Donnerstag, 7. Dezember 2017

Frühling bei den See-Elefanten

Seitdem ich das erste Mal von der Existenz Südgeorgiens gehört habe, plagte mich die Frage, was es mit diesem seltsamen Namen auf sich haben mag. Weder hat diese Insel irgendwelche Verbindungen zu Georgien bei Russland, noch zum amerikanischen Bundesstaat Georgia. Was also steckt hinter diesem Namen?

Im Jahr 1675 geriet der britische Kaufmann Antoine de la Roché nach der Umrundung Südamerikas in einen Sturm: sein Segelschiff wurde so weit nach Süden abgetrieben, dass ein gebirgiges Land mit tiefen Buchten in Sichtweite kam. Antoine und seine Mannschaft gingen dort zwar nicht an Land, fanden aber ein 14 Tage lang Schutz vor den Winden, bevor sie sich wieder auf den Weg nach Norden machten. Das Fleckchen unkartiertes Irgendwas wurde daraufhin als "Roché Island" in den Karten eingetragen - und lange Zeit nicht mehr besucht. 1756 wurde die Insel von einem spanischen Schiff gesichtet und "San Pedro" oder "Pepys Island" genannt. Wiederum 20 Jahre später, im Jahr 1775, segelte der britische Kapitän und Entdecker James Cook ganz gezielt in die Region. Angelockt von den vorherigen Entdeckungen hoffte er, hier den vermuteten antarktischen Kontinent zu finden. Im Angesicht der teilweise fast 3000m hohen Berge muss er geglaubt haben, dass seine Suche von Erfolg gekrönt war: bis er das Südkapp umrundete und begriff, dass es sich hierbei um eine Insel und nicht den erhofften Kontinent handelte. Seine Enttäuschung hielt er in einem sich bis heute haltenden Ortsnamen fest: die Südspitze der Insel heißt "Cape Disappointment".

Das Segelschiff "Bark Europa" besuchte uns Ende November.
Was für ein herrliches Schiff!
  
Cook betrat als erster Mensch die Insel, kartografierte die von ihm bereiste Küstenlinie - und beanspruchte das neue Land kurzerhand für Großbritannien. In dem Zuge benannte er sie dann auch neu: "Isle of Georgia" taufte er sie, zu Ehren des amtierenden britischen Königs, George III. Und das erklärt dann auch den heutigen Namen, "South Georgia", Südgeorgien.


Diese 160 Kilometer lange Insel ist das einzige Stückchen Land in einem riesigen Ozean, der genau an dieser Stelle auch noch sehr reich an Nährstoffen und Tierleben ist: die Gewässer gehören zu den besten Fischgründen der Welt. Genau deswegen ist die Insel von enormer Bedeutung für die Seevögel und Robben des Südatlantik bzw. Südpolarmeeres. Selbst die spezialisiertesten Seevögel brauchen Land, um brüten zu können, und gleiches gilt für Robben, deren Jungen im offenen Meer schlichtweg ertrinken würden. Zwei Robbenarten teilen sich die Insel: da sind einmal die See-Elefanten, und dann die Pelzrobben, genauergesagt die Antarktischen Seebären. Obwohl beide Robben in enormer Anzahl vorkommen, vertragen sie sich: auch und vor allem deshalb, weil sich ihre Paarungszeiten unterschiedlich über den Sommer verteilen. Die See-Elefanten sind als erstes dran: von September bis November belegen die Weibchen die Strände, an denen sie ihre Jungen gebären. Dabei pflastern sie das Ufer regelrecht zu: dicht an dicht liegen sie nebeneinander, Weibchen neben Jungtier, neben Weibchen, neben Jungtier.


Es gibt Tiere, die wir Menschen sofort als hübsch empfinden: See-Elefanten gehören definitiv nicht in diese Kategorie von Lebewesen. Ein Guide-Kollege hat sie mal treffend als "blubber-slugs" bezeichnet, als speckige (oder rotzende) Nacktschnecken. Nicht nur, dass sie die meiste Zeit des Tages unbeweglich im Sand liegen, nein: sie haben meistens triefende Rotznasen und bekacken sich ständig selbst. Die gelbe Farbe ist nicht etwa ihre Fellfarbe (die ist nämlich grau bis beige-braun), sondern stammt von ihren Exkrementen. Es ist eine echte Herausforderung, Bilder von ihnen zu machen, bei denen sie nicht extrem unvorteilhaft aussehen.


See-Elefanten haben im Vergleich zu anderen Robben riesigen Augen, welche einen Hinweis auf ihren Lebensraum geben: sie jagen und fressen Tiefseefisch und tauchen dafür über 2000 Meter tief. Der namensgebende Rüssel, den die ausgewachsenen Männchen haben, wird zur Ernährung aber nicht gebraucht. Er scheint Resonanzkörper für die lauten Rufe der Männchen zu sein, die ihren Territorialanspruch deutlich in die Welt hinausrülpsen. Und vermutlich ist dieser Rüssel vor allem ein Statussymbol: je größer er ist, desto toller fühlt sich der Mann. Dieses Phänomen ist uns Menschen ja nicht ganz unbekannt...


Generell muss ich sagen: Es sind verdammt seltsame Viecher, diese größten Robben der Welt! Die Weibchen allein sind mit ihren drei Metern Länge und 800kg Gewicht ein imposanter Anblick, wirken aber wie Zwerge im Angesicht der gigantischen Männchen. Fünf Meter lang und viereinhalb Tonnen schwer ist ein ausgewachsener, 15 Jahre alter See-Elefantenbulle. Sie liegen normalerweise wie dicke, fette Würste im Sand - es sei denn, sie sehen einen Konkurrenten, der ihnen ihre Weibchen streitig machen will. Dann können sich diese scheinbar unbeweglichen Kolosse auf Menschengröße aufrichten!
  

Während die Weibchen scheinbar relativ gefahrlos und stressfrei leben, haben es die Männchen verdammt schwer. Um sich paaren zu können, müssen sie einen Harem aus Weibchen gegenüber allen anderen Männchen verteidigen, und das schaffen nur die größten und ältesten Bullen. Sie sind ständig auf der Hut: sobald sie ein anderes Männchen sehen, ist's aus mit lustig.
Absolut.
Dann ziehen sie eine Grimasse, die wir Menschen sofort mit rasender Wut in Verbindung bringen - und verfallen in eine Art Berserker-Modus.


Mit erstaunlichem Tempo robben diese Kolosse dann in direktem Wege zum Widersacher - über alles und jeden hinweg, der ihnen im Wege steht, und das sind meist Weibchen und ihre Jungtiere. Okay, vielleicht leben diese doch nicht so stressfrei wie behauptet - aber immerhin prügeln sie sich nicht ständig, wie die Männchen.


Kämpfende See-Elefanten richten sich mannshoch gegenüber auf und lassen ihr weit geöffnetes Maul mit Schwung auf den anderen heruntersausen. Keine Ahnung, wie viele Tonnen an Gewicht dann in Bewegung sind. Es ist absolut beeindruckend, einen solchen Kampf mitzuerleben!


Die etwa 5 cm langen Eckzähne reißen teils schlimme Wunden: die gesamte Kopf-, Nacken- und Halspartie der Bullen ist ein Schlachtfeld aus Narben. Ich habe einen großen, toten Bullen gesehen, der wahrscheinlich verblutet ist, und andere mit horrenden Wunden beobachtet. Die Sterblichkeitsrate der Bullen muss groß sein: nur so ist zu erklären, warum man (im Vergleich zu den Weibchen) relativ wenig erwachsene Bullen sieht. Und diese oft aussehen, wie gerade erst dem Metzger entronnen...


Wie so oft im Tierreich kämpfen die Männchen um das Recht, sich fortzupflanzen: der stärkste Bulle zeugt die meisten Nachkommen. Wochenlang bewachen sie einen Harem aus Weibchen, die an Land kommen, um dort ihre Jungen zu gebären. Im Gegensatz zu den Männchen, die ständig irgendwelche Widersacher verscheuchen oder sich prügeln, versuchen die Weibchen, so viel wie möglich zu schlafen, während sie ihre Jungen säugen. Sie sind allerdings ziemlich streitlustig und regen sich liebend gerne über diese oder jene Nachbarin auf, die ständig zu nerven scheinen. See-Elefantenweibchen haben zwar nicht den lustigen Rüssel der Männchen, aber rülpsend rufen und dabei lustig aussehen, das können sie auch prima.


Die neugeborenen Robbenbabys nehmen innerhalb von drei Wochen schlappe 140 Kilogramm an Gewicht zu: die Milch der Weibchen besteht zum Großteil aus Fett. Etwa zweieinhalb Wochen nach der Geburt werden die Weibchen wieder empfängnisbereit und paaren sich dann mit dem Männchen, das in diesen Tagen den Harem sein eigen nennt. Und etwas über drei Wochen nach der Geburt der Jungtiere treten die Weiber die Flucht an und schwimmen aufs offene Meer hinaus, um sich wieder fett zu fressen. Ihr dann (laut Textbuch) 180 kg schweres Junges lassen sie dabei an Land zurück.



Die kleinen Robben sind ab ihrer vierten Lebenswoche komplett auf sich alleine gestellt - und verbringen die kommenden 3 Monate mit Spiel und Schlaf. Sie sind (wie fast alle jungen Tiere) herrlich naiv und neugierig - und kennen so gut wie keine Scheu, besonders und vor allem nicht gegenüber kleinen, robbenförmigen Dingen, wie etwa am Boden herumkriechende Fotografen...


Auf Englisch nennen wir diese herrenlosen Babyrobben "weaner", was trotz gleicher Aussprache (und visueller Ähnlichkeit) nichts mit den Wiener Würstchen zu tun hat, sondern von "to wean" abstammt, also dem (von der Mutter bzw. der Muttermilch) "entwöhnt sein".

Die kleinen Speckschwarten gehen immer öfters ins Wasser und rotten sich mit anderen Gleichaltrigen zusammen, um vor allem zu schlafen und dabei extrem lustige, schnaubend-pupsende Laute von sich zu geben. Jede fünfte bis achte Schulklasse hätte seine helle Freude an der Geräuschkulisse einer See-Elefantenkolonie. Da ich euch diese erheiternden Variationen von nicht tischmanierlichen Lauten nicht vorenthalten will, habe ich eine Tonaufnahme vorbereitet und daraus auf die Schnelle ein superschlechtes Video kreiert. Mal gucken, ob das mit dem Hochladen und Abspielen klappt!?


Zu meinem großen Erstaunen scheinen die Jungtiere noch zu wachsen, nachdem sie von ihren Müttern am Strand zurückgelassen wurden. Ich habe absolut keine Ahnung, wie das gehen soll, aber sie werden noch ein bisschen größer, obwohl sie nichts mehr zu sich nehmen. Wenn noch jemand einen Nobelpreis gewinnen will, dann kann ich empfehlen, doch mal das Genom oder was auch immer zu entschlüsseln, das es den See-Elefanten ermöglicht, ohne Nahrung und allein durch Schlaf Fett in Muskeln umzuwandeln. Diese Fähigkeit hätte ich auch gerne!



Und nun wünsche ich euch noch einen schönen Tag und eine frohe Weihnachtszeit.
Bis zum nächsten Blogbeitrag!
:-)

3 Kommentare: