Dienstag, 4. Mai 2010

Faszination Eyjafjallajökull

Die vergangene Woche war absurd, wirklich total verrückt! Ich wundere mich selbst immer wieder, was für seltsame Dinge ich immer wieder erlebe...


Es begann alles damit, dass ich an zwei Regentagen nach Reykjavík fuhr, um mich dort um eine Sommerarbeit zu kümmern. Im Büro des FÍ (dem Wanderverein, der die Hütten auf dem Laugavegur betreut) traf ich Helga, welche über Ostern Hüttenwart in der Þórsmörk war. Sie erzählte mir, dass die Þórsmörk zwar gesperrtes Gebiet sei (weswegen auch die dortige Hütte des FÍ leersteht), aber dass die Hüttenwarte in Húsadalur eine Ausnahmegenehmigung bekommen hätten, weil sie dort am Renovieren seien. Dreimal dürft ihr raten mit wem ich sofort Kontakt aufnahm!

Am 28. April stand ich dann am Wegesende in der Fljótshlið, dort, wo die Vulkanfotos meines letzten Blogeintrages aufgenommen wurden. Es ist der Punkt, zu dem alle Schaulustigen und Hobbyfotografen fahren, um Bilder vom Vulkanausbruch zu machen: etwa 10km Luftlinie vom Krater entfernt mit direkter Sicht auf die Gletscherzunge Gigjökull, unter der das Schmelzwasser der Eruption austritt. Von dort aus kann man im Sommer weiter ins Hochland hineinfahren, jetzt steht da jedoch eine Straßensperre, weil die Wege aufgrund der Frühjahrsschmelze noch geschlossen sind. Die Hüttenwarte Binni und Ragnheiður jedoch, ein lustiges Paar Anfang Sechzig, fuhren mit ihren beiden Jeeps frech durch die Absperrung hindurch und stopften meinen vollgepackten Wanderrucksack, Kameratasche, Stativ und mich in die letzten freien Ecken der Jeeps, die voll mit Baumaterialien und IKEA-Möbeln beladen waren. Und dann führte uns die Fahrt noch ein paar Kilometer lang quer durch das Flusstal hinüber zum Hüttendorf Húsadalur. Es ist die westlichste der drei Hütten in der Þórsmörk (und praktischerweise auch die, welche dem Vulkan am nächsten liegt), welche vor einem Jahr von der Jugendherbergs-Bewegung aufgekauft und gerade renoviert wurde: ein großer Komplex von über 15 Gebäuden, der 170 Leute beherrbergen kann und auch noch über einen großen Campingplatz verfügt.

Zwischen dem Ende der Straße und dieser Hütte liegen zwei Flüsse, Gilsá und Markarfljót mit Namen, die momentan sehr viel Wasser führen und die allermeisten Superjeepfahrer abschrecken. Der Markarfljót ist sogar dermaßen gefährlich und berüchtigt, dass er im Sommer eigentlich nie gefurtet wird: jetzt aber, da der Vulkanausbruch die Straße in die Þórsmörk in eine Sackgasse verwandelt hat, ist dieser Fluss der einzige Weg dorthin. Und Binni hatte keinerlei Skrupel, die Flussarme zu furten, da sie seiner Meinung nach an diesem Tag kaum Wasser führten.


Sp kam ich also vor genau einer Woche in die Þórsmörk und helfe dort seitdem (je nach Wetterlage) entweder den beiden ein wenig bei der Arbeit, oder aber ich mache die Nächte am Fuße der Gletscherzunge durch und fotografiere den Vulkan, von dem ich weiterhin nicht genug bekommen kann. Dieser lebende Berg ist unbeschreiblich: ein schrecklich-schönes Biest. Ich bin von diesen unkontrollierbaren Urgewalten gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen: dieser Berg ist lebensgefährlich und eigentlich sollte ich mich so weit wie möglich von ihm fernhalten. Und doch zieht es mich in jeder freien Minute direkt an den Gletscherrand, um dieses Zusammenspiel aus Zerstörung und Schöpfung zu beobachten, das das eigene Leben in winzige Maßstäbe zurecht rückt und uns Menschen aufzeigt, wie nichtig und hilflos wir eigentlich sind.


War ich in den ersten Nächten noch begierig darauf, die Lavafontänen zu fotografieren, so warte ich jetzt auf das Erscheinen des Lavastromes. Dieser wälzt sich nämlich wie ein gigantischer, 100m breiter Schneidbrenner durch die Gletscherzunge und wird irgendwann unten austreten und als glühende Lava zu sehen sein - zumindest hoffe ich das!


Bisher wird die Lava vom Eis zurückgehalten und sieht man wenig mehr, als eine gigantische weiße Wolke, die einem immer länger werdenden Canyon im Eis entspringt und ab und zu von unten rosa-rot angeleuchtet wird.


Es entsteht dabei auch viel Wasser, SEHR viel Wasser, das sich teilweise in riesigen Wasserfällen aus dem Gletscher ergießt und den Fluss weiter unten zum Kochen bringt - was ich hier erleben darf, ist wirklich nicht in Worte zu fassen. Und auf Fotos kann man die Größenverhältnisse kaum zeigen! Auf dem folgenden Bild wären Menschen nur als winzige Striche zu erkennen, so riesig ist die Schlucht. Ich vermute mal, dass das Bild locker 70 Höhenmeter abdeckt: allein der große Felsen, über dem sich der braune Wasserfall ausbreitet, dürfte 50m hoch sein. Und der dreckige Eisblock untendrunter etwa so groß wie ein Reisebus, wenn nicht sogar größer...


Gestern standen wir auf der Gletschermoräne und sahen hinab ins Tal, das komplett in Dampf gehüllt war und kochte - und ich meine es genau so wie ich schreibe. 20km weiter flussabwärts wurde eine Wassertemperatur von 17°C gemessen - und da hatten sich bereits Gilsá, Markarfljót und mehrere Bäche hinzugemischt. Diese Größenverhältnisse und Naturgewalten sind einfach nur gigantisch!


Der Vulkan selber ist sehr unterschiedlich aktiv: mal hört man nur ab und an ein ganz leises Grollen und sieht nur eine kleine, unscheinbare Wolke aus dem Gletscher aufsteigen - und mal donnert und bebt er, als würde die Welt untergehen, und stößt wieder irrsinnige Mengen an pechschwarzer Asche aus. Heute erreichte die Wolke mal wieder sechs Kilometer Höhe und wehte gen Skandinavien. Würde mich nicht wundern, wenn infolge dessen bald wieder Flughäfen geschlossen werden müssten!

Ein aktuelles Bild vom heutigen Morgen: der Nebel verzog sich und
gab den Blick frei auf den Gletscher bzw. die riesige Aschewolke.
Grauverlauffilter halfen mir dabei, die starken Kontraste irgendwie im Bild zu vereinen


Hier in Húsadalur sind wir drei direkt am Geschehen - so nah, wie sonst keiner. Kaum jemand verirrt sich hierher - zum einen, weil die Flüsse so viel Wasser führen, und zum anderen, weil kaum einer weiß, dass hier eigentlich keine Sperrzone ist. Ich denke, es hat damit zu tun, dass beim kleinen Ausbruch auf dem Fimmvörðuháls viel zu viele Menschen an viel zu vielen Orten waren. Polizei und Bergrettung hatten weder Kontrolle über das Chaos noch Möglichkeiten, die Menschenmassen zu evakuieren, falls etwas passiert wäre - den Fehler wollen sie nicht noch einmal begehen und halten die Gegend daher diesmal großflächig abgesperrt. Inoffiziell bin ich legal hier, offiziell ist hier Sperrzone - wie auch immer, auf jeden Fall darf ich hier sein und dieses Spektakel aus nächster Nähe exklusiv erleben! All die anderen Hobbyfotografen und Presse sind viel weiter weg, als ich - es ist verrückt! :-)

Der aktuelle Ausbruch und seine beiden Wolken.
Schwarz ist die Aschewolke, die dem Krater entstammt,
weiß die Wasserdampfwolke, die de Lavastrom im schmelzenden Eis anzeigt


So, und dann will ich mal wieder Schluss machen: ab morgen soll ein paar Tage lang gutes Wetter herrschen und werde ich vermutlich mehrere Nächte am Vulkan durchmachen und auf die Lava warten. Hoffentlich kommt sie bald! Je länger der Vulkan aktiv bleibt (der Beginn dieses großen Ausbruchs liegt schon drei Wochen zurück), desto wahrscheinlicher scheint es mir, dass ihm bald die Magma ausgehen wird. Ich selber werde vermutlich bis zum Wochenende hierbleiben: zum einen, weil ich dann meinen Job im Büro des FÍ in Rvk antreten will/muss, zum anderen, weil dann die Nächte ohnehin nicht mehr dunkel genug werden, um die Lava leuchten zu sehen. Bis dahin werde ich aber hoffentlich noch ein paar Tage und Nächte lang diesen Vulkan beobachten und fotografieren dürfen: ein Privileg sondergleichen, von dem ich jede Sekunde genieße und mir das Ende weit, weit weg wünsche.

2 Kommentare:

  1. Hi Kerstin
    ich beneide Dich sehr. Wie kommst Du denn immer durch die Krossá?
    a) Fussgaengerbruecke bei Langidalur
    b) zu Fuss
    c) schwimmen
    d) springen
    e) mit einem Autochen
    f) blauen Riesentraktor ausleihen
    Danke fuer die schoenen Bilder und Bericht!
    Thomas

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  2. Hallo Thomas,
    danke für deinen Kommentar!
    Ich beneide mich ehrlichgesagt auch, kann immer noch nicht fassen, dass ich das selber erlebe! Das waren irre drei Wochen! Zu schade dass ich in ein paar Tagen zurück nach Rvk fahren und Geld verdienen muss!

    Zu deiner Frage:
    a) die Brücke liegt gerade trocken und würde mir beim Furten der Krossá leider herzlich wenig helfen!
    b) einmal, ja, ganz am Anfang ging sie mir nur bis knapp übers Knie
    c) momentan müsste ich das, da würde mir
    d) auch nicht helfen (mein Spring-Rekord aus der Schule liegt bei 4.67m - nicht genug für die Krossá der Frühjahrsschmelze, leider...) ;-)
    e) ist die momentan einzige Lösung: ich hüpfe immer mit ins Auto wenn die Hüttenwarte in Húsadalur zum täglichen "Vulkan-Check" zur ehemaligen Lagune fahren!
    f) hab ich auch schon gemacht, ja, aber nicht dem FÍ verraten! ;-)
    LG - Kerstin

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