Montag, 31. Oktober 2016

Massentourimus in Island - Reaktion

Hallo zusammen,

ich muss ehrlich zugeben, dass ich überrascht bin über die Aufmerksamkeit, die mein letzter Blogeintrag erhalten hat. Sowohl hier als auch auf Facebook und in privaten Mails erreichten mich Dutzende von Kommentaren - auf die ich leider nicht einzeln eingehen kann, dazu fehlt mir momentan die Zeit. Daher möchte ich an dieser Stelle eine Email mit euch teilen, für den Blog leicht umgeändert, die meine Antwort auf eine Reaktion aus Island war.
 
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Danke für deine ehrlichen Worte, die ich gut nachvollziehen kann. Ich bin mir sehr bewusst, dass mein Artikel nicht “politisch korrekt” ist und ich deshalb sicherlich vielen Leuten auf die Füße trete: inklusive dir. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich wahrscheinlich eine ganz andere Tonart angeschlagen hätte, hätte ich geahnt, dass dieser Blogeintrag auf ein solches Interesse stoßen würde. So aber habe ich meiner Wut Luft gemacht, spontan und emotional. Und ja, ich verallgemeinere, rede von "den Touristen" und "den Isländern". Mir ist selbstverständlich bewusst, dass nicht alle in einen Topf zu schmeißen sind: das ist doch völlig klar. Aber es gibt eine Mehrheit, die Außenwirkung erzielt: und die spreche ich hier an.

Ich kenne Island seit über 15 Jahren, spreche die Sprache, habe gute Freunde dort und von der ersten Minute versucht, zu verstehen, worin die Unterschiede der isländischen und deutschen Mentalität begründet sein mögen. Wir könnten hier jetzt zu philosophieren beginnen, es wäre sicherlich interessant, sich darüber auszutauschen: es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Islands Natur von vielen Isländern wenig geschätzt und noch weniger geschützt wird. Ja, Island wird gerade vom Tourismus überrannt, und die 330.000 Einwohner sehen sich einer Lawine gegenüber, der sie kaum etwas entgegensetzen können. Aber es wäre nicht so, dass diese Lawine sich nicht angekündigt hätte! Ich habe 2007 auf Hólar Tourismus studiert, und die Zahlen waren da klipp und klar: bis zu 5 Millionen Touristen erwartete man im Jahr 2020. Das entspricht ziemlich genau der Realität. Es wurde aggressivstes Marketing für Island getrieben: Icelandair an vorderster Front, dazu die vom Staat geförderte Kampagne "Inspired by Iceland", und in den letzten Jahren Touren durch die großen Städte Chinas, um die Insel bekannt zu machen. Sicher, die Allgemeinheit wusste davon nicht viel, machte sich aber auch keine Gedanken.

"Þetta reddast", die isländische Version von "Hakuna matata", ist eine Philosophie, die im normalen isländischen Leben wunderbar ist. Der tiefe Glaube daran, dass alles schon irgendwie gut werden wird, bringt Gelassenheit und entspannt so einiges im normalen Alltag - aber nicht in großen Zusammenhängen. Was die momentane Situation angeht, hat die Politik völlig versagt, und mit ihr die Allgemeinheit, die ja die Politiker wählt und mit ihrem Konsum den Markt und die Entwicklung mitsteuert. Auch auf die Gefahr hin, wieder besserwisserisch zu klingen: Ich habe die Entwicklung seit Jahren vorausgesagt, habe versucht, Augen zu öffnen, aber ohne Erfolg. Ich habe festgestellt, dass in Island sehr, sehr gerne diskutiert wird, aber man extrem zögert, Veränderungen anzugehen. Besonders in einem Land und einer Zeit, in der Geld von vielen als das oberste Gut angesehen wird. Und so wurde immer nur auf die Verantwortung der Politik verwiesen, die dann aber mit scheinbar wichtigeren Sachen beschäftigt war. Und jetzt ist es zu spät, ganz nach Goethes Zauberlehrling:
"Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los."

Auch wenn "die Isländer" im globalen Vergleich sicherlich nicht alleine stehen und es ähnliche Fehlentscheidungen und drastische Entwicklungen auch andernorts gibt oder gab, so kann ich sie garantiert nicht loben, was das angeht. Es ist einfach zu viel falsch gelaufen, und tut es noch. Island gehört den Isländern, ja: aber nicht nur den Isländern dieser Generation, sondern auch denen, die in Zukunft dort geboren werden. Und auch den Neuisländern, zu denen auch ich mich zählen könnte.
Ich frage ganz unverhohlen: was gibt dieser jetzt lebenden Generation das Recht, die einzigartige Natur zu zerstören? Denn das geschieht gerade, aktiv durch Industrie und Infrastruktur, und indirekt durch den Tourismus, der ganz bewusst in diese Bahnen gelenkt wurde. Da auf die "Þetta reddast"-Lebenseinstellung zu verweisen und zu sagen „Reg dich nicht auf, der nächste Vulkanausbruch richtet das schon“ ist meiner Meinung nach nichts anderes als das Abgeben der eigenen Verantwortung.

Für mich sind klare Worte und Kritik ein Weg, um einige Leute dazu zu bringen, zu reagieren, zu diskutieren und vielleicht sogar zu handeln. Dass es funktioniert, zeigt unser Emailaustausch und die vielen Kommentare, die mein Beitrag erhielt. Dafür lasse ich mich gerne von einigen als "unhöflich" und "besserwisserisch" bezeichnen, denn: nichts ist schlimmer, als ein stummer Beobachter zu sein und Dinge einfach geschehen zu lassen. "Wir Deutschen" lernten dies spätestens im zweiten Weltkrieg: vielleicht ist das ein Grund, weshalb "wir" so kritikfreudig sind. Jegliche Diskussion ist gut, denn die geht jedem Handeln voraus. Denn wie der französische Dramatiker Moliere einmal sagte:
"Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun."

Viele Grüße,
Kerstin

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5 Kommentare:

  1. -- in mehreren Teilen --
    1

    Ich finde es schade, dass Du nicht korrekt recherchiert hast. Viele Dinge, die Du in Deinem Artikel schreibst, sind richtig, andere hingegen soweit an der Realität vorbei, dass mir das Herz blutet. Ich lebe seit Jahren in diesem mittlerweile vom Massentourismus gebeutelten Land, und ich kann Dir sagen, dass vor allen Dingen Dein Eindruck von Land und Leuten (nicht Touristen!) absolut unwahr ist. Dieses "sich zu fein sein" ist zB Blödsinn; ein Blick über den Tellerrand von Reykjavík hinaus, ein Gespräch mit Menschen außerhalb der hippen Modestadt, hätte Dich schnell eines besseren belehrt. Ein Gespräch mit einem Tierarzt, der gleichzeitig in seinem Gästehaus die Toiletten putzt und in der Schule halbtags unterrichtet, ein Gespräch mit dem Bauern, der gleichzeitig als Schlachthaushelfer tätig ist, um seine Familie zu ernähren, und als Hausmeister in einem Hotel arbeitet, ein Gespräch mit einer Mutter, die halbtags abwechselnd hinter der Supermarktkasse sitzt und am Campingplatz die Cottages reinigt, hätte Dir gezeigt, dass kein Isländer sich für irgendwas "zu schade" oder "zu fein" ist. In Island wird gearbeitet - hart. Nur einen Job? Gibt's nicht. Es zählt der Mensch, nicht was er tut oder was er gelernt hat.

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  2. 2

    Warum gibt's dann so viele Ausländer, die in der Touristenbranche arbeiten? Weil nur knapp 200.000 der Isländer im erwerbsfähigen Alter sind (15-64). Und genauso viele Arbeitskräfte braucht es im wachsenden Tourismus. Wie sollen die Stellen gedeckt werden, frage ich Dich, wenn nicht durch "Arbeitskraftimport"? Sollen alle Lehrer, Müllmänner, Verwaltungskräfte, Supermarktangestellte, Straßenkehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Bäcker, Schlachter, Landarbeiter ihre Jobs hinschmeißen und stattdessen Guide und Hotelier werden?

    A propos "Hotels": Es gibt bereits seit vielen Monaten ein Gesetz zur Vermietung durch AirBNB. Nicht nur in Reykjavik. Auch hier, wie in den oben genannten Punkten hätte sich eine Recherche gelohnt. Im Zuge dessen wäre vielleicht auch erwähnenswert gewesen, dass zB Gemeinden wie Vík seit Sommer keine neuen Genehmigungen für weitere Gästehäuser vergeben. Ebenso zB Kirkjubærklaustur. Und das Höfn Zonen in der Stadt eingerichtet hat, in denen keine Gästehäuser mehr betrieben werden dürfen. All das zum Schutz der Bürger und um Wohnraum, langfristigen Wohnraum, zu sichern.

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  3. 3

    Zum Thema Preise: Beobachte einmal den Wert der Krone über die vergangenen Monate gegenüber dem Euro. Fällt Dir etwas auf? Richtig, die Krone erstarkt massiv gegenüber dem Euro. War vor noch nicht allzu langer Zeit 1 Euro fast 150 Kronen wert, so bekommt man heute für ihn nur noch knapp 120. Könnte das nicht ein Grund sein, warum Dir hier plötzlich alles viel teurer vorkommt?

    Stichwort "teurer" und damit "Eintrittsgelder". Ein bisschen muss ich da ausholen. Zur allgemeinen Info: Abgesehen von den Nationalparks und dem asphaltierten Straßennetz ist in Island alles Land in Privatbesitz. Auch solche Dinge wie die Gletscherlagune Jökulsárlón und der Seljalandsfoss, nicht nur alles (auch das uneingezäunte) Land links und rechts der Straßen und die Parkplätze entlang der Ringstraße. Um beim Beispiel Stokksnes zu bleiben: Auch das ist Privatbesitz. Dh weder die Gemeinde noch der Staat zahlen das Anlegen oder den Erhalt der Straße dorthin (ist ja quasi eine Einfahrt), zahlen für die Müllentsorgung, zahlen für das Aufstellen und Reinigen von Toiletten (oder dem Wegräumen der Kacke und des Klopapiers hinter jeder Ecke). Das alles zahlt allein der Landeigentümer. Solange nun die Straße nach Stokksnes nur vom Landeigentümer, dessen Besuchern und Co genutzt wurde, reichte es, sie alle drei, vier Jahre auszubessern. Inzwischen hat sich der Reparaturrhythmus auf 6 Monate verkürzt. Bei rund 200 Autos pro Tag im Sommer geht aber nicht nur die Straße kaputt, nein, es fällt auch eine unfassbar große Menge Müll an. Und Du meinst tatsächlich, es wäre nun Aufgabe des Landeigentümers, ganz uneigennützig für all das aus eigener Tasche aufzukommen? Ist es nicht nur fair, dass Menschen, die sein land Betreten und Befahren - und leider auch beschmutzen, einen kleinen Obolus dafür zahlen, dass hinter ihnen aufgeräumt und für sie Infrastruktur (Toiletten, Straßen, Internet) geschaffen wird?

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    In Island ist nahezu jede Attraktion gratis für jeden zugänglich; in anderen Ländern muss man für das Betreten von Naturparks und Co Tickets kaufen. Warum ist es zB in den USA fair und niemand beschwert sich, in Island aber darf man das nicht?

    Was ist denn dein Model zur Kostendeckung?

    Wir besitzen selbst einen Parkplatz an der Ringstraße. Kannst Du Dir vorstellen, dass wir dort im Sommer jeden Tag mindestens einen großen schwarzen Müllsack voll Dreck einsammeln? Klopapier, Babywindeln, natürlich benutzt, Plastiktüten, Verpackungsmaterial, Dosen, Flaschen, etc. Weißt Du, welch' Arbeitsaufwand (und WUT!) das ist? Weißt Du, was die Müllentsorgung in Island kostet? Weißt Du, dass wir als PRIVATPERSONEN und LANDBESITZER das bezahlen müssen und es nicht eine Krone vom Staat oder Gemeinde als Zuschuss gibt? Ist das fair? Würdest Du das wollen: Täglich 200 Leute in Deinem Garten, die dort Picknicken, mit dem Auto über den Rasen fahren, hinter die Büsche kacken, und dann wieder fahren und Du bleibst Tag für Tag auf all dem Chaos sitzen?

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    Ich mag in Deinem Artikel, dass Du kritisch das Massenaufkommen hinterfragst. Ich mag, dass Du aufgreifst, dass es natürlich die "noch mehr, noch mehr!"-Isländer gibt, die die Nase nicht voll kriegen können. Ich mag, dass Du Dich über Idioten ärgerst, die bei ihrem Islandbesuch denken "nach mir die Flut" und ihre Spuren in Form von Offroad-Fahren und Co hinterlassen.

    Was ich nicht mag, ganz und gar nicht, ist oben klar geworden. Dass Du vergisst, zu recherchieren und herauszufinden, was wirklich passiert. Zum Beispiel auch zum Thema Jedermannsrecht, das bereits im November 2015 stark beschnitten wurde (weitere Infos auf UST.is; nur kurz soweit: Wildcampen ist nicht mehr, außer man ist zu Fuß oder mit dem Rad plus Zelt unterwegs; ist man motorisiert muss man auf den Campingplatz und das Überqueren von eingezäunten Flächen, dient dieses nicht dem unbedingten Weiterkommen auf dem Weg sondern ist nur so "zum Gucken", ist untersagt).

    Tip für's nächste Mal: Rede mal mit den Leuten, lies erst Anfang Oktober veröffentlichte Umfragen zum Thema wie die Isländer den Tourismus sehen, und blick' über den Tellerrand hinaus und hinterfrage solche Dinge, warum zB ein Landbesitzer jetzt 4 € Eintritt verlangt - und was man aber auch dafür geboten bekommt.

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