Donnerstag, 17. August 2017

Mit Greenpeace zur Bäreninsel - Teil 1

Der Sommer 2017 stellt für mich etwas Besonderes dar, auch und vor allem, weil ich viel Zeit in Deutschland verbracht habe - das erklärt dann vielleicht auch den Mangel an Blogbeiträgen. Ich habe seit Juni nicht mehr auf Expeditionsschiffen gearbeitet und mich statt dessen auf die Suche nach anderen Tätigkeiten gemacht. Nichts gegen meine tollen Jobs, die ich auch in Zukunft weiterführen möchte, aber sie sind auch ziemlich anstrengend. Das letzte, was ich möchte, ist, die Wertschätzung und Faszination an der nordischen Natur zu verlieren, weil ich entweder ein Burnout erleide oder das Besondere zur Routine wird. Zudem würde ich mich gerne mehr für Natur und Klima einsetzen, als bisher: Also habe ich seit dem Frühjahr das Internet nach Neuem durchforstet, Kontakte geknüpft und Bewerbungen geschrieben. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!



Da ich diese Saison nicht auf Schiffen anheuerte, konnte ich auf spontane Angebote reagieren. Als nämlich Greenpeace anfragte, ob ich nicht Lust und Zeit habe, eine Reise zur Bäreninsel zu begleiten, musste ich nicht lange überlegen. So machte ich mich Anfang Juli wieder einmal auf den Weg nach Norden, natürlich wieder ohne zu fliegen. Innerhalb von vier Tagen reiste ich von Lohmar nach Tromsø in Nordnorwegen: und zwar über Schweden und Finnland. Das klingt verrückt (ist es auch),
war aber super! :-)




Der Grund für die ungewöhnliche Reiseroute (Deutschland - Dänemark - Stockholm - Turku - Helsinki - Tromsø) war, dass die diesjährigen arktischen Greenpeace-Aktionen von Greenpeace Nordic geplant werden, einem Zusammenschluss der Greenpeace-Büros Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Sowohl Norwegen, Schweden als auch Finnland wollten Material nach Tromsø transportieren, weshalb ein Norweger namens Ulvar mit einem schwedischen Lieferwagen von Stockholm nach Helsinki fuhr - und von dort aus mit vollem Kleinbus weiter, längs durch Finnland, bis nach Tromsø in Nordnorwegen. Ich nutzte die Aktion aus und sprang mit auf: und hab in der Zeit echt 'ne Menge Wald gesehen. Wie man im Sommer Urlaub in Finnland machen kann, ist mir schon ein bisschen rätselhaft: flach wie ein Pfannkuchen scheint das Land zu sein, und außer Bäumen und Straßenschildern hab' ich herzlich wenig gesehen auf der langen Reise. Quasi als Entschädigung gab's eine fette Reifenpanne (wir hatten einen Ersatzrad an Bord - yeay!), und ich sah, nach stundenlangem Suchen, für jeweils 5 Sekunden ein Rentier und zwei Elche irgendwo im Gestrüpp. War ich froh, als wir über die flachen Berge nach Norwegen querten und dann endlich wieder Landschaft zu Gesicht bekamen!



In Tromsø angekommen, war es Ulvars und meine Aufgabe, unser Schiff startklar zu machen. Eigentlich sollte die Reise auf der 'Arctic Sunrise' durchgeführt werden, dem eisgängigsten aller Greenpeace-Schiffe. Dieses war seit dem Winter im Trockendock, um generalüberholt zu werden. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Schiff rechtzeitig aus einer größeren Reperatur- oder Erneuerungspause fertig wurde, und hier war es nicht anders: statt zur Bäreninsel zu fahren, machte die 'Arctic Sunrise' ihre ersten Seetauglichkeits-Testfahrten in Holland.
Dumm gelaufen!

Die 'Arctic Sunrise' vor ihrem Umbau, in Spitzbergen, wo ich sie seit 2012 jeden Sommer gesehen habe.






  
Um unsere Aktion doch noch durchführen zu können, musste ein anderes Schiff her: aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen viel kleiner als die 'Arctic Sunrise'. Als ich unser Ersatz-Schiff dann sah, wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte: die 'Arctic Breeze' (vom Typ 'Bavaria 51', falls das jemandem etwas sagt...) war eine Nussschale! 15,60 Meter lang, 4,60 Meter breit, mit 10 Betten und drei (!!!) Klos, dafür aber kaum Lagerraum. Das schien ja eine interessante Reise zu werden!


Was genau hatten wir vor? Wie im vorherigen Blogbeitrag beschrieben, will Norwegen so weit nördlich wie nie zuvor nach Öl und Gas bohren. Greenpeace protestiert dagegen und zieht sogar gegen den norwegischen Staat vor Gericht: unter anderem deshalb, weil Norwegen seine Klimaziele innerhalb des Pariser Klimaschutzabkommens nicht einhalten können wird, wenn es neue Ölquellen erschließt. Der Stand der Dinge ist simpel: sollten wir alle momentan genutzten Ölquellen aufbrauchen, ist das 1.5° Ziel schon jetzt nicht realistisch. Im Anblick der sich immer schneller zuschärfenden Klimakrise nun auch noch neue Öl- und Gasfelder zu erschließen, ist ethisch absolut verwerflich, besonders und gerade wenn Norwegen sich stolz als Vorreiter in Sachen Klimaschutz tituliert.

Quelle: www.facebook.com/arctic.rising



Wenn ihr Greenpeace unterstützen wollt, dann habt ihr noch bis November Zeit, euch an der Unterschriftenaktion zu beteiligen, welche die Klage gegen Norwegens arktische Ölaktivitäten begleiten wird:
www.savethearctic.org/de/peoplevsarcticoil/


Neben den 'üblichen' Protestaktionen will Greenpeace auch Bildmaterial haben von den Lebensräumen, die von den Aktivitäten dort oben bedroht sind. Also wurde unsere Fahrt ins Leben gerufen: eine Dreier-Crew von anderen Greenpeace-Schiffen (Kapitän Daniel, Steuerfrau Emma und Matrose Max), eine Mitarbeiterin von Greenpeace Deutschland (Steffi), der Expeditionsleiter Ulvar vom norwegischen Greenpeace-Büro, zwei Fotografen bzw. Filmer (Will und Christian) - und ich als Eisbärenwache und Guide. Acht Leute in einer Nussschale, die nicht genug Diesel an Bord hatte, um die Fahrt komplett mit Motor zu bestreiten, in der wilden Barentssee, unter absurdem Zeitdruck, bei fürs Segeln schlechter Wettervorhersage. Da konnte doch gar nichts schiefgehen!




Die 'Arctic Breeze' war für acht Leute völlig okay: winzig und schlecht konzipiert, aber gemütlich. Die beiden Fotografen / Filmer hatten so dermaßen viel Gepäck dabei, dass wir eine Kabine komplett zum Lagerraum umfunktionieren mussten und ihr Fotozeugs trotzdem überall herumlag. Die Stimmung an Bord war gut, alle waren erfahrene Sardinen, die schon oft mit lauter vorher Unbekannten auf kleinstem Raum zusammengepfercht gewesen waren: hilfsbereit, unkompliziert und auf den Erfolg der Mission erpicht.



Wir segelten das Boot in drei Schichten, ich war zusammen mit der ersten Offizierin Emma für die 4-8 bzw. 16-20 Uhr Wache verantwortlich - zumindest wenn ich nicht zu seekrank war. Wir hatten zwar einigermaßen Wetterglück (die Barentssee kann eine Waschmaschine sein...), aber so ein kleiner Kahn schaukelt einfach ohne Ende. Zudem gingen meine besten Seekrankheitstabletten während der Reise zur Neige und half die andere Marke nicht wirklich - nun ja. Was heuere ich auch immer wieder auf Schiffen an, wissend, dass ich schnell seekrank werde? Selbst schuld, liebe Kerstin, selbst schuld... Aber solange ich immer mal wieder nicht seekrank bin, lässt sich das ganz gut ertragen.




Der Zufall führte uns nach etwa der Hälte der Strecke direkt an einer Ölplattform vorbei. Ich selber weiß gar nicht, wie viele von den Teilen momentan dort oben unterwegs sind. Einige sind fest installiert, andere sind beweglich (also ständig woanders), und andere Installationen der norwegischen Öl- und Gasfelder sind komplett unter Wasser, man sieht also gar nichts. Diese hier ist die 'Leiv Eiriksson', eine selbstfahrende, halbtauchende Ölbohrplattform, die zu den größten ihrer Art gehört. Das Deck hat die Maße 78 × 66 Meter, die beiden Schwimmkörper in Katamaranbauform (unsichtbar unter Wasser) sind je 105 Meter lang, 16 Meter breit und 12 Meter hoch. Der Antrieb der Plattform erfolgt durch sechs computergesteuerte Ruderpropeller, welche um 360 Grad schwenkbar sind und die Bohrinsel auf 6 Knoten Geschwindigkeit bringen können - echt ein ziemliches Wunderwerk der Technik, das muss selbst ich als akuter Gegner von Ölförderung zugeben.



Die Mannschaftsstärke der 'Leiv Eiriksson' beträgt regulär 120 Personen. Bei Bohrarbeiten in Wassertiefen bis 400 Meter wird sie mit acht Spezialankern auf dem Meeresboden verankert. Bei größeren Tiefen wird sie von ihren Antrieben direkt über einem Bohrloch in Stellung gebracht und kann diese Position genau halten. Diese Bohrinsel wird von verschiedenen Mineralölunternehmen angemietet, in deren Auftrag sie in bestimmten Gebieten nach Öl bohrt. 2011 war sie im schwarzen Meer aktiv, 2012 bei den Falklandinseln, und jetzt eben hier oben in der Barentssee.




Nach drei vollen Tagen auf See kam dann endlich die Bäreninsel in Sicht: ein großer Fels mitten im entlegenen Nordmeer. Knapp 20 Kilometer lang und 13 Kilometer breit liegt Bjørnøya irgendwo im Nirgendwo: 235 Kilometer südlich von Spitzbergen und 397 Kilometer nordnordwestlich vom norwegischen Festland.

Quelle: Wikimedia Commons, Urheber: Pinpin

Offiziell gilt Bjørnøya als südlichste Insel von Svalbard, aber für mich ist sie einzigartig anders. Es gibt hier keine Gletscher, keine großen Säuger und weder Bäume noch Sträucher, keine Häfen, keine Siedlung (nur eine norwegische, meteorologische Station) und folglich auch keinen Flughafen: kaum jemanden verschlägt es hierher. Selbst die Expeditions-Kreuzfahrtschiffe stoppen, wenn überhaupt, nur für eine Landung, um dann mit Vollgas gen Spitzbergen weiter zu fahren. Auch wenn die Bäreninsel zugegebenermaßen nicht so spannend ist, wie Svalbard, so ist sie dennoch interessant - und freute ich mich sehr über die Gelegenheit, Greenpeace hierher begleiten zu dürfen. Uns erwartete sogar ein im wahrsten Sinne des Wortes 'gigantisches' Willkommenskommitee: als sich die Klippen langsam als dunkle Scheerenschnitte aus dem Nebel lösten, tauchten zwei Buckelwale und ein Zwergwal mehrmals in unmittelbarer Nähe zu uns auf. Wow, was für ein Empfang!




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