.

Das nachfolgende kleine Video zeigt sowohl Lucy, als auch einige der Sequenzen, die Christian während unserer Reise gefilmt hat.



Die Rückreise von Nordnorwegen nach Deutschland geschah zwar wieder ohne Flugzeug, aber in einer schier unglaublichen Geschwindigkeit: ich reiste mit dem Nachtzug durch Schweden und hatte dabei nur eine Übernachtung in Dänemark. Zugfahren ist ja sooooo super - es ist mir völlig wurscht, dass man ab und zu einmal Verspätung hat, es ist schlichtweg eine herrliche Fortbewegungsmethode, super angenehm und abwechslungsreich. Ich habe außerdem festgestellt, dass es ein super Gesprächs-Starter ist, ein Greenpeace-T-Shirt anzuhaben: da setzen sich dann gleich die Leute neben einen, die auch nett sind! :-)

Soweit so gut: ich melde mich bald wieder, versprochen - denn die kommenden Monate werden Spannend werden!

Also: bis dann!

Mittwoch, 23. August 2017

Mit Greenpeace zur Bäreninsel - Teil 2

Nach 70 Stunden auf See waren wir endlich bei Bjørnøya angekommen
Quelle: Wikimedia Commons
und ankerten im Schutz des einzigen guten, natürlichen Hafens der Südküste: in einer Bucht namens Sørhamna, dem 'Südhafen'.

Bjørnøya ist im Nordwesten flach, im Südosten aber bergig: dort befinden sich sowohl die höchsten Erhebungen (bis 535 Meter) als auch die großen Vogelkolonien. Offizielle Zahlen habe ich keine gefunden, aber hier brüten hunderttausende von Lummen, Dreizehenmöwen und Eissturmvögeln, manche Quellen sprechen von bis zu 1.5 Millionen allein in den südlichen Klippen der Insel. Die sind allerdings so hoch und steil, dass man nur ein paar wenige, dünne Strände darunter betreten kann; einen Aufstieg gibt es hier aber nicht. Dies wissend, verbrachten wir den ersten Abend bewusst auf dem Wasser, damit die beiden Fotografen Bilder unterhalb der Klippen machen konnten.



Die Nacht war insofern turbulent, als dass wir gerammt wurden: von dem einzigen anderen Boot, das sich zusammen mit uns vor den vorhergesagten starken Winden in die Bucht zurückgezogen hatte. In dem kleinen Segelboot (etwa ein Drittel kleiner als wir) hielt nachts niemand Wache, und so bekamen
es die fünf Norweger nicht mit, dass ihr Anker nicht mehr hielt und sie in uns hineintrieben. Das Ganze lief wohl so schnell ab, dass unsere Nachtwache kaum Zeit zum Reagieren hatte und es deswegen ganz ordentlich knallte. Ungünstig - aber scheinbar ohne bleibenden Schaden.



Der nächste Tag brachte, wie vorhergesagt, stürmischen Wind aus Ost. Die Wolken hingen tief und umwaberten die Wipfel der höchsten Berge; später regnete es. Es waren meist keine guten Bedingungen für die Fotografie, geschweige denn, die Insel zu betreten. Dafür hätten wir Sørhamna verlassen müssen, und es gab weit und breit keine andere Bucht, die der 'Arctic Breeze' Schutz und Ankerstelle geboten hätte. So blieben wir also einfach da. Ulvar und ich setzten zum Strand über und versuchten, vielleicht ja doch einen Weg nach oben zu finden - aber vergeblich. Der Fels ist zu steil, um ihn hinaufzulaufen, und gleichzeitig zu locker, um zu klettern. Daraufhin versuchten wir, die Klippen mit dem für diese Aktion viel zu kleinen Dingi (Schlauchboot) zu umrunden, mit dem Resultat, dass wir dank zu hohen Seegangs fast untergingen. Plitschnass kehrten wir zurück an Bord und sammelten die Fotografen auf, um sie zumindest unten am Strand abzusetzen, damit sie ein paar erste Bilder machen konnten. Und während sie das taten, kümmerten Max und ich uns darum, Frischwasser an Bord zu bringen, denn das ging langsam aber sicher zur Neige.

Ein Eiderentenweibchen auf seinem Nest.
Es verlässt sich komplett auf seine Tarnung und wird erst dann flüchten, wenn man fast drauftritt.


Ein Lummen-Ei
         
Der nächste Morgen brachte ruhigeres Wetter und die Möglichkeit, unseren sicheren Hafen zu verlassen. Wir ließen uns von der 'Arctic Breeze' in der Kvalrossbukta absetzen, der nächsten größeren Bucht nördlich von Sørhamna, von wo aus wir die Klippen quasi von hinten erklimmen konnten. Während ich auf die anderen wartete und wir eine Menge Gepäck mit an Land brachten, erkundete ich die Küste. Es war mal wieder ein ernüchternder erster Eindruck, denn unser Müll, der ist schon lange vor uns da. Es scheint leider heutzutage ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, noch irgendwo einen komplett naturbelassenen Strand zu finden: selbst nicht auf so entlegenen Insel wie der Bäreninsel.



Zu fünft standen wir dann endlich an Land, schwer bepackt und voller Vorfreude auf die vor uns liegende Nacht. Ein Sturm war vorhergesagt, der uns zu einer verfrühten Abreise zwang: spätestens am kommenden Mittag wollte unser Kapitän wieder die Segel setzen. Von daher hieß es, von den verbliebenen 24 Stunden jede Minute auszunutzen. Und so zögerten wir nicht lange und wanderten Richtung Südwesten, zuerst einmal hinüber nach Sørhamna, unserem Ankerplatz. Das Schiff war schon wieder auf dem Weg dorthin, als ich das folgende Panoramafoto machte.



Obwohl Ulvar eine Mordswanderung über die halbe Insel geplant hatte, kamen wir nicht weit. Alle 10 Meter offenbarte sich ein anderes Motiv, und die beiden Fotografen hatten eine ganze Liste abzuarbeiten von gewünschten Aufnahmen und Blickwinkeln. Christian hatte beispielsweise eine Drohne dabei (meine Begeisterung darüber hielt sich SEHR in Grenzen) und sollte außerdem mit der Filmkamera Interviews mit der deutschen Campaignerin Steffi führen.



Auch ich erledigte brav meine Pflichten: ich suchte Eisbären, von denen ich wie erwartet keine fand. Bjørnøya wurde bei ihrer Entdeckung zwar nach einem schwimmenden Eisbären benannt, aber seitdem es in Zeiten des Klimawandels in dieser Umgebung so gut wie kein Meereis mehr gibt, bleiben auch die Bären aus. Da es theoretisch zwar sein kann, dass es irgendwann mal einen Bären hierhin verschlägt, und die Insel offiziell zu Spitzbergen gehört und hier die gleichen Regeln gelten, muss man 'Mittel zur Abwehr von Eisbären' mit dabei haben: weswegen ich angeheuert wurde. Ein echt toller Job, Eisbärenwache auf einer Reise zu sein, wo die Begegnung mit einem Eisbären einem Sechser im Lotto gleichkommt! :-)

Obwohl ich wusste, dass diese Gegend ein stark befischtes Gebiet ist, so war ich überrascht, dass sage und schreibe sieben große Schiffe im Lee der Insel ankerten. Das umliegende Meer ist extrem produktiv: der Fischreichtum lockt nicht nur die Tiere, sondern auch uns Menschen hierher mit ihren großen Fabrikschiffen.



Wenn man das so sieht, all diese großen Schiffe, die Wale, die unzähligen Vögel - da begreift man erst, was hier in Gefahr ist. Der Golfstrom fließt mit etwa einem Knoten Geschwindigkeit die norwegische Küste entlang und endet schließlich an der Westküste Spitzbergens. Sollte es bei einer der mittlerweile vielen Ölplatformen nördlich von Norwegen zu einem Ölunfall kommen, wird dieses Öl direkt nach Norden gebracht werden und Tonnenweise Fisch töten - und zig Tausende von Vögeln dazu. Einerseits brüten sie hier in den Klippen, gut geschützt vor allen Räubern, andererseits ziehen sie in großen Schwärmen schwimmend an den Ölplattformen vorbei. Eine Ölpest würde diese stark belebten Gegenden innerhalb weniger Tage erreichen. Nicht auszudenken, was das für die Vogelpopulation hier bedeuten würde!









Donnerstag, 17. August 2017

Mit Greenpeace zur Bäreninsel - Teil 1

Der Sommer 2017 stellt für mich etwas Besonderes dar, auch und vor allem, weil ich viel Zeit in Deutschland verbracht habe - das erklärt dann vielleicht auch den Mangel an Blogbeiträgen. Ich habe seit Juni nicht mehr auf Expeditionsschiffen gearbeitet und mich statt dessen auf die Suche nach anderen Tätigkeiten gemacht. Nichts gegen meine tollen Jobs, die ich auch in Zukunft weiterführen möchte, aber sie sind auch ziemlich anstrengend. Das letzte, was ich möchte, ist, die Wertschätzung und Faszination an der nordischen Natur zu verlieren, weil ich entweder ein Burnout erleide oder das Besondere zur Routine wird. Zudem würde ich mich gerne mehr für Natur und Klima einsetzen, als bisher: Also habe ich seit dem Frühjahr das Internet nach Neuem durchforstet, Kontakte geknüpft und Bewerbungen geschrieben. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!



Da ich diese Saison nicht auf Schiffen anheuerte, konnte ich auf spontane Angebote reagieren. Als nämlich Greenpeace anfragte, ob ich nicht Lust und Zeit habe, eine Reise zur Bäreninsel zu begleiten, musste ich nicht lange überlegen. So machte ich mich Anfang Juli wieder einmal auf den Weg nach Norden, natürlich wieder ohne zu fliegen. Innerhalb von vier Tagen reiste ich von Lohmar nach Tromsø in Nordnorwegen: und zwar über Schweden und Finnland. Das klingt verrückt (ist es auch),
war aber super! :-)




Der Grund für die ungewöhnliche Reiseroute (Deutschland - Dänemark - Stockholm - Turku - Helsinki - Tromsø) war, dass die diesjährigen arktischen Greenpeace-Aktionen von Greenpeace Nordic geplant werden, einem Zusammenschluss der Greenpeace-Büros Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Sowohl Norwegen, Schweden als auch Finnland wollten Material nach Tromsø transportieren, weshalb ein Norweger namens Ulvar mit einem schwedischen Lieferwagen von Stockholm nach Helsinki fuhr - und von dort aus mit vollem Kleinbus weiter, längs durch Finnland, bis nach Tromsø in Nordnorwegen. Ich nutzte die Aktion aus und sprang mit auf: und hab in der Zeit echt 'ne Menge Wald gesehen. Wie man im Sommer Urlaub in Finnland machen kann, ist mir schon ein bisschen rätselhaft: flach wie ein Pfannkuchen scheint das Land zu sein, und außer Bäumen und Straßenschildern hab' ich herzlich wenig gesehen auf der langen Reise. Quasi als Entschädigung gab's eine fette Reifenpanne (wir hatten einen Ersatzrad an Bord - yeay!), und ich sah, nach stundenlangem Suchen, für jeweils 5 Sekunden ein Rentier und zwei Elche irgendwo im Gestrüpp. War ich froh, als wir über die flachen Berge nach Norwegen querten und dann endlich wieder Landschaft zu Gesicht bekamen!



In Tromsø angekommen, war es Ulvars und meine Aufgabe, unser Schiff startklar zu machen. Eigentlich sollte die Reise auf der 'Arctic Sunrise' durchgeführt werden, dem eisgängigsten aller Greenpeace-Schiffe. Dieses war seit dem Winter im Trockendock, um generalüberholt zu werden. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Schiff rechtzeitig aus einer größeren Reperatur- oder Erneuerungspause fertig wurde, und hier war es nicht anders: statt zur Bäreninsel zu fahren, machte die 'Arctic Sunrise' ihre ersten Seetauglichkeits-Testfahrten in Holland.
Dumm gelaufen!

Die 'Arctic Sunrise' vor ihrem Umbau, in Spitzbergen, wo ich sie seit 2012 jeden Sommer gesehen habe.






  
Um unsere Aktion doch noch durchführen zu können, musste ein anderes Schiff her: aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen viel kleiner als die 'Arctic Sunrise'. Als ich unser Ersatz-Schiff dann sah, wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte: die 'Arctic Breeze' (vom Typ 'Bavaria 51', falls das jemandem etwas sagt...) war eine Nussschale! 15,60 Meter lang, 4,60 Meter breit, mit 10 Betten und drei (!!!) Klos, dafür aber kaum Lagerraum. Das schien ja eine interessante Reise zu werden!


Was genau hatten wir vor? Wie im vorherigen Blogbeitrag beschrieben, will Norwegen so weit nördlich wie nie zuvor nach Öl und Gas bohren. Greenpeace protestiert dagegen und zieht sogar gegen den norwegischen Staat vor Gericht: unter anderem deshalb, weil Norwegen seine Klimaziele innerhalb des Pariser Klimaschutzabkommens nicht einhalten können wird, wenn es neue Ölquellen erschließt. Der Stand der Dinge ist simpel: sollten wir alle momentan genutzten Ölquellen aufbrauchen, ist das 1.5° Ziel schon jetzt nicht realistisch. Im Anblick der sich immer schneller zuschärfenden Klimakrise nun auch noch neue Öl- und Gasfelder zu erschließen, ist ethisch absolut verwerflich, besonders und gerade wenn Norwegen sich stolz als Vorreiter in Sachen Klimaschutz tituliert.

Quelle: www.facebook.com/arctic.rising



Wenn ihr Greenpeace unterstützen wollt, dann habt ihr noch bis November Zeit, euch an der Unterschriftenaktion zu beteiligen, welche die Klage gegen Norwegens arktische Ölaktivitäten begleiten wird:
www.savethearctic.org/de/peoplevsarcticoil/


Neben den 'üblichen' Protestaktionen will Greenpeace auch Bildmaterial haben von den Lebensräumen, die von den Aktivitäten dort oben bedroht sind. Also wurde unsere Fahrt ins Leben gerufen: eine Dreier-Crew von anderen Greenpeace-Schiffen (Kapitän Daniel, Steuerfrau Emma und Matrose Max), eine Mitarbeiterin von Greenpeace Deutschland (Steffi), der Expeditionsleiter Ulvar vom norwegischen Greenpeace-Büro, zwei Fotografen bzw. Filmer (Will und Christian) - und ich als Eisbärenwache und Guide. Acht Leute in einer Nussschale, die nicht genug Diesel an Bord hatte, um die Fahrt komplett mit Motor zu bestreiten, in der wilden Barentssee, unter absurdem Zeitdruck, bei fürs Segeln schlechter Wettervorhersage. Da konnte doch gar nichts schiefgehen!




Die 'Arctic Breeze' war für acht Leute völlig okay: winzig und schlecht konzipiert, aber gemütlich. Die beiden Fotografen / Filmer hatten so dermaßen viel Gepäck dabei, dass wir eine Kabine komplett zum Lagerraum umfunktionieren mussten und ihr Fotozeugs trotzdem überall herumlag. Die Stimmung an Bord war gut, alle waren erfahrene Sardinen, die schon oft mit lauter vorher Unbekannten auf kleinstem Raum zusammengepfercht gewesen waren: hilfsbereit, unkompliziert und auf den Erfolg der Mission erpicht.



Wir segelten das Boot in drei Schichten, ich war zusammen mit der ersten Offizierin Emma für die 4-8 bzw. 16-20 Uhr Wache verantwortlich - zumindest wenn ich nicht zu seekrank war. Wir hatten zwar einigermaßen Wetterglück (die Barentssee kann eine Waschmaschine sein...), aber so ein kleiner Kahn schaukelt einfach ohne Ende. Zudem gingen meine besten Seekrankheitstabletten während der Reise zur Neige und half die andere Marke nicht wirklich - nun ja. Was heuere ich auch immer wieder auf Schiffen an, wissend, dass ich schnell seekrank werde? Selbst schuld, liebe Kerstin, selbst schuld... Aber solange ich immer mal wieder nicht seekrank bin, lässt sich das ganz gut ertragen.




Der Zufall führte uns nach etwa der Hälte der Strecke direkt an einer Ölplattform vorbei. Ich selber weiß gar nicht, wie viele von den Teilen momentan dort oben unterwegs sind. Einige sind fest installiert, andere sind beweglich (also ständig woanders), und andere Installationen der norwegischen Öl- und Gasfelder sind komplett unter Wasser, man sieht also gar nichts. Diese hier ist die 'Leiv Eiriksson', eine selbstfahrende, halbtauchende Ölbohrplattform, die zu den größten ihrer Art gehört. Das Deck hat die Maße 78 × 66 Meter, die beiden Schwimmkörper in Katamaranbauform (unsichtbar unter Wasser) sind je 105 Meter lang, 16 Meter breit und 12 Meter hoch. Der Antrieb der Plattform erfolgt durch sechs computergesteuerte Ruderpropeller, welche um 360 Grad schwenkbar sind und die Bohrinsel auf 6 Knoten Geschwindigkeit bringen können - echt ein ziemliches Wunderwerk der Technik, das muss selbst ich als akuter Gegner von Ölförderung zugeben.



Die Mannschaftsstärke der 'Leiv Eiriksson' beträgt regulär 120 Personen. Bei Bohrarbeiten in Wassertiefen bis 400 Meter wird sie mit acht Spezialankern auf dem Meeresboden verankert. Bei größeren Tiefen wird sie von ihren Antrieben direkt über einem Bohrloch in Stellung gebracht und kann diese Position genau halten. Diese Bohrinsel wird von verschiedenen Mineralölunternehmen angemietet, in deren Auftrag sie in bestimmten Gebieten nach Öl bohrt. 2011 war sie im schwarzen Meer aktiv, 2012 bei den Falklandinseln, und jetzt eben hier oben in der Barentssee.




Nach drei vollen Tagen auf See kam dann endlich die Bäreninsel in Sicht: ein großer Fels mitten im entlegenen Nordmeer. Knapp 20 Kilometer lang und 13 Kilometer breit liegt Bjørnøya irgendwo im Nirgendwo: 235 Kilometer südlich von Spitzbergen und 397 Kilometer nordnordwestlich vom norwegischen Festland.

Quelle: Wikimedia Commons, Urheber: Pinpin

Offiziell gilt Bjørnøya als südlichste Insel von Svalbard, aber für mich ist sie einzigartig anders. Es gibt hier keine Gletscher, keine großen Säuger und weder Bäume noch Sträucher, keine Häfen, keine Siedlung (nur eine norwegische, meteorologische Station) und folglich auch keinen Flughafen: kaum jemanden verschlägt es hierher. Selbst die Expeditions-Kreuzfahrtschiffe stoppen, wenn überhaupt, nur für eine Landung, um dann mit Vollgas gen Spitzbergen weiter zu fahren. Auch wenn die Bäreninsel zugegebenermaßen nicht so spannend ist, wie Svalbard, so ist sie dennoch interessant - und freute ich mich sehr über die Gelegenheit, Greenpeace hierher begleiten zu dürfen. Uns erwartete sogar ein im wahrsten Sinne des Wortes 'gigantisches' Willkommenskommitee: als sich die Klippen langsam als dunkle Scheerenschnitte aus dem Nebel lösten, tauchten zwei Buckelwale und ein Zwergwal mehrmals in unmittelbarer Nähe zu uns auf. Wow, was für ein Empfang!