Samstag, 22. November 2014

Frühling in der Antarktis

Der Ausbruch in Holuhraun hält unvermindert an: jetzt, Ende November 2014, erstreckt sich das ständig anwachsende Lavafeld über 72 Quadratkilometer. Die bisher ausgetretene Lava hat eine Masse von über einem Kubikkilometer! Wie schwer die wohl sein mag...? 
Auf jeden Fall zählt dieser Vulkanausbruch mittlerweile zu den größten der letzten zweihundert Jahre - und zwar auf internationaler Ebene! 1991 brach der Pinatubo auf den Philippinen aus:
5 km3 Magma spie er aus. Im gleichen Jahr gab es eine Eruption des Cerro Hudson in Chile:
2 km3 Lava stark. Kilauea auf Hawai ist seit 1983 ununterbrochen aktiv und hat in der Zeit 4 km3 Lava ausgespuckt: unser aktiver isländischer Vulkan schaffte 1 km3 in zweieinhalb Monaten, das gibt vielleicht ein Gefühl für die beachtliche Größe des Ausbruchs! Das ständig wachsende Lavafeld wird übrigens vermehrt als "Nornahraun" bezeichnet. Holuhraun ist ja eigentlich der Name des alten Lavafeldes, in dem sich der neue Ausbruch ereignete. Also sucht man nach einem eigenständigen Namen für diesen neuen Vulkan. Ein Wissenschaftler hat "Nornahraun" vorgeschlagen, weil dort "Nornahár" gefunden wurde, zu deutsch "Pele-Haar". Pele-Haar entsteht, wenn basaltische Magma beim Austreten in der Lava-Fontäne/Explosion von starkem Wind erfasst wird, und während des Abkühlens in die Länge gezogen wird. Es entstehen Fasern aus Vulkan-Glas, die wie Haare aussehen: genauer gesagt wie die Haare der hawaiianischen Vulkangöttin Pele. Die Isländer kannten Pele nicht und nannten es Nornahár, Hexenhaar. Und weil dieses Hexenhaar auch beim jetzigen Ausbruch gefunden, kam man auf den Namen "Hexenlava", Nornahraun.

Ihr merkt: in Gedanken bin ich immer noch beim Vulkanausbruch, und das, obwohl ich wieder am anderen Ende der Welt bin. Seit Mitte Oktober arbeite ich nämlich wieder auf dem Expeditionsschiff MS Expedition, das während unserer Wintermonate die Antarktis bereist. Ich bin wieder als "Mädchen für alles" mit von der Partie: als Guide, Zodiacfahrer, Lecturer, Artist in Residence und Fotograf - nie zuvor habe ich so viele Dinge auf einmal gemacht, es ist wunderbar! Genauso klasse ist auch, dass ich die Antarktis im Frühling erleben darf. Der Winter hat den kalten Kontinent noch fest im Griff: Oktober und November auf der antarktischen Halbinsel sind wie Januar und Februar in Island, bloß mit 18 Stunden Helligkeit. Die Temperaturen liegen knapp unter dem Gefrierpunkt, aber durch den ständig wehenden Wind ist es selbst tagsüber dann oft unter -10°C. Beinahe täglich fegen Stürme über die Halbinsel und die Drakepassage hinweg; die Winde sind extrem!


Ende Oktober bis Anfang November kehren die Langschwanzpinguine zurück an Land. Sie haben den Winter im Meer verbracht und besiedeln nun die Kolonien, in denen sie selbst geschlüpft sind. So früh im Jahr liegt allerdings noch so viel Schnee, dass es für die Pinguine oft sehr schwer ist, überhaupt aus dem Wasser zu kommen! Die Schneewehen schieben sich ins Meer hinein und ragen dort wie Klippen aus dem Wasser, sodass die kleinen Vögel teilweise bis zu drei Meter hoch aus dem Wasser springen müssen, um überhaupt an Land zu kommen.


Was für ein Erlebnis, fliegende Pinguine zu sehen! Sie sausen wie Torpedos durchs Wasser und haben so viel Schwung, dass sie wie Trampolinspringer durch die Luft fliegen. Allerdings brauchen viele mehrere Anläufe, bevor ihnen der Landgang gelingt: Bruchlandungen mit Platsch ins Meer und Sprünge voll in die Schneewände hinein sind keine Seltenheit.

Ankunft bei Cuverville Island - Eselspinguine auf dem Weg zur Kolonie

Die Pinguine kommen alle zur gleichen Zeit an und watscheln dann unermüdlich zu ihren Brutgebieten, teilweise über einen Kilometer weit, weil sie keinen näheren Ausstieg aus dem Wasser gefunden haben. Es ist erstaunlich, alle Pinguine in eine Richtung laufen zu sehen: normalerweise wuseln sie emsig wild durcheinander. In den ersten beiden Wochen aber marschieren sie zu Tausenden von der Küste zu den Kolonien. Das ist der Marsch der Pinguine!

Hier auf der antarktischen Halbinsel brüten drei verschiedene Pinguinarten: die Eselspinguine, Zügelpinguine und Adelies. Jede dieser Arten unterscheidet sich stark von einander: sie rufen total anders, sie verhalten sich anders, und sie balzen anders. So früh in der Saison sieht man überall Paare, die immer und immer wieder ihre Paarbindung durch bestimmte Verhaltensmuster bestätigen. Die Eselspinguine verbeugen sich voreinander: sie neigen die Köpfe gleichzeitig fast bis zum Boden hinab und zischen dabei ganz leise.


Was man auf den Fotos nicht sieht, ist, wie schwierig es teilweise ist, die Kolonien zu erreichen. Nicht etwa, weil sie auf schwierigem Terrain liegen, sondern weil  die schon erwähnten starken Winde das Meer aufwühlen. Schwell und Wellen brechen sich teilweise meterhoch an den Küsten. Südgeorgien (eine subantarktische Insel isoliert mitten im Südatlantik) ist besonders für extrem schwierige Anlandungen bekannt, aber die Antarktis hat sich mir im vergangenen Monat bisher genauso präsentiert. Es ist extrem anspruchsvoll, ein Gummiboot an einer Küste zu landen, an der sich ein Meter hohe Wellen brechen: alle müssen als Team zusammenarbeiten. Der Zodiakfahrer muss rückwärts auf einer Welle reiten und genau im richtigen Moment den Motor ausschalten und hochfahren, damit der nicht beschädigt und das Strandteam nicht vom Propeller geschreddert wird.

Hecklandung bei Salisbury Plain in Südgeorgien.
Wie ihr seht, ist der Bug des Zodiaks nach oben gewölbt und verhindert, dass die Wellen ins Boot kommen.
Würde man, wie normal, mit dem Bug voran anlanden, könnten die Wellen über das Heck direkt ins Boot schwappen. Außerdem könnte man dann nicht so schnell wieder durchstarten, wie bei einer Hecklandung.


Vier Leute fangen das Boot und versuchen es, so ruhig hoch wie möglich auf den Strand zu ziehen, während sie teils bis zur Brust von den Wellen umtost werden. Zwei weitere Leute helfen den Passagieren beim schnellen Aussteigen zwischen den Wellen. Das Zodiak wird währenddessen von Wellen bombardiert: man muss versuchen, den Strand wieder verlassen zu haben, bevor der nächste große Brecher kommt, und davon gibt es ja alle paar Minuten 1-3 Stück. Die ganze Aktion ist nicht ohne Risiko, aber mit einem eingespielten Team und fitten Gästen geht das ganz gut. Und es ist, gerade in Südgeorgien und an windigen Tagen an ausgesetzten Stränden/Buchten in der Antarktis, die einzige Möglichkeit, Land zu betreten.


Besagter Wind hat die bisherigen Antarktislandungen für mich so richtig interessant gemacht! Ständig Sturm, ständig Windverwehungen - es war ein Traum! Die Pinguine hat das Wetter überhaupt nicht gestört. Selbst im stärksten Sturm fochten sie Meinungsverschiedenheiten mit Flügelschlägen untereinander aus, jagten sich quer durch die Kolonien und balzten wie die Wilden. Und selbst in der schlimmsten Winddrift war es den Vögeln scheinbar völlig egal, von welcher Seite sie vom fliegenden Schnee bombardiert wurden...




Und damit will ich mich vorerst wieder verabschieden. Ich melde mich wieder - irgendwann, in ein paar Wochen vermutlich...
Liebe Grüße aus Ushuaia!

1 Kommentar:

  1. Hei Kerstin,
    wundervolle Bilder von Gentoos im Schnee. War wohl ziemlich kalt an diesen Tag bei diesem Wind, oder? Eine solch dramatische Situation hatte ich noch nicht...
    Beste Grüße
    Achim

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