Montag, 26. April 2010

Naturgewalten

Ich denke, dass ihr durch die ganze Diskussion um den europäischen Luftverkehr wohl mitbekommen habt, dass der Vulkan nun viel weniger Asche ausstößt, als in der ersten Woche. Hier von Lágafell aus sehen wir manchmal bei ganz klarem Wetter ein rotes Leuchten über dem Gletscher: die Aktivität des Vulkans hat zwar etwas abgenommen, ist aber stabil. Ihr müsst euch das so vorstellen: in der ersten Woche hat die austretende Lava die 200m dicke Eisdecke direkt um die Ausbruchsstelle geschmolzen und kam deshalb immer in direkten Kontakt mit Wasser. Das bewirkte, dass die frische Lava sich in extrem starken Explosionen pulverisierte und als Asche ausgestoßen wurde - so zumindest habe ich als Laie das verstanden.

Nun ist die riesige Kraterkette (über 2km lang Durchmesser) weitestgehend eisfrei und kann die Lava sich als solches aufschichten: vermutlich füllt sich der Krater daher gerade mit Lava. Es entsteht viel weniger Asche, weshalb die Wolke mittlerweile wie eine 'normale' Gewitterwolke ausschaut und auch nicht mehr blitzt. Statt dessen kann man jetzt nachts Lavafontänen sehen, die mehrere hundert Meter hoch aus dem Krater hervorschießen und deren oberste Spitze vom Umland aus gesehen werden kann. Der Krater liegt ja genau auf der Spitze des Eyjafjallajökull auf 1600m Höhe, umrandet von einer 200m dicken Eisschicht. Die Höhe der Eruption, die Tiefe des Kraters und das umliegende Flachland machen es schwer, dem Ausbruch gute Fotos abzuringen!

Genau das versuche ich aber seit Tagen: ich will die Lava sehen, glühende, rotgelbe Lava! Nur wie? Bergrettung und Polizei versuchen noch immer, jegliche unnötige Fahrten ins direkte Umland des Berges zu unterbinden, was ja auch vernünftig ist, besonders um Lava-gierige, draufgängerische Fotografen wie mich an dummen Taten zu hindern. Und da ich weder über Geld noch über Fahrgelegenheiten verfüge, habe ich mir die östlichste Fljótshlið als Fotoziel auserkoren. Es ist das Tal, an das die Þórsmörk grenzt und durch das man fahren muss, wenn man mit dem Auto nach Emstrur und Álftavatn fahren will: also gegenüber der Straße, die in die Þórsmörk führt, auf der nördlichen Seite des Flusses Markarfljót. Bis gegenüber des Gigjökull lässt die Polizei mittlerweile wieder Verkehr fahren: die ganzen Medien waren dort in den letzten Tagen, um Bilder des Vulkans zu machen. Ich machte mir den Rummel zunutze und trampte von Hvolsvöllur aus dorthin, was wie immer kein Problem war.


Die Wettervorhersage für die erste Nacht war ganz in Ordnung gewesen: abends sollte es regnen, nachts dann aber aufklaren und am nächsten Morgen strahlender Sonnenschein sein. Statt dessen bekam ich aber eine Nacht voller Regen und einen Morgen voller Nebel, den ich im Zelt auf etwa 100m Höhe verbrachte - zum Glück war ich nicht weiter aufgestiegen. Um die Mittagszeit riss der Himmel über dem Gletscher tatsächlich auf und konnte ich die Aschewolke aus nächster Nähe beobachten. Was mich total verblüfft hat, war die Lautstärkte der Explosionen. Ihr kennt doch sicherlich das Grollen von weit entfernten Blitzen: wenn es sekundenlang dröhnt und bummert. Stellt euch das vor, vermischt mit Blitzeinschlägen im Garten des Nachbarn und dem Wasserfall Dettifoss im Garten des anderen Nachbarn - und periodisch fliegt dann noch ein Düsenjet im Tiefflug über besagte Gärten hinweg. Das, finde ich, beschreibt ziemlich gut die Töne des momentanen Ausbruchs!


Laut Karte war ich etwa 10km Luftlinie vom Krater des Vulkans entfernt, was mit meinen Schätzungen übereinstimmt. Man konnte die Explosionen nämlich 29 Sekunden vor dem Donnergrollen sehen: es jagten überdimensionale Schockwellen durch die Aschewolke. Es war ein irrer Anblick: wie als wenn jemand einen Kiesel in ein ganz ruhiges Gewässer werfen würde, so wanderten Ringe durch die Wolke - allerdings in Sekundenbruchteilen. Und wenn die Wolke nach solchen Schockwellen dann wie ein Atompilz in den Himmel aufstieg und der Donner mal wieder wie ein Gewitter mein Zwerchfell beben ließ und das Fenster der Hütte hörbar zum Beben brachte, neben der ich mich sonnte, dann wurde mir ganz anders. Ich weiß nicht, ob man ausrechnen oder abschätzen kann, welche Kräfte dieser Berg freisetzt - aber es würde mich nicht wundern, wenn es mit einer oder mehreren Atombomben zu vergleichen wäre. Man fühlt sich so winzig klein und hilflos angesichts dieser sicht-, hör- und spürbaren Gewalten. Und wenn man dann noch Hubschrauber fast in die Aschewolken hineinfliegen sieht und man einen Größenvergleich erhält, dann hofft man wirklich nur, dass der Berg wieder schön friedlich einschlafen wird und keine Katastrophe heraufbeschwört.

Das ist die Ausbruchsstelle. Seht ihr die Lavabrocken in der Luft?
Es war der mächstigste Auswurf, dem ich Zeuge werden durfte


Und hier ein Ausschnitt des Bildes zuvor: der größte der Brocken ist ein Hubschrauber!
Da bekommt man einmal ein Gefühl für die Größenverhältnisse...


Mit einem allgegenwärtig beklommenen Gefühl im Bauch bestieg ich am Abend dann den 574m hohen Berg Þórólfsfell, in der Hoffnung, nun endlich glühende Lava oder zumindest rot angeleuchtete Wolken sehen zu können. Doch statt freier Sicht auf den Krater bekam ich tiefliegende Wolken und Schneegestöber geliefert: die ganze, kurze Nacht über. Ich harrte nahe des Gipfels im Windschatten eines Felsens aus, eingemummelt in meine Winterkleidung und meinen Schlafsack auf meiner Isomatte liegend - und sah nichts außer Wolken. Das Bummern und Grollen des Vulkans wurde immer unheimlicher, je weniger man sah. Besonders wenn es sich so anhörte, als würde direkt neben mir ein Blitz einschlagen (was nicht der Fall war), war ich teilweise drauf und dran, Hals über Kopf davonzurennen. Schon allein deshalb war an Schlaf in dieser Nacht nicht zu denken!


Am nächsten Morgen stieg ich verfroren wieder ins Tal hinab und überlegte einen Augenblick lang, ob ich es noch eine Nacht am Berg aushalten sollte. Ich rief die Wettervorhersage an, und diese prophezeite Regen für den Nachmittag - also stellte ich mich an die Schotterstraße und hoffte, dass so früh am Morgen bald jemand kommen würde. Und natürlich hatte ich wieder riesiges Glück: die Polizei fuhr Streife und sah im Vulkangebiet nach dem Rechten. Die beiden Beamten im weiß-blau-roten Streifenwagen hielten doch tatsächlich an, als ich meinen Daumen raushielt! Auf die Frage, ob ich mit nach Hvolsvöllur kommen könnte, tauschten die beiden Herren einen kurzen Blick (ich gehe einmal stark davon aus, dass es verboten ist, Zivilisten mit auf Streife zu nehmen) und luden mich dann kurzerhand ein. Als sie erfuhren, dass ich nach Lágafell wollte, sagten sie, sie würden mich da vorbeifahren - sie seien jetzt eh unterwegs, da wäre es egal, wohin sie fahren würden. Und so fuhr ich also mit dem Polizeiauto auf meiner alten Farm ein: Sæunn stand nur kopfschüttelnd am Fenster und sagte nichts. Sie haben mich schon mit der Bergrettung, einem Zementwagen und dem Milchmann die Hofeinfahrt hereinkommen sehen - da war die Polizei auch nichts Ungewöhnliches mehr! ;-)


Vom Þórólfsfell hat man eine hervoragende Sicht auf die Gletscherzunge Gígjökull, an der das geschmolzene Gletscherwasser austritt. Wer schon einmal in der Þórsmörk war, der erinnert sich vielleicht an die kleine Gletscherlagune unterhalb dieser Gletscherzunge.
Der See ist jetzt weggeschwemmt, genau wie die daran grenzende Brücke, die Straße und 20-30% des Eyjafjallajökull. Flutgefahr herrscht mittlerweile keine mehr: das Wasser fließt gut ab und staut sich nirgendwo.

Hier ein Bild von 2005, aus dem Flugzeug ausgenommen und um etwa 45° versetzt zum
obrigen Bild. Da damals im Sommer noch viel weniger Schnee auf den Bergen lag,
ist es besonders schwer, die Stelle wiederzuerkennen.
Immerhin
kann man hier sehen, wie winzig der Bach war, der vor dem Ausbruch
vom Gletscher wegführte - zumindest verglichen mit dem jetztigen Strom!


Mittlerweile wissen die Geowissenschaftler, dass die austretende Lava in Richtung dieser Gletscherzunge unterwegs ist: wenn der Ausbruch noch ein paar Wochen anhalten sollte, wird sie hier zum Vorschein kommen! Das wäre natürlich ziemlich klasse für Fotos, aber auf der anderen Seite steht jetzt schon nicht fest, ob die Þórsmörk diesen Sommer mit Autos zu erreichen sein wird! Der Weg ins Tal ist auf großen Teilen weggeschwemmt und der neue Fluss unpassierbar geworden. Angeblich liegen dort jetzt drei Meter Ascheschlamm - da kommt so schnell kein Auto durch! Es könnte also gut sein, dass die Wanderer des Laugavegur-Wanderweges dieses Jahr ihre Wanderung nicht in der Þórsmörk beenden, sondern bei Emstrur, und von dort aus dann der Straße folgen und da herauskommen, wo ich in den letzten Tagen vergeblich auf Lava-Fotos wartete. Ich bin wirklich gespannt, wie sich die Situation in den nächsten Wochen entwickeln wird!

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