Mittwoch, 1. Februar 2012

Regen und Sturm

Die vergangene Woche war geprägt von Extremen. Momentan herrscht auf Svalbard das verrückteste Wetter seit Menschengedenken: in einem der eigentlich kältesten Monate des Jahres und noch dazu in einer polaren Wüste hat es in den beiden Tagen des Monatswechsels mehr geregnet, als in den vorhergegangenen sechs Monaten zusammengenommen. Die Temperaturen lagen statt -30°C bei bis zu +6°C, und das während es in Europa momentan zu einem Kälteeinbruch kommt, der u.a. Istanbul -11°C beschert. Irgendwas ist da ganz und gar nicht richtig, irgendwas läuft da völlig verkehrt...

Und während wir hier ironischerweise im ersten Teil unseres Lawinenkurses im strömenden Regen nach Schnee suchten, rauschten Lawinen aus Schneematsche zu Tal und brachten das öffentliche Leben völlig durcheinander. Straßen waren gesperrt, die Rollbahn des Flughafens akut lawinengefährdet, weshalb keine Flugzeuge landeten und Tageszeitungen, Tomaten, Milch- und Nudelprodukte im Supermarkt knapp wurden. Das Tal hat sich in eine völlig vereiste Seenlandschaft verwandelt: jegliche Fortbewegung ist aufgrund des spiegelglatten Untergrundes zum Spießrutenlauf geworden. Ohne Spikes oder Ketten unter Schuhen und Reifen wagt sich gerade kaum jemand mehr vor die Tür!

Am Abend des ersten Februar sind die Temperaturen wieder unter Null grad gefallen und schneit es gerade wieder winzige weiße Flocken - jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die mehrtägige Warmwetterperiode erstmal beendet ist. So hat sich von uns keiner die Hocharktis vorgestellt, und so macht es auch auf Dauer keinen Spaß: ohne Schnee ist es gleich viel dunkler und ungemütlicher!

Umso dankbarer bin ich, dass die Woche vor diesem Regendrama wunderbar winterlich war. Das Tageslicht kommt mit rasanter Geschwindikeit zurück, jeden Tag bleibt der Himmel ein bisschen länger blau und wird das blaue Licht um die Mittagszeit immer intensiver.

Der Adventfjord, an den Longyearbyen grenzt, denkt nicht ans Zufrieren. Nur an tiefen Einschnitten entlang der Küste enstehen kleine Schollen, die von den Gezeiten an Land gedrückt werden. Der Grund für das Aubleiben des Seeeises ist der Golfstrom: der drückt durch geänderte Wetterbedingungen diesmal intensiv in die Westfjorde Svalbards hinein und erwärmt das Wasser so weit, dass es sich nicht weit genug abkühlen kann: Meerwasser gefriert erst ab einer Temperatur von -1.8°C, und das nur, wenn es lange genug kalt gewesen ist.

Es ist wirklich erstaunlich, wie wir hier alle dem Licht entgegenfiebern: jeden Tag hört man neue Bemerkungen darüber, wie wahnsinnig hell es doch sei. Um dieselbe Zeit im Herbst hätten wir diesen maximalen Lichtverhältnissen nur negativ kommentiert - jetzt aber kommt es uns schon als etwas Besonderes vor, wenn man bei Regenwetter die Berge erkennen kann. Eines ist im wahrsten Sinne des Wortes sonnenklar: die dunkelste Zeit des Jahres liegt nun hinter uns. Noch zwei Wochen, dann wird es wieder richtig hell sein!

Ausblick von den Radar-Antennen von EISCAT auf die Lichter Longyearbyens,
das seitlich am Ende des Adventfjorden liegt.

Die Sonne machte sich in der letzten Woche auch anderweitig bemerkbar - und zwar international. Auch die deutschen Medien haben davon berichtet, dass es in der dritten Januarwoche zum größten Sonnensturm der vergangenen Jahre kam. Dieser fiel schwächer aus, als von vielen erhofft: zum Glück, denn so kamen auch wir auf Svalbard in den Genuß der bunten Lichter!

Praktischerweise hatten wir am Tag zuvor einen Geowissenschaftler als Lektor, der uns einiges über die Aurora erzählte und mir so manche Frage beantworten konnte. Er erklärte, dass es zwei unterschiedliche Arten von Polarlichtern gibt: Tagesaurora und Nachtaurora. Nachtaurora sind die "normalen" Nordlichter, die Bilder, die man überall im Internet sieht, und auch fast alle Fotos, die ich bisher machte. Tagesaurora ist dasselbe Phänomen und auf Fotos wohl auch nicht von Nachtaurora zu unterscheiden, entsteht aber auf leicht andere Weise und vor allem an einem leicht anderen Ort. Tagesaurora liegt genau über Svalbard, wogegen Nachtaurora sich im Normalfall eher südlich über Nordnorwegen blicken lässt. Das erklärt, weshalb Svalbard für die Nordlichtforschung interessant ist: es ist einer der wenigen Orte der Welt, an denen man in der Polarnacht die Tagesaurora sehen kann.

Ein Blick hinauf ans Firmament: ungewöhnlich bunte Corona Aurora (Nachtaurora)

Ich hatte die Aktivität auf der Sonne genauestens verfolgt und wusste, dass am 24. Januar ein Nordlichtsturm erwartet wurde. Allerdings machte ich mir nicht die geringste Hoffnung auf Sichtungen. Wenn ein starker Sonnenwind die Erde trifft, dann deformiert dieser das Erdmagnetfeld, was zur Auswirkung hat, dass die Aurora sich ein paar hundert Kilometer in Richtung Äquator verschiebt: und das ist zu weit südlich, um von Svalbard aus gesehen zu werden.

Als ich aber um 18 Uhr endlich aus der letzten Vorlesung kam (Geschichte Svalbards: die Zeiten des großen Walrossschlachtens), waberten helle, agile Schlieren über das Firmament. Schneller als die Feuerwehr hatte ich die Kamera geholt und war mit dem Rad über die eisigen Straßen aus der Stadt gefahren, wo ich einen Berg emporrannte und dort endlich Fotos machen konnte: unter anderem sogar von roten Nordlichtern! Es war unglaublich schön! Schade war bloß, dass ich es in der Eile nicht geschafft hatte, einen fotogeneren Vordergrund ohne Kulturschrott zu finden. Aber Hauptsache war doch, es überhaupt gesehen zu haben!


Die rote Farbe, das muss ich fairerweise sagen, habe ich mit den Augen nur als farblos wahrgenommen. Aus Erfahrung heraus wusste ich, das alles, was farblos über dem grünen Licht steht, entweder blau, violett oder rot sein muss. Die Kamera zeigte es ganz deutlich: da oben leuchteten gerade Sauerstoffmoleküle. Das ganze Spektakel dauerte vielleicht 10 Minuten, dann waren "nur" noch grüne Lichter zu sehen. Und eine halbe Stunde später war der ganze Himmel schwarz: die Aurora war ziemlich abrupt Richtung Süden abgewandert. Mir war das allerdings nur recht: ich brauchte Schlaf und war überglücklich, überhaupt etwas gesehen zu haben. Hinterher, beim Durchstöbern des Internets, sollte ich dann feststellen, dass ich wahrscheinlich die einzige Person weltweit war, welche die Violett- und Rottöne so intensiv fotografieren konnte. Der Sturm war nur in dem Moment so stark gewesen, dass er Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle in großen Höhen zum Leuchten angeregt hatte. Da habe ich ja wirklich wieder mal mehr Glück als Verstand gehabt! :-)

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