Kurz vor Weihnachten haben wir alle Hunde ins 100km entfernte Soulovuopmi gefahren. Die meisten Ortsnamen hier oben sind samisch, also die Sprache der sogenannten Ureinwohner, welche zu den uralischen Sprachen gehört und mit dem Finnischen und Ungarischen verwandt ist. Die Sami als "Ureinwohner" zu bezeichnen ist in meinen Augen aber totaler Unsinn, da sie vermutlich bloß 500 Jahre früher als die Wikinger in Norwegen ankamen. Die heute immer noch spürbare Rivalität von europäischen und uralisch-stämmigen Menschen (sprich: Norweger und Sami) halte ich daher für typisch engstirnig menschlich: beide Völker sind nun unwiderruflich in Norwegen und sollten endlich einmal Frieden schließen! Aber es wäre ja mal etwas ganz neues, wenn Menschen konfliktfrei mit ihresgleichen, geschweige denn mit ihrer Umwelt leben könnten!
Na ja, auf jeden Fall sind wir dort in Suolovuopmi 48 Stunden lang im Schichtdienst Hunde gefahren: alle 6 Stunden brachen wir zu 5-7 Stunden langen Trainingstouren auf. Insgesamt 240km fuhren wir in den zwei Tagen und zwei Nächten, die wir so gut wie ohne Schlaf auf der Vidda verbrachten. Wir trafen uns mit Harald Tunheim, einem Freund und Musherkollegen von Arne, der Lehrer an einer Folkehøgskole ist und neun Schüler mit im Gepäck hatte. Alle zusammen stellten wir ein Rennen nach: vor allem für die Junghunde war dies eine Herausforderung.
Das interessante Training wurde von einem sehr seltsamen Ereignis überschattet. An einem Weg, der täglich von 15-20 Hundegespannen frequentiert wird, hatte ein Sami-Rentierhirte ein paar Rentiere angeleint und weitere 100 Stück mit seinen Hunden zusammengetrieben. Das war schon mal ziemlich idiotisch - jeder weiß, dass dies die Hauptverkehrsader für Hundeschlitten und Schneemobile zwischen Gargia und Soulovuopmi ist. Ein Konflikt war vorprogrammiert!
Quelle: www.nordlys.no
Wir hatten unsere insgesamt 76 Hunde nur 500m unterhalb seines provisorischen Rentierscheides angeleint und vor die Schlitten gespannt und waren nicht zu überhören gewesen. Er muss gewusst haben, dass wir da waren und hätte einfach kurz vorbeikommen und bescheid sagen können. So aber wussten wir von nichts und standen mit 10 Hundegespannen plötzlich mitten in einer Rentierherde. Die Hunde wurden rasend, hatten natürlich nichts anderes im Sinn, als sich in den Rentieren zu verbeißen. Was für ein Chaos! Die freilaufenden Rentiere verschwanden alle in den Wald, da kehrte bald Ruhe ein: aber da waren immer noch die sechs Rentiere, die am Zaun angebunden waren.
Wir halfen uns gegenseitig, versuchten, die Hunde an den Rentieren vorbeizuführen, und das klappte auch: bis zum letzten, der an ihnen vorbeifuhr. Sandras Leithunde schnappten nach einem angebundenen Ren - und da stach der Sami kurzerhand mit seinem Messer auf die Hunde ein. Für uns alle ist das komplett unverständlich: man hätte sie einfach nur am Halsband zurückziehen müssen oder einmal kurz zutreten, dann hätten sie sofort das Ren losgelassen. Statt dessen stach er heftig und oft mit seinem Messer auf die Hunde ein und verletzte sie stark. Welch ein Mensch muss das sein, der mit einem Messer auf Lebewesen losgeht, wenn es erstens Alternativen gibt und er zweitens selber tagtäglich mit Tieren zu tun hat?
Quelle: www.nordlys.no
Da wir einen Journalisten dabei hatten, der Bilder für den Finnmarksløpet machen wollte, kam die ganze Geschichte sofort in die Medien und löste eine große Diskussion in Norwegen aus. Wie schon erwähnt gibt es viele Reibereien zwischen Norwegern und Sami, und ganz besonders zwischen Rentierhaltung und Hundesport. Die Sami halten Huskies für blutrünstige Wölfe, die sowohl Sami als auch Rentiere töten wollen, und fast alle Nicht-Sami halten Rentiere für ziemlich dumme Viecher, von denen es viel zu viele gibt. Es hilft nicht, dass der norwegische Staat den Sami immer alle Rechte zuweist und ständig Ausnahmen für die Rentierhirten vergibt. Die Deutschen haben aufgrund des Nationalsozialismus Komplexe, was Patriotismus angeht - bei den Norwegern ist das ähnlich bei allem, was mit Sami zu tun hat. Früher wurden die Sami unterdrückt, ihre Sprache verboten, ihnen Weideland einfach abgenommen, Menschen alternativlos in Städte umgesiedelt. Diese Schuld sitzt der Regierung im Nacken und zwingt sie dazu, immer alle Augen zuzudrücken und "alles wieder gutmachen" zu wollen. Daran wäre nichts auszusetzen, würden nicht wenige Sami leider vieles schamlos ausnutzen und sich ständig selbst bedauern. Dazu kommt, dass die Rentierhirten extrem materialistisch geworden sind und ihre Viecher als wandelnde Geldscheine ansehen - und Geld einfordern, wo immer sie können.
Wurde ein Rentier angefahren, weil es in ein Auto lief, so darf der Autofahrer zahlen. Wurde eines verletzt oder getötet, weil ein Hund es verfolgte, darf der Hund vom Sami erschossen werden (so er nicht an der Leine ist), und der Besitzer muss unglaubwürdig hohe Summe zahlen. Und das Absurdeste: es gibt wirklich nicht mehr viele Raubtiere hier oben, aber jährlich werden (in ganz Norwegen) angeblich 48.000 Rentiere von Luchsen, Wölfen und Vielfraßen getötet und den Sami erstattet. Rentiere sind nämlich die einzigen Nutztiere, bei denen ihre Besitzer keinen Beweis über die Todesart erbringen müssen. Alle anderen müssen beweisen, dass es ein wildes Raubtier war, um ihre verschwundenen oder gerissenen Tiere erstattet zu bekommen - was besonders den Bauern ungerechtfertig erscheint. Diese Bevorzugung der Sami, kombiniert mit einem schamlos Ausnutzen von deren Seite aus, schürt die Wut unter den Nicht-Sami, welche dann wiederum die Sami provozieren, die sich ewig in der Verliererrolle sehen und auf ihrem Recht als Ureinwohner pochen. Dieser egoistische, starrköpfige Kampf wird nirgendwo deutlicher, als im wachsenden Konflikt aus dem immer beliebter werdenden Hundesport und der Rentierzucht - und dieser sinnlosen Messerattacke kurz vor Weihnachten. Wenn da nicht bald mal ein Dialog begonnen wird, dann war dieser Vorfall garantiert nicht der letzte seiner Art!
Ich selber sehe die Rentierhaltung aus den Augen eines kritischen Naturschützers und bin der Meinung, dass die Sami viel mehr Rentiere halten, als es der Vegetation hier gut tut. Offiziell hat die norwegische Regierung Quoten vergeben: pro Kommune darf nur eine gewisse Anzahl Rentiere weiden, um Bodenerrosion und Konflikte zu minimieren. So die Theorie. Die Praxis ist aber so, dass die Sami sich einen Dreck um Auflagen scheren und so viele Rentiere halten, wie sie es wollen: schließlich bilden diese ihr Einkommen und sind die Sami in den vergangenen Jahrzehnten extrem geldgeil geworden. Entschuldigt die Wortwahl, aber das trifft es ziemlich genau.
Ein Beispiel: hier bei uns sind 4800 Rentiere erlaubt, es sind aber ca. 15.000 Rentiere da. Schätzungsweise 3000 Tiere wurden allein bei uns im Tal zusammengetrieben - wenn man das für den Bezirk hochrechnet, kommt man ziemlich genau auf die 15.000 Rentiere, von denen die Rede ist. Genau wissen das aber nur die Sami, welche aber (wohl nicht ohne Grund) niemals über die Anzahl ihrer Tiere reden.
Die Folge der vielen Rentiere ist eine akute Überweidung besonders der höher gelegenen Gegenden. Bäume in Wäldern sind total verbissen, die Vidda und andere Berggegenden steigender Bodenerrosion ausgesetzt. Wohin man im Sommer auch geht: immer wieder sieht man regelrechte Autobahnen aus Rentierpfaden und stark frequentierten Quad-Tracks.
Es wäre ja nicht so, dass die Hirten aus dem "Naturvolk" der Sami reiten oder zu Fuß gehen würden, oh nein: sie fahren mit den schweren, spritfressenden Quads entlang, wo immer und so oft sie wollen. Naturschutz? Unbekannt in Norwegen, und erst recht unbekannt bei den Sami, die sich immer noch als "Naturvolk" titulieren. Ich wollte die Sami wirklich mögen, als ich nach Norwegen kam: doch leider waren alle direkten und indirekten Begegnungen mit ihnen und ihrer Lebensweise von der negativsten Sorte. Ich denke man merkt, dass ich gar nicht mehr gut auf Sami-Rentierhirten anzusprechen bin!
Viel gravierender als die offensichtlichen Auswirkungen der Überweidung ist aber die Tatsache, dass oberhalb der Baumgrenze kaum großwüchsige Flechten- und Moosarten anzutreffen sind. Gemessen mit der Vegetation, die ich aus Island kenne, ist hier wirklich alles kahlgefressen und sieht man erschreckend viele kleine Stellen von Errosion. Zwei, drei Jahrzehnte wird die Vidda noch mitmachen: wenn sich aber bis dahin nichts ändert, werden die Norweger und Sami mit starker Bodenerrosion und Verwüstung zu kämpfen haben. Doch diese Gefahr speisen die meisten Leute verächtlich als Unsinn ab - in etwa so, wie viele Fischer bestreiten, dass die Meere fast leer gefischt sind. Es ist immer wieder dieselbe Geschichte, ganz egal wohin man blickt: Menschen sind willentlich blind. Traurig aber wahr.
Weihnachten habe ich Kreise meiner Gastfamilie verbracht - ruhig, wenig unspektakulär und wohltuend wenig weihnachtlich. Von dem Weihnachtswahnsinn der Städte, von Kitschmusikberieselung, Konsumrausch und Dezemberstress habe ich bei meinen Hunden wenig mitbekommen. So müsste Weihnachten immer sein!
Ohne Geschenke kam ich dennoch nicht davon: die Karlstrøms statteten mich komplett mit wollener Unterwäsche, einer dicken Wollhose und Wollfäustlingen aus - gerade rechtzeitig zur richtig kalten Jahreszeit. Momentan liegen die Temperaturen auch tagsüber bei fast -20°C. Weht dann noch Wind, ist man bereits nach wenigen Augenblicken ein Eiszapfen. Meine isländische Winterkleidung (Synthetik-Zeugs) reicht da weder vorne noch hinten aus: hier muss auf Tierprodukte zurückgegriffen werden. Ein bis zwei Lagen Wollunterwäsche, Innenstiefel aus Filz, Daunenjacke und eine Kapuze gesäumt von möglichst Polarfuchspelz - das ist die beste Ausrüstung, die man sich für niedrige Temperaturen und Wind zulegen kann. Fell, das die Kapuze umrundet, dient übrigens als Windbrecher. Man kann sich noch so viele Sturmmasken, Buffs oder Schals vors Gesicht binden: sobald Wind weht, handelt man sich ab -15°C schnell Erfrierungen ein. Hat man jedoch einen Pelz, der das Gesicht umrundet, kommt der kalte Wind gar nicht erst zum Gesicht durch - ein Unterschied wie Tag und Nacht! Allerdings will ich dafür keinen seltenen Polarfuchs töten und erst Recht keine Pelztierfarmen unterstützen. Ich denke mal, dass ich von irgendwo auch einen gebrauchten Pelzbesatz bekommen kann!
Noch etwas lustiges in dem Zusammenhang: ich habe, einfach mal zum Spaß, ein Foto zu einem Fotowettbewerb des zweiten norwegischen Fernsehsenders eingesandt, bei dem man jede Woche Outdoorkleidung im Wert von 650€ gewinnen kann. Drei Tage vor Weihnachten erhielt ich die Nachricht, dass ich doch tatsächlich gewonnen habe: und das mit einem Bild, das ich nur mal so zum Spaß machte und das auch noch eine Montage darstellt:
Jetzt kann ich mich für 650€ bei Bergans mit Winterkleidung eindecken - das hätte ich so oder so im neuen Jahr getan, von daher kommt mir der Gewinn besonders gelegen! Ich danke TV2 Norge! :-)
So, und dann will ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen und mich mit diesem letzten Blogeintrag aus dem Jahr 2009 verabschieden. Bis bald!
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