Montag, 3. Juli 2017

Norwegen - von Klimaschutz und Ölförderung

Norwegen und Island sind zwei grundsätzlich verschiedene Länder, und doch haben sie mindestens eines gemein: ihre Bewohner schaffen andauernd Paradoxe. Wie widersprüchlich die Isländer denken und handeln habe ich ja schon öfters berichtet. Und nun, da ich mehr und mehr Zeit in Norwegen verbringe (Spitzbergen gehört ja zu Norwegen), desto mehr sehe ich, dass die Mentalität von Norwegern und Isländern sich in vieler Hinsicht ziemlich ähnelt. Mit Wille und Ausdauer kann man hier Vieles erreichen, und das hat zur Auswirkung, dass auch komplett konträre Dinge parallel ablaufen - jahrelang, jahrzehntelang, ohne dass sich etwas ändert. Auf einige dieser Paradoxe will ich hier eingehen. Die blau hinterlegten Textzeilen führen dabei zu Quellen bzw. weiterführenden Informationen. Bilder gibt's diesmal, in Ermangelung passender Motive, leider keine.

Norwegen ist ein Ölstaat und super reich, und wenn Norweger ein Großprojekt angehen, dann meist mit modernsten Methoden und Erkenntnissen. Dennoch hinkt das Land in einigen Dingen hinterher, gerade und besonders was Umweltschutz und umweltfreundliches Denken angeht. Ein Beispiel sind Wölfe. Während Deutschland in den letzten Jahrzehnten die Rückkehr der Wölfe willkommen geheißen hat und sich deren Population stetig erhöhen darf, sind in Norwegen dieses Jahr 42 Wölfe zum Abschuss freigeben: aus einer Gesamtpopulation von ca. 100 Tieren heraus (von denen aber „nur“ 52 Wölfe komplett in Norwegen leben, die anderen sind echte Grenzgänger).
          
Oder ein anderes Beispiel: Ökostrom und die Förderung von Elektroautos. Der Anteil von Elektroautos oder Hybriden beträgt bei den in Norwegen verkauften Neuwagen sage und schreibe 29% !   
Das Land sucht Wege, seine Klimaziele zu erreichen, und argumentiert, dass Elektroautos eine super Idee seien, weil ja 98% des dort erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. So weit, so gut. Wenn man sich das Thema aber genauer anschaut, dann stößt man auf ein Paradoxum.
Ja, 98% der in Norwegen produzierten 145 TWh sind Ökostrom (
96% Wasserkraft, 2% Windkraft ). Dieser ist aber viel zu wertvoll, um in Norwegen verbraucht zu werden, denn er lässt sich viel rentabler ins Ausland verkaufen. Die Nachfrage nach Ökostrom ist höher denn je, weil jeder zumindest auf dem Papier irgendwie so aussehen will, als nähme er den Klimaschutz ernst. Und weil Norwegen so viel seines Stromes verkauft, muss das Land große Mengen Strom ankaufen: 75% des norwegischen Stromverbrauchs (130 TWh) werden auf dem Papier anderen Ländern angerechnet und stammen aus Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken. Der Ankauf von "dreckigem" Fremdstrom dürfte in Zukunft noch wachsen, besonders und gerade wenn im Jahr 2030 nur noch Teslas in Norwegen unterwegs sein sollten.

Noch mehr Paradoxen gefällig? 17% der norwegischen Landfläche stehen irgendwie unter (Natur-)Schutz. Das ist toll - aber auch hier gibt es eine große Schattenseite. Sobald Industrie Interessen an den entsprechenden Gebieten hat, sind die Chancen groß, dass diese die Erlaubnis dazu erhält: also etwa, dass in Meeresschutzgebieten nach Öl gebohrt wird. Absurd? Scheinbar nicht für diejenigen, die in Norwegen das Sagen haben. Zum Glück gibt es jene, die sich für diese Gebiete einsetzen, und so wird beispielsweise um die malerischen Lofoten schon seit Jahrzehnten gerungen. Alle paar Jahre, meist mit der Wahl einer neuen Regierung, geht es wieder los mit der Frage, wo denn nun als nächstes nach Öl gebohrt werden kann. Denn dies
ist das Fundament von Norwegens Wohlstand, und wird es auch in Zukunft bleiben. Dazu hat sich Vidar Helgesen geäußert, der norwegische Minister für Energie und Klima: „Norwegen hat die saubersten Kohlenwasserstoffe der Welt. Und solange die Welt Öl und Gas braucht, werden wir dies zur Verfügung stellen.“

Durch das Öl besitzt Norwegen die Gelder, sich als Vorreiter im Klimaschutz zu engagieren. Da wären großzügige Beteiligungen am Schutz von Regenwäldern, weltführende Forschung im Bereich von
CO2 - Speicherung, und dem Einsatz von modernsten Techniken und Erkenntnissen in Industrie und Forschung. Das Land hat hohe Ziele, will bis 2030 komplett klimaneutral sein - aber nebenbei halt noch munter weiter nach Öl bohren. In Sachen Klimawandel tut man, was man kann, während man das aus dem Boden holt, was den Klimawandel immer weiter vorantreibt. Und der eigene 
CO2 - Fußabdruck wird vorerst auch nicht gesenkt, denn: „Wir glauben nicht, dass 
CO2 - Neutralität der wichtigste Faktor im Kampf gegen den Klimawandel ist. Wir können Emissionsrechte in Entwicklungsländern kaufen. Wir brauchen nicht unseren Ausstoß hier in Norwegen zu verringern.“ (Lars Haltbrekken, Vorsitzender von Friends of the Earth Norway)

Und genau diese Einstellung hat Norwegen bewogen, jetzt so viele Gebiete für Ölbohrungen freizugeben, wie noch nie zuvor. Momentan läuft die Bewerbungsfrist für Ölfirmen, sich um 93 „Blöcke“ in der Barentssee zu bewerben: die Suche nach Öl und Gas soll so weit nördlich stattfinden, wie noch nie zuvor, nämlich bis hinauf zum 74. Breitengrad. Es geht um das Gebiet nördlich des Nordkapps: hier eine Karte, in der die Ölfördergebiete eingezeichnet sind. Der grüne Klecks links auf der obersten Linie ist übrigens Bjørnøya, die Bäreninsel.




In diesem riesigen Gebiet werden große Mengen Öl vermutet, und Nordnorwegen will Arbeitsplätze schaffen, super bezahlt, logisch, es handelt sich ja um das berühmte schwarze Gold. Gleichzeitig aber befindet man sich hier in der Arktis, so weit nördlich und damit so nah am Packeis, wie nie zuvor.

Durch den Klimawandel und vor allen den Golfstrom ist die Gegend zwar immer eisfrei, aber trotzdem: sollte es hier zu einem Ölunfall kommen, wäre das eine absolute Katastrophe für ein ohnehin fragiles Ökosystem. Erinnert ihr euch an die Ölpest der Exxon Valdez in Alaska? Hunderttausende Fische, Seevögel und andere Tiere starben als direkte Folge des Unglücks. Langfristig vergiften sich die dort lebenden Tiere schleichend über die Nahrungsaufnahme, da die Ölreste auch 28 Jahre später immer noch nicht abgebaut sind. 

Sich einen solchen Ölunfall in der europäischen Arktis vorzustellen, ist für mich der Horror schlechthin. Diese neuen Ölförderungsgebiete sind sehr nah an der Bäreninsel, auf der Zigtausende von Vögeln brüten, und die Gewässer sind voller Wale und Fisch. Der Golfstrom zieht von dort aus nach Spitzbergen und hoch zum Packeis - ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für weitreichende Folgen hätte! Die wilde See und das raue Wetter würden es schwierig bis unmöglich machen, den Ölteppich abzufangen und abzupumpen. Die Temperaturen sind viel niedriger als etwa im Golf von Mexiko (ich sage nur "Deepwater Horizon"), was bedeutet, dass alle
biologischen Prozesse langsamer voranschreiten und beispielsweise der Abbau von Öl durch Bakterien weniger effektiv wäre und sich viel länger hinziehen würde.

Und auch wenn das jetzt alles erst noch in der Planung ist, so schlägt es schon große Wellen: prompt hat auch Russland angekündigt, bald in ähnlichen Gegenden unterwegs zu sein. Selbst Svalbard ist nun im Gespräch, also wirklich mitten im Packeisgebiet.     
       

Genau deswegen bin ich nun auf dem Weg zur Bäreninsel: mal wieder ohne ein Flugzeug zu nutzen, langsam werde ich darin Spezialist! :-) Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Bus nach Stockholm und rechne damit, im Laufe der nächsten Woche nach Troms
ø zu gelangen, um dann auf ein Segelschiff umzusteigen. Was ich dann erlebe und machen werde - ich habe noch keine Ahnung, freue mich aber schon, euch dies im nächsten Blogeintrag mitteilen zu können! :-)

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