Samstag, 23. August 2014

Vonaskarð

Nach vier Tagen bin ich aus Vonaskarð zurückgekehrt. Wie erwartet wurde ich nicht Zeuge einer Eruption, hatte aber (auch wie erwartet!) dennoch eine ganz tolle Zeit! :-)

Die Erdbebenaktivität der letzten Tage
Quelle: www.isor.is
Der Vulkan im Bárðabunga ist immer noch sehr aktiv; die Erdbebenserie reißt nicht ab. Interessanterweise bewegen sich die Erdbeben immer weiter vom Krater fort, und zwar weg von dem Ort, an dem ich mich drei Tage lang aufhielt und den Vulkan beobachtete. Auch das ist ein Grund, warum ich schon am Wochenende wieder zurückgekommen bin: noch tut sich nichts, und wenn, dann würde ich von Vonaskarð aus nichts bis sehr wenig sehen können.

Dieser Vulkan ist ein so dermaßen interessantes Thema; ich könnte den ganzen Tag nur mit dem Lesen von wissenschaftlichen Meinungen verbringen! Mittlerweile gehen die Theorien über das, was passieren könnte oder passieren wird nämlich sehr weit auseinander. Einige vermuten, es gäbe ein Art "Pfropfen" in der Erdkruste, der durch die vielen Erdbeben und die aufströmende Magma nach unten gedrückt wird und so eine Öffnung für einen großen Ausbruch schaffen würde. Andere sagen, vom Zentrum des Vulkans aus gehen Spalten in alle Richtungen, wie die Speichen eines Reifens. Und momentan bewegt sich die Magma entlang einer dieser Spalten und sucht sich einen Weg nach oben. Andere sagen, die Magma interagiert mit der vom benachbarten Vulkan Grímsvötn, und es wird etwas ganz Neues geben, was wir so noch nie gesehen haben.

Spannend klingt das alles: allerdings glaube ich mittlerweile nicht mehr, dass es den gefürchteten Ascheausbruch geben wird, wegen dem ich nach Vonaskarð gereist bin. Im Krater selber werden kaum noch Erdbeben gemessen: wäre der Ausbruch so gewaltig, dann hätte er doch längst schon gestartet. Ich vermute, dass wir dies hier mit der Eruption am Fimmvörðuháls, eher noch mit den Kraflafeuern in den 80er Jahren vergleichen können: die Magma sucht sich einen ganz neuen Weg nach oben und wird, wenn sie dann mal endlich durchkommt, das Eis schmelzen, währenddessen etwas Asche produzieren, dann aber in einen schönen Lava-Fontänen-Ausbruch übergehen. Das wäre doch was! :-D

Klar, der Vulkan kann auch jederzeit wieder Ruhe geben, ohne dass es die Magma je zur Oberfläche geschafft hat - auch das ist eine Möglichkeit. Die Wissenschaftler sagen, je länger das Gerüttel da unten andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zum Ausbruch kommt. Klingt logisch. Am besten ist, wir lassen uns einfach mal überraschen, was passieren wird!


Ich bin wirklich froh, dass ich in Vonaskarð war und die Dimensionen dieses Bergs aus nächster Nähe betrachten und verstehen konnte: diese Caldera ist unglaublich groß. So sehr ich mir einen Ausbruch herbeisehne, so bin ich doch sehr froh, dass sich da kein 10km breites Loch geöffnet und eine 10-30km hohe Aschewolke ausgestoßen hat. Ich glaube, dann hätte ich da nur noch den Kopf in den Nacken legen, hochgucken und "Ups!" sagen können...

Na ja, ganz so schlimm wäre es nun auch nicht gewesen; erstmal wäre da eine weiße Wolke aus Wasserdampf aufgestiegen, in die sich in den nachfolgenden Stunden mehr und mehr Asche gemischt hätte: genug Zeit, um zur Hütte in Nýidalur zurückzuwandern, falls der Wind in meine Richtung geweht hätte. Dennoch: eine 30km hohe Aschewolke muss nicht unbedingt sein. Mir haben die 6-10km des Eyjafjallajökull schon gereicht!




So habe ich mehrere wunderbare Tage (und Nächte!) auf den Bergen rund um Vonaskarð verbracht und die vulkanische Wildnis in vollen Zügen genossen - und immer mit Blick auf den Bárðarbunga im Vatnajökull. So tolle Ausblicke, Eindrücke und Lichtstimmungen! Die Farben und Formen der Landschaft sind beinahe unbeschreiblich: auf meinen vielen Kilometern Wanderung sind mir rabenschwarzes Obsidian, schwefelgelbes Rhyolith und vereinzelte Steine in allen Regenbogenfarben begegnet. SO schön!



Auf den Fotos sieht man den kalten Wind nicht, der den warmen Sonnenschein tagsüber nur mit Jacke erträglich gemacht und den angekündigten Regenschauer in Schneetreiben verwandelt hat. Und natürlich sieht man auch nicht, wie schweinekalt die Nächte dort auf 1200m Höhe waren. In Reykjavik herrschen momentan Temperaturen von 15-20°C - und irgendwie habe ich mich davon blenden lassen und nicht damit gerechnet, dass im Hochland tagsüber Temperaturen von knapp über 0°C herrschen würden, und nachts noch weit darunter. Ich trug nur eine Lage warmer Unterwäsche, und hatte glücklicherweise einen dünnen Daunenpulli mit - zu wenig Kleidung, um komfortabel zu sein. Denn mein Zelt diente mir, wie so oft, nur als Basislager für Regentage, das ich (mitsamt Kocher, Isomatte und Schlafsack) auf halber Strecke nach Vonaskarð zurück ließ, um im Falle einer Ascheeruption bei Ostwind schneller nach Nýidalur evakuieren zu können.



Bei mir hatte ich also "nur" meine Fotoausrüstung, genug zu Essen, Karte, Kompass und Notfallsender, Telefon und meine Erste-Hilfe-Tasche. Geschlafen habe ich tagsüber im Windschatten von Felsen, und die Nächte habe ich mir auf Bergspitzen um die Ohren geschlagen, hinter Steinen zusammengekauert, mit stündlichen Sprinteinlagen, um bei den Minustemperaturen nicht völlig auszukühlen. Wie so oft, hat sich das Warten ausgezahlt: mit tollen Landschaftsfotos, und diesem wunderbaren Gefühl, schon wochenlang im Urlaub zu sein - dabei waren es effektiv nur drei Nächte...

Und dann, in der letzten Nacht, kam die Überraschung schlechthin: eine Eruption von Nordlichtern! Der Nordhorizont wird jetzt im Spätsommer noch nicht wirklich dunkel. Dennoch erschienen plötzlich helle, wild wabernde Lichter am Himmel und ließen mich die Minusgrade völlig vergessen. Eine Stunde lang tanzten sie über den hellblauen (und am Horizont noch rötlichen) Nachthimmel - es war ein Genuss!


Das war's soweit von mir und Bárðarbunga. Ich warte jetzt in aller Ruhe ab, was der Vulkan zu tun entschließt, und verabschiede mich für 14 Tage auf einer Schiffsreise nach Grönland. Mehr dazu dann, wenn ich wieder nach Island zurückgekehrt bin! :-)

Montag, 18. August 2014

Jotunkjeldene und Bárðarbunga

Meine Svalbardsaison ist vorbei: ich bin dieses Jahr etwas früher aus Svalbard zurückgekehrt, um nächste Woche eine Reise nach Grönland zu begleiten. Aber dazu später.

Svalbard war anders dieses Jahr. Anders gut und anders schlecht. Anders gut, weil es erstaunlich viel Packeis gab, das viele spannende Orte für uns unzugänglich gemacht hat (gut für die Natur, schade für uns...). Anders schlecht, weil es interne Probleme an Bord gab, was eine Reise stark beeinflusst hat. Dank eines guten Guide-Teams ist alles gut ausgegangen, aber wir waren alle nahe am Burnout. Zum ersten Mal war ich froh, dass die Spitzbergensaison vorbei war - so schade, dass eine einzige Person ein eigentlich so tolles Erlebnis so zum Negativen verändern kann! Warum können Menschen zur Abwechslung nicht mal alle gut miteinander auskommen...?

Aufgrund der Eissituation habe ich dieses Jahr ungewöhnlich viel Zeit an der Westküste Spitzbergens verbracht und somit viele neue Orte kennengelernt. Und einer dieser Orte war der einzige Vulkan Spitzbergens: Sverrefjellet, eine Vulkanruine, tief im Bockfjord, im Nordwesten der Hauptinsel. Dieser 506m hohe Berg ist auf den ersten Blick gar nicht als Vulkan zu erkennen, weil die Gletscher ihn so heruntergeschliffen haben, dass er wie ein ganz normaler Hügel ausschaut. Aber was ihn dann doch spannend macht, ist ein Niedrigtemperaturgebiet, das direkt an der Küste liegt: eines von zweien in der Gegend, in der man 'heiße Quellen' findet. Heiß schreibe ich deshalb in Anführungszeichen, weil es eher ein Lacher ist, wenn man Island kennt. Die sogenannten Jotunkjeldene am Sverrefjellet sind mehrere Pfützen, denen 13°C warmes Wasser entströmt. Das kühlt natürlich sofort ab und ist kalt, sobald es die Pfütze verlässt. Hihi!


Es gibt noch ein weiteres Gebiet an einer anderen Flanke des Berges, wo es noch ein paar warme Pfützen gibt, die groß genug sind, dass sich jemand hineinlegen könnte. Aber wie gesagt: wer man die warmen Bäche auf Island kennt, der hat hier nur ein Schmunzeln übrig. ABER es sieht schön aus: bei Jotunkjeldene haben sich bunte Sinterterassen gebildet, und außerdem ermöglicht die geringe Wärme einigen ungewöhnlichen Pflanzen hier das Wachstum. Ich war völlig baff, hier Farne zu entdecken: winzig klein, aber dennoch Farne! Meine nördlichsten Farne überhaupt! :-D


Seit drei Tagen bin ich nun wieder in Island, hole Schlaf nach und genieße es, dass die Sonne wieder untergeht und den Himmel in warme Farben taucht. Besonders begeistert mich aber gerade ein anders vulkanisches Thema: der Vulkan Bárðarbunga. Seit ich in Island bin, rumpelt der nämlich gewaltig: ein Ausbruch ist nicht auszuschließen. Und weil das Thema so spannend ist, will ich eucht jetzt diesen international unbekannten Vulkan einmal näher bringen.

Bárðarbunga - schon wieder so ein Name, den sich ein Nichtisländer kaum merken kann! Obwohl - hey, der ist einfacher als Eyjafjallajökull! Bárður ist ein isländischer Männername; benannt wurde der Berg nach einem berühmten Wikinger aus der Landnamezeit.
Und Bunga ist eine Wölbung.
Also Barðurs Wölbung. Bar - thar - bun - ga.
Mit einem englischen Th. Gar nicht so schwer!

Der Vulkan befindet sich im und am nordwestlichsten Teil des Vatnajökull in relativer Nähe zur berühmten Hochlandpiste Sprengisandur und der dortigen Hütte Nyidalur.


Auf dieser Karte kann man schön die Caldera des Vulkans erkennen: was aussieht, wie ein eisbedecktes Plateau im Vatnajökull, ist ein 10km breiter, 700m tiefer Krater, gefüllt mit Eis. Ich wiederhole nochmal: 700m dickes Eis. Darunter ein Vulkan. Und zwar einer der größten des Landes.
Katla ist etwas kleiner. Und Eyjafjallajökull, mit seinen 2km Kraterbreite und süßen 200m Eisbedeckung ist mal ein Pfurz dagegen. Um das mal so salopp zu sagen.

Die Caldera Bárðarbungas ist nur ein winziger Teil des Vulkans: der ist nämlich ein sogenannter Zentralvulkan des vermutlich längsten Vulkansystems Islands. Das heißt: dieser Berg steht in Verbindung mit anderen Vulkanen bzw. Magmagängen. In diesem Fall reden wir von fast 200km: Landmannalaugar gehört auch noch zu diesem System. Veiðivötn auch. Und Dyngjufjöll auch.
Die größten Lavaströme des Landes (und übrigens auch in der neueren Erdgeschichte) entstammen dem Bárðarbunga-Vulkansystem: das ist die Þjórsárhraun, die vor etwa 8500 entstand. Dieses Lavafeld ist 21-30 Kubikkilometer im Volumen und erstreckt sich über 950 Quadratkilometer. Nur so als Größenvergleich: Berlin erstreckt sich über 898 km2, Köln über 405 km2, der Rhein-Sieg-Kreis ist 1153 km2 groß, Frankfurt am Main 248 km2. Ähm, ja.


Warum erzähle ich euch das? Weil Bárðarbunga zu den Vulkanen Islands gehört, die 'reif' für einen Ausbruch sind. Und zwar so reif, dass gestern die Wege dorthin gesperrt wurden und ein Flugverbot über die Gegend verhängt wurde. Warum? Guckt hier:
Das sind die Erdbeben der vergangenen 48 Stunden;
die grünen Sterne sind Erdbeben stärker als Magnitude 3 auf der Richterskala.
Noch spricht hier keiner von einem Ausbruch, denn man ist hier sehr vorsichtig. Erstmal ist der Vulkan für Erdbeben bekannt: er ist wohl so speziell aufgebaut, dass er ständig bebt. Ein Ausbruch ist erst dann ein Ausbruch, wenn man es beweisen kann, dass Magma die Erdkruste durchbrochen hat. Das ist bei einem Vulkan, auf dem 700m Eis liegen, etwas schwierig. Von daher: warten wir. Alle. Ganz Island wartet, und ich natürlich auch, mit gepacktem Reiserucksack. Obwohl: wenn sich dieser Vulkan zu Wort meldet, dann wird das etwas Großes und/oder etwas Längerfristiges werden.
Ob man das will? Hmm... bin mir nicht so sicher. Aber wir können eh nichts dran ändern, von daher bin ich lieber Feuer und Flamme! ;-)

Das Tolle am Bárðarbunga ist: er ist für alles zu haben! Kommt die Magma unter dem Eis hervor, gibt es einen großen Ascheausbruch, der den Flugverkehr lahmlegen kann und eine enorme Flutwelle verursachen kann, der dann die Jökulsá á Fjöllum herunterrollen wird (der Fluss, in dem der Dettifoss ist). Gibt es einen Ausbruch bei Kistufell, kann es zu wunderschönen Lavaströmen kommen, etwa wie auf dem Fimmvörðuháls oder den Kraflafeuern. Es kann kurz und lokal sein (1-3 Wochen), es kann mehrere Jahre dauern und sich bis nach Landmannalaugar ausbreiten. Alles ist möglich.

Obwohl der Berg jetzt schon seit zwei Tagen heftigst bebt, könnte es gut sein, dass er wieder zur Ruhe kommt. Die Vulkanologen sagen, dass sich seine Magmakammer gerade füllt, ja, aber es bräuchte ein Erdbeben stärker als 5 auf der Richterskala, um einen Riss nach außen zu öffnen. Aber was wissen die schon vom Inneren eines Vulkans... Ich selber vermute: da ist definitiv Lava auf dem Weg nach oben, und vielleicht hat sie die Erdkruste schon durchbrochen und schmilzt jetzt den Gletscher von unten. Die nächsten Tage werden zeigen, ob etwas, und wenn dann was wohl passieren wird.

Weil das Wetter so klasse ist und ich Hummeln im Hintern habe, will ich nicht weiter auf irgendwelche Seismometerbilder starren: ich mache mich am Dienstag Morgen (also jetzt!) auf den Weg zum Vulkan. Spontanentscheidung - hehe, ich freue mich! Mein Ziel ist Nyidalur auf der Sprengissandur, von wo aus ich nach Vonaskarð wandern will. Das ist nicht weit (10-15km) und deshalb hoffe ich, es meinem Rücken zum Trotz zu schaffen. Und dann werde ich dort oben auf einem Berg mein Zelt aufschlagen, und die Gegend erkunden.
Dieser Anblick bot sich mir vor 5 Tagen beim Anflug von Island:
der westliche Vatnajökull aus 10km Höhe. Ein Traum!



Und vielleicht... wenn ich ganz viel Glück habe... vielleicht... werde ich mit ein paar Vulkanfotos zurückkommen. Wahrscheinlich wohl nicht, aber das macht nichts: ich hoffe auf eine wunderbare Zeit am Bergmassiv des Tungnafellsjökull, mit Ausblick auf den Vatnajökull.

So, jetzt muss ich die letzten Vorbereitungen treffen. Morgen früh gehts mit dem Bus auf ins Hochland. Ich freue mich - und wünsche euch alles Gute!

Und... macht euch bitte keine Sorgen, wenn ihr nichts von mir hört. Ich mag und schätze mein Leben gerade sehr, und ich bin vorsichtig, Vulkanfieber hin oder her. Und es gilt das Motto: keine Nachrichten sind gute Nachrichten!
:-)