Samstag, 18. Februar 2012

Winter auf Spitzbergen

Mit einiger Verspätung komme ich endlich dazu, diesen Blogeintrag zu schreiben. Ich habe so einiges zu berichten: vom Leben im winterlichen Svalbard.

Spitzbergen hat sich im vergangenen Monat in allen nur denkbaren Facetten gezeigt. -30°C und +6°C, feinster kalter Pulverschnee versus dicken, feuchten Schneeflocken oder prasselndem Nieselregen, nicht vorhandene ewig dunkle Tage und neun Stunden lange Helligkeit mit farbigen Sonnenaufgangswolken - solch krasse Gegensätze hatte ich im Hochwinter in der Arktis nun wirklich nicht erwartet!

Am 8. Februar regnete es zum wiederholten Mal und lagen die Temperaturen mal wieder über dem Gefrierpunkt. Der Schnee schmolz zwar, konnte aber genau wie der Regen nicht einfach verschwinden, denn: hier oben gibt es Permafrost. Der Boden ist gefroren, das ganze Jahr hindurch: das viele Wasser kann nicht versickern und muss oberflächlich ablaufen. Auch aufgrund des Nachtfrostes bildete sich eine Eisschicht, auf die es dann wieder regnete. Das Ergebnis: alles, aber auch wirklich alles, verwandelte sich in spiegelglatte Rutschbahnen, da half auch das Streuen der Wege herzlich wenig. Ohne Spikes oder Ketten unter Füßen und Rädern ging hier gar nichts mehr, und selbst damit rutschte man als Fußgänger noch oft genug aus.

Jegliche Senke füllt sich mit Wasser (das Raumschiff rechts im Hintergrund ist übrigens meine Uni), und jede Bewegung war schweißtreibend: es waren schließlich alle auf -30°C und weniger vorbereitet, aber nicht auf nassen Dauerregen. Eine absurde Situation!

Die Tage wurden Anfang Februar schon spürbar länger und heller: noch nicht hell genug, um mit dem Auto ohne Licht zu fahren (was ja ohnehin nicht erlaubt wäre), aber definitiv hell genug, um seine Umgebung klar sehen zu können. Dennoch fanden so gut wie alle Aktivitäten weiterhin drinnen statt: Kultur und Indoor-Sportarten feiern im Dunkelwinter ihre Hochsaison. In dem Zuge will ich die wohl lustigste Freizeitbeschäftigung vorstellen, der man hier in Longyearbyen nachgehen kann: Kajakpolo!

In der modernen, großen Schwimmhalle findet zweimal die Woche ein mehrstündiges Training dieses lustigen Sportes statt, das ein australischer Student einführte und auf rege Teilnahme gestoßen ist. Zwei Mannschaften in Kajaks versuchen, einen Ball in kleine, aufgehängte Tore zu werfen. Das Hantieren von Kajak, dem Paddel und dem Ball wäre an sich schon kompliziert genug, hätte nicht die andere Mannschaft die Erlaubnis, einem genau dies so schwer wie möglich zu machen - etwa indem versucht wird, einen zum Kentern zu bringen. Allein das Zusehen hat mir große Freude gemacht - dieser Sport sollte viel verbreiteter sein! Wie schaut's aus: wollt ihr nicht einen Kajakpoloverein bei euch Zuhause gründen?


Die abrupt länger werdenden Tag im Februar verlagern das Geschehen langsam wieder nach draßen - eigentlich. Denn das verrückte Wetter machte so mancher Aktivität einen Strich durch die Rechnung. Die ersten Touristen, die nun wieder die Stadt unsicher machen, konnten weder Schneemobil fahren noch an Hundeschlittentouren teilnehmen und saßen, genau wie wir, im verregneten Tal fest. Das traditionelle erste Skirennen des Jahres, "Spitsbergen Up & Down" konnte zwar so gerade eben stattfinden, nicht so aber zwei Projekte, die unser Kurs im Zusammenhang mit dem Rennen geplant hatte: wir wollten umsonst geführte Touren in Eishöhlen anbieten. Nun waren diese aber leider einerseits von Schneematschlawinen verschüttet und andererseits von Wassermassen geflutet - all unsere Planung war umsonst. Das dritte Projekt der Klasse, "Spitsbergen Hot & Cold" war allerdings umsetzbar - wenn auch anders als gedacht!

Copyright: unbekannter ANG-Student aus dem Jahr 2011

Dies ist ein Bild von vergangenem Jahr, das wiederspiegelt, wie wir uns dieses Event vorgestellt hatten: eigentlich wollten auch wir ein Loch in das Seeeis des Fjordes sägen und interessierten Badewilligen ein Eisbad ermöglichen.

Leider, wenn auch nicht ganz überraschend, sah die Küste dieses Jahr etwas anders aus: Seeeis war absolute Mangelware, statt dessen gab und gibt es hier offenes Wasser bis zum Horizont. Das verdeutlich das folgende Bild, welches ich in der letzten Vollmondnacht dort machte, wo wir das Eisbaden geplant hatten.

Aber gut, auch das offene Wasser war kalt genug um eine Attraktion zu sein: und so hängten wir innerhalb der Uni und der Stadt Plakate auf und luden wir am 12. Februar zum abendlichen Badevergnügen. Man hat ja hier sonst nichts Vernünftiges zu tun!

Und als wir am Abend des Geschehens ein großes Lagerfeuer entfacht, eine Theke mit heißen Getränken aufgebaut und jede Menge Kerzen aufgestellt hatten, da glaubten wir unseren Augen kaum: über 70 Bekloppte stürzten sich mit oft lautem Geschrei ins flache Wasser des Fjordes!


Es waren hauptsächlich Studenten, die unser Angebot mit Begeisterung annahmen und, begierig auf das in Aussicht stehende Eisbadezertifikat, Schlange standen, um in der Sicherheit von uns ANG-Studenten in den etwa 0°C kalten Fjord zu sprinten. Meerwasser gefriert aufgrund des Salzgehaltes ja erst ab -1,8°C...


Das arktische Badevergnügen war bei den allermeisten von nur sehr kurzer Dauer: barfuß oder in Socken rannten fröhliche junge Menschen ins Wasser, schmissen sich kurz hinein und rannten in meist rekordverdächtigem Tempo zurück ans Ufer - schnell hinein in unsere Sauna!

Wir hatten ein Zelt mit Hilfe eines Kerosinbrenners auf angenehme Temperaturen erwärmt - ohne dieses wäre wohl kaum jemand gekommen, denn die Temperaturen lagen an dem Abend wieder bei -10°C. In der muckeligen Wärme unseres Saunazeltes, so hörte es sich zumindest von außen an, herrschte sehr gute Laune, aber auch wir Nichtbadenden (ich musste arbeiten und schenkte an der Theke warmen Saft aus) hatten unseren Spaß am gemütlichen und sehr warmen Lagerfeuer.

Nun, jetzt wisst ihr was Studenten an der nördlichsten Universität des Planeten so in ihrer Freizeit treiben! ;-)


Unmittelbar nach unserem erfolgreichen "Spitsbergen Hot & Cold" schlug das Wetter um. Nach über dreiwöchiger Achterbahnfahrt hoher Temperaturen sank das Thermometer auch tagsüber beharrlich auf unter -15°C. Die Wolken verschwanden, der Vollmond erhellte das Land: fotografisch war das ganze wahrlich nicht uninteressant, wie das obige Bild beweist. Nur eines fehlte uns jetzt noch: Schnee. Denn dieses blöde Glatteis hatten wir jetzt wirklich satt!

Schnee wollten wir - Schnee bekamen wir. Mitte Februar begann es zu schneien: wenig nur, wie so üblich, aber beständig. Und so konnten wir glücklicherweise doch die große, schon lange geplante Lawinenübung des Roten Kreuzes durchführen, dem ich hier in Longyearbyen beigetreten bin. Bei nahezu normal anmutenden Tageslichtverhältnissen erreichten wir ein Lawinenszenario und suchten und gruben wir mehrere Verschüttete (Puppen) aus.

Die Übung war ein Zusammenspiel aller im Realfall beteiligter Parteien: Rotes Kreuz, Polizei, Krankenhaus und AirLift (die hiesige Helikoptergesellschaft). Polizisten und Einsatzleiter verteilten uns Freiwillige auf die verschiedenen Aufgaben und koordinierten das Geschehen, forderten unter anderem den Rettungshelikopter an, der mit großem Getöse im Dämmerlicht landete und dabei einen solchen Schneesturm verursachte, dass man teilweise kaum etwas sehen konnte.


Allerdings wäre ich kaum ich gewesen, hätte ich dem beeindruckenden Sturmwind der Rotoren nicht getrotzt, statt mich wie befohlen abzuwenden (Polizeianweisung? Als Polizistentochter habe ich gelernt, die ab und an mal getrost zu ignorieren!) - und statt dessen meine Kamera mitten drauf zu halten. Das hätte mich beinahe meine erste Erfrierung gekostet (wie kann so kurze Zeit in so kaltem Wind bloß SO kalt sein?) und dürfte auch meiner Kamera nicht sonderlich gut bekommen sein: was tut man nicht alles für ein Foto!?!

Im Eiltempo wurde einer unserer fiktiven Überlebenden (gespielt von einem unverletzten Freiwilligen, versteht sich) in den Hubschrauber gebracht und ins Krankenhaus geflogen. So also sieht Bergrettung auf Svalbard aus. Beeindruckend! Allerdings hoffe ich sehr, dass ich im wirklichen Leben niemals in eine solche Situation komme: Lawinen sind mörderisch. Wer nicht innerhalb einer Viertelstunde ausgegraben wird, der erstickt mit größter Wahrscheinlichkeit: da würde auch der Helikopter nicht viel helfen, Übung hin oder her.

By the way: die Strukturen im Hintergrund der Bilder dürften euch bekannt vorkommen: es sind die Radarantennen von EISCAT, siehe vorhergehender Blogeintrag! Nur dort oben auf dem Bergrücken fanden wir ausreichend Schnee zur Lawinenübung vor.
Dies aber hat sich in der vergangenen Woche geändert: momentan kommt alle zwei Tage Niederschlag in gefrorener Form zu Boden und ermöglicht uns, endlich, wieder Ausflüge hinauf in Richtung Berge! Nun, da die Touristensaison begonnen hat, sieht man täglich Kolonnen von nervigen, stinkenden und lauten Schneemobilen im Schneckentempo den Longyeargletscher oder das Tal hinauffahren. Das Ziel ist die am höchsten gelegene Eishöhle, die ich bisher leider noch nicht besuchen konnte - unter anderem weil ich weiterhin den privaten Gebrauch motorisierter Fahrzeuge ablehne. Es fahren schon genug Skidoos umher, und ich werde sie im Rahmen des Studiums auch irgendwann einmal besteigen müssen - da mache ich privat gerne Abstriche. Zu dieser Eishöhle werde ich in den kommenden Monaten sicherlich auch zu Fuß gelangen können!

Am 16. Februar war es dann schon soweit: drei Wochen, nachdem die Polarnacht spürbar und rapide heller geworden war, ging theoretisch das erste Mal die Sonne auf. Praktisch machten Wolken jegliche Sichtung auf einer Bergspitze zunichte, aber immerhin: wir sahen das erste Mal seit Monaten wieder Farbe am Winterhimmel! Ganz zartes Rosa erhellte den Nordhimmel, als wir zum ersten Mal in diesem Jahr mit der Klasse auf Skiern unterwegs waren und eine Menge über Schnee, Schneeprofile und Lawinengefahr lernten.

Mit diesem Bild will ich mich für knapp zwei Wochen verabschieden: wir unternehmen bis Anfang März unsere erste Tour, die wir in einem festen Basislager irgendwo in der Umgebung verbringen werden. Der Bericht wird im März folgen: bis dahin wünsche ich allen Lesern eine schöne Zeit! Auf bald!

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