Donnerstag, 10. Dezember 2009

Nacht auf der Vidda

Vorgestern erfuhr ich, dass Ben und Jon mit ihren Hunden für eine Nacht hinauf in die Berge fahren wollten, um das momentan sehr gute Wetter auszunutzen. Als ich das hörte, gab es für mich kein Zweifeln: da wollte ich mit! Nach einigem Hin und Her wurde der geplante Männerabend dann zum ersten offiziellen Ausflug des spontan gegründeten Langfjordbotn'er Fotoklubs umfunktioniert.

So verabredeten wir uns am Dienstag (den 08.Dezember) für fünf Uhr Nachmittags und verbrachte ich den Vormittag mit dem Packen aller Utensilien. Es ist erstaunlich, wie viel Zeug man mit sich herumschleppt, wenn man mit acht Huskies bei -10°C zelten gehen will! Als ich endlich alles im Schlitten untergebracht hatte, war dieser randvoll beladen und erschreckend schwer. Mit etwas Verspätung zogen wir dann in die pechschwarze Nacht los: Jon mit zwölf Hunden, Ben mit zehn und ich mit acht.

Es war mein sechster Ausflug auf dem Hundeschlitten. Am Tag meiner ersten, ereignisreichen Fahrt bei Alta hatte es hier im Tal gerade so viel geschneit, dass wir seitdem mit Ach und Krach Schlitten fahren können. Aus der ca. 30cm tiefen Schneedecke ragen noch viele Steine und Baumstümpfe, was weder für den Schlitten noch für uns wirklich gut ist, aber da keiner von uns länger Quad fahren will, wird das in Kauf genommen. Schlittenfahren macht aber auch einen Heidenspaß! Schön ist vor allem, dass es von Tag zu Tag besser klappt. Balance, Lenken, das Koordinieren von Gewicht und Bremsen bei den Abfahrten - alles wird flüssiger, ich fahre von Mal zu Mal sicherer und schneller. Deshalb machte ich mir auch gar keine Gedanken darüber, mit acht Hunden und einem voll beladenen Schlitten im Dunkeln eine technisch recht anspruchsvolle Tour zu wagen. Ich wollte einfach nur raus aus dem Tal und fotografieren!

Wir fuhren etwa vier Stunden lang durch die Nacht: erst das Tal hinauf, durch den Wald über die Baumgrenze hinaus bis aufs ca. 500m hohe Hochplateau. Dort oben befindet sich eine hügelige Landschaft kleiner Berge und eine Menge zugefrorener Seen, über die es sich prima fahren lässt. Am Rande eines dieser Seen übernachteten wir: die Hunde draußen, wir Menschen in Bens großem Tunnelzelt.

Nachdem die Hunde alle versorgt worden waren und auch wir zu Abend gegessen hatten, zog ich los, um Nordlichter zu fotografieren. Jon und Ben waren irritiert, meinten, die paar grünen Streifen am Nachthimmel wären viel zu unspektakulär um davon Fotos zu machen. Aber es schien sie dann doch zu wurmen, dass ich losgezogen war, denn nach einer Viertelstunde gesellten sie sich zu mir auf den kleinen Hügel hinter unserem Lager und holten sich Tipps zur Nordlichtfotografie. Den beiden war nicht klar gewesen, wie intensiv selbst das schwächste Nordlicht von Digitalkameras abgebildet wird, und sie waren schließlich genauso zufrieden wie ich mit den Resultaten.

Ben überraschte mich dann mit einem Bild: er stand genau hinter mir, als die Nordlichter am stärksten waren, und baute mich mit ins Bild ein. Tolle Idee, tolles Foto!


Die Nacht im Zelt war kurz und kalt: Trotz eines Rentierfells als Unterlage und zwei warmen Schlafsäcken weckte mich die Kälte, kurz bevor Jons Handy klingelte. Ich war dann auch die Erste, die den Schlafsack gegen den Schneeanzug eintauschte und hinaus in den Frost trat. Und da sah ich etwas ziemlich komisches: blaues Polarlicht!

Am Osthorizont stand ein konturloses, aber deutlich erkennenbares, türkisfarbenes Licht. Ich stand Kopf und steckte mit meiner Begeisterung auch Jon und Ben an: denn ich hatte keine Ahnung, was ich da sah! Polarlicht konnte es nicht sein, da es viel zu hell, zu seltsam gefärbt und vor allem viel zu unbeweglich war. Diese blaue Wolke stand sage und schreibe 40 Minuten am Himmel - fast unverändert in ihrer Form.

Erst als ich wieder zurück auf Parken Gård war und im Internet recherchieren konnte, erfuhr ich, dass ich eine Viertelstunde zu spät aufgestanden war. Dann nämlich hätte ich ein rotierendes Licht gesehen, dass eine blaue Wolke ausstieß und dann eine riesige Spirale an den Himmel zeichnete. Es handelte sich um den fehlgeschlagenen Teststart einer Langstreckenrakete namens Bulava. Diese war von einem russischen Atom-U-Boot in den Himmel geschossen worden und wäre wohl von niemanden bemerkt worden, hätte sie nicht außerplanmäßig ihre Tankladung in die Atmosphäre gepustet, während sie von ihren kaputten Triebwerken in einer großen Spirale nach oben geleitet wurde. Das Spiral-Spektakel habe ich leider verpasst, aber das in der Luft verteilte Benzin (bzw. mit was auch immer eine Rakete angetrieben wird) leuchtete in den ersten Sonnenstrahlen türkis. Es war so hoch in der Atmosphäre, dass ganz Nordskandinavien es sah - ihr könnt euch wohl denken, dass dieser (von den Russen erst dementierte) fehlgeschlagene Raketentest das Hauptgesprächsthema war und von den Medien als UFO und neue Nordlichtvariante deklariert wurde!

Spektakuläre Bilder gibt es hier zu sehen: Lysfenomen over Nord-Norge

Um zehn Uhr hatten wir die Hunde und uns selber gefüttert, unser Lager abgebrochen und alles wieder in den Schlitten verstaut. Wir fuhren noch ein paar Kilometer weiter gen Süden, bevor wir umdrehten und uns auf den Weg zurück ins Tal machten.

In der Weite der Finnmarksvidda schien die Polarnacht gar nicht mehr dunkel zu sein! Der Schnee hellte alles auf, der Mond ersetzte die Sonne. Da es keine hohen Berge gab, die den hellen Südhorizont verdeckten, schien der Tag doppelt so lang zu sein, wie unten in Langfjordbotn. Kaiserwetter und die irrsinnig schönen blau-violetten Farbstimmungen des indirekten Sonnenlichtes machten die Rückfahrt zu einem Traum, an dem ich euch wenigstens anhand einiger Bilder teilhaben lassen möchte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen