Dienstag, 20. April 2010

Im Ascheregen

Heute, am 20.04.2010, ist der neue Ausbruch des Eyjafjallajökull nun schon sieben Tage alt. Die Aschewolke ist seit gestern Nacht nur ein Schatten ihrer selbst: der Vulkan hat so viel Eis geschmolzen, dass die Lava nicht mehr auf Wasser trifft und daher nicht mehr explodiert. Statt als Asche in die Luft geschleudert zu werden, schichtet sie sich unter dem Eis auf und wächst in die Höhe. Für uns, die das aus der Ferne sehen, macht sich das eigentlich nur durch eine viel dünnere Aschewolke bemerkbar und dadurch, dass man nun ab und an Nachts ein paar glühende Brocken aus dem Gletscher fliegen sieht. Die folgenden Bilder sind wieder "out of the box": nicht bearbeitet, genau so, wie sie die Kamera aufgenommen hat, nur grob verkleinert.


Noch immer ist das umliegende Land großräumig abgesperrt. Bergrettung und Polizei kontrollieren jeden, der unterwegs ist, und spätestens ab dem Seljalandsfoss kommt man nur dann weiter, wenn man in der Gegend wohnt oder Presse ist - oder Milchauto fährt. Denn dort unten leben ja Bauern, die ihre Tiere melken und die Milch loswerden müssen, Vulkanausbruch hin oder her.
Dies wissend, habe ich am Samstag den Fahrer unseres Milchautos gefragt, ob er a) in Richtung Vulkans fährt und ich b) mitkommen kann. Er sagte bei beidem Ja! Folglich fuhr ich gestern mit dem Schulbus nach Hvolsvöllur und stieg da in den aus Selfoss kommenden Milchwagen von Þórir, der mich fröhlich empfing.

Es war ein sonniger Morgen, allerdings sehr stürmisch. Windböen konzentrierten die Aschewolke auf einen relativ schmalen Bereich bei Skógar: etwa 5km nach dem Seljalandsfoss tauchten wir ein in eine Wand aus grau-brauner Asche. Unmittelbar bevor wir hineinfuhren herrschte Weltuntergangsstimmung: hinter uns strahlender Sonnenschein, vor uns totale Dunkelheit. Es war gespenstisch!


Die ersten Minuten schien es, als wären wir in braunen Nebel eingetaucht, der immer dichter wurde. An Aussteigen war nicht zu denken, da Þórir Mühe hatte, den Wagen im Sturm auf der Straße zu halten. Die Sicht wurde immer geringer, es wurde immer dunkler: so dunkel, wie in einer verregneten Nacht. Eine sehr kurze Zeit lang sahen wir maximal die nächsten Reflektor-Pfosten und Ascheböen, die der Wind im Licht der Scheinwerfer über die Strasse jagte. Es war 10:09 Uhr Vormittags.


Dann wurde es wieder heller und konnte man ab und an Himmel und Sonne erahnen. Es war trüb, als würde brauner Zement in der Luft hängen, und der Aufenthalt draussen war furchtbar unangenehm. Feinste Aschepartikel waren überall: juckten in den Augen, knirschten auf den Zähnen, lagen als unterschiedlich dicke Schicht wirklich überall, drinnen wie draußen.


Die Bauern waren mit ihren Nerven am Ende. Eine Bäuerin sagte mit Tränen in den Augen, dass sie nur durchhalten würden, weil sie keine andere Wahl hätten: der Optimismus, den alle an den Tag legen, sei nur eine Maske. Längst haben alle Anwohner ihre Kinder nach Hvolsvöllur evakuiert und waren eigentlich nur die Menschen Zuhause, die Tiere zu versorgen hatten. Die Angst über die ungewisse Zukunft war ihnen allen anzumerken: wie lange hält der Ascheregen an? Wie lange dauert es, bis die Tiere wieder weiden können und das mit Fluor vergiftete Gras sprießt bzw. essbar ist? Wird diesen Sommer überhaupt etwas unter der bis zu 12cm dicken Ascheschicht wachsen können, die durch Regen hart wie Beton wird und alles unter sich erstickt?


Bei Seljavellir sah alles als, wie zubetoniert: die Felder, Wege, Gärten, alles war mit einer dicken Schicht grau-brauner Asche überzogen, die durch den Regen des Vortages steinhart war.


Den ganzen Tag fuhren wir so durch die sturmgepeitschte zementgraue Landschaft zwischen Seljalandsfoss und Skógafoss und holten die Milch von 17 Bauernhöfen. Den Vulkanausbruch selber hörte man nicht, nur ab und an sah man durch eine Wolkenlücke die Rauchsäule aufsteigen. Die Sicht war sehr unterschiedlich: mal sah man ein paar Kilometer weit, mal nur ein paar hundert bis dutzend Meter. So dunkel wie auf der Hinfahrt wurde es aber nie wieder!
Die Asche roch übrigens genau wie Zement: leicht modrig, staubig, aber eigentlich geruchlos. Nur einen kurzen Moment lang roch ich Schwefel.


Als wir am Nachmittag die Heimreise antraten, waren wir beide froh, dem ewigen Grau zu entkommen. Diese feine Asche war wirklich überall: ich freute mich eigentlich nur noch auf eine Dusche. Verdammt, was tun mir die Leute leid, die seit Tagen mit diesem Staub leben müssen und um ihre Zukunft bangen! So sehr ich mir wünsche, glühende Lava fotografieren zu können, so sehr hoffe ich, dass der Ascheregen bald aufhören wird. Der Flugverkehr in Europa ist mir ziemlich wurscht (ich finde es super, dass ein doch so kleiner Vulkan halb Europa lahmlegt!) - aber die Menschen dort unten leiden unglaublich unter der Asche und der Ungewissheit über die Zukunft ihrer Höfe. Die gestrige Fahrt mit dem Milchauto hat sich mir wirklich ins Gedächtnis gebrannt!

2 Kommentare:

  1. Danke Kerstin fuer den Bericht, sehr gut geschrieben.

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  2. Da hast du beeindruckend dokumentiert...

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