Freitag, 27. Januar 2012

Das unmögliche Foto

Als ich Anfang Januar wieder Abschied von Island nehmen musste, hielt sich meine Freude auf Spitzbergen wirklich sehr in Grenzen. Die vorhergehenden drei Wochen waren traumhaft gewesen: Island befand sich im Griff des schneereichsten Winters der vergangenen 25 Jahre, und außerdem war es dort tagsüber hell und konnte man nachts regelmäßig Nordlichter am Himmel sehen. Auch und vor allem weil ich Urlaub hatte und fotografieren konnte schien alles nett und leicht - konträr zu Spitzbergen. Dort warteten 24 Stunden Dunkelheit auf mich, Alltagsleben, Verpflichtungen und Stress. Nordlichter sind so weit im Norden eine Ausnahmeerscheinung, unter anderem auch weil es immer wieder zu Perioden tagelanger Dauerbewölkung kommt. Zudem erlebt das Archipel momentan einen der wärmsten und niederschlagsärmsten Winter des zurückliegenden Vierteljahrhunderts: statt -20°C liegen die Temperaturen um dem Gefrierpunkt (heute regnet es bei +6°C!), die Fjorde denken nicht ans Zufrieren (und werden es vermutlich auch nicht mehr tun), und Schnee ist hier sowieso Mangelware.

Nun schien es aber, als ob Svalbard meine kaum vorhandenen Erwartungen heben wollte: bei meiner Rückkehr empfing mich ein wunderschöner, monderleuchteter Sternenhimmel, an dem mittelstarke Nordlichter tanzten. Das Wetter sollte sich laut Prognose zwei Tage später ändern: es war eine "Jetzt oder Nie!"-Situation! Nicht ohne ein enormes schlechtes ökologisches Gewissen bestellte ich mir für den kommenden Tag ein Taxi (das erste eigens georderte meines Lebens: das kommt davon, wenn man weder Auto noch Schneemobil besitzt!) und fuhr mit diesem am 9. Januar um 6 Uhr früh zum 12 Kilometer entfernten Ende der Straße. Eine zweistündige Wanderung im Schein des Vollmondes brachte mich hinein in die scheinbar unberührte Bergkulisse des Tals Bolterdalen. Dort hielt ich mich bereit, um die hellste Zeit der Polarnacht zu fotografieren: die fünf Stunden, in denen der Südhimmel etwas heller wird, als der Nordhimmel.

Um 10 Uhr morgens aber traute ich meinen Augen kaum: Am Südhorizont der vom Vollmond erhellten Szenerie, welche bisher monoton grau-blau gewesen war, zeigte sich ein Hauch von Farbe! Ich musste mit der Kamera ein Beweisfoto machen, um es glauben zu können, denn: eigentlich ist dieser Anblick Anfang Januar unmöglich! Die Sonne befand sich viel zu weit unter dem Horizont, um unter normalen Bedingungen ihr warmes Licht bis zu uns hinauf zu schicken. Was also war hier los?
Die Antwort bekam ich erst ein paar Tage später. Ein paar Mal im Jahrzehnt (!!!) geschieht es, dass sich Tiefdruckgebiete so zwischen Skandinavien und Svalbard ausdehnen, dass hochliegende Cirrostratus (Schleierwolken) die Sonnenstrahlen mal eben 1000 Kilometer weiter gen Norden leiten, als es eigentlich der Fall wäre. Bei dem schwachen rosa Schimmer, den man im obrigen Bild erkennt, blieb es aber nicht: um die Mittagszeit stand der ganze Südhorizont in Flammen und erhellte die Welt in dunklen, sehr intensiven Rosatönen. Es war, um es mal gelinde auszudrücken, UNGLAUBLICH!


Im Foto sieht es so aus, als ob es wahnsinnig hell gewesen wäre: mir kam es zwar so vor, allerdings verstärkt die Langzeitbelichtung auch hier die Farben und Kontraste. Es war eigentlich noch Nacht, man konnte fast überall noch Sterne sehen, auch am pinkfarbenen Himmel, und ich warf noch keinen Schatten. Für meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen waren Licht und Farben aber extrem intensiv, und für die Kamera halt auch.

Als wäre dieses völlig unerwartete Farbenspiel nicht großartig genug, geschah nun etwas, das ich nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte: ein dünner Bogen schwacher Aurora wanderte dem pinkfarbenen Himmel entgegen. War ich zuvor sprachlos gewesen, konnte ich jetzt nicht einmal mehr irgendwelche protestierenden Gedanken denken. Möglich oder unmöglich hin oder her - das war einfach nur GENIAL!


Für solche überraschenden, unbeschreiblich schönen Momente lebe ich: die Launen der Natur sind für mich das Gewaltigste, Emotionalste und Tollste, was es auf dieser Welt gibt! Hätte ich mich nicht auf einem emotionalen Höhenflug befunden, wäre ich fast traurig gewesen, auch dieses Erlebnis mal wieder "nur" alleine zu erleben: dass ich hier Zeuge eines einmaligen Phänomens wurde, war mir schon an Ort und Stelle vollkommen bewusst! Umso wichtiger erschien es mir, dies mit der Kamera festzuhalten, um es zumindest auf diese Art mit anderen teilen zu können!

Auch dies ist eine Langzeitbelichtung (10 Sekunden), welche die Szenerie heller und farbiger darstellt, als es in Wirklichkeit war. Aber wie sollte ich das fotografisch korrekt darstellen? Inmitten der dunklen, blau-silbrigen Stimmung schienen die Berge Pink zu glühen, erhellt von den nördlichsten Ausläufern der farbigen Schleierwolken. Links im Bild wird der Himmel vom tiefstehenden Vollmond erhellt. Es war ein Anblick, der nicht von dieser Welt zu sein schien!

Bis zu diesem Tag war ich der Überzeugung gewesen, dass ein solches Motiv in der Natur nicht vorkommt: von der Sonne erleuchtete Wolken/Landschaft und Nordlichter schließen sich kategorisch aus. Rosa Wolken stehen normalerweise an einem blauen Himmel, welcher schon viel zu hell ist, um die im Vergleich dazu schwachen Nordlichter durchscheinen zu lassen. Aus dem simplen Grund kann man nicht sehen, was ich sah. Es geht einfach nicht, Ende der Diskussion!
:-)


Was die Natur hier wieder einmal deutlich gemacht hat, ist, dass sie sich nicht an menschengemachte Regeln oder Erkenntnisse hält. Was ich erleben durfte, war keine normale Morgendämmerung: unser Stern stand viel weiter unter dem Horizont, als es normalerweise bei rosa Wolken der Fall war. Eigentlich herrschte ja fast noch Nacht: es hatte gerade einmal die nautische Dämmerung begonnen! Das Sonnenlicht war über lange Umwege extrem gefiltert worden und leuchtete an einem dunklen, schönen Nachthimmel. Und genau dies ließ mich nun Bilder machen, die ich so noch nirgendwo gesehen habe und von denen ich vermute, dass sie weltweit einzigartig sind.

Dieses Motiv, so simpel es ausschaut, ist eine extrem rare Laune der Natur, ein Zusammenspiel vieler Zufälle. Der größte davon war aber wohl die Tatsache, dass ich 14 Stunden nach meiner Ankunft in Svalbard, nach einer zweitägigen Reise und einer schlaflosen Nacht am Flughafen Oslo NICHT ausschlief und gemütlich frühstückte, sondern statt dessen in dieses Tal wanderte - ahnungslos, ohne große Erwartungen, ja sogar fast mit einem Groll gegen das "blöde" und "unfotogene" dunkle Svalbard. Im Nachhinein glaube ich immer, einem Bauchgefühl gefolgt zu sein, einem stillen Drängen, das mich schon so oft in ähnliche Situationen geführt hat. Und das mich mit Svalbard versöhnte, in dem es mich an diesem einmaligen Naturwunder teilhaben ließ: wortlos, staunend wie ein kleines Kind, ehrfürchtig und glücklich zugleich.

Ist Natur nicht wunderbar...?

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