Freitag, 21. Mai 2010

Berufsbezeichnung: Dachfeger



Am 19. Mai bin ich endlich wieder zurück in die Þórsmörk gekehrt - diesmal aber hochoffiziell und zur Ausnahme auch nicht alleine! Wie im Herbst 2008, so arbeite ich nun wieder in Langidalur, der Hütte des Ferðafélag Íslands (kurz FÍ), des isländischen Wandervereines für den ich schon mehrere Sommer gearbeitet habe. Zusammen mit Helga, einer fest beim FÍ angestellten, sehr lieben Isländerin Mitte Fünfzig, soll ich mich um die Öffnung der Hütte kümmern. Helga fährt normalerweise immer mit ihrem eigenen Jeep an ihre Arbeitsplätze, hat diesen aber diesmal in Reykjavík gelassen. Zitat ihrerseits: "Wir kommen immer aus der Þórsmörk, zur Not auch mit dem Hubschrauber. Mein Auto aber könnte hier wochenlang feststecken - das will ich nicht riskieren!"
Also wurde kurzerhand Broddi engagiert um uns ins Sperrgebiet des Vulkans zu bringen. Broddi, Mitte Dreißig, schweigsam und autoverliebt, ist nicht nur Hüttenwart, sondern auch ein typisch isländischer Handwerker: der gelernte Elektriker macht alles, kann alles, und was er nicht kann, das improvisiert er trotzdem.

Die Fahrt über sahen wir kaum etwas: es regnete in Südisland, und laut Vorhersage soll das auch eine Woche so bleiben. Einen Monat lang haben hier in Island Nord- und Ostwinde vorgeherrscht, jetzt aber weht seit drei Tagen Südwind: die Aschewolke wird also momentan gen Norden gedrückt. Die Þórsmörk liegt nordöstlich des Vulkankraters, also momentan genau im Schatten der Aschewolke. Dass uns also kein normales Regenwetter erwarten würde, war uns schon klar. Was wir dann aber erlebten, hat sich vermutlich keiner von uns ausmalen können!

Als wir in Hvolsvöllur einen Hänger abholten und Gasflaschen darauf luden, wurden meine Hände und Kleidung schon dreckig. Schwarze Asche lag wie feiner Lavasand auf dem Hänger und im Gras: nicht viel, aber genug, um aus direkter Nähe wahrgenommen zu werden. Die Weiterfahrt zum Seljalandsfoss war normal: dank der tiefliegenden Regenwolken sah nichts so aus, als sei ein aktiver Vulkan in direkter Nähe. Allerdings führte der Markarfljót sehr viel sehr braunes Wasser. Je näher wir der Þórsmörk kamen, desto brauner wurden die Bäche und Flüsse. Das Wetter war durchwachsen: mal waren die Wolken dichter, mal aufgelockerter: aber von der Aschewolke sah man nichts. Jedoch lag mehr und mehr Asche auf dem Weg, und als wir direkt gegenüber vom Þórólfsfell waren, sah man kaum mehr Pflanzen: diese waren unter einer schätzungsweise 4cm dicken Ascheschicht einfach verschwunden bzw. zugeklebt. Ebenso verhielt es sich mit Steinen und sonstigem kleineren Relief: wie eine Schneedecke, so hatte sich Asche auf alles gelegt.

Die Straße in die Þórsmörk ist offiziell noch immer gesperrt, inoffiziell aber schon von vielen befahren worden. Mittlerweile ist diese Mischung aus Schlamm und Lehm, welche die Vulkanfluten mit sich brachten, so weit getrocknet, dass man mit Autos problemlos über den Fluss fahren kann, der sein Wasser aus der Gletscherzunge Gigjökull bezieht. Der Fluss hat keinen vernünftigen Namen: bis vor einem Monat furtete man unterhalb eines Gletschersees, deshalb sprach man immer von 'lónið', 'der Lagune'. Den See gibt es ja seit dem Vulkanausbruch nicht mehr, der Fluss wird vermutlich trotzdem weiterhin so genannt werden: 'Die Lagune'.
Erst nachdem wir den Gletscherfluss 'Lónið' gefurtet hatten, sahen wir die Aschewolke. Bzw wir sahen sie nicht, aber sehr wohl ihren Schatten. Über dem Vulkan scheint irgendwie immer die Sonne: selbst bei Regen ist dort eine Wolkenlücke, durch die auch an diesem Tag die Sonne brach. Theatralischer hätte unser Eintritt in die Aschewolke nicht ablaufen können: Sonnenlicht leuchtete den Eingang in die Þórsmörk aus, dahinter jedoch lag das Land im Schatten der schwarzen Wolke.


Nur ein paar hundert Meter weiter offenbarte sich uns dann dieses Bild:


Als ich aus dem Auto sprang und dieses Foto machte, fielen bereits die ersten Aschekörner. Wie kleine Hagelkörner perlten sie vom Himmel: bis zu 2mm dicke, schwarze Sandkörnchen. Nicht viele, nicht schmerzhaft, aber deutlich sicht- und spürbar waren sie. Schnell rettete ich die Kamera ins Auto und machten wir uns auf die Weiterfahrt. Binni war am Vortag schon nach Húsadalur zurückgekehrt und lud uns über Funk auf einen Kaffee ein: also fuhren wir zuerst dorthin. Und auf den letzten Metern begann es dann, Asche zu regnen: pechschwarze Regentropfen schlugen auf die Windschutzscheibe und machten diese innerhalb von Sekunden undurchsichtig. Zum Glück waren wir da aber schon bei Binni angekommen und eilten uns in sein Hüttenwarthaus zur Lagebesprechung.

Húsadalur sah aus, wie in einem Weltuntergangsfilm. Wo vor einer Woche noch ein gerade ergrünender Campingplatz gelegen hatte, erstreckte sich ein schwarzes Sandfeld. Die braunen Häuser hatten eigentlich weiße Fensterrahmen: die waren allerdings genauso schwarz, wie die Umgebung. Selbst die Büsche und Bäume waren schwarz: diese Mischung aus Asche und Regen haftete an allem wie Zement. Selbst auf den 10 Metern, die ich vom Auto ins Hüttenwarthaus zurücklegen musste, wurde ich schwarz: hunderte winziger Ascheregentropfen zeichneten meine Kleidung, meine Hände und mein Gesicht.

Während wir die Zukunft schwarz malten, nahm der Ascheregen zu, und als wir wieder ins Auto stiegen, konnte man die Fenster kaum noch von der Karrosserie unterscheiden. Binni spritzte uns mit einem Schlauch ab, als wir starteten, aber das half nur 500m lang - danach war die Scheibe wieder schwarz. Den folgenden Kilometer konnte Broddi mithilfe von viel Scheibenputzwasser sich ein Sichtfenster freihalten - dann aber kam nichts mehr aus den Düsen heraus: das Wasser war alle. Die Scheibenwischer verteilen die feine Asche bloß wie ein perfekter, undurchsichtiger grauer Matschfilm: wir waren blind.


Broddi fuhr von da an im Schritttempo und steckte den Kopf aus dem offenen Seitenfenster hinaus, um sehen zu können. Zweimal hielten wir an Bächen an und füllten Flaschen mit dem braunen Wasser, das wir auf die Windschutzscheibe spritzten: so hatten wir ein paar hundert Meter lang Sicht, bevor Broddi wieder seinen Kopf aus dem Seitenfenster hielt und uns über den nach dem Winter kaum vorhandenen Weg aus teilweise medizinballgroßen Steinen steuerte.

Als wir Langidalur sahen, war das Staunen groß. Eigentlich haben die moosgrünen Hütten dunkelrote Dächer - doch durch den Ascheregen sieht man davon nichts mehr und wirkt alles wie ein Geisterdorf. Hier lagen bei unserer Ankunft etwa 1.5cm Asche: genug, um alles schwarz einzufärben und die Büsche wie abgebrannte Skelette aussehen zu lassen. Nur das Gras der Wiesen ist schon so gewachsen, dass es aus der Asche herausragt und grellgrün leuchtet. Verrückt!


Wir verbrachten den Nachmittag damit, das Wasser anzuschließen, die Dieselöfen anzufeuern und, in einer Ascheregenpause, das Auto auszuladen. Ich selber war immer mal wieder ein paar Minuten lang verschwunden, um entweder mit der in Plastik eingepackten Kamera ein paar Fotos zu machen, oder aber um Ascheproben zu sammeln. Erst nachdem ich eine Weile draußen gewesen war, stellte ich fest, dass Asche nicht gleich Asche ist. Diese Erkenntnis kam mir, als es auf meiner Schirmmütze klackte und etwas gut Sichtbares zu Boden fiel. Verwundert bückte ich mich und hob einen daumennagelgroßen Lavastein vom Boden auf. Erst dann widmete ich der Asche einen genaueren Blick und stellte fest: was da vom Himmel kam, war unterschiedlichster Größe! Da waren Aschepartikel so fein wie Mehl, da gab es solche in Sand- und Hagelkorngröße, und eben auch Brocken von bis zu 2cm Länge!

Die schwarze Lava/Asche wird grau, sobald sie trocknet...

Diese großen Aschebrocken, Bimsstein, sind sehr dünn, porös und luftig: sie schwimmen auf Wasser, sind also offensichtlich leicht genug, um in der gestern bis zu 5km hohen Wolke mitgetragen zu werden und hier, 10km vom Krater entfernt, erst wieder zu Boden zu fallen.

Broddi verließ uns noch am selben Abend, allerdings nicht ohne sein Scheibenputzwasser aufgefüllt und das Auto gewaschen zu haben. Er war spürbar froh, dem Ascheregen entrinnen zu können! Helga wäre glaube ich am liebsten mit ihm gefahren, ich allerdings will um alles in der Welt hierbleiben - hallo, das ist superspannend, warum sollte ich ins langweilige Reykjavík zurückgehren wollen?!?

Welche Arbeit Helga und ich in den vergangenen Tagen gemacht haben (und in den kommenden noch tun werden), dürfte ich glaube ich relativ klar sein: wir sagten der Asche den Kampf an!


Am wichtigsten ist es erst einmal, die Wellblechdächer der Hütten von der schwarzen Schicht zu befreien, und das im Notfall wieder und wieder. Die Asche ist säurehaltig und greift Metall an: deshalb die Eile, das Zeug von den Dächern zu bekommen.

Nach dem ersten Arbeitstag: das Toilettenhaus sieht wieder fast so aus, wie es aussehen soll!

Obwohl, Eile ist zuviel gesagt: wir schaffen maximal etwa ein Gebäude am Tag, das Ganze ist viel mehr Arbeit, als angenommen. Wenn wir einen starken Wasserstrahl hätten, könnte man die 2cm dicke Ascheschicht einfach von den Dächern spülen - aber leider können wir nicht genügend Wasserdruck aufbauen und müssen das Zeug daher von den Dächern kehren. Durch den Regen klebt die Asche aber wie Lehm an allem fest, und die teilweise sehr steilen Dächer sind noch dazu sehr schwer zu begehen. Aber es hilft nichts: das Zeug muss runter, auch wenn wir vermutlich wieder von Vorne anfangen können, wenn wir es in ein paar Tagen geschafft haben sollten. Solange der Vulkan noch aktiv ist, ist dies einer der sinnlosesten Jobs, den ich je ausgeführt habe - aber auch einer der ungewöhnlichsten!

Ich muss ganz ehrlich zugeben dass ich nicht übel Lust habe, mich in dieser Aufmachung
mal auf einer Modenschau sehen zu lassen! Die Kombination aus viel zu großer Wathose,
extrem modischer Aschebrille und dem momentan unheimlich praktischen Cowboy-Wanderhut
ist so schräg, dass ich es mir gut auf einem Laufsteg vorstellen könnte! ;-)


Ja, und dies ist der Stand der Dinge: Helga schaufelt Dachrrinnen frei und spritzt die Asche von den Hauswänden, während ich im selbstgebastelten Klettergurt an irgendwelchen Knotenkombinationen und hoffentlich nicht reißenden Seilen über die Dächer rutsche und diese bekehre. Nun bin ich auch mal Dachfeger gewesen - auch wieder so eine Tätigkeit von der ich bis vor einer Woche noch gar nicht wusste, dass es sie gibt!


Zum Glück scheint sich der Ausbruch heute wieder in eine Lava-Eruption verwandelt zu haben: die Aschewolke ist seit heute Nachmittag wieder sehr schmal und fast weiß. Damit haben wir zumindest in der kommenden Woche wieder Ruhe und müssen nicht mit mehr Ascheregen rechnen - vorerst zumindest nicht. Allerdings wird es sicherlich lustig werden, wenn die Asche trocknet und vom Wind durch die Luft getragen wird. Die feinste Asche liegt bei Trockenheit wie Zement in der Luft, kratzt in den Lungen und brennt in den Augen - gesund kann das nicht sein! Aber ändern können wir es auch nicht, und noch finde ich das ganze ziemlich spannend! Langweilig ist mir nicht, soviel steht fest!


So, und damit habe ich alles gesagt, was es zu berichten gibt. Internet habe ich in Langidalur übrigens keines: um diesen Blogeintrag online stellen zu können bin ich nach Húsadalur gewandert, das eine halbe Stunde Fußweg auf der anderen Seite des Berges liegt. Binni und Ragnheiður hat es noch schlimmer erwischt, als uns: sie haben viel mehr Häuser zu putzen. Zum Glück haben sie jetzt ein Team von Freiwilligen hier, das ihnen bei den Aufräumarbeiten hilft. Freiwillige werden übrigens momentan im ganzen Vulkangebiet gesucht: Also wenn einer von euch zu viel Zeit hat und aschegeplagten Isländern beim Dächerputzen helfen will, so werdet ihr hier mit offenen Armen empfangen! Solange dieser Vulkan aktiv bleibt, werden in den Niederschlagsgebieten jeden Tag Freiwillige gesucht, um Dächer zu putzen, Dachrinnen freizuräumen und Aschematsche wegzuschaufeln!

Die Lichtstimmungen in bzw. unter der Aschewolke sind
besonders zu Sonnenuntergang ziemlich unglaublich!

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