Seit einer Woche sind Arne, Marianne und die Kinder schon wieder in Urlaub, diesmal bei Mariannes Familie in Südnorwegen. Tore ist auch fort, sodass ich die Farm in der vergangenen Woche wirklich komplett alleine geführt habe und daher erst jetzt die Zeit finde, diesen Eintrag zu veröffentlichen.
Seit gut zwei Wochen deutet sich der Herbst immer deutlicher an. Die Gräser verfärben sich braun und gelb, die ersten Birken lassen vereinzelt gelbe Blätter fallen, die Heidelbeeren sind reif und die Rentiere drängt es gen Süden. Das Wetter ist gemäßigter, tagsüber zwischen 10 und 17°C, nachts fallen die Temperaturen bis auf 5°C herab. Auch die Tage werden rasant kürzer, momentan um etwa 10 Minuten pro Tag. Der Wechsel vom Polartag zur Polarnacht geht hier so rasend schnell vonstatten, dass ich nur staunen kann! Vor einem Monat schien noch die Mitternachtssonne bis in die Täler hinein, heute geht die Sonne um 19Uhr unter und um 4Uhr erst wieder auf. Und am 23sten September ist dann schon wieder das Äquinoktium, die Tagundnachtgleiche.
Das bedeutet, dass es nun nachts wieder so dunkel wird, dass man die markantesten Sternbilder erkennen kann - und auch die ersten Nordlichter der Saison! Gestern sah ich zum ersten Mal wieder blasse Schlieren am blauen Nachthimmel tanzen und machte vor ganz ungewohnter Kulisse die ersten Beweisfotos. Was freue ich mich auf den Winter und darauf, sie endlich wieder sehen zu können! Seit ich in Island war, habe ich im Herbst regelrechten Entzug nach diesem fantastischen Naturphänomen, dem ich stundenlang zusehen kann und dabei jedes Mal meine Müdigkeit und die Zeit vergesse.
Dadurch, dass die Temperaturen an bedeckten oder verregneten Tagen endlich unter 15°C fallen, haben wir seit zwei Wochen mit unregelmäßigen Trainingsfahrten der Hunde begonnen. Da der erste Schnee frühestens Ende Oktober fallen wird, müssen wir bis dahin mit einem Quad trainieren, also einem vierrädrigen Motorrad mit Ballonreifen. Obwohl alles andere als umweltfreundlich, so bin ich dankbar, dass das Gefährt so schwer ist und so gute Bremsen besitzt - denn die Hunde sind nach der langen Pause außer Rand und Band und voll unbändiger Energie. Zusammen legen sie eine Kraft an den Tag, die mich nur beeindruckt und im Angesichte derer ich froh bin, auf einem motorisierten Gefährt zu sitzen, das es mir erlaubt, zu stoppen, wann ICH es will.
Auf den ersten beiden Kilometern wollen die Hunde freiwillig nämlich nicht anhalten - nur rennen wollen sie, und wenn es nach ihnen geht würden sie auch die vielen Rentiere jagen, die momentan überall herumlaufen. Wenn wir die Gespanne anleinen, dann bricht im Kennel ein unglaublicher Lärm aus: unter einem ohrenbetäubenden Bell- und Jaulkonzert starten diese vollkommen rennwütigen Hunde auf ihre Trainingsfahrt - verabschiedet vom tollwütigen Gebelle der zurückgebliebenen dreißig Hunde, die natürlich am liebsten auch alle mitkommen würden.
Die wichtigsten Hunde im Gespann sind die Leithunde, also die beiden Tiere, die die Truppe anführen und entscheiden, wo es langgeht. Zum Glück haben Arne und Marianne viele zuverlässige Tiere, die gelernt haben, dass man Rentiere nicht jagen darf wenn man im Gespann angeleint ist, und welche die Befehle für Rechts und Links kennen. Von diesen beiden Hunden hängt alles ab, wenn wir 6-8km (je nach Wärme) unsere Runden um die Felder der Farm drehen.
Nachdem ich bei den ersten Trainingsfahrten immer nur als Beifahrer anbei war bzw. nur etappenweise gefahren bin, trainiere ich seit fünf Tagen alleine. Allerdings begnüge ich mich vorerst mit "nur" acht Tieren. Was nämlich nicht zu unterschätzen ist, ist die Länge der Hundegespanne. Wenn man zwölf Hunde vor dem Quad hat, sind die ersten Tiere über zwölf Meter von einem entfernt, was wiederum bedeutet, dass man richtungsweisende Befehle lange im Voraus geben muss. Das ist kompliziert bei engen Kurven, zumindest solange wie man die Gegend noch nicht so gut kennt und sich noch schwer tut, alles zu beachten. Zum einen muss das Quad in einem möglichst gleichmäßigen Tempo gefahren werden, was auf den holprigen Wegen gar nicht so einfach ist. Auch muss man vorausschauend fahren: Kurven müssen extrem ausgefahren werden, damit die letzten Hunde im Gespann diese auch noch packen ohne in die Büsche oder gegen Zäune gedrückt zu werden. Alle Hunde müssen beobachtet werden: sind alle Leinen auf Zug sind, hat sich niemand verheddert, bleiben alle da, wo sie hingehören? Und dann muss gleichzeitig der Weg im Blickfeld bleiben: sind alle Zäune offen und keine unerwarteten Hindernisse im Weg, wie etwa Rentiere?
Zwischendurch waren wir auch einige Male mit einem extra fürs Herbsttraining angefertigtem Wagen unterwegs, den wir ausgeliehen bekommen haben. Es handelt sich dabei um einen 110kg schweren, motorlosen Wagen mit sehr guten Scheibenbremsen, den man anstelle des Quads zum Training nutzen könnte - zumindest wenn man das Geld besäße, ihn zu kaufen. Leider ist das bei uns nicht der Fall. Vierzig schwerarbeitende Tiere plus vierzehn Welpen gilt es durchzufüttern. Die Kosten für Impfungen, Wurmkuren und Krankheitsversorge für alle Tiere gehen jährlich in die Tausende von Euros. Das Ersetzen von zerschlissener oder zerbissener Ausrüstung, Reparaturen an Kennel und Schlitten, Benzinkosten, Anmeldungs- und Teilnahmekosten der Rennen - all das schluckt eine große Summe Geld. Schlittenhunde zu halten ist ein äußerst teures Freizeitvergnügen! Aber ein wirklich schönes, das zumindest kann ich nach meiner kurzen Zeit hier definitiv schon sagen!
Montag, 31. August 2009
Montag, 24. August 2009
Die Hunde
Wenn ich euch bitte, euch einen Husky vorzustellen - wie schaut der aus?
Ihr habt doch jetzt bestimmt das Bild eines knuddeligen Hundes vor Augen, der schwarz-weißes, dichtes Fell und ein blaues und ein braunes Auge hat, oder?
So zumindest ging es mir, als ich mir vor meiner Ankunft die Hunde vorstellte, mit denen ich das kommende Jahr verbringen würde. Ein Husky ist ein Husky, dachte ich - bis ich in Arnes und Mariannes Kennel stand und nicht mehr so wirklich wusste, was ich denken sollte. Ich fand mich nämlich 40 Hunden gegenüber, die so unterschiedlich aussahen, dass sie wunderbar in die Kulisse eines Tierheimes gepasst hätten. Einfarbige und gescheckte Hunde sah ich da, solche mit schwarzem, weißem, braunem oder buntem Fell, mit Blesse oder ohne, mit braunen, blauen oder gemischten Augen. Es gab schlanke, windhundförmige Tiere und eher bulligere, huskyähnliche; es gab solche mit Stehohren und solche mit Schlappohren, mit kurzem oder langem Fell. Kein Hund sah aus wie der andere! Kurzum: es war ein buntgemischter Haufen!
All meiner Zweifel zum trotz handelte es sich tatsächlich um Huskys: und zwar um so genannte Alaskan Huskies. Dies ist kein Rassename, sondern viel eher eine Bezeichnung für eine ganz besondere Kategorie von Hund. Die ursprünglich aus Alaska und Kanada stammenden Hunde sind nämlich Mischlinge höchst unterschiedlicher Abstammung. Als zu den Zeiten des Goldrausches in Amerikas kaltem Norden Zugtiere gebraucht wurden und Pferde im tiefen Schnee nicht eingesetzt werden konnten, nutzte man alle Hunde die man fand. Dabei ergaben sich Kreuzungen aus den einheimischen, wolfsähnlichen Indianerhunden mit sibirischen Huskys und allen möglichen europäischen Arten, welche die Goldsucher und weißen Siedler mitgebracht hatten. Es entwickelten sich zwei Typen von Nutzhunden: große und starke Tiere, die Lasten zogen, und kleine, schnelle Hunde, die zum Überbrücken von Distanzen genutzt wurden und beispielsweise im Winter die Post transportierten. Schnell setzte gezielte Zucht ein und wurden die Husky-Bastarde absichtlich mit schnellen, lauffreudigen Hundearten gekreuzt, wie etwa mit Windhunden und auch Jagdhunden wie Settern, Retrievern oder Labradoren.
Das Ergebnis sind die Alaskan Huskies: eine sehr vielfältig ausgeprägte Mischrasse, die je nach Halter unterschiedlich weitergezüchtet wird. Allen ist jedoch eines gemein: ein unbändiger Wille zum ausdauernden Laufen, ein dichtes Fell und oft gute Kältetoleranz, Genügsamkeit und ein sehr gutes Sozialverhalten anderen Hunden und Menschen gegenüber.
Sie haben gegenüber den "richtigen" Huskyrassen einige Eigenschaften verloren, sind z.B. nicht mehr so extrem an Kälte angepasst und nicht so aggressiv und wölfisch, wie es die echten Huskies wohl sind. Statt dessen sind sie aber viel menschenfreundlicher und solch schnelle und ausdauernde Läufer, dass sie sich auf langen Distanzen gegen alle anderen Schlittenhunde durchsetzen. Dies ist auch der Grund, weshalb Marianne und Arne diese Mischlinge halten und züchten - sie laufen den echten Huskies schlichtweg vor der Nase davon. Das richtige Training und eine gute Veranlagung vorausgesetzt, sind sie in der Lage, einen Menschen auf einem Schlitten über Dutzende von Kilometern hinweg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25-30km/h zu ziehen. Das kann dann in solchen Extremen ausarten, dass die Elite der Schlittenhunde auf Langstreckenrennen pro Tag über 200 km zurücklegen kann - und das zehn und mehr Tage am Stück.
Die Schlittenhundeszene hier oben in Nordskandinavien ist in etwa so verrückt und "flohgebissen", wie in Island die Islandpferdeszene. Schlittenhunde zu halten, sagen sie hier, ist kein Freizeitvergnügen sondern ein Lebensstil. Und so kommt es, dass die Hundehalter/Musher kaum etwas anderes im Sinn haben, als ihre Hunde: bei fast jedem Gespräch kommt das Thema irgendwann auf Hunde oder Rennen zurück. Das liegt auch daran, dass alle Kennelbesitzer hier auf ein großes Ziel hinarbeiten: die möglichst erfolgreiche Teilnahme an einem der großen Schlittenhunderennen Nordeuropas. Hier bei uns steht alles im Schatten des Finnmarksløpet, Europas längstem Schlittenhunderennen, welches immer Anfang März stattfindet. Bis dahin müssen die Hunde in der Lage sein, 1000km in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen, wünschenswerterweise in unter sechs Tagen.
Dieses Ziel erscheint mir momentan allerdings ziemlich utopisch, muss ich zugeben, da unsere Huskys sich bereits nach fünf Kilometern schnaufend und hechelnd bei jeder Pause ins Gras fallen lassen. Zum einen sind sie nach der Sommerpause aus dem Training, und zum anderen leiden sie merklich unter der Wärme. Hier warten Tier wie Mensch sehnlichst darauf, dass die Tagestemperaturen endlich unter 12°C sinken - momentan ist es teilweise sogar nachts zu warm zum trainieren.
Wir müssen die Tiere daher wie Elitesportler nach einer langen Sommerpause wieder langsam mehr und mehr fordern und ihre Kondition aufbauen. Von fünf auf zehn auf zwanzig Kilometer wird sich das Training steigern, bis sie dann irgendwann 100km und mehr am Stück laufen können. Dies zumindest ist das Ziel des Winters: ein Gespann von etwa 14 Hunden zu besitzen, das sich beim 1000km-Rennen des Finnmarksløpet unter die ersten zehn Platzierungen läuft. Mal sehen, was daraus werden wird - noch ist gerade einmal beginnender Herbst und bin ich komplett grün hinter den Ohren, was das alles angeht. Ich schaffe es ja gerade einmal mit Mühe, die Hunde überhaupt alle auseinanderzuhalten! Und Arne, welcher das Rennen fahren will, ist zu krank, um im momentanen Zustand daran teilzunehmen. Wir hoffen alle sehr, dass er möglichst bald wieder fitter ist, denn dieses Rennen ist DAS Ereignis des Jahres - für die Hunde, für die Familie, für den gesamten Schlittenhundesport Nordskandinaviens. Ich bin daher wirklich sehr neugierig was die kommenden Monate bringen werden!
Ihr habt doch jetzt bestimmt das Bild eines knuddeligen Hundes vor Augen, der schwarz-weißes, dichtes Fell und ein blaues und ein braunes Auge hat, oder?
So zumindest ging es mir, als ich mir vor meiner Ankunft die Hunde vorstellte, mit denen ich das kommende Jahr verbringen würde. Ein Husky ist ein Husky, dachte ich - bis ich in Arnes und Mariannes Kennel stand und nicht mehr so wirklich wusste, was ich denken sollte. Ich fand mich nämlich 40 Hunden gegenüber, die so unterschiedlich aussahen, dass sie wunderbar in die Kulisse eines Tierheimes gepasst hätten. Einfarbige und gescheckte Hunde sah ich da, solche mit schwarzem, weißem, braunem oder buntem Fell, mit Blesse oder ohne, mit braunen, blauen oder gemischten Augen. Es gab schlanke, windhundförmige Tiere und eher bulligere, huskyähnliche; es gab solche mit Stehohren und solche mit Schlappohren, mit kurzem oder langem Fell. Kein Hund sah aus wie der andere! Kurzum: es war ein buntgemischter Haufen!
All meiner Zweifel zum trotz handelte es sich tatsächlich um Huskys: und zwar um so genannte Alaskan Huskies. Dies ist kein Rassename, sondern viel eher eine Bezeichnung für eine ganz besondere Kategorie von Hund. Die ursprünglich aus Alaska und Kanada stammenden Hunde sind nämlich Mischlinge höchst unterschiedlicher Abstammung. Als zu den Zeiten des Goldrausches in Amerikas kaltem Norden Zugtiere gebraucht wurden und Pferde im tiefen Schnee nicht eingesetzt werden konnten, nutzte man alle Hunde die man fand. Dabei ergaben sich Kreuzungen aus den einheimischen, wolfsähnlichen Indianerhunden mit sibirischen Huskys und allen möglichen europäischen Arten, welche die Goldsucher und weißen Siedler mitgebracht hatten. Es entwickelten sich zwei Typen von Nutzhunden: große und starke Tiere, die Lasten zogen, und kleine, schnelle Hunde, die zum Überbrücken von Distanzen genutzt wurden und beispielsweise im Winter die Post transportierten. Schnell setzte gezielte Zucht ein und wurden die Husky-Bastarde absichtlich mit schnellen, lauffreudigen Hundearten gekreuzt, wie etwa mit Windhunden und auch Jagdhunden wie Settern, Retrievern oder Labradoren.
Das Ergebnis sind die Alaskan Huskies: eine sehr vielfältig ausgeprägte Mischrasse, die je nach Halter unterschiedlich weitergezüchtet wird. Allen ist jedoch eines gemein: ein unbändiger Wille zum ausdauernden Laufen, ein dichtes Fell und oft gute Kältetoleranz, Genügsamkeit und ein sehr gutes Sozialverhalten anderen Hunden und Menschen gegenüber.
Sie haben gegenüber den "richtigen" Huskyrassen einige Eigenschaften verloren, sind z.B. nicht mehr so extrem an Kälte angepasst und nicht so aggressiv und wölfisch, wie es die echten Huskies wohl sind. Statt dessen sind sie aber viel menschenfreundlicher und solch schnelle und ausdauernde Läufer, dass sie sich auf langen Distanzen gegen alle anderen Schlittenhunde durchsetzen. Dies ist auch der Grund, weshalb Marianne und Arne diese Mischlinge halten und züchten - sie laufen den echten Huskies schlichtweg vor der Nase davon. Das richtige Training und eine gute Veranlagung vorausgesetzt, sind sie in der Lage, einen Menschen auf einem Schlitten über Dutzende von Kilometern hinweg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25-30km/h zu ziehen. Das kann dann in solchen Extremen ausarten, dass die Elite der Schlittenhunde auf Langstreckenrennen pro Tag über 200 km zurücklegen kann - und das zehn und mehr Tage am Stück.
Die Schlittenhundeszene hier oben in Nordskandinavien ist in etwa so verrückt und "flohgebissen", wie in Island die Islandpferdeszene. Schlittenhunde zu halten, sagen sie hier, ist kein Freizeitvergnügen sondern ein Lebensstil. Und so kommt es, dass die Hundehalter/Musher kaum etwas anderes im Sinn haben, als ihre Hunde: bei fast jedem Gespräch kommt das Thema irgendwann auf Hunde oder Rennen zurück. Das liegt auch daran, dass alle Kennelbesitzer hier auf ein großes Ziel hinarbeiten: die möglichst erfolgreiche Teilnahme an einem der großen Schlittenhunderennen Nordeuropas. Hier bei uns steht alles im Schatten des Finnmarksløpet, Europas längstem Schlittenhunderennen, welches immer Anfang März stattfindet. Bis dahin müssen die Hunde in der Lage sein, 1000km in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen, wünschenswerterweise in unter sechs Tagen.
Dieses Ziel erscheint mir momentan allerdings ziemlich utopisch, muss ich zugeben, da unsere Huskys sich bereits nach fünf Kilometern schnaufend und hechelnd bei jeder Pause ins Gras fallen lassen. Zum einen sind sie nach der Sommerpause aus dem Training, und zum anderen leiden sie merklich unter der Wärme. Hier warten Tier wie Mensch sehnlichst darauf, dass die Tagestemperaturen endlich unter 12°C sinken - momentan ist es teilweise sogar nachts zu warm zum trainieren.
Wir müssen die Tiere daher wie Elitesportler nach einer langen Sommerpause wieder langsam mehr und mehr fordern und ihre Kondition aufbauen. Von fünf auf zehn auf zwanzig Kilometer wird sich das Training steigern, bis sie dann irgendwann 100km und mehr am Stück laufen können. Dies zumindest ist das Ziel des Winters: ein Gespann von etwa 14 Hunden zu besitzen, das sich beim 1000km-Rennen des Finnmarksløpet unter die ersten zehn Platzierungen läuft. Mal sehen, was daraus werden wird - noch ist gerade einmal beginnender Herbst und bin ich komplett grün hinter den Ohren, was das alles angeht. Ich schaffe es ja gerade einmal mit Mühe, die Hunde überhaupt alle auseinanderzuhalten! Und Arne, welcher das Rennen fahren will, ist zu krank, um im momentanen Zustand daran teilzunehmen. Wir hoffen alle sehr, dass er möglichst bald wieder fitter ist, denn dieses Rennen ist DAS Ereignis des Jahres - für die Hunde, für die Familie, für den gesamten Schlittenhundesport Nordskandinaviens. Ich bin daher wirklich sehr neugierig was die kommenden Monate bringen werden!
Mittwoch, 19. August 2009
Bauernlatein
Mittlerweile bin ich fast einen Monat hier in Parken Gård (am 21. Juli kam ich an), und dieser knappe Monat kam mir vor wie eine Woche. Wie schnell wird da erst ein Jahr vergehen?
Die erste Woche war reine Eingewöhnung. Mit den Hunden (40 Tiere, ich habe nachgezählt) gab es bisher kaum Arbeit, da es schlichtweg zu warm war. Hunde können ja nur über die Pfoten schwitzen, nicht übers Fell, und müssen ihren Temperaturhaushalt daher allein über die Atmung regeln - darum hecheln sie so oft. Huskies sind Polarhunde und haben auch im Sommer ein dichtes Fell. Schon bei niedrigen Plusgraden ist es ihnen zu warm um Leistung zu erbringen - geschweige denn bei 25-35 Grad, die hier Ende Juli und Anfang August herrschten. Ich war selber überrascht, dass es 400km nördlich des Polarkreises so warm werden kann! Jedoch muss man dazu sagen: wir liegen hier in einem breiten Talkessel zwischen hohen Bergen, das offene Meer ist relativ weit entfernt. Noch dazu wachsen bis etwa 300m Höhe Bäume, die den Wind blocken und ein eigenes Mikroklima schaffen. Daher sieht man hier oben im Norden auch Szenen wie diese, die ich eher in Südeuropa, nicht aber auf 70° nördlicher Breite vermutet hatte...
Norweger auf ihrem sonntäglichen Familien-Angelausflug bei über 30°C und totaler Windstille
Aber zurück zur Arbeit, bzw. zu den Hunden. Meine Arbeit mit ihnen beschränkte sich zunächst auf die Fütterungen (morgens gibt es Wasser mit ein wenig Futter, abends gibt es Futter mit ein wenig Wasser) sowie auf meinen Lieblingsjob: Hundescheiße sammeln. Diese unliebsame Tätigkeit wird jedoch dadurch sehr interessant, dass man sich in die Nähe der Hunde begibt, ohne dass sie abgelenkt sind. Wenn gefüttert wird, denken die Huskies nur ans Fressen und daran, möglichst viel davon in möglichst kurzer Zeit herunter zu schlingen - wenn möglich auch noch die Portion des Nachbarn dazu. Der Mensch ist da nur der Futterbringer und nicht weiter interessant. Gibt es aber außerhalb der Futterzeiten keinen Futterneid und keine Rangordnung auszukämpfen, konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf die willkommene Ablenkung: in dem Falle halt auf mich.
Dazu kommt, dass diese Tiere ob der Hitze chronisch gelangweilt und unterfordert sind und kaum Kontakt zu Menschen haben: man kann ja schlecht mit 40 Huskies täglich spazieren gehen, das ist ja schon logistisch gar nicht möglich. Daher lechzt jedes einzelne Tier nach Ablenkung und danach, dass sich ein Mensch ihm widmet - mit dem Ergebnis, dass sie jeden zu Tode lieben, der ihnen zu nahe kommt. Wenn ich komme, egal ob mit oder ohne Futter, egal ob guter oder schlechter Laune (diese Tiere nehmen menschliche Emotionen unglaublich gut wahr, es ist wirklich erstaunlich!) dann beginnen sie zu hüpfen, zu bellen, regelrecht zu schreien, ganz nach dem Motto: "Ich bin hier, ich bin hier, hörst du mich nicht, siehst du mich nicht, komm her und widme dich mir! Mir, nur mir alleine!" Und wenn man das dann tut, springen sie an einem hoch und versuchen, einem das Kinn abzulecken - eine Demutsgeste unter Hunden und bei menschlicher Begegnung gleichzeitig Ausdruck höchster Freude. Leider ist das bei einem Brillenträger wie mir nicht wirklich vorteilhaft, zumal Hunde bekanntlich Zähne besitzen. Im Eifer des Gefechts wird aus einem Zungenschlecken schnell ein Schnappen - ungewollt, versteht sich, der Hund will wirklich nicht beißen. Aber nach den drei Wochen ist mein Kinn bereits jetzt von Kratzern übersäht und musste ich meine Brille schon mehr als einmal wieder gerade biegen. Wie lange das wohl gut gehen wird...?
Bei dem Theater, das jeder einzelne dieser wirklich liebenswerten aber eben hyperaktiven Tiere anstellt, kann man sich vorstellen dass selbst ein Job wie Scheißesammeln höchst aktiv und kurzweilig wird...
Meine Hauptarbeit war aber bereits nach vier Tagen die Arbeit im Kuhstall, wo ich seitdem täglich 5-7 Stunden arbeite. Arne ist von den Ärzten in Tromsø für mehrere Wochen krankgeschrieben worden. Sein Bruder Tore, der mit ihm den Hof führt, befindet sich mitten in der Heuernte - es fehlte also an einer Person, die sich um die Kühe kümmerte. Und das war ich. Beziehungsweise das bin ich noch immer. So kam ich also völlig unerwartet an einen wirklich gut bezahlten Job, der mir auch noch Spaß macht - endlich bin ich einmal wieder körperlich wie geistig gefordert! Denn entgegen aller eventuellen Vorurteile ist der Beruf des Bauern in jeglicher Hinsicht anspruchsvoll, jedenfalls wenn man sich ihm zu 100% widmet und alles richtig und gut machen will. Die Verantwortung, die einem auf den Schultern liegt, ist jedenfalls ungeheuer groß - Kühe sind nämlich ebenso anspruchsvoll und unberechenbar, wie Wanderer auf dem Laugavegur.
Die Karlstrøms waren nach den ersten Tagen völlig davon überzeugt, dass ich hier alles alleine regeln könne - weswegen Tore sich nur noch den Feldern widmete und Arne, Marianne und die Kinder ruhigen Gewissens (so sagten sie) in einen zweiwöchigen Urlaub fuhren. Ich fühle mich ob ihres Vertrauens in mich geehrt, bin mir aber nicht ganz sicher, ob mir die Verantwortung geheuer ist, die auf mir liegt. In den vergangenen zwei Wochen war ich hier fast alleine für alles verantwortlich: zwar stand ich in Telefonkontakt mit Tore und Arne und kam Tore vorbei, wann immer ich ihn brauchte, jedoch war ich die einzige Person auf dem Hof.
Und was es alles zu tun gab! Kühe mussten zweimal täglich gemolken werden, das Computersystem verstanden werden (es ist ein sehr neuer Stall in dem fast alles bis auf den Melkvorgang technisiert ist - was m.E. aber fast mehr Probleme bringt als Vorteile...). Ich musste im Handumdrehen 33 Kühe per Nummer kennen lernen und mich (wie immer in neuen Kuhställen) mit den Eigenheiten der Viecher vertraut machen. Welche Kuh tritt beim melken, warum tut sie das und wie kommen wir am besten miteinander klar? Welche Kühe sind schnelle Melker, welche brauchen länger als andere? Wir melken hier in einem Melkstand für acht Kühe, das bedeutet: man steht einen Meter tiefer als die Kühe. Rechts stehen vier, links stehen vier, und jede Seite kann nur zusammen gemolken werden. Also melkt man immer in Vierer-Grüppchen. Dabei sollte man versuchen, vier möglichst gleichschnell zu melkende Kühe auf eine Seite zu bekommen - manche brauchen Ewigkeiten und halten dann alles auf. Das muss man aber erst einmal lernen, und genau das habe ich in den vergangenen drei Wochen getan. Statt anfangs sieben Stunden habe ich die Arbeitszeit nun auf fünf Stunden reduziert, wobei allein das Melken drei bis dreieinhalb Stunden täglich in Anspruch nimmt: morgens ein wenig länger als abends, da die Kühe dann mehr Milch geben. Wie in Island, so richten sich hier die Kühe nach den Menschen, nicht umgekehrt: wir melken morgens um 8 Uhr und abends um 18 Uhr. Das sind menschliche Zeiten, zumal es bei den veränderlichen Tageszeiten (24 Stunden Tageslicht im Juni, 0 Stunden im Dezember) überhaupt nichts bringen würde, sich schon um 5 Uhr morgens aus dem Bett zu quälen...
Aber das Bauernleben wäre kein Bauernleben, wenn alles Routine wäre. Im Gegenteil: wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ein Tag auf einem Bauernhof im seltensten Fall so abläuft, wie man es sich vorstellt. Wichtige Maschinen gehen kaputt, Tiere werden krank oder büxen aus - es gibt fast mehr unvorhergesehene Ereignisse als die, welche man planen kann! So zumindest war es in Island, und so war es auch, als ich in meiner ersten bis dritten Woche Parken Gård alleine führte. Aus dem heiteren Himmel erkrankten fünf Kühe an Mastitis (Euterentzündung - ganz üble Sache...) und mussten mit Penicillin behandelt werden. Das ist in sofern problematisch, da deren Milch auf gar keinen Fall in den Tank gelangen darf, weil man sonst mal eben bis zu 3000 Liter Milch wegschmeißen kann. So groß ist nämlich unser Tank, der alle drei Tage geleert wird.
Ich erinnere mich da auch gerne an den Abend, an dem ich die Kühe von der Weide holen wollte, aber nur 20 der eigentlich 35 fand - die anderen hatten einen Zaun durchbrochen und waren über alle Berge verschwunden - das Gras ist bekanntlich immer grüner auf der anderen Seite des Zaunes. Nur mit Hilfe von Tores Familie fanden wir sie wieder - und begann ich das Melken zwei Stunden später als geplant.
Langweilig ist mir das Arbeiten auf einer Milchfarm jedenfalls noch nicht geworden - und ich habe im Leben nun schon mehr als zwei Jahre lang in mittlerweile vier Ställen in diesem Beruf gearbeitet. Und komme jedes Mal immer tiefer in diesen hinein. Hauptverantwortlich für eine Farm war ich bisher allerdings nie länger als ein Wochenende - daher bin ich momentan eigentlich nur baff, wie viele Dinge man im Kopf behalten, beobachten und bewerten muss. So viele Kleinigkeiten gibt es zu beachten, die so wichtig sind - wie zum Beispiel die Brunst der Kühe. Das ist jetzt zugegebenermaßen kein Thema, mit dem ich mich freiwillig beschäftigen würde, gehört aber zu den wichtigsten Dingen auf einer Milchfarm: denn ohne Kälber liefern Kühe keine Milch.
In modernen Milchviehbetrieben soll eine Kuh einmal im Jahr kalben, um möglichst viel Milch zu geben. Nach der Geburt wird die Milchmenge trotz täglichen Melkens immer geringer: eine Kuh, die nach dem Kalben täglich 40 Liter Milch gibt, produziert ein halbes Jahr später nur noch 15 Liter. Da Kühe 9-10 Monate trächtig sind, muss also schon 2-3 Monate nach der Geburt des Kalbes wieder besamt werden - das machen heutzutage ja Tierärzte und Besamer, Bullen werden kaum noch eingesetzt. Jetzt haben Kühe aber die blöde Angewohnheit, einmal im Monat für nur 18 Stunden lang empfängnisbereit zu sein. Da der Besamer nur unter der Woche zu den normalen Arbeitszeiten kommt, wird das Zeitfenster noch geringer und muss der Bauer die Brunst der Tiere rechtzeitig erkennen und genau zum richtigen Zeitpunkt den Besamer rufen - sonst gibt es keine Kälber. Und diese Aufgabe fällt nun ironischerweise auf mich zurück, die ich selber selten wenig Interesse an der Zeugung, Planung oder Versorgung eigener Nachkommen habe. Aber wozu auch, ich habe momentan wirklich genug mit der Zukunftsplanung von 33 Kühen zu tun...
Hündinnen machen es einem dagegen einfach: alle 6 Monate sind sie für eine Woche läufig, und das führt in einem Kennel mit 40 Tieren eher zu mehr Nachkommen, als es einem lieb ist. Arne und Marianne wollten dieses Jahr eigentlich nur einen Wurf haben: jetzt werden es aber vier. Die ersten beiden Würfe sind schon da: eine schlanke Hündin namens Kawa warf fünf Welpen von denen vier überlebt haben. Nuni, eine andere Hündin, wurde von ihrem Halbbruder gedeckt, weshalb zwei der ebenfalls fünf Welpen kränklich sind und vermutlich sterben werden. Inzucht, das Resultat aus ungewollten Schwangerschaften, ist ein großes Problem, weshalb wir der Natur auch ungehindert ihren Lauf lassen. Wer in der ersten Lebenswoche kränkelt und sich nicht aus eigener Kraft erholt, würde ohnehin keinen gesunden, leistungsstarken Hund abgeben. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb die Nutztierrassen der Polarregionen noch so zäh sind: bei Huskies, Islandpferden und Rentieren überleben von Anfang an nur die stärksten Tiere. So ist das Gesetz der Natur, und so muss es sein, wenn eine Rasse unter extremen Bedingungen überleben will.
Die erste Woche war reine Eingewöhnung. Mit den Hunden (40 Tiere, ich habe nachgezählt) gab es bisher kaum Arbeit, da es schlichtweg zu warm war. Hunde können ja nur über die Pfoten schwitzen, nicht übers Fell, und müssen ihren Temperaturhaushalt daher allein über die Atmung regeln - darum hecheln sie so oft. Huskies sind Polarhunde und haben auch im Sommer ein dichtes Fell. Schon bei niedrigen Plusgraden ist es ihnen zu warm um Leistung zu erbringen - geschweige denn bei 25-35 Grad, die hier Ende Juli und Anfang August herrschten. Ich war selber überrascht, dass es 400km nördlich des Polarkreises so warm werden kann! Jedoch muss man dazu sagen: wir liegen hier in einem breiten Talkessel zwischen hohen Bergen, das offene Meer ist relativ weit entfernt. Noch dazu wachsen bis etwa 300m Höhe Bäume, die den Wind blocken und ein eigenes Mikroklima schaffen. Daher sieht man hier oben im Norden auch Szenen wie diese, die ich eher in Südeuropa, nicht aber auf 70° nördlicher Breite vermutet hatte...
Norweger auf ihrem sonntäglichen Familien-Angelausflug bei über 30°C und totaler Windstille
Aber zurück zur Arbeit, bzw. zu den Hunden. Meine Arbeit mit ihnen beschränkte sich zunächst auf die Fütterungen (morgens gibt es Wasser mit ein wenig Futter, abends gibt es Futter mit ein wenig Wasser) sowie auf meinen Lieblingsjob: Hundescheiße sammeln. Diese unliebsame Tätigkeit wird jedoch dadurch sehr interessant, dass man sich in die Nähe der Hunde begibt, ohne dass sie abgelenkt sind. Wenn gefüttert wird, denken die Huskies nur ans Fressen und daran, möglichst viel davon in möglichst kurzer Zeit herunter zu schlingen - wenn möglich auch noch die Portion des Nachbarn dazu. Der Mensch ist da nur der Futterbringer und nicht weiter interessant. Gibt es aber außerhalb der Futterzeiten keinen Futterneid und keine Rangordnung auszukämpfen, konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf die willkommene Ablenkung: in dem Falle halt auf mich.
Dazu kommt, dass diese Tiere ob der Hitze chronisch gelangweilt und unterfordert sind und kaum Kontakt zu Menschen haben: man kann ja schlecht mit 40 Huskies täglich spazieren gehen, das ist ja schon logistisch gar nicht möglich. Daher lechzt jedes einzelne Tier nach Ablenkung und danach, dass sich ein Mensch ihm widmet - mit dem Ergebnis, dass sie jeden zu Tode lieben, der ihnen zu nahe kommt. Wenn ich komme, egal ob mit oder ohne Futter, egal ob guter oder schlechter Laune (diese Tiere nehmen menschliche Emotionen unglaublich gut wahr, es ist wirklich erstaunlich!) dann beginnen sie zu hüpfen, zu bellen, regelrecht zu schreien, ganz nach dem Motto: "Ich bin hier, ich bin hier, hörst du mich nicht, siehst du mich nicht, komm her und widme dich mir! Mir, nur mir alleine!" Und wenn man das dann tut, springen sie an einem hoch und versuchen, einem das Kinn abzulecken - eine Demutsgeste unter Hunden und bei menschlicher Begegnung gleichzeitig Ausdruck höchster Freude. Leider ist das bei einem Brillenträger wie mir nicht wirklich vorteilhaft, zumal Hunde bekanntlich Zähne besitzen. Im Eifer des Gefechts wird aus einem Zungenschlecken schnell ein Schnappen - ungewollt, versteht sich, der Hund will wirklich nicht beißen. Aber nach den drei Wochen ist mein Kinn bereits jetzt von Kratzern übersäht und musste ich meine Brille schon mehr als einmal wieder gerade biegen. Wie lange das wohl gut gehen wird...?
Bei dem Theater, das jeder einzelne dieser wirklich liebenswerten aber eben hyperaktiven Tiere anstellt, kann man sich vorstellen dass selbst ein Job wie Scheißesammeln höchst aktiv und kurzweilig wird...
Blick von Süden auf Parken Gård, das in der Bildmitte rechts unten im Talkessel liegt
(suche die beiden Schneisen am Berghang, nimm die linke, verlängere sie nach unten
bis du an ein Feld kommst, dort sieht man Gebäude)
(suche die beiden Schneisen am Berghang, nimm die linke, verlängere sie nach unten
bis du an ein Feld kommst, dort sieht man Gebäude)
Meine Hauptarbeit war aber bereits nach vier Tagen die Arbeit im Kuhstall, wo ich seitdem täglich 5-7 Stunden arbeite. Arne ist von den Ärzten in Tromsø für mehrere Wochen krankgeschrieben worden. Sein Bruder Tore, der mit ihm den Hof führt, befindet sich mitten in der Heuernte - es fehlte also an einer Person, die sich um die Kühe kümmerte. Und das war ich. Beziehungsweise das bin ich noch immer. So kam ich also völlig unerwartet an einen wirklich gut bezahlten Job, der mir auch noch Spaß macht - endlich bin ich einmal wieder körperlich wie geistig gefordert! Denn entgegen aller eventuellen Vorurteile ist der Beruf des Bauern in jeglicher Hinsicht anspruchsvoll, jedenfalls wenn man sich ihm zu 100% widmet und alles richtig und gut machen will. Die Verantwortung, die einem auf den Schultern liegt, ist jedenfalls ungeheuer groß - Kühe sind nämlich ebenso anspruchsvoll und unberechenbar, wie Wanderer auf dem Laugavegur.
Die Karlstrøms waren nach den ersten Tagen völlig davon überzeugt, dass ich hier alles alleine regeln könne - weswegen Tore sich nur noch den Feldern widmete und Arne, Marianne und die Kinder ruhigen Gewissens (so sagten sie) in einen zweiwöchigen Urlaub fuhren. Ich fühle mich ob ihres Vertrauens in mich geehrt, bin mir aber nicht ganz sicher, ob mir die Verantwortung geheuer ist, die auf mir liegt. In den vergangenen zwei Wochen war ich hier fast alleine für alles verantwortlich: zwar stand ich in Telefonkontakt mit Tore und Arne und kam Tore vorbei, wann immer ich ihn brauchte, jedoch war ich die einzige Person auf dem Hof.
Und was es alles zu tun gab! Kühe mussten zweimal täglich gemolken werden, das Computersystem verstanden werden (es ist ein sehr neuer Stall in dem fast alles bis auf den Melkvorgang technisiert ist - was m.E. aber fast mehr Probleme bringt als Vorteile...). Ich musste im Handumdrehen 33 Kühe per Nummer kennen lernen und mich (wie immer in neuen Kuhställen) mit den Eigenheiten der Viecher vertraut machen. Welche Kuh tritt beim melken, warum tut sie das und wie kommen wir am besten miteinander klar? Welche Kühe sind schnelle Melker, welche brauchen länger als andere? Wir melken hier in einem Melkstand für acht Kühe, das bedeutet: man steht einen Meter tiefer als die Kühe. Rechts stehen vier, links stehen vier, und jede Seite kann nur zusammen gemolken werden. Also melkt man immer in Vierer-Grüppchen. Dabei sollte man versuchen, vier möglichst gleichschnell zu melkende Kühe auf eine Seite zu bekommen - manche brauchen Ewigkeiten und halten dann alles auf. Das muss man aber erst einmal lernen, und genau das habe ich in den vergangenen drei Wochen getan. Statt anfangs sieben Stunden habe ich die Arbeitszeit nun auf fünf Stunden reduziert, wobei allein das Melken drei bis dreieinhalb Stunden täglich in Anspruch nimmt: morgens ein wenig länger als abends, da die Kühe dann mehr Milch geben. Wie in Island, so richten sich hier die Kühe nach den Menschen, nicht umgekehrt: wir melken morgens um 8 Uhr und abends um 18 Uhr. Das sind menschliche Zeiten, zumal es bei den veränderlichen Tageszeiten (24 Stunden Tageslicht im Juni, 0 Stunden im Dezember) überhaupt nichts bringen würde, sich schon um 5 Uhr morgens aus dem Bett zu quälen...
Blick auf Parken Gård von Norden, also genau von der anderen Seite als beim obrigen Bild.
Hier ist die Farm mittig rechts im Bild zu sehen:
oberhalb des leuchtend grünen Feldes liegt sie direkt an der Straße.
Hier ist die Farm mittig rechts im Bild zu sehen:
oberhalb des leuchtend grünen Feldes liegt sie direkt an der Straße.
Aber das Bauernleben wäre kein Bauernleben, wenn alles Routine wäre. Im Gegenteil: wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ein Tag auf einem Bauernhof im seltensten Fall so abläuft, wie man es sich vorstellt. Wichtige Maschinen gehen kaputt, Tiere werden krank oder büxen aus - es gibt fast mehr unvorhergesehene Ereignisse als die, welche man planen kann! So zumindest war es in Island, und so war es auch, als ich in meiner ersten bis dritten Woche Parken Gård alleine führte. Aus dem heiteren Himmel erkrankten fünf Kühe an Mastitis (Euterentzündung - ganz üble Sache...) und mussten mit Penicillin behandelt werden. Das ist in sofern problematisch, da deren Milch auf gar keinen Fall in den Tank gelangen darf, weil man sonst mal eben bis zu 3000 Liter Milch wegschmeißen kann. So groß ist nämlich unser Tank, der alle drei Tage geleert wird.
Ich erinnere mich da auch gerne an den Abend, an dem ich die Kühe von der Weide holen wollte, aber nur 20 der eigentlich 35 fand - die anderen hatten einen Zaun durchbrochen und waren über alle Berge verschwunden - das Gras ist bekanntlich immer grüner auf der anderen Seite des Zaunes. Nur mit Hilfe von Tores Familie fanden wir sie wieder - und begann ich das Melken zwei Stunden später als geplant.
Langweilig ist mir das Arbeiten auf einer Milchfarm jedenfalls noch nicht geworden - und ich habe im Leben nun schon mehr als zwei Jahre lang in mittlerweile vier Ställen in diesem Beruf gearbeitet. Und komme jedes Mal immer tiefer in diesen hinein. Hauptverantwortlich für eine Farm war ich bisher allerdings nie länger als ein Wochenende - daher bin ich momentan eigentlich nur baff, wie viele Dinge man im Kopf behalten, beobachten und bewerten muss. So viele Kleinigkeiten gibt es zu beachten, die so wichtig sind - wie zum Beispiel die Brunst der Kühe. Das ist jetzt zugegebenermaßen kein Thema, mit dem ich mich freiwillig beschäftigen würde, gehört aber zu den wichtigsten Dingen auf einer Milchfarm: denn ohne Kälber liefern Kühe keine Milch.
In modernen Milchviehbetrieben soll eine Kuh einmal im Jahr kalben, um möglichst viel Milch zu geben. Nach der Geburt wird die Milchmenge trotz täglichen Melkens immer geringer: eine Kuh, die nach dem Kalben täglich 40 Liter Milch gibt, produziert ein halbes Jahr später nur noch 15 Liter. Da Kühe 9-10 Monate trächtig sind, muss also schon 2-3 Monate nach der Geburt des Kalbes wieder besamt werden - das machen heutzutage ja Tierärzte und Besamer, Bullen werden kaum noch eingesetzt. Jetzt haben Kühe aber die blöde Angewohnheit, einmal im Monat für nur 18 Stunden lang empfängnisbereit zu sein. Da der Besamer nur unter der Woche zu den normalen Arbeitszeiten kommt, wird das Zeitfenster noch geringer und muss der Bauer die Brunst der Tiere rechtzeitig erkennen und genau zum richtigen Zeitpunkt den Besamer rufen - sonst gibt es keine Kälber. Und diese Aufgabe fällt nun ironischerweise auf mich zurück, die ich selber selten wenig Interesse an der Zeugung, Planung oder Versorgung eigener Nachkommen habe. Aber wozu auch, ich habe momentan wirklich genug mit der Zukunftsplanung von 33 Kühen zu tun...
Hündinnen machen es einem dagegen einfach: alle 6 Monate sind sie für eine Woche läufig, und das führt in einem Kennel mit 40 Tieren eher zu mehr Nachkommen, als es einem lieb ist. Arne und Marianne wollten dieses Jahr eigentlich nur einen Wurf haben: jetzt werden es aber vier. Die ersten beiden Würfe sind schon da: eine schlanke Hündin namens Kawa warf fünf Welpen von denen vier überlebt haben. Nuni, eine andere Hündin, wurde von ihrem Halbbruder gedeckt, weshalb zwei der ebenfalls fünf Welpen kränklich sind und vermutlich sterben werden. Inzucht, das Resultat aus ungewollten Schwangerschaften, ist ein großes Problem, weshalb wir der Natur auch ungehindert ihren Lauf lassen. Wer in der ersten Lebenswoche kränkelt und sich nicht aus eigener Kraft erholt, würde ohnehin keinen gesunden, leistungsstarken Hund abgeben. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb die Nutztierrassen der Polarregionen noch so zäh sind: bei Huskies, Islandpferden und Rentieren überleben von Anfang an nur die stärksten Tiere. So ist das Gesetz der Natur, und so muss es sein, wenn eine Rasse unter extremen Bedingungen überleben will.
Sonntag, 16. August 2009
Ein erster Eindruck...
Ich war gerade erst in Parken Gård angekommen und hatte einen ersten, kurzen Blick auf meine "Villa Rosenduft" geworfen, als ich von Tore zum Mittagessen abgeholt wurde. Auf dem Weg zu seinem zwei Kilometer entfernet Haus scherzte ich, dass meine Unterkunft doch eigentlich "Villa Hundeduft" heißen müsste, woraufhin Tore nur grinste. Im Nachhinein bin ich erstaunt, dass er mich verstanden hat, denn in den kommenden Tagen sollten wir zwei es fast zu 100% immer schaffen, einander NICHT zu verstehen - er, weil er so schnell und genuschelt im hiesigen Dialekt sprach, und ich, weil ich einen Mischmasch aus Deutsch und Isländisch von mir gab, der noch weit davon entfernt war, Norwegisch zu sein.
In Norwegen "Middag" zu essen bedeutet, die größte warme Mahlzeit des Tages zu sich zu nehmen, und zwar irritierenderweise um 16 Uhr. Das ist wohl der norwegische Mittag. Mittagessen heißt in Norwegen "lunsj", findet um 11 Uhr statt und ist eine üppige Brotmahlzeit. Frühstück ("frokost") wird hier eher vernachlässigt, und zum Abendessen ("kveldsmat") verspeist man auch eher Reste oder Brot - es sei denn, man sitzt mit Freunden zusammen am Lagerfeuer und grillt seinen frischgefangenen Fisch, was oft Sonntags der Fall ist. Das zumindest behauptete Tores Familie, als wir uns beim Nachmittagsessen/Middag gegenseitiges Löcher in die Bäuche fragten. So erfuhr ich auch, dass fast jedes zweite Haus in Langfjordbotn zur Familie gehört: die Karlstrøms sind eine kinderreiche Familie und haben diese Gegend so lieb gewonnen, dass sie alle hier geblieben sind. Eltern, Onkel, Tanten, Kinder, Cousinen - alle heißen sie hier Karlstrøm. Diejenigen, die das nicht tun, so scherzten sie, seien ehemalige Arbeiter und Handler, die sich hier niedergelassen hatten...
Langfjordbotn ist eigentlich nur eine Gemeinde ohne wirkliches Zentrum: vielleicht 50 Häuser und Sommerhäuser, die an zwei Durchgangsstraßen am "Ende des langen Fjordes", wie Langfjordbotn übersetzt bedeutet, angesiedelt sind. Wo das genau ist, kann man bei Google Maps schön sehen, sowohl auf einer Karte als auch auf Satellitenbildern. Hier der Link: Google Maps: Langfjordbotn, Alta
Aber zurück zum Nachmittagsessen: dort erfuhr ich, dass mein Chef Arne seit zwei Wochen von seltsamen Schmerzen in Knochen und Gelenken geplagt wurde und er deshalb mit Frau und Kindern ins 250km entfernte Tromsø gefahren war, um die Ursache der Krankheit zu erforschen. Gegen Abend würden sie zurückkehren.
Ich dachte schon, dass ich dann ja Zeit hätte, um mich ein wenig umzusehen - aber das war ein wenig voreilig geschlussfolgert! Tore nämlich, offensichtlich gelangweilt und neugierig ohne Ende, schleppte mich direkt zum abendlichen Melken: Parken Gård hat nämlich außer den Hunden noch 35 Milchkühe, die in einem erst fünf Jahre alten Stall untergebracht sind.
Und da ich den Fehler gemacht hatte, zu erwähnen, dass ich in Island schon auf Farmen gearbeitet habe, war mein Schicksal besiegelt: um 18 Uhr gingen Tore und ich in den Stall, molken die Kühe und fütterten diese und diverses Jungvieh. Bei Tores genauer Einweisung und prüfenden Testfragen war mir klar, dass es sich hierbei um einen Arbeitstest handelte. Ich fragte noch nicht nach, jedoch deutete alles darauf hin, dass ich mir ein paar Kronen dazu verdienen könne. Mein Hundejob war ja ohne Verdienst - jedes Zubrot war mir also herzlich willkommen!
Irgendwann, Tore wies mich gerade in den Gebrauch des Heuverteilers ein, hörte ich mehrere Stimmen und sah einige wohlgenährte Menschen hereinkommen: einen großen Mann, eine kleine Frau, ein noch kleineres Mädchen und einen Jungen. Es handelte sich um meine Arbeitgeberfamilie: um Arne (46), Marianne (42), Mina (9) und Isak (12). Sie waren schon längst per Telefon darüber informiert worden, dass ich angekommen war und offensichtlich sehr neugierig, mich kennen zu lernen. Wir verstanden uns auf den ersten Eindruck gut!
Die Karlstrøms, und damit meine ich jetzt meine Karlstrøms und nicht alle hier im Tal lebenden Menschen gleichen Nachnamens, sind sehr ruhige, offene und gleichzeitig energische Menschen. Besonders positiv überrascht haben mich die Kinder, die ruhig und wohlerzogen sind, ein Ja von einem Nein unterscheiden können und immer erst fragen bevor sie etwas tun. Damit sind sie so ziemlich das Gegenteil von isländischen Gören und vermutlich auch von mir in dem Alter! So kann selbst ich Kinder ertragen!
Arne wird auch der "Gigant aus Langfjord" genannt, dabei ist er mit schätzungsweise 190cm jetzt nicht sooo ungewöhnlich groß. Neben seiner Frau wirkt der ruhige Mann aber wahrlich wie ein Riese: Marianne ist maximal 155cm groß. Die beiden zusammen zu sehen ist wirklich ein lustiger Anblick!
Es dürfte kaum jemanden verwundern, dass ich meine Gastfamilie nicht fotografiert habe - Menschen sind mir die langweiligsten Fotomotive, die ich mir vorstellen kann. Damit die beiden aber auch einmal im Bild vorgestellt werden, hier ein Foto, das ich im Internet fand und die beiden vor einem Rennen zeigt.
Montag, 10. August 2009
Parken Gård
Die Nacht nach meiner nächtlichen Bergbesteigung auf Senja verbrachte ich nahe der Lyngener Alpen. Mit drei Autos war ich dorthin gelangt und hätte am selben Tag noch an meinem Ziel ankommen können - von diesem war ich nämlich nur noch zwei knappe Autostunden entfernt. Ich war allerdings recht müde von der kurzen Nacht zuvor und wollte außerdem noch ein paar brauchbare Bilder dieser wunderschönen Berge machen. Zudem war mir eines klar: sobald ich meinen Fuß auf den Hof meiner neuen Arbeitgeber setzen würde, würde Freizeit Mangelware sein. Auf dem Land gibt es im Sommer schließlich generell mehr Arbeit als es Hände gibt. Und um ganz ehrlich zu sein: ich wollte noch nicht ankommen. Einen so komplett neuen Lebensabschnitt zu beginnen, ist einerseits spannend und schön, andererseits aber auch ziemlich abschreckend. Morgen würde ich die Menschen kennenlernen, mit denen ich dann für lange Zeit zusammen arbeiten und leben würde. Morgen war der "Tag der Wahrheit" - das Ende des sorgenfreien Urlaubs und der Beginn eines neuen Alltags. Das, so fand ich, konnte ruhig noch einen Tag länger erwartet werden.
Also schlug ich mein Zelt in einem kleinen Waldstück auf, wurde bester Freund von vielen sehr großen Mücken und noch vieeeel größeren Bremsen (die Freundschaft blieb allerdings einseitiger Natur), und verbummelte den restlichen Tag an der Küste. Dort wartete ich an mehreren Fotomotiven bis Mitternacht auf interessante Lichtstimmungen, und schlief am nächsten Morgen bis zur Mittagszeit.
Am næchsten Tag stand ich um 14 Uhr wieder Däumchendrehend an der Straße und stoppte mein sechszehntes Auto: einen Norweger aus Tromsø auf dem Weg zum Nordkap. In den anderthalb Stunden Fahrt gen Norden versuchten wir, aus meinen bruchstückhaften Informationen mein Ziel zu finden. Ich wusste dass es eine Farm namens Parken Gård war (sprich: Parken Gor), was schlichtweg "Parken Farm" bedeutet. Sie lag wohl genau zwischen der Grenze zwischen Troms und Finnmark und der Gemeinde Langfjordbotn.
Als ich in Oslo aufgebrochen war, hatte ich erwartet, die Farm so einfach finden zu können, wie in Island: dort ist jeder Hof mit einem Namensschild von der Straße ausgewiesen. Leider stellte ich aber sehr bald fest: die Farmen hier haben zwar Namen, aber diese stehen weder an ihren Briefkästen, noch an Schildern an der Einfahrt, noch auf Karten eingetragen. Man muss schon hingehen und an der Türe klingeln, um zu wissen, wo man ist...
Völlig rat- und anhaltslos überquerten wir die Grenze der Bundesländer und fuhren an vereinzelten Häusern vorbei. Dann kam ein Warnschild mit der Aufschrift "Hundespann" - "Hundeschlitten". Spätestens da wusste ich, dass es nicht mehr weit sein konnte! Tatsächlich: bald sahen wir ein Ortsschild, das den Namen "Langfjordbotn" trug. Rechts davon lugte ein großes, rotes Scheunendach hinter ein paar Bäumen hervor - und spontan bat ich meinen Fahrer, mich dort auszusetzen. Irgendwo musste ich mit der Suche ja beginnen!
Wir fuhren in einen kleinen Hof hinein. Ein gelbes, doppelstöckiges Wohnhaus mit Holzverkleidung, und ansonsten mehrere ganz in Rot gehaltene Gebäude: eine große Scheune, ein Stall, eine offene Werkstatt, eine kleine Hütte. Landwirtschaftsgeräte parkten auf der Wiese, auf der auch einige Kühe grasten. Ein Trampolin stand neben einem roten Gartenhäuschen und einer Schaukel.
Ich stieg aus dem Auto und suchte nach einer Person oder einem Hinweis darauf, ob dies wohl Parken Gård sein konnte, als unter den Eingangsstufen des Hauses ein angeleinter, kleiner, schwarzer Spitz hervorkam und penetrant zu bellen begann. Und kaum, dass er sein Maul aufgerissen hatte, stimmte aus etwa 100 Metern Entfernung eine ganze Hundemeute ins Bellen ein. Erst erschrak ich mich - dann musste ich lachen, da ich nun definitiv wusste, dass ich hier richtig sein musste!
Ich lud gerade meinen Rucksack aus dem Auto und verabschiedete mich von meinem netten Fahrer, als ein Traktor angefahren kam. Ein Mann stieg aus, etwa Anfang Vierzig mit schütterem, graublondem Haar, und er sah mich ratlos und abwartend an. So fragte ich, ob dies Parken Gård sei. Als er bejahte, stellte ich mich als der neue Handler vor (sprich: Händler) - so nämlich nennt man die Helfer der Musher, also diejenigen, die sich um die Hunde kümmern.
Vor mir stand Tore (sprich: Ture), ein Bruder meines Chefs, der mit diesem zusammen die Farm führte. "Arne und Marianne sind in Tromsø im Krankenhaus, kommen aber heute Abend wieder", sagte er in schnellem, genuschelten Norwegisch. "Weißt du schon, wo du wohnen wirst?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Mal sehen ob die Villa Rosenduft offen ist - sie müsste nicht abgeschlossen sein", nuschelte er und rannte mir davon. Ich buckelte meinen über 30kg schweren Rucksack zum letzten Mal auf, schnappte mir meine Kameratasche, und eilte mich, Tore zu folgen.
Wir liefen direkt auf ein umzäuntes Gelände zu, wo die Hunde standen. Was für ein Gejaule und Gebelle, als wir uns näherten! Drahtige Tiere unterschiedlichen Aussehens, jeweils zu zweit an Hundehäuser gekettet, die unruhig auf der Stelle tänzelten, hüpften, sprangen, ja, teilweise sogar auf ihre Hütte kletterten, aber alle schwanzwedelnd die sich nähernden Menschen begrüßten.
Zehn Meter vom Kennel entfernt stand ein kleines Häuschen, etwa acht mal zehn Meter groß: die Villa Rosenduft. Als ich näherkam erkannte ich, dass die Hälfte des Hauses ein offenes Lager für die Hundeausrüstung war. Die andere Hälfte wurde von einer Tür ohne Klinke verschlossen.
"Oh", sagte Tore. "Die Klinke ist weg".
Ja, ach, das sah ich auch. Sie lag am Boden. Ture hob sie auf, guckte sie an - und ließ sie achtlos wieder fallen. Er brummelte etwas Erklärendes, das ich nicht verstand, ging in die Nebentür, in der sich Futternäpfe stapelten, und kam mit einer Zange wieder heraus. Mit der packte er den Vierkant der Türklinke und öffnete die Tür.
"So", grinste er wie ein zu groß geratener Michel aus Lönneberga, "Villa Rosenduft. Dein Zuhause."
Er wartete kurz, bis ich meinen Rucksack abgeladen hatte und bot mir an, mich in 15 Minuten abzuholen und bei seiner Familie Mittag zu essen. Dann verschwand er in Richtung des Traktors.
Ein gewöhnungsbedürftiger Geruch aus Hundehaar und Kot lag in der Luft und ließ mich zu den vielen Hunden zurückblicken, die nun alle ganz ruhig waren. Alle standen sie vor ihren Hütten, hatten sich mir zugerichtet und sahen mich erwartungsvoll an - und wackelten so mit ihren Schwänzen als sei ich jemand, den sie kennen würden. Neugierig war ich schon, die Meute kennenzulernen, aber als hundeunerfahrener Fremder wollte ich mich nicht alleine in den Kennel begeben. Außerdem wollte ich mein neues Zuhause kennen lernen!
Eine Palette diente als Eingangsstufe ins kleine Holzhäuschen, dessen Holzboden ausgetreten und schräg war, wie in einem alten Wohnwagen. Hinter der Eingangstür befand sich ein 2qm großer Eingangsbereich, dann die Tür, die ich gerade öffnete und die in die Wohnküche führte: eine Kochnische mit Spüle, ein Tisch, ein Sofa, drei Fenster. Dann ein Durchgang ins Schlafzimmer, in dem gerade genug Platz für ein breites Hochbett war. Von diesem aus führte eine Tür in die Hausmitte, hinein in ein fensterloses Badezimmer, dessen Boden noch schräger war, als der der Eingangshalle.
Das war sie, die Villa Rosenduft - mein Zuhause für den kommenden Winter.
Also schlug ich mein Zelt in einem kleinen Waldstück auf, wurde bester Freund von vielen sehr großen Mücken und noch vieeeel größeren Bremsen (die Freundschaft blieb allerdings einseitiger Natur), und verbummelte den restlichen Tag an der Küste. Dort wartete ich an mehreren Fotomotiven bis Mitternacht auf interessante Lichtstimmungen, und schlief am nächsten Morgen bis zur Mittagszeit.
Am næchsten Tag stand ich um 14 Uhr wieder Däumchendrehend an der Straße und stoppte mein sechszehntes Auto: einen Norweger aus Tromsø auf dem Weg zum Nordkap. In den anderthalb Stunden Fahrt gen Norden versuchten wir, aus meinen bruchstückhaften Informationen mein Ziel zu finden. Ich wusste dass es eine Farm namens Parken Gård war (sprich: Parken Gor), was schlichtweg "Parken Farm" bedeutet. Sie lag wohl genau zwischen der Grenze zwischen Troms und Finnmark und der Gemeinde Langfjordbotn.
Als ich in Oslo aufgebrochen war, hatte ich erwartet, die Farm so einfach finden zu können, wie in Island: dort ist jeder Hof mit einem Namensschild von der Straße ausgewiesen. Leider stellte ich aber sehr bald fest: die Farmen hier haben zwar Namen, aber diese stehen weder an ihren Briefkästen, noch an Schildern an der Einfahrt, noch auf Karten eingetragen. Man muss schon hingehen und an der Türe klingeln, um zu wissen, wo man ist...
Völlig rat- und anhaltslos überquerten wir die Grenze der Bundesländer und fuhren an vereinzelten Häusern vorbei. Dann kam ein Warnschild mit der Aufschrift "Hundespann" - "Hundeschlitten". Spätestens da wusste ich, dass es nicht mehr weit sein konnte! Tatsächlich: bald sahen wir ein Ortsschild, das den Namen "Langfjordbotn" trug. Rechts davon lugte ein großes, rotes Scheunendach hinter ein paar Bäumen hervor - und spontan bat ich meinen Fahrer, mich dort auszusetzen. Irgendwo musste ich mit der Suche ja beginnen!
Wir fuhren in einen kleinen Hof hinein. Ein gelbes, doppelstöckiges Wohnhaus mit Holzverkleidung, und ansonsten mehrere ganz in Rot gehaltene Gebäude: eine große Scheune, ein Stall, eine offene Werkstatt, eine kleine Hütte. Landwirtschaftsgeräte parkten auf der Wiese, auf der auch einige Kühe grasten. Ein Trampolin stand neben einem roten Gartenhäuschen und einer Schaukel.
Ich stieg aus dem Auto und suchte nach einer Person oder einem Hinweis darauf, ob dies wohl Parken Gård sein konnte, als unter den Eingangsstufen des Hauses ein angeleinter, kleiner, schwarzer Spitz hervorkam und penetrant zu bellen begann. Und kaum, dass er sein Maul aufgerissen hatte, stimmte aus etwa 100 Metern Entfernung eine ganze Hundemeute ins Bellen ein. Erst erschrak ich mich - dann musste ich lachen, da ich nun definitiv wusste, dass ich hier richtig sein musste!
ein total verzerrtes 360°-Panorama vom Parken Gård...
Ich lud gerade meinen Rucksack aus dem Auto und verabschiedete mich von meinem netten Fahrer, als ein Traktor angefahren kam. Ein Mann stieg aus, etwa Anfang Vierzig mit schütterem, graublondem Haar, und er sah mich ratlos und abwartend an. So fragte ich, ob dies Parken Gård sei. Als er bejahte, stellte ich mich als der neue Handler vor (sprich: Händler) - so nämlich nennt man die Helfer der Musher, also diejenigen, die sich um die Hunde kümmern.
Vor mir stand Tore (sprich: Ture), ein Bruder meines Chefs, der mit diesem zusammen die Farm führte. "Arne und Marianne sind in Tromsø im Krankenhaus, kommen aber heute Abend wieder", sagte er in schnellem, genuschelten Norwegisch. "Weißt du schon, wo du wohnen wirst?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Mal sehen ob die Villa Rosenduft offen ist - sie müsste nicht abgeschlossen sein", nuschelte er und rannte mir davon. Ich buckelte meinen über 30kg schweren Rucksack zum letzten Mal auf, schnappte mir meine Kameratasche, und eilte mich, Tore zu folgen.
Wir liefen direkt auf ein umzäuntes Gelände zu, wo die Hunde standen. Was für ein Gejaule und Gebelle, als wir uns näherten! Drahtige Tiere unterschiedlichen Aussehens, jeweils zu zweit an Hundehäuser gekettet, die unruhig auf der Stelle tänzelten, hüpften, sprangen, ja, teilweise sogar auf ihre Hütte kletterten, aber alle schwanzwedelnd die sich nähernden Menschen begrüßten.
Zehn Meter vom Kennel entfernt stand ein kleines Häuschen, etwa acht mal zehn Meter groß: die Villa Rosenduft. Als ich näherkam erkannte ich, dass die Hälfte des Hauses ein offenes Lager für die Hundeausrüstung war. Die andere Hälfte wurde von einer Tür ohne Klinke verschlossen.
"Oh", sagte Tore. "Die Klinke ist weg".
Ja, ach, das sah ich auch. Sie lag am Boden. Ture hob sie auf, guckte sie an - und ließ sie achtlos wieder fallen. Er brummelte etwas Erklärendes, das ich nicht verstand, ging in die Nebentür, in der sich Futternäpfe stapelten, und kam mit einer Zange wieder heraus. Mit der packte er den Vierkant der Türklinke und öffnete die Tür.
"So", grinste er wie ein zu groß geratener Michel aus Lönneberga, "Villa Rosenduft. Dein Zuhause."
Er wartete kurz, bis ich meinen Rucksack abgeladen hatte und bot mir an, mich in 15 Minuten abzuholen und bei seiner Familie Mittag zu essen. Dann verschwand er in Richtung des Traktors.
Ein gewöhnungsbedürftiger Geruch aus Hundehaar und Kot lag in der Luft und ließ mich zu den vielen Hunden zurückblicken, die nun alle ganz ruhig waren. Alle standen sie vor ihren Hütten, hatten sich mir zugerichtet und sahen mich erwartungsvoll an - und wackelten so mit ihren Schwänzen als sei ich jemand, den sie kennen würden. Neugierig war ich schon, die Meute kennenzulernen, aber als hundeunerfahrener Fremder wollte ich mich nicht alleine in den Kennel begeben. Außerdem wollte ich mein neues Zuhause kennen lernen!
Eine Palette diente als Eingangsstufe ins kleine Holzhäuschen, dessen Holzboden ausgetreten und schräg war, wie in einem alten Wohnwagen. Hinter der Eingangstür befand sich ein 2qm großer Eingangsbereich, dann die Tür, die ich gerade öffnete und die in die Wohnküche führte: eine Kochnische mit Spüle, ein Tisch, ein Sofa, drei Fenster. Dann ein Durchgang ins Schlafzimmer, in dem gerade genug Platz für ein breites Hochbett war. Von diesem aus führte eine Tür in die Hausmitte, hinein in ein fensterloses Badezimmer, dessen Boden noch schräger war, als der der Eingangshalle.
Das war sie, die Villa Rosenduft - mein Zuhause für den kommenden Winter.
Freitag, 7. August 2009
Norwegen - Eine Idee wird Wirklichkeit
Den Gedanken, nach Norwegen zu gehen, trage ich nun schon ein paar Jahre mit mir herum. Schon seit langem wollte ich unbedingt einmal einen Polarwinter erleben: einen richtigen Winter mit mehreren Monaten Kälte und möglichst viel Schnee. Spannend stelle ich mir auch totale Dunkelheit zum Jahreswechsel vor, bzw. die wenigen Stunden des "blauen Lichtes", wenn die Sonne es fast bis zum Horizont schafft, dann aber untergeht, bevor sie aufgehen kann. Island liegt ja unterhalb des Polarkreises, weshalb die Sonne selbst zur Wintersonnwende drei bis vier Stunden lang über den Horizont lugt. Wenn man Glück hat, liegt dann auch Schnee - aber da die Insel vom Golfstrom aufgeheizt wird und im Winter ständig in Tiefdruckgebieten festhängt, regnet es dort häufiger, als dass es schneit. Anfangs war so ein Islandwinter spannend für mich Rheinländerin, die mehr als 5cm Schneefall als etwas Besonderes ansieht - aber nach und nach wollte ich es noch extremer. Noch dunkler. Und definitiv kälter!
So begann ich vor vier Jahren, einfach mal im Internet zu stöbern, was eine Kerstin denn so einen Winter lang in kalten Ländern machen könnte. Finnland und Schweden erwiesen sich als landschaftlich zu einseitig, Russland, Grönland, Kanada und Alaska kamen unter anderem deshalb nicht in Frage, weil sie zu weit entfernt waren oder ich die Sprache nicht beherrsche. Die Antarktis hätte ich auch noch genommen, aber auf den wenigen Forschungsstationen einen Job zu finden, ist so gut wie unmöglich, wenn man das nicht mit einem wissenschaftlichen Projekt oder einem technischen Beruf verbinden kann.
Die Wahl fiel daher recht schnell auf Islands Nachbarland Norwegen - bzw. auf NORD-Norwegen, denn oberhalb des Polarkreises musste es schon sein!
Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, dass auch die Nähe und (relative) Ursprünglichkeit der Natur ein absolutes Kriterium war, damit ich auch ohne Auto schnell vor Menschen flüchten bzw. Fotomotive finden kann...
Anfangs liebäugelte ich mit der Idee, zwei Semester lang an einer norwegischen Folkehøgskole zu studieren. Diese "Volkshochschule" ist eine Spaß-Uni, eine Vollzeitschule meist mit Internat, an der junge Norweger nach Schulabschluss für ein Jahr einfach mal etwas lernen, wozu sie wirklich Lust haben. Das kann alles mögliche sein: mich interessierten aber entweder Naturfotografie, Winter-Outdooraktivitäten, oder Schlittenhunde. Und es gibt da tolle Schulen! Eine auf den Lofoten, eine andere irgendwo im Nirgendwo bei Hammerfest, spezialisiert auf Naturfotografie und Wintersport - aber leider lassen sich diese Schulen ihre Dienste auch ordentlich etwas kosten. Mich schreckte außerdem ab, dass die Schulen eher für 18-20jährige gedacht sind, die das erste Mal dem Elternhaus entfliehen. Darum begrub ich vor zwei Jahren die Idee der Schule, liebäugelte aber jetzt mit Schlittenhunden. Das war mal etwas ganz Neues und Ausgefallenes und klang interessant!
Im Internet fand ich etwa 25 verschiedene Anbieter von Schlittenhundetouren für das mittlere und nördliche Norwegen. Nach einem ersten Sichten (Liegt mir das nördlich genug? Machen die Leute einen einigermaßen ordentlichen Eindruck?) schrieb ich etwa 15 dieser Schlittenhundemenschen an. Das war im November 2008, mitten in der Saison - dementsprechend negativ fielen die Antworten aus. Alles Absagen.
Im Frühsommer dieses Jahres suchte ich noch einmal im Internet und fand diesmal sogar Stellen ausgeschrieben: allerdings betonten diese, nur an bereits erfahrenen Helfern interessiert zu sein. An denen scheint es nicht zu mangeln, da es wohl mehrere Folkehøgskolen gibt, die das Betreuen und Rennen von Schlittenhunden lehren. Aber egal: zehn meiner Dezemberkontakte schrieb ich noch einmal an und bewarb mich offiziell um eine Stelle. Die Unterschiede bei den Kennels (so nennt man die Anlage in der die Hunde leben) waren dabei enorm: von einer Familie mit "nur" 15 Hunden bishin zu einem Kennel mit 250 Tieren war alles dabei. Bei letzterem bewarb ich mich aber schlussendlich doch nicht, obwohl diese ausdrücklich auch unerfahrene Menschen suchten, und davon viele. Aber ich kann mir halt einfach nicht vorstellen, dass 250 Hunde an einem Ort unter guten Bedingungen gehalten werden können und ich dort gute Arbeitsverhältnisse vorgefunden hätte.
Von den zehn Bewerbungen fielen acht negativ aus. Zwei jedoch antworteten nicht mit Absagen: der eine war einer der führenden Musher Norwegens, welcher an der Grenze zu Finnland lebt (ein Musher ist jemand, der Hunderennen fährt), der andere eine Familie an der Westküste Nordnorwegens. Der Musher bot mir einen bezahlten Job an, der hauptsächlich darin bestand, Touristenhütten zu putzen und mit Touristen Hundeschlitten zu fahren. Ganz anders die Familie, die ihre 35 Hunde privat hielt und mir ganz klar sagte, mich nicht bezahlen zu können, mir aber Kost und Logie zu stellen und mich 100% nur mit Hunden arbeiten zu lassen.
Nach einigen Tagen Bedenkzeit hatte ich mich dann entschieden. Ich würde im Herbst nicht nach Island zurückkehren (was auch eine Option gewesen war), sondern tatsächlich die Sache mit den Hunden ausprobieren. Den bezahlten Job beim Musher schlug ich allerdings aus, da ich kein gutes Gefühl dabei hatte (zu recht, wie sich später herausstellen würde), und mir die Landschaft dort zu finnisch-flach war. Da sag noch einer etwas gegen Google und Google Earth! Eine hervoragende Möglichkeit, sich als Fotograf über die Landschaft an unbekannten Orten zu informieren!
Also sagte ich der Familie zu, von der ich wenig mehr wusste, als die Dinge, die auf der Homepage standen: ein Ehepaar Anfang Vierzig mit zwei Kindern, 35 Hunden, einer Farm mit Kühen und einem Faible für Hundeschlittenrennen. Doch das war allemal genug, um ein gutes Grundgefühl zu haben. Mit deren Adresse und Telefonnummer bewaffnet machte ich mich dann von Oslo aus auf die Reise gen Norden, über die ich ja schon berichtet habe.
Und damit will ich den Einschub beenden und den nächsten Bericht vorbereiten: über meinen letzten Tag der Reise und meinen ersten Tag im neuen Job.
Ein sonniger Wintertag in Island
So begann ich vor vier Jahren, einfach mal im Internet zu stöbern, was eine Kerstin denn so einen Winter lang in kalten Ländern machen könnte. Finnland und Schweden erwiesen sich als landschaftlich zu einseitig, Russland, Grönland, Kanada und Alaska kamen unter anderem deshalb nicht in Frage, weil sie zu weit entfernt waren oder ich die Sprache nicht beherrsche. Die Antarktis hätte ich auch noch genommen, aber auf den wenigen Forschungsstationen einen Job zu finden, ist so gut wie unmöglich, wenn man das nicht mit einem wissenschaftlichen Projekt oder einem technischen Beruf verbinden kann.
Die Wahl fiel daher recht schnell auf Islands Nachbarland Norwegen - bzw. auf NORD-Norwegen, denn oberhalb des Polarkreises musste es schon sein!
Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, dass auch die Nähe und (relative) Ursprünglichkeit der Natur ein absolutes Kriterium war, damit ich auch ohne Auto schnell vor Menschen flüchten bzw. Fotomotive finden kann...
Anfangs liebäugelte ich mit der Idee, zwei Semester lang an einer norwegischen Folkehøgskole zu studieren. Diese "Volkshochschule" ist eine Spaß-Uni, eine Vollzeitschule meist mit Internat, an der junge Norweger nach Schulabschluss für ein Jahr einfach mal etwas lernen, wozu sie wirklich Lust haben. Das kann alles mögliche sein: mich interessierten aber entweder Naturfotografie, Winter-Outdooraktivitäten, oder Schlittenhunde. Und es gibt da tolle Schulen! Eine auf den Lofoten, eine andere irgendwo im Nirgendwo bei Hammerfest, spezialisiert auf Naturfotografie und Wintersport - aber leider lassen sich diese Schulen ihre Dienste auch ordentlich etwas kosten. Mich schreckte außerdem ab, dass die Schulen eher für 18-20jährige gedacht sind, die das erste Mal dem Elternhaus entfliehen. Darum begrub ich vor zwei Jahren die Idee der Schule, liebäugelte aber jetzt mit Schlittenhunden. Das war mal etwas ganz Neues und Ausgefallenes und klang interessant!
Im Internet fand ich etwa 25 verschiedene Anbieter von Schlittenhundetouren für das mittlere und nördliche Norwegen. Nach einem ersten Sichten (Liegt mir das nördlich genug? Machen die Leute einen einigermaßen ordentlichen Eindruck?) schrieb ich etwa 15 dieser Schlittenhundemenschen an. Das war im November 2008, mitten in der Saison - dementsprechend negativ fielen die Antworten aus. Alles Absagen.
Im Frühsommer dieses Jahres suchte ich noch einmal im Internet und fand diesmal sogar Stellen ausgeschrieben: allerdings betonten diese, nur an bereits erfahrenen Helfern interessiert zu sein. An denen scheint es nicht zu mangeln, da es wohl mehrere Folkehøgskolen gibt, die das Betreuen und Rennen von Schlittenhunden lehren. Aber egal: zehn meiner Dezemberkontakte schrieb ich noch einmal an und bewarb mich offiziell um eine Stelle. Die Unterschiede bei den Kennels (so nennt man die Anlage in der die Hunde leben) waren dabei enorm: von einer Familie mit "nur" 15 Hunden bishin zu einem Kennel mit 250 Tieren war alles dabei. Bei letzterem bewarb ich mich aber schlussendlich doch nicht, obwohl diese ausdrücklich auch unerfahrene Menschen suchten, und davon viele. Aber ich kann mir halt einfach nicht vorstellen, dass 250 Hunde an einem Ort unter guten Bedingungen gehalten werden können und ich dort gute Arbeitsverhältnisse vorgefunden hätte.
Von den zehn Bewerbungen fielen acht negativ aus. Zwei jedoch antworteten nicht mit Absagen: der eine war einer der führenden Musher Norwegens, welcher an der Grenze zu Finnland lebt (ein Musher ist jemand, der Hunderennen fährt), der andere eine Familie an der Westküste Nordnorwegens. Der Musher bot mir einen bezahlten Job an, der hauptsächlich darin bestand, Touristenhütten zu putzen und mit Touristen Hundeschlitten zu fahren. Ganz anders die Familie, die ihre 35 Hunde privat hielt und mir ganz klar sagte, mich nicht bezahlen zu können, mir aber Kost und Logie zu stellen und mich 100% nur mit Hunden arbeiten zu lassen.
Ein Snapshot der Homepage, über die ich meinen neuen Job fand
Nach einigen Tagen Bedenkzeit hatte ich mich dann entschieden. Ich würde im Herbst nicht nach Island zurückkehren (was auch eine Option gewesen war), sondern tatsächlich die Sache mit den Hunden ausprobieren. Den bezahlten Job beim Musher schlug ich allerdings aus, da ich kein gutes Gefühl dabei hatte (zu recht, wie sich später herausstellen würde), und mir die Landschaft dort zu finnisch-flach war. Da sag noch einer etwas gegen Google und Google Earth! Eine hervoragende Möglichkeit, sich als Fotograf über die Landschaft an unbekannten Orten zu informieren!
Also sagte ich der Familie zu, von der ich wenig mehr wusste, als die Dinge, die auf der Homepage standen: ein Ehepaar Anfang Vierzig mit zwei Kindern, 35 Hunden, einer Farm mit Kühen und einem Faible für Hundeschlittenrennen. Doch das war allemal genug, um ein gutes Grundgefühl zu haben. Mit deren Adresse und Telefonnummer bewaffnet machte ich mich dann von Oslo aus auf die Reise gen Norden, über die ich ja schon berichtet habe.
Und damit will ich den Einschub beenden und den nächsten Bericht vorbereiten: über meinen letzten Tag der Reise und meinen ersten Tag im neuen Job.
Sonntag, 2. August 2009
Mitternachtssonne
Es war etwa 20:30Uhr, als ich mein Zelt unweit der Straße aufbaute, welche zwei kleine Küstendörfer auf der Insel Senja mit dem norwegischen Festland verband. Das Wetter hatte sich einmal komplett gewandelt: statt Regen schien nun die Sonne und hüllten sich nur noch die höchsten Berge in lichte Wolken. Bei dem herrlichen Wetter zu Fuße des vierthöchsten Berges Senjas schlafen zu gehen kam nicht in Frage! Ich kochte mir schnell ein paar Nudeln, schmierte mir Wegzehrung für den vor mir liegenden Aufstieg auf den 851m hohen Istind, und marschierte mitsamt Kameratasche, Stativ und einem Satz warmer Kleidung los. Dass der Berg noch in Wolken gehüllt war, machte mir keine Sorgen: die würden in den nächsten Stunden auch verschwinden! Insgeheim hoffte ich sogar, dass sie sich noch ein wenig am Gipfel halten würden, denn das versprach sehr gute und interessante Fotomotive!
Als ich um 22:30Uhr am Gipfel ankam, konnte ich kaum fassen, wie viel Glück ich mal wieder hatte. Nebelhafte Wolkenschleier kamen und gingen und zauberten ständig wechselnde Lichtsituationen und Aussichten. Ich war zum genau richtigen Zeitpunkt oben angekommen! Solch ein Spiel aus Licht und Farben zu erleben, hatte ich mir nur 12 Stunden zuvor nicht träumen lassen!
Dazu kam, dass ich zum ersten Mal die Mitternachtssonne von einem Berggipfel aus sah. Nur noch zwei Stunden waren es bis Mitternacht, doch hier, 300km nördlich des Polarkreises, stand die Sonne so hoch am Himmel, wie in Deutschland am späten Nachmittag!
Am westlichen Horizont waren noch die abziehenden Regenwolken zu sehen. Einen kleinen Augenblick lang bereute ich, mein Zelt unten im Tal gelassen zu haben und nicht den Weg weiterzuwandern. Allerdings kenne ich das arktische Wetter aus Island gut genug, um zu wissen, dass nichts so trügerisch ist wie ein blauer Himmel! Das jetzt so unscheinbar ausschauende, scheinbar abziehende Tiefdruckgebiet konnte in ein paar Stunden schon wieder hier einrücken. Dann hier oben zu sein bedeutete, von Wolken eingeschlossen ohne GPS und Fernsicht von Steinhäufchen zu Steinhäufchen zu wandern und dabei Regen und Wind ausgesetzt zu sein - och nö, dazu fehlte mir in dem Moment irgendwie der Abenteuergeist!
Vorerst jedenfalls zeigte sich Senja von seiner besten Seite. Bald waren die Wolken ganz und gar verschwunden und konnte ich den Rundblick über diese fjordzerklüftete, bergige Insel genießen.
Um ein Uhr Nachts machte ich mich dann wieder an den Abstieg. Als ich auf Altschneefeldern hinunter in Tal rutschte, ging auch endlich die Sonne unter - zumindest gefühlsmäßig. Mittsommer ist schon etwas lustiges...
Im Zelt angekommen stellte ich den Wecker, tankte ein paar Stunden Schlaf, bevor ich um 9Uhr wieder an der Straße stand: und zwar im Nieselregen! Kurz nach meinem Abstieg waren die Wolken zurückgekommen und hüllten die Berge in nassen Nebel. Als hätte ich es gewusst, es war wirklich lustig!
Zu meinem Erstaunen wartete ich nicht alleine auf den Bus: weiter unten an der Straße stiegen zwei Studentinnen aus Tromsø zu. Sie waren, genau wie ich, gestern am Berg angekommen, hatten sich jedoch nach alter Gewohnheit Schlafen gelegt anstatt das Wetter zu nutzen und die Berge nachts zu überqueren. Der Aufstieg im Nebel war ihnen zu riskant, sodass sie nun den Bus nach Finnsnes nahmen und die Wanderung von der anderen Seite angehen würden, in der Hoffnung, dass in zwei Tagen bessere Wetterverhältnisse herrschen würden. Eine sehr gute Idee, mit der ich einen Moment liebäugelte, mich dann jedoch dazu entschloss, meine Reise gen Norden per Anhalter fortzusetzen und lieber noch ein bis zweimal entlang des Weges zu übernachten.
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