Montag, 10. August 2009

Parken Gård

Die Nacht nach meiner nächtlichen Bergbesteigung auf Senja verbrachte ich nahe der Lyngener Alpen. Mit drei Autos war ich dorthin gelangt und hätte am selben Tag noch an meinem Ziel ankommen können - von diesem war ich nämlich nur noch zwei knappe Autostunden entfernt. Ich war allerdings recht müde von der kurzen Nacht zuvor und wollte außerdem noch ein paar brauchbare Bilder dieser wunderschönen Berge machen. Zudem war mir eines klar: sobald ich meinen Fuß auf den Hof meiner neuen Arbeitgeber setzen würde, würde Freizeit Mangelware sein. Auf dem Land gibt es im Sommer schließlich generell mehr Arbeit als es Hände gibt. Und um ganz ehrlich zu sein: ich wollte noch nicht ankommen. Einen so komplett neuen Lebensabschnitt zu beginnen, ist einerseits spannend und schön, andererseits aber auch ziemlich abschreckend. Morgen würde ich die Menschen kennenlernen, mit denen ich dann für lange Zeit zusammen arbeiten und leben würde. Morgen war der "Tag der Wahrheit" - das Ende des sorgenfreien Urlaubs und der Beginn eines neuen Alltags. Das, so fand ich, konnte ruhig noch einen Tag länger erwartet werden.

Also schlug ich mein Zelt in einem kleinen Waldstück auf, wurde bester Freund von vielen sehr großen Mücken und noch vieeeel größeren Bremsen (die Freundschaft blieb allerdings einseitiger Natur), und verbummelte den restlichen Tag an der Küste. Dort wartete ich an mehreren Fotomotiven bis Mitternacht auf interessante Lichtstimmungen, und schlief am nächsten Morgen bis zur Mittagszeit.


Am næchsten Tag stand ich um 14 Uhr wieder Däumchendrehend an der Straße und stoppte mein sechszehntes Auto: einen Norweger aus Tromsø auf dem Weg zum Nordkap. In den anderthalb Stunden Fahrt gen Norden versuchten wir, aus meinen bruchstückhaften Informationen mein Ziel zu finden. Ich wusste dass es eine Farm namens Parken Gård war (sprich: Parken Gor), was schlichtweg "Parken Farm" bedeutet. Sie lag wohl genau zwischen der Grenze zwischen Troms und Finnmark und der Gemeinde Langfjordbotn.

Als ich in Oslo aufgebrochen war, hatte ich erwartet, die Farm so einfach finden zu können, wie in Island: dort ist jeder Hof mit einem Namensschild von der Straße ausgewiesen. Leider stellte ich aber sehr bald fest: die Farmen hier haben zwar Namen, aber diese stehen weder an ihren Briefkästen, noch an Schildern an der Einfahrt, noch auf Karten eingetragen. Man muss schon hingehen und an der Türe klingeln, um zu wissen, wo man ist...

Völlig rat- und anhaltslos überquerten wir die Grenze der Bundesländer und fuhren an vereinzelten Häusern vorbei. Dann kam ein Warnschild mit der Aufschrift "Hundespann" - "Hundeschlitten". Spätestens da wusste ich, dass es nicht mehr weit sein konnte! Tatsächlich: bald sahen wir ein Ortsschild, das den Namen "Langfjordbotn" trug. Rechts davon lugte ein großes, rotes Scheunendach hinter ein paar Bäumen hervor - und spontan bat ich meinen Fahrer, mich dort auszusetzen. Irgendwo musste ich mit der Suche ja beginnen!


Wir fuhren in einen kleinen Hof hinein. Ein gelbes, doppelstöckiges Wohnhaus mit Holzverkleidung, und ansonsten mehrere ganz in Rot gehaltene Gebäude: eine große Scheune, ein Stall, eine offene Werkstatt, eine kleine Hütte. Landwirtschaftsgeräte parkten auf der Wiese, auf der auch einige Kühe grasten. Ein Trampolin stand neben einem roten Gartenhäuschen und einer Schaukel.

Ich stieg aus dem Auto und suchte nach einer Person oder einem Hinweis darauf, ob dies wohl Parken Gård sein konnte, als unter den Eingangsstufen des Hauses ein angeleinter, kleiner, schwarzer Spitz hervorkam und penetrant zu bellen begann. Und kaum, dass er sein Maul aufgerissen hatte, stimmte aus etwa 100 Metern Entfernung eine ganze Hundemeute ins Bellen ein. Erst erschrak ich mich - dann musste ich lachen, da ich nun definitiv wusste, dass ich hier richtig sein musste!

ein total verzerrtes 360°-Panorama vom Parken Gård...

Ich lud gerade meinen Rucksack aus dem Auto und verabschiedete mich von meinem netten Fahrer, als ein Traktor angefahren kam. Ein Mann stieg aus, etwa Anfang Vierzig mit schütterem, graublondem Haar, und er sah mich ratlos und abwartend an. So fragte ich, ob dies Parken Gård sei. Als er bejahte, stellte ich mich als der neue Handler vor (sprich: Händler) - so nämlich nennt man die Helfer der Musher, also diejenigen, die sich um die Hunde kümmern.

Vor mir stand Tore (sprich: Ture), ein Bruder meines Chefs, der mit diesem zusammen die Farm führte. "Arne und Marianne sind in Tromsø im Krankenhaus, kommen aber heute Abend wieder", sagte er in schnellem, genuschelten Norwegisch. "Weißt du schon, wo du wohnen wirst?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Mal sehen ob die Villa Rosenduft offen ist - sie müsste nicht abgeschlossen sein", nuschelte er und rannte mir davon. Ich buckelte meinen über 30kg schweren Rucksack zum letzten Mal auf, schnappte mir meine Kameratasche, und eilte mich, Tore zu folgen.
Wir liefen direkt auf ein umzäuntes Gelände zu, wo die Hunde standen. Was für ein Gejaule und Gebelle, als wir uns näherten! Drahtige Tiere unterschiedlichen Aussehens, jeweils zu zweit an Hundehäuser gekettet, die unruhig auf der Stelle tänzelten, hüpften, sprangen, ja, teilweise sogar auf ihre Hütte kletterten, aber alle schwanzwedelnd die sich nähernden Menschen begrüßten.


Zehn Meter vom Kennel entfernt stand ein kleines Häuschen, etwa acht mal zehn Meter groß: die Villa Rosenduft. Als ich näherkam erkannte ich, dass die Hälfte des Hauses ein offenes Lager für die Hundeausrüstung war. Die andere Hälfte wurde von einer Tür ohne Klinke verschlossen.
"Oh", sagte Tore. "Die Klinke ist weg".
Ja, ach, das sah ich auch. Sie lag am Boden. Ture hob sie auf, guckte sie an - und ließ sie achtlos wieder fallen. Er brummelte etwas Erklärendes, das ich nicht verstand, ging in die Nebentür, in der sich Futternäpfe stapelten, und kam mit einer Zange wieder heraus. Mit der packte er den Vierkant der Türklinke und öffnete die Tür.
"So", grinste er wie ein zu groß geratener Michel aus Lönneberga, "Villa Rosenduft. Dein Zuhause."
Er wartete kurz, bis ich meinen Rucksack abgeladen hatte und bot mir an, mich in 15 Minuten abzuholen und bei seiner Familie Mittag zu essen. Dann verschwand er in Richtung des Traktors.

Ein gewöhnungsbedürftiger Geruch aus Hundehaar und Kot lag in der Luft und ließ mich zu den vielen Hunden zurückblicken, die nun alle ganz ruhig waren. Alle standen sie vor ihren Hütten, hatten sich mir zugerichtet und sahen mich erwartungsvoll an - und wackelten so mit ihren Schwänzen als sei ich jemand, den sie kennen würden. Neugierig war ich schon, die Meute kennenzulernen, aber als hundeunerfahrener Fremder wollte ich mich nicht alleine in den Kennel begeben. Außerdem wollte ich mein neues Zuhause kennen lernen!



Eine Palette diente als Eingangsstufe ins kleine Holzhäuschen, dessen Holzboden ausgetreten und schräg war, wie in einem alten Wohnwagen. Hinter der Eingangstür befand sich ein 2qm großer Eingangsbereich, dann die Tür, die ich gerade öffnete und die in die Wohnküche führte: eine Kochnische mit Spüle, ein Tisch, ein Sofa, drei Fenster. Dann ein Durchgang ins Schlafzimmer, in dem gerade genug Platz für ein breites Hochbett war. Von diesem aus führte eine Tür in die Hausmitte, hinein in ein fensterloses Badezimmer, dessen Boden noch schräger war, als der der Eingangshalle.
Das war sie, die Villa Rosenduft - mein Zuhause für den kommenden Winter.

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