Sonntag, 2. August 2009

Mitternachtssonne


Es war etwa 20:30Uhr, als ich mein Zelt unweit der Straße aufbaute, welche zwei kleine Küstendörfer auf der Insel Senja mit dem norwegischen Festland verband. Das Wetter hatte sich einmal komplett gewandelt: statt Regen schien nun die Sonne und hüllten sich nur noch die höchsten Berge in lichte Wolken. Bei dem herrlichen Wetter zu Fuße des vierthöchsten Berges Senjas schlafen zu gehen kam nicht in Frage! Ich kochte mir schnell ein paar Nudeln, schmierte mir Wegzehrung für den vor mir liegenden Aufstieg auf den 851m hohen Istind, und marschierte mitsamt Kameratasche, Stativ und einem Satz warmer Kleidung los. Dass der Berg noch in Wolken gehüllt war, machte mir keine Sorgen: die würden in den nächsten Stunden auch verschwinden! Insgeheim hoffte ich sogar, dass sie sich noch ein wenig am Gipfel halten würden, denn das versprach sehr gute und interessante Fotomotive!

Als ich um 22:30Uhr am Gipfel ankam, konnte ich kaum fassen, wie viel Glück ich mal wieder hatte. Nebelhafte Wolkenschleier kamen und gingen und zauberten ständig wechselnde Lichtsituationen und Aussichten. Ich war zum genau richtigen Zeitpunkt oben angekommen! Solch ein Spiel aus Licht und Farben zu erleben, hatte ich mir nur 12 Stunden zuvor nicht träumen lassen!


Dazu kam, dass ich zum ersten Mal die Mitternachtssonne von einem Berggipfel aus sah. Nur noch zwei Stunden waren es bis Mitternacht, doch hier, 300km nördlich des Polarkreises, stand die Sonne so hoch am Himmel, wie in Deutschland am späten Nachmittag!


Am westlichen Horizont waren noch die abziehenden Regenwolken zu sehen. Einen kleinen Augenblick lang bereute ich, mein Zelt unten im Tal gelassen zu haben und nicht den Weg weiterzuwandern. Allerdings kenne ich das arktische Wetter aus Island gut genug, um zu wissen, dass nichts so trügerisch ist wie ein blauer Himmel! Das jetzt so unscheinbar ausschauende, scheinbar abziehende Tiefdruckgebiet konnte in ein paar Stunden schon wieder hier einrücken. Dann hier oben zu sein bedeutete, von Wolken eingeschlossen ohne GPS und Fernsicht von Steinhäufchen zu Steinhäufchen zu wandern und dabei Regen und Wind ausgesetzt zu sein - och nö, dazu fehlte mir in dem Moment irgendwie der Abenteuergeist!

Vorerst jedenfalls zeigte sich Senja von seiner besten Seite. Bald waren die Wolken ganz und gar verschwunden und konnte ich den Rundblick über diese fjordzerklüftete, bergige Insel genießen.


Um ein Uhr Nachts machte ich mich dann wieder an den Abstieg. Als ich auf Altschneefeldern hinunter in Tal rutschte, ging auch endlich die Sonne unter - zumindest gefühlsmäßig. Mittsommer ist schon etwas lustiges...


Im Zelt angekommen stellte ich den Wecker, tankte ein paar Stunden Schlaf, bevor ich um 9Uhr wieder an der Straße stand: und zwar im Nieselregen! Kurz nach meinem Abstieg waren die Wolken zurückgekommen und hüllten die Berge in nassen Nebel. Als hätte ich es gewusst, es war wirklich lustig!

Zu meinem Erstaunen wartete ich nicht alleine auf den Bus: weiter unten an der Straße stiegen zwei Studentinnen aus Tromsø zu. Sie waren, genau wie ich, gestern am Berg angekommen, hatten sich jedoch nach alter Gewohnheit Schlafen gelegt anstatt das Wetter zu nutzen und die Berge nachts zu überqueren. Der Aufstieg im Nebel war ihnen zu riskant, sodass sie nun den Bus nach Finnsnes nahmen und die Wanderung von der anderen Seite angehen würden, in der Hoffnung, dass in zwei Tagen bessere Wetterverhältnisse herrschen würden. Eine sehr gute Idee, mit der ich einen Moment liebäugelte, mich dann jedoch dazu entschloss, meine Reise gen Norden per Anhalter fortzusetzen und lieber noch ein bis zweimal entlang des Weges zu übernachten.

4 Kommentare:

  1. Weißt du, dass du mit deinen wunderschönen hier gerade die Moral bei uns im Labor total unter Meeresspiegelniveau gebracht hast?

    Grüsse aus Mittelfranken, Maike

    AntwortenLöschen
  2. Öh... Tut mir leid, ehrlich! Aber ihr habt doch auch mal Urlaub - ich leih euch dann auch gerne die Wanderkarte aus! ;-)
    LG aus dem hohen Norden,
    Kerstin

    AntwortenLöschen
  3. Maike hat Recht: was zur Hölle mache ich eigentlich hier an meinem Schreibtisch?
    Ist Dir eigentlich klar, dass Du es verdammt gut hast, liebe Kerstin?

    AntwortenLöschen
  4. Dieser zweiteilige Bericht ließ mich die Regentropfen auf dem Zelt und die feuchtkalten Nebelfetzen des Gipfels in meinem Gesicht spüren - danke!

    AntwortenLöschen