Dienstag, 8. September 2009

Von Beeren, Bären, Joghurt und Pilzen

Norwegen ist das Land der Beeren. Hier gibt es zwar auch echte Bären, Braunbären um genau zu sein, allerdings sind diese nur noch in größeren Waldgebieten vorzufinden, wo sie mit den letzten Luchsen, Vielfraßen und Wölfen um ihr Überleben kämpfen. Obwohl Norwegen noch relativ viel nichtbesiedeltes Land besitzt, sind die meisten Einheimischen prinzipiell gegen Raubtiere und bejagen sie bis zur Ausrottung. Es ist doch immer dieselbe Geschichte: Menschen habe eine komplett unbegründete Angst vor allem, das wild ist und sich von Fleisch ernährt. Von daher ist es eine traurige, aber leider unumstößliche Tatsache, dass auch hier in Norwegen mit Begeisterung auf alles geschossen wird, was andere Tiere frisst. Es ist legal, auf Fuchs-, Luchs- und Vielfraßjagd zu gehen, obwohl keiner genau weiß, wie viele Luchse und Vielfraße es eigentlich noch gibt. Auch die wenigen verbliebenen Bären und die Handvoll Wölfe, die noch durch die Wälder Norwegens streifen, werden illegal einfach abgeschossen. In den vergangenen Jahren wurde Norwegens letztes Wolfsrudel von 40 auf 24 Tiere dezimiert - Tendenz weiterhin fallend. Da zeigt es sich einmal wieder, dass dies das einzige ist, was die Menschheit wirklich kann: kurzsichtig in Panik zu verfallen und andere Lebewesen gedankenlos auszurotten. Das gefährlichste Raubtier der Erde ist der Mensch - und das dümmste obendrein. Eine tragische Kombination!

Aber zurück zu den Beeren! Ich wusste zwar, dass Norwegen ein Paradies für Beerensammler ist - wie viele verschiedene Sorten hier letztendlich wild wachsen, hat mich sehr überrascht! Heidelbeeren und Rauschebeeren (beides so genannte "Blaubeeren"), Preiselbeeren, Walderdbeeren und Himbeeren werden wohl den meisten bekannt sein. Daneben gibt es aber noch Krähenbeeren (schwarze, leicht bitter schmeckende Beeren, aus denen sich ein sehr leckerer Saft gewinnen lässt), Moltebeeren und Steinbeeren, sowie unzählige weitere Früchte, die man theoretisch nutzen könnte, die aber nicht sonderlich gut schmecken.

Moltebeeren und Steinbeeren gehören zur Familie der Rosengewächse und sind verwandt mit Him- und Brombeeren. Die Steinbeere kannte ich schon aus Island. Es handelt sich dabei um eine lustige, kleine Pflanze mit himbeerähnlichen Blättern, die kleine, brombeerähnlich schmeckende, rote Früchte mit recht harten Kernen hervorbringt. Die Moltebeere dagegen war mir völlig neu - ich hatte zwar schon von ihrer Existenz gehört, sie aber noch nie probiert.

Die kleine, maximal 20cm hohe Pflanze bringt nur eine einzige Frucht hervor, die erst weiß, dann rot und schließlich orange bis gelb wird und nur in Feuchtgebieten und Mooren wächst.
Man darf sie nur pflücken, wenn die Frucht gelb-orange gefärbt ist. Vorher ist sie noch hart und schmeckt nicht und steht außerdem offiziell unter Schutz. Pflückt man sie nämlich in unreifem Zustand, tötet man die ganze Pflanze, da die Beere so fest mit dieser verbunden ist, dass man sie mitsamt der Wurzeln ausreißen kann. Dies taten früher sehr viele kommerzielle Moltebeerensammler, welche die noch roten Beeren für die Schnapsproduktion ernteten und die Bestände der Moltebeere so drastisch dezimierten. Daraufhin wurde die Pflanze offiziell unter Schutz gestellt - mit dem Ergebnis, dass man sie heute immer noch bzw. wieder häufig anfindet.

Vom Geschmack her war die Moltebeere eine überraschende Enttäuschung: sie erinnert mich an eine vergorene Mischung aus Apfel- und Orangensaft in seltsam schleimiger Konsistenz. Bei der ersten Beere dachte ich, eine schlechte erwischt zu haben und spuckte sie aus - bis ich mich nach Beere Nummer Zehn fragte, warum zur Hölle die Norweger so auf ihre Moltebeere schwören! Im rohen Zustand würde ich jede andere Beere dieser vorziehen! Als ich dann aber von Marianne am Frühstückstisch dazu genötigt wurde, ihre Moltebeerenmarmelade zu probieren, war ich sehr überrascht: verarbeitet schmeckt die Beere ganz vorzüglich! Diese Erkenntnis gab den Startschuss für mein neuestes Hobby: Marmeladenproduktion.

Ein Monat Arbeit - nicht schlecht, oder?

Ich weiß nicht, wie viele Stunden bzw. Tage ich in den vergangenen Wochen im Wald unterwegs war und wie viele Kilogramm an Beeren ich gesammelt habe! Erst mussten alle Moltebeeren dran glauben, die ich fand, denn diese sind immer die ersten Beeren und werden fast einen Monat vor allen anderen reif. Jetzt, da die Moltebeerzeit vorüber ist, ist Blaubeersaison und sind meine Fingerspitzen chronisch violett gefärbt. Selbst meine Zähne haben einen Blaustich bekommen, den auch noch so langes Zähneputzen momentan nicht vertreiben kann. Das Ergebnis sind sechs Gläser Moltemarmelade (die gelben Gläser), zwei Mischungen aus Molte und Blaubeere, drei Mischungen aus Preisel-, Stein- und Heidelbeere (die roten Gläser), und bisher 12 Gläser Blaubeermarmelade, Tendenz allerdings noch steigend, da ich vorgestern erst wieder drei Kilogramm gepflückt habe, die ich noch verarbeiten muss. Außerdem werden jetzt erst noch die Johannisbeeren im Garten reif! Die nächsten Wochen werde ich daher wohl noch einige Zeit mit dem Pflücken von (Wild-)Früchten verbringen!

Wer mich kennt, der wird sich jetzt wundern, was ich mit all der Marmelade anfangen will - ich, die ich nie Marmelade auf Brot esse. Allerdings habe ich hier auf Parken Gård nun auch mit meiner eigenen Joghurtproduktion begonnen! Es erschien mir einfach dumm, Joghurt zu kaufen, wenn ich doch über 3000 Liter frische Kuhmilch verfügen kann. Mithilfe des Internets fand ich dann auch heraus, wie selten einfach es ist, Joghurt herzustellen: man muss einfach nur die frische Kuhmilch erwärmen, auf 500ml zwei volle Esslöffel Joghurt einrühren und das Ganze über Nacht warm stehen lassen. Auf die Art setze ich einmal in der Woche gut vier Liter Joghurt an und esse nun jeden Morgen eine große Portion selbstgemachten Joghurt, verrührt mit selbstgemachter Marmelade und momentan auch frischen Beeren. Dazu gibt es selbstgebackenes Brot von Marianne und frische Milch aus dem Tank - gesünder und unabhängiger habe ich lange schon nicht mehr gegessen!


Der Herbst in Norwegen ist aber nicht nur Beeren-, sondern auch Pilzzeit. Daher habe ich (unter Mariannes sachkundiger Anleitung) jetzt auch mit dem Pilzsammeln begonnen. Meine Lieblingspilze sind diejenigen, die die Norweger verschmähen: Rotkappen, welche sehr gute Speisepilze sind und nur mit anderen essbaren Pilzen verwechselt werden können, nicht aber mit Giftpilzen. Die Birken-Rotkappe, die ich sammle (der braune Pilz im Korb), ist ein Mykorrhizapilz von Birken. Das bedeutet, dass dieser Pilz eine Symbiose mit den Birken eingegangen ist und sich mit deren Wurzeln verbunden hat. Damit vergrößert sich die Reichweite der Baumwurzeln enorm und hilft der Pilz dem Baum z.B. bei der Aufnahme von Mineralien und Wasser. Im Gegenzug erhält der Pilz Nährstoffe und Enzyme, die er selber nicht herstellen kann. Viele Bäume sind solche Wechselbeziehungen zu Pilzen eingegangen, und viele Pilze können ohne ihre Wirtsbäume nicht leben - dies ist der Grund, weshalb viele Speisepilze nur in direkter Nähe zu meist ganz bestimmten Bäumen wachsen!

Der begehrteste Pilz im Wald ist aber momentan der Pfifferling, dieser kleine, knallgelbe Pilz, der so einzigartig ist, dass man ihn gar nicht mit Giftpilzen verwechseln kann! Dass er hier in solchen Massen vorkommt, überrascht mich allerdings, da momentan ganz Norwegen auf Pfifferlingjagd zu sein scheint: überall sieht man Leute mit Körben durch die Wälder laufen, den Blick auf den Boden gerichtet, um die versteckten gelben Pilze ausfindig zu machen. Es ist wirklich lustig!

Die Natur deckt einem hier jedenfalls so reichlich den Tisch, dass ich gar nicht anders kann, als jede freie Minute im Wald zu verbringen und Vorräte für den Winter anzulegen! Da bekommt man ein ganz anderes Gefühl und eine ganz andere Wertschätzung für die Nahrung, die man sonst einfach im Supermarkt kauft. Und schmecken tut natürlich alles dreimal so gut als wenn man es gekauft hätte! Am Sonntag war auch ich sechs Stunden lang gemütlich im Tal unterwegs, habe im Wald vermutlich jedes zweite Mitglied der Familie Karlstrøm angetroffen, welche allesamt auf Pfifferlingjagd waren. Am Abend saß ich dann im Sonnenschein vor meiner Hundehütte und säuberte meine Pilze: einen Korb voller Pfifferlinge und eine etwa gleiche Menge an Rotkappen. Dazu pflückte ich die ersten reifen Preiselbeeren und Steinbeeren des Jahres, sowie drei Kilo riesengroße und zuckersüße Heidelbeeren (na ja, vier, aber eines landete direkt in meinem Magen...). Meine seit einem Monat beständig violetten Finger versuche ich mittlerweile gar nicht mehr sauber zu bekommen - irgendwie bezweifle ich, dass der Blaustich jemals wieder abgehen wird!

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