Samstag, 5. Dezember 2009

Von Pulverschnee und Bruchlandungen

Vor einer knappen Woche begann es endlich zu schneien. Anderthalb Tage lang rieselte feinster Pulverschnee vom Himmel und verwandelte die Welt in ein Wintermärchen! Innerhalb weniger Stunden klarte der Himmel auf und fielen die Temperaturen von knapp unter dem Gefrierpunkt auf -17°C. Die Hunde drehten völlig durch: bellten ohne Unterbrechung, wollten los von ihren Ketten, drängten sich mir regelrecht auf, um ja als erstes ihr Geschirr angelegt zu bekommen. Leider reichten die 20cm Schnee nicht aus, um Schlitten zu fahren und musste das Quad noch einmal herhalten: das war allerdings sowohl den Hunden als auch mir egal. Wir wollten nur raus in den Schnee!

Unter dem ohrenbetäubenden Gebell der zurückbleibenden Hunde rasten die 14 Huskys mit mir durch die weiße Welt, die langsam immer heller wurde. Der Vollmond stand hoch am Himmel, der Südhorizont schimmerte rosafarben, der Himmel über mir war sattblau. Der Schnee brachte Helligkeit in das Dämmerlicht der Polarnacht, und vor allem aber ließ er mein Fotografenherz höher schlagen. Die feinen, kleinen Schneekristalle waren überall liegen geblieben: auch und vor allem auf den Zweigen der Bäume, die aussahen, als seien sie wattiert. Im hellen Licht des Vollmondes glitzerte alles wie mit Diamanten überzogen: so etwas unglaublich Schönes habe ich lange nicht mehr gesehen!



Am nächsten Tag beim Mittagessen erwähnte Arne, dass sich Ben und Jon bei ihm gemeldet hätten. Ben (und seine Freundin Kati, Deutsche) sowie Jon (und seine Frau Pam, Engländer) sind ehemalige Handler von Arne und Marianne, die sich im Tal niedergelassen haben und nun ihre eigenen je 10 Huskys trainieren. Sie hatten in Erfahrung gebracht, dass östlich von Alta genug Schnee gefallen war, um Schlitten zu fahren. Nach kurzer Diskussion beschlossen meine Chefs, dass Arne und ich uns Ben und Jon anschließen würden, um am nächsten Tag (dem ersten Dezember) um 6 Uhr früh gen Norden zu fahren.
Der Abend stand ganz im Schatten der Vorbereitungen für den nächsten Tag. Hundefutter musste eingeteilt und eingepackt werden, die Schlitten für den ersten Gebrauch der Saison vorbereitet und aufs Autodach gepackt werden. Ein paar Stunden Schlaf, dann klingelte der Wecker: vor der Abfahrt mussten die Hunde getränkt und versorgt, die letzten wichtigen Dinge verstaut und schließlich die Huskys in den Transportwagen verfrachtet werden. Dies ist ein umgebauter Pickup, der auf der Ladefläche 12 Hundetransportboxen besitzt, in die jeweils zwei Hunde hinein passen. Die ausgewählten 24 Hunde waren schnell im Auto untergebracht: dann ging es los.

Nach eineinhalb Stunden Fahrt wir in Gargia angekommen. Arne, der von Natur aus ein sehr wortkarger Mensch ist, nahm mich kurz beiseite und zeigte mir den Schlitten. Auf den zwei nach hinten hinaus verlängerten Kufen steht man, hält sich mit beiden Händen an dem Bügelgriff des Schlittenrahmens fest und hat zwei Möglichkeiten, um zu bremsen. Zum einen gibt es eine Metallbremse, die zwischen den Kufen liegt und die man mit einem Tritt in den Schnee rammt, sodass sich zwei metallene Haken in den Boden bohren und die Fahrt bremsen. Zum anderen kann man eine an zwei Seilen befestigte Gummimatte zwischen den Kufen einfach mitschleifen lassen und sich darauf stellen: auch damit verlangsamt man die Fahrt. Das erklärte mir Arne in zwei kurzen Sätzen, und sagte dann noch: "Nie den Schlitten loslassen. Und wenn wir gleich starten, bremse, was das Zeug hält."
Das ist Arne, wie er leibt und lebt. Er sagt nur das wichtigste. Und das ist dann aber meistens auch wirklich wichtig!

Wir schirrten die Hunde vor die Schlitten. Arne nahm seine 14 besten Huskys, ich bekam den Rest. Wenn die Tiere vor den Schlitten gespannt werden, bleibt einem nicht viel Zeit: sobald sie eingeschirrt sind, beginnen sie, sich mit aller Macht in die Leinen zu werfen, zu bellen und zu jaulen. Arne sah sich kurz zu mir um, sah, dass meine zehn Hunde alle angeschirrt waren und ich auf dem Schlitten stand. Dann löste er das Seil, das den Schlitten an einen Laternenpfahl befestigt hatte, und schoss los. Auch ich gab meinen Schlitten frei - und kam mir vor als würde ich an einem Bungeeseil nach Vorne gerissen werden. Wenn zehn Huskys zum ersten Mal seit Monaten vor einem Schlitten gespannt sind und auch noch ein Gespann vor ihnen rennen haben, das sie unbedingt einholen wollen, dann galoppieren sie, als würde es um ihr Leben gehen. Nun verstand ich Arnes Ratschlag, zu bremsen!


Hundeschlitten zu fahren, ist mit nichts wirklich zu vergleichen, das ich bisher schon gemacht habe. Man steht auf einem irgendwie zerbrechlich wirkenden Holzschlitten, gezogen von zehn wild galoppierenden Hunden, welche partout nicht stoppen wollen. Bremsen kann man nur, wenn man genügend Schnee unter der Bremse hat: trifft diese auf Eis oder Stein, bewirkt sie nämlich gar nichts oder aber bringt einen zu Fall. Der Schlitten selber ist kaum steuerbar: die Hunde ziehen ihn, wohin sie gerade laufen, und in Kurven ist man komplett der Fliehkraft ausgesetzt. Man steht auf den beiden dünnen Kufen und hat eigentlich nur sein Körpergewicht, um den Schlitten im Gleichgewicht zu halten. Und das ist nicht unbedingt einfach für jemanden, der so etwas noch nie im Leben gemacht hat!

Beweisfoto meiner Debüt-Fahrt: die vermummte Silhouettengestalt auf dem Schlitten bin ich!

Sorgen um den Weg brauchte ich mir immerhin keine zu machen: Arne fuhr mir immer voran (weshalb er auch das obige Bild machen konnte), und meine Hunde wollten nichts anderes, als dem Rest des Rudels zu folgen. Das Wetter war gut: auflockernde Bewölkung, nur ein paar Grad unter Null, gute Sicht. So konnte ich mich voll und ganz darauf konzentrieren, den Schlitten in der Senkrechte zu halten. Das war kein Problem wenn der Schnee glatt und eben war: dann ließ ich mich einfach nur von den Hunden ziehen und genoss die Fahrt, machte sogar ein paar erste Fotos. War der Untergrund dagegen nicht eben (leider die Regel), musste ich auf einem oder zwei Kufen balancieren, mich in Kurven der Fliehkraft entgegenstemmen oder den Schlitten herumreißen, um ihn vorm Kippen zu bewahren. All das lernte ich unterwegs - denn Arne hatte natürlich nichts gesagt. Ein paar Male verlor ich beinahe das Gleichgewicht und blieb irgendwie auf dem Schlitten drauf: bis Arne sich verfuhr. Er wählte einen falschen Abzweig und fuhr an einem eisigen Überhang oberhalb eines Flusses entlang. Er, einer des besten Musher Norwegens, hatte keine Probleme: aber ich gleich mehrere, die alle fast gleichzeitig geschahen. Im Nachhinein reime ich mir aber Folgendes zusammen.

Es begann damit, dass ich schwer auf der Bremsmatte stand, im Versuch, die schnelle Fahrt irgendwie zu verlangsamen. Leider verfing sich die Matte daraufhin in einem Stein. Der Aufprall riss den Schlitten zurück und zerbrach den Rahmen genau an der Stelle, wo die Bremsmatte mit dem Gestell verbunden war. Der Ruck brachte mich aus dem Gleichgewicht: ausgerechnet mitten in der Kurve, als ich mein Gewicht eigentlich zum Hang verlagern musste. Ich versuchte, mich am Schlitten festzuhalten, riss diesen daraufhin um und purzelte dann mitsamt des Schlittens einen Abhang zu einem zugefrorenen Fluss hinunter. Die Hunde zogen den auf der Seite liegenden Schlitten so lange mit, bis dieser sich in einem Drahtseil verfing, das aus einem mir nicht ersichtlichen Grunde irgendwo aus dem Eisschnee ragte. Ich kletterte in der Zeit den Hang wieder empor und versuchte dann, den auf der Seite liegenden Schlitten aufzurichten. Dabei stand ich auf der Seite des Abhangs: der falschen Seite, wie ich herausfand. Sobald die Hunde nämlich spüren, dass der Schlitten ihrem Ziehen nachgibt, rasen sie wieder los. Und von unten auf einen wegflitzenden Schlitten aufzuspringen, wenn dieser noch auf der Seite liegt, war mir bei alle Mühe nicht möglich.

Arne war stehen geblieben, konnte aber den Schneeanker nirgendwo setzen und daher seinen Schlitten nicht verlassen: hätte er das getan, wären ihm seine Hunde weggerannt. So aber konnte er immerhin meine Hunde stoppen, als sie ihn erreichten, woraufhin ich dann den Schlitten wieder aufrichten und den Schaden begutachten konnte. Die Bremsmatte knüpften wir provisorisch wieder fest, aber der Schlitten hatte durch den Bruch ein gutes Stück Stabilität eingebüßt.
Böse schien Arne jedenfalls nicht zu sein: schließlich war das alles nicht mein Fehler gewesen, sondern Schuld dieses blöden Steines, in dem meine Bremsmatte sich verfangen hatte.

Wir setzen den Weg dennoch unbeirrt fort: drei Stunden lang fuhren wir dem immer heller werdenden Südhorizont entgegen über die schneebedeckte, baumlose Hochebene der Finnmarksvidda. Dort machten wir eine lange Pause, fütterten die Hunde und fuhren danach wieder zurück. Während des Ausfluges sollten wir auf erstaunlich viele andere Hundegespanne treffen. Parallel mit uns beiden waren auch Ben und Jon mit jeweils 10 Hunden eingetroffen. Eine weitere Musherin namens Trine gesellte sich für zwei Stunden zu uns, sodass wir eine Zeitlang in einem Tross von fünf Gespannen unterwegs waren. Aus der Gegenrichtung kam uns ein guter Freund Arnes entgegen, der Lehrer an einer Folkehøgskole (einer dieser Spaß-Unis) war und mit sieben Schülern und insgesamt 50 Hunden durch die Gegend fuhr. Fünf andere, einzeln und in Paaren reisende Musher waren auch noch unterwegs: insgesamt zählte ich (inklusive Arne und mir) 18 Schlitten, die von 155 Hunden gezogen wurden. Und das zur Mittagszeit an einem Wochentag: als wir zu Feierabendzeit wieder zurückfuhren, kamen uns noch drei weitere Hundeautos (mit Schlitten aufm Dach) entgegen, die ihr Training noch vor sich hatten.
Diese Norweger...

Für mich war dieser Tag ein einziger Kampf ums Gleichgewicht. Mehrmals schlug es mich in Kurven aus der Bahn und verlor ich die Kufen unter den Füßen. Dann hieß es nur, sich mit aller Kraft am Schlitten festzuhalten (hinter dem man dann Comicreif herschleift), und dann irgendwie wieder mit den Füßen auf den Schlitten zu kommen. Wenn man dabei nicht auch noch den Schlitten umwirft, klappt das auch...

Die anderen, so erfuhr ich hinterher, grinsten sich ob meiner Bruchlandungen ihren Teil. Die erste Schlittenfahrt sähe selten anders aus, wurde mir gesagt, ganz besonders, wenn man direkt zehn Hunde vorm Schlitten hat. Jon und Ben behaupteten, niemanden zu kennen, der mit zehn Hunden debütiert hätte. Normal seien fünf oder sechs - jedenfalls nicht zehn.
Was auch immer Arne sich dabei dachte, als er mir zehn Hunde gab: ich find's lustig und freue mich einfach nur darüber, endlich einmal auf einem Hundeschlitten gestanden zu haben!

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