Die erste Woche war reine Eingewöhnung. Mit den Hunden (40 Tiere, ich habe nachgezählt) gab es bisher kaum Arbeit, da es schlichtweg zu warm war. Hunde können ja nur über die Pfoten schwitzen, nicht übers Fell, und müssen ihren Temperaturhaushalt daher allein über die Atmung regeln - darum hecheln sie so oft. Huskies sind Polarhunde und haben auch im Sommer ein dichtes Fell. Schon bei niedrigen Plusgraden ist es ihnen zu warm um Leistung zu erbringen - geschweige denn bei 25-35 Grad, die hier Ende Juli und Anfang August herrschten. Ich war selber überrascht, dass es 400km nördlich des Polarkreises so warm werden kann! Jedoch muss man dazu sagen: wir liegen hier in einem breiten Talkessel zwischen hohen Bergen, das offene Meer ist relativ weit entfernt. Noch dazu wachsen bis etwa 300m Höhe Bäume, die den Wind blocken und ein eigenes Mikroklima schaffen. Daher sieht man hier oben im Norden auch Szenen wie diese, die ich eher in Südeuropa, nicht aber auf 70° nördlicher Breite vermutet hatte...
Norweger auf ihrem sonntäglichen Familien-Angelausflug bei über 30°C und totaler Windstille
Aber zurück zur Arbeit, bzw. zu den Hunden. Meine Arbeit mit ihnen beschränkte sich zunächst auf die Fütterungen (morgens gibt es Wasser mit ein wenig Futter, abends gibt es Futter mit ein wenig Wasser) sowie auf meinen Lieblingsjob: Hundescheiße sammeln. Diese unliebsame Tätigkeit wird jedoch dadurch sehr interessant, dass man sich in die Nähe der Hunde begibt, ohne dass sie abgelenkt sind. Wenn gefüttert wird, denken die Huskies nur ans Fressen und daran, möglichst viel davon in möglichst kurzer Zeit herunter zu schlingen - wenn möglich auch noch die Portion des Nachbarn dazu. Der Mensch ist da nur der Futterbringer und nicht weiter interessant. Gibt es aber außerhalb der Futterzeiten keinen Futterneid und keine Rangordnung auszukämpfen, konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf die willkommene Ablenkung: in dem Falle halt auf mich.
Dazu kommt, dass diese Tiere ob der Hitze chronisch gelangweilt und unterfordert sind und kaum Kontakt zu Menschen haben: man kann ja schlecht mit 40 Huskies täglich spazieren gehen, das ist ja schon logistisch gar nicht möglich. Daher lechzt jedes einzelne Tier nach Ablenkung und danach, dass sich ein Mensch ihm widmet - mit dem Ergebnis, dass sie jeden zu Tode lieben, der ihnen zu nahe kommt. Wenn ich komme, egal ob mit oder ohne Futter, egal ob guter oder schlechter Laune (diese Tiere nehmen menschliche Emotionen unglaublich gut wahr, es ist wirklich erstaunlich!) dann beginnen sie zu hüpfen, zu bellen, regelrecht zu schreien, ganz nach dem Motto: "Ich bin hier, ich bin hier, hörst du mich nicht, siehst du mich nicht, komm her und widme dich mir! Mir, nur mir alleine!" Und wenn man das dann tut, springen sie an einem hoch und versuchen, einem das Kinn abzulecken - eine Demutsgeste unter Hunden und bei menschlicher Begegnung gleichzeitig Ausdruck höchster Freude. Leider ist das bei einem Brillenträger wie mir nicht wirklich vorteilhaft, zumal Hunde bekanntlich Zähne besitzen. Im Eifer des Gefechts wird aus einem Zungenschlecken schnell ein Schnappen - ungewollt, versteht sich, der Hund will wirklich nicht beißen. Aber nach den drei Wochen ist mein Kinn bereits jetzt von Kratzern übersäht und musste ich meine Brille schon mehr als einmal wieder gerade biegen. Wie lange das wohl gut gehen wird...?
Bei dem Theater, das jeder einzelne dieser wirklich liebenswerten aber eben hyperaktiven Tiere anstellt, kann man sich vorstellen dass selbst ein Job wie Scheißesammeln höchst aktiv und kurzweilig wird...
Blick von Süden auf Parken Gård, das in der Bildmitte rechts unten im Talkessel liegt
(suche die beiden Schneisen am Berghang, nimm die linke, verlängere sie nach unten
bis du an ein Feld kommst, dort sieht man Gebäude)
(suche die beiden Schneisen am Berghang, nimm die linke, verlängere sie nach unten
bis du an ein Feld kommst, dort sieht man Gebäude)
Meine Hauptarbeit war aber bereits nach vier Tagen die Arbeit im Kuhstall, wo ich seitdem täglich 5-7 Stunden arbeite. Arne ist von den Ärzten in Tromsø für mehrere Wochen krankgeschrieben worden. Sein Bruder Tore, der mit ihm den Hof führt, befindet sich mitten in der Heuernte - es fehlte also an einer Person, die sich um die Kühe kümmerte. Und das war ich. Beziehungsweise das bin ich noch immer. So kam ich also völlig unerwartet an einen wirklich gut bezahlten Job, der mir auch noch Spaß macht - endlich bin ich einmal wieder körperlich wie geistig gefordert! Denn entgegen aller eventuellen Vorurteile ist der Beruf des Bauern in jeglicher Hinsicht anspruchsvoll, jedenfalls wenn man sich ihm zu 100% widmet und alles richtig und gut machen will. Die Verantwortung, die einem auf den Schultern liegt, ist jedenfalls ungeheuer groß - Kühe sind nämlich ebenso anspruchsvoll und unberechenbar, wie Wanderer auf dem Laugavegur.
Die Karlstrøms waren nach den ersten Tagen völlig davon überzeugt, dass ich hier alles alleine regeln könne - weswegen Tore sich nur noch den Feldern widmete und Arne, Marianne und die Kinder ruhigen Gewissens (so sagten sie) in einen zweiwöchigen Urlaub fuhren. Ich fühle mich ob ihres Vertrauens in mich geehrt, bin mir aber nicht ganz sicher, ob mir die Verantwortung geheuer ist, die auf mir liegt. In den vergangenen zwei Wochen war ich hier fast alleine für alles verantwortlich: zwar stand ich in Telefonkontakt mit Tore und Arne und kam Tore vorbei, wann immer ich ihn brauchte, jedoch war ich die einzige Person auf dem Hof.
Und was es alles zu tun gab! Kühe mussten zweimal täglich gemolken werden, das Computersystem verstanden werden (es ist ein sehr neuer Stall in dem fast alles bis auf den Melkvorgang technisiert ist - was m.E. aber fast mehr Probleme bringt als Vorteile...). Ich musste im Handumdrehen 33 Kühe per Nummer kennen lernen und mich (wie immer in neuen Kuhställen) mit den Eigenheiten der Viecher vertraut machen. Welche Kuh tritt beim melken, warum tut sie das und wie kommen wir am besten miteinander klar? Welche Kühe sind schnelle Melker, welche brauchen länger als andere? Wir melken hier in einem Melkstand für acht Kühe, das bedeutet: man steht einen Meter tiefer als die Kühe. Rechts stehen vier, links stehen vier, und jede Seite kann nur zusammen gemolken werden. Also melkt man immer in Vierer-Grüppchen. Dabei sollte man versuchen, vier möglichst gleichschnell zu melkende Kühe auf eine Seite zu bekommen - manche brauchen Ewigkeiten und halten dann alles auf. Das muss man aber erst einmal lernen, und genau das habe ich in den vergangenen drei Wochen getan. Statt anfangs sieben Stunden habe ich die Arbeitszeit nun auf fünf Stunden reduziert, wobei allein das Melken drei bis dreieinhalb Stunden täglich in Anspruch nimmt: morgens ein wenig länger als abends, da die Kühe dann mehr Milch geben. Wie in Island, so richten sich hier die Kühe nach den Menschen, nicht umgekehrt: wir melken morgens um 8 Uhr und abends um 18 Uhr. Das sind menschliche Zeiten, zumal es bei den veränderlichen Tageszeiten (24 Stunden Tageslicht im Juni, 0 Stunden im Dezember) überhaupt nichts bringen würde, sich schon um 5 Uhr morgens aus dem Bett zu quälen...
Blick auf Parken Gård von Norden, also genau von der anderen Seite als beim obrigen Bild.
Hier ist die Farm mittig rechts im Bild zu sehen:
oberhalb des leuchtend grünen Feldes liegt sie direkt an der Straße.
Hier ist die Farm mittig rechts im Bild zu sehen:
oberhalb des leuchtend grünen Feldes liegt sie direkt an der Straße.
Aber das Bauernleben wäre kein Bauernleben, wenn alles Routine wäre. Im Gegenteil: wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ein Tag auf einem Bauernhof im seltensten Fall so abläuft, wie man es sich vorstellt. Wichtige Maschinen gehen kaputt, Tiere werden krank oder büxen aus - es gibt fast mehr unvorhergesehene Ereignisse als die, welche man planen kann! So zumindest war es in Island, und so war es auch, als ich in meiner ersten bis dritten Woche Parken Gård alleine führte. Aus dem heiteren Himmel erkrankten fünf Kühe an Mastitis (Euterentzündung - ganz üble Sache...) und mussten mit Penicillin behandelt werden. Das ist in sofern problematisch, da deren Milch auf gar keinen Fall in den Tank gelangen darf, weil man sonst mal eben bis zu 3000 Liter Milch wegschmeißen kann. So groß ist nämlich unser Tank, der alle drei Tage geleert wird.
Ich erinnere mich da auch gerne an den Abend, an dem ich die Kühe von der Weide holen wollte, aber nur 20 der eigentlich 35 fand - die anderen hatten einen Zaun durchbrochen und waren über alle Berge verschwunden - das Gras ist bekanntlich immer grüner auf der anderen Seite des Zaunes. Nur mit Hilfe von Tores Familie fanden wir sie wieder - und begann ich das Melken zwei Stunden später als geplant.
Langweilig ist mir das Arbeiten auf einer Milchfarm jedenfalls noch nicht geworden - und ich habe im Leben nun schon mehr als zwei Jahre lang in mittlerweile vier Ställen in diesem Beruf gearbeitet. Und komme jedes Mal immer tiefer in diesen hinein. Hauptverantwortlich für eine Farm war ich bisher allerdings nie länger als ein Wochenende - daher bin ich momentan eigentlich nur baff, wie viele Dinge man im Kopf behalten, beobachten und bewerten muss. So viele Kleinigkeiten gibt es zu beachten, die so wichtig sind - wie zum Beispiel die Brunst der Kühe. Das ist jetzt zugegebenermaßen kein Thema, mit dem ich mich freiwillig beschäftigen würde, gehört aber zu den wichtigsten Dingen auf einer Milchfarm: denn ohne Kälber liefern Kühe keine Milch.
In modernen Milchviehbetrieben soll eine Kuh einmal im Jahr kalben, um möglichst viel Milch zu geben. Nach der Geburt wird die Milchmenge trotz täglichen Melkens immer geringer: eine Kuh, die nach dem Kalben täglich 40 Liter Milch gibt, produziert ein halbes Jahr später nur noch 15 Liter. Da Kühe 9-10 Monate trächtig sind, muss also schon 2-3 Monate nach der Geburt des Kalbes wieder besamt werden - das machen heutzutage ja Tierärzte und Besamer, Bullen werden kaum noch eingesetzt. Jetzt haben Kühe aber die blöde Angewohnheit, einmal im Monat für nur 18 Stunden lang empfängnisbereit zu sein. Da der Besamer nur unter der Woche zu den normalen Arbeitszeiten kommt, wird das Zeitfenster noch geringer und muss der Bauer die Brunst der Tiere rechtzeitig erkennen und genau zum richtigen Zeitpunkt den Besamer rufen - sonst gibt es keine Kälber. Und diese Aufgabe fällt nun ironischerweise auf mich zurück, die ich selber selten wenig Interesse an der Zeugung, Planung oder Versorgung eigener Nachkommen habe. Aber wozu auch, ich habe momentan wirklich genug mit der Zukunftsplanung von 33 Kühen zu tun...
Hündinnen machen es einem dagegen einfach: alle 6 Monate sind sie für eine Woche läufig, und das führt in einem Kennel mit 40 Tieren eher zu mehr Nachkommen, als es einem lieb ist. Arne und Marianne wollten dieses Jahr eigentlich nur einen Wurf haben: jetzt werden es aber vier. Die ersten beiden Würfe sind schon da: eine schlanke Hündin namens Kawa warf fünf Welpen von denen vier überlebt haben. Nuni, eine andere Hündin, wurde von ihrem Halbbruder gedeckt, weshalb zwei der ebenfalls fünf Welpen kränklich sind und vermutlich sterben werden. Inzucht, das Resultat aus ungewollten Schwangerschaften, ist ein großes Problem, weshalb wir der Natur auch ungehindert ihren Lauf lassen. Wer in der ersten Lebenswoche kränkelt und sich nicht aus eigener Kraft erholt, würde ohnehin keinen gesunden, leistungsstarken Hund abgeben. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb die Nutztierrassen der Polarregionen noch so zäh sind: bei Huskies, Islandpferden und Rentieren überleben von Anfang an nur die stärksten Tiere. So ist das Gesetz der Natur, und so muss es sein, wenn eine Rasse unter extremen Bedingungen überleben will.
Danke für die Erklärungen zu den Milchkühen. Das meiste wusste ich noch nicht oder hatte noch nicht konsequent drüber nachgedacht, warum etwas so oder gehandhabt wird.
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