Samstag, 17. September 2016

Svalbard: Sommer, Sonne, Plastikmüll

Auf Svalbard war der vergangene Sommer geprägt von viel gutem und warmem Wetter: wunderbar für uns Menschen, aber herausfordernd für einige Tiere. Polarfüchse und Eisbären sind ja (wie übrigens die meisten Tiere) nicht in der Lage, zu schwitzen: dies können sie nur an den Pfoten, also bloß einem winzigen Teil der Körperoberfläche. Den Eisbären hat man das angemerkt: an warmen Tagen waren sie eher faul und suchten sich schneebedeckte Untergründe zum Schlafen. Und die Polarfüchse liefen hechelnd durch die Gegend - manchmal hatte ich das Gefühl, die Zunge würde bald den Erdboden berühren...


Für mich sind so herrlich-warme Tage hier oben immer mit einem bitteren Beigeschmack versehen. Svalbard ist einer der nördlichsten Orte der Welt: hier herrschen traditionell Wind und Bewölkung vor. Die Durchschnittstemperatur im wärmsten Monat Juli beträgt laut Statistik 5,9°C. Im Juli 2016 betrug die Durchschnittstemperatur 9°C - also mal eben 3,1° höher als "normal". Und das spürten wir natürlich! Tag für Tag Sonnenschein und angenehme Temperaturen von teilweise über 15°C zu erleben, war Klimawandel par excellence. Dass 2016 das wärmste Jahr seit Beginn der menschlichen Messungen sein wird, wundert mich daher leider nicht. Es ist erschreckend und absolut furchteinflößend, weil ich einfach nicht absehen kann, wohin das alles führen wird.
                       


Wie schon im vergangenen Sommer, so bewirkten die hohen Temperaturen häufige Nebelbildung: wenn warme Luftmassen auf (Gletscher-)Eis treffen, kondensiert die Feuchtigkeit logischerweise als bodennahe Wolkenschicht. Das ist jetzt nicht so wirklich toll, wenn man etwas an Land unternehmen möchte: denn da tummeln sich ja bekanntlich auch die Eisbären, die wir tunlichst schon aus weiter Ferne erkennen möchten! Nebel kann einen also dazu zwingen, aus Sicherheitsgründen an Bord zu bleiben - was ich jetzt aber gar nicht als so negativ empfinde. Denn meistens ergeben sich dann spektakuläre Anblicke: Nebel kann wunderschön sein!

Neun Touren habe ich diesen Sommer begleiten dürfen, als Guide und Fotograf, auf meist kleinen Schiffen. Und wie in bisher jedem Sommer, so musste ich erleben, wie eigentlich alle meine Gäste ziemlich geschockt waren über den Zustand der Küsten hier oben. Wenn man an die hohe Arktis denkt, da kommen einem fantastische Landschaften in den Sinn, Gletscher und Eisberge, sowie die berühmten arktischen Tiere. An eines denkt man aber garantiert nicht: an Müll.
Genauer gesagt: an Plastik-Müll.



Leider ist dies bittere Realität. Tonnen von Plastik in jedweder Form und Konsistenz werden Jahr für Jahr an die Strände Spitzbergens geschwemmt: hergebracht über den Golfstrom und ebenso von der anderen Seite, aus der Barentssee, von Russland und Sibirien.

Und so liegen dort Fischernetze, Plastiktüten in allen Farben und Größen, Verpackungen aus der Fischerei, Gummi-Handschuhe, PET-Flaschen, Plastik-Bojen, Schuhe, Zahnbürsten, Benzin- und Ölkanister, Feuerzeuge, Schraubverschlüsse von Flaschen - die Liste kann endlos weitergeführt werden.


Die Strände sehen teilweise aus, als würde man am Rande einer Mülldeponie stehen: es ist absolut erschreckend. Man wähnt sich im falschen Film! Ich meine: wer stellt sich denn SO die Arktis vor?

Wir sind hier weit entfernt von jeglicher Zivilisation: der Nordpol ist näher, als das europäische Festland, es gibt hier Eisbären, Polarfüchse und unberührte Landschaften. Wer hätte geglaubt, dass unser Zivilisationsmüll selbst diese abgelegenen Ecken der Welt erreicht hat, und dann auch noch in dieser Menge?
Man will es nicht glauben, kann es nicht glauben - und ist einfach nur schockiert.
Denn dies ist nichts anderes als (mal wieder) ein Armutszeugnis der menschlichen Zivilisation.



Wie viele Fotos habe ich nicht schon gemacht, von Eisbären, die an Müll vorbeilaufen?
Bilder wie diese sind unverkäuflich: wer will schon Wildtiere neben Fischernetzen oder Plastikkanistern sehen? Wer will schon genauer hinschauen und die Skelette der Vögel erkennen, die in den meist absichtlich im Meer entsorgten Fischernetzen qualvoll ertrunken sind? 

Und wer begreift schon, dass in den Bündeln aus Verpackungs-Schnüren und Klumpen von Netzen am Strand nicht einfach irgendwelche Geweihe stecken, sondern dass daran noch Schädel befestigt sind? Die Geschichte ist zu verrückt, um wahr zu sein: Rentiere suchen sich aktiv menschlichen Müll aus, um sich daran zu kratzen. Wenn nämlich ihre Geweihe ausgewachsen sind, verlieren sie die darauf wachsende Haut, den sogenannten Bast - und das scheint elendig zu jucken. In Ermangelung von Bäumen und Sträuchern reiben die Spitzbergen-Rentiere ihr Geweih deshalb mit Vorliebe an Netzen am Strand - in denen sie sich dann hoffnungslos verheddern, verfangen - und verdursten.

Ironischerweise scheint ein verfangenes Rentier andere anzulocken (ganz nach dem Motto: wenn der da so viel Zeit verbringt, muss es was Gutes sein!) - mit dem Ergebnis, dass meist gleich mehrere Rentiere in ein und demselben Netz verenden. Ihre ausgebleichten Knochen sind noch Jahre später im Netz zu finden: wie oft ich das nun schon gesehen habe, weiß ich selber gar nicht.

Weil das Müllproblem auf Svalbard Jahr für Jahr größer wird, hat die Tourismusbranche hier als Erste Initiative ergriffen. Viele Schiffe holen aktiv Müll an Bord, vor allem die an den Stränden befindlichen Netze. Meist bedarf es nicht viel, um unsere Gäste zum Sammeln von Müll zu motivieren: es ist eine Kleinigkeit, die wir ohne großen Aufwand tun können. Und so werden hier jeden Sommer auf die Weise Tonnen von Müll eingesammelt und nach Longyearbyen gebracht. 


Das obrige Bild zeigt den Müll, den Guides und Gäste eines mittelgroßen Schiffes auf einer einzigen Reise gesammelt haben. Klar: selbst bei 15 Schiffen, die jedes Jahr 3-13 Reisen um Svalbard unternehmen, kommt da nur ein Bruchteil dessen zusammen, was jedes Jahr neu hier oben an den Stränden angeschwemmt wird. Dennoch ist dies ein Riesenerfolg: denn viele Strände sehen viel besser aus, seit die ständigen Säuberungsaktionen begonnen haben. Es ist ein Beispiel dafür, dass Tourismus und wir Menschen nicht nur für negative Dinge zu verantworten sind: sondern dass es auch Grund zur Hoffnung gibt. 

Vor ein paar Jahren noch wurde Plastik von den wenigsten Leuten als Gefahr wahrgenommen: dies hat sich grundlegend geändert. Plastik ist nun in aller Munde (leider ist das auch wörtlich zu nehmen, wenn es um Mikroplastik geht...): wir haben begriffen, dass wir uns ein Problem geschaffen haben und dies ändern müssen. Und wir handeln: überall gibt es nun Projekte, die sich mit Plastik als Bedrohung beschäftigen. Der "Feind" wird an allen Fronten bekämpft: und sei es auf so subtile Weise, wie einfach nur ein paar Meter Strand zu säubern. 

Ich kann euch an dieser Stelle nur dazu auffordern, einmal über euren eigenen Plastikkonsum nachzudenken, und wie ihr ihn (weiter) verringern könnt. Veränderung, die beginnt wie immer im Kleinen bei uns Zuhause. Und wir können viel tun, damit solche Bilder in Zukunft wieder der Vergangenheit angehören!

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