Montag, 25. September 2017

Vogelberingung auf Jomfruland

Wer mich kennt, der weiß, dass ich kein Fan von zu viel Routine bin. Vertrautheit und Erfahrung im Job und generell im Leben sind super, aber zu viel Gewohnheit wird auf die Dauer langweilig - nun ja, mir zumindest. Von daher probiere ich alle paar Jahre mal wieder etwas gänzlich anderes aus - so wie in den vergangenen drei Wochen. Da habe ich nämlich auf einer Vogelwarte mitgeholfen:
der Jomfruland Fuglestasjon.

Jomfruland ist eine kleine Insel im Skagerrak, die dem norwegischen Bezirk Telemark vorgelagert ist. Sie ist 4,5 km vom Festland entfernt, etwa 7,5 km lang und durchschnittlich einen Kilometer breit - und landschaftlich ziemlich abwechslungsreich. Es ist der letzte Rest einer alten Gletschermoräne: ein Schutthaufen, den der Eispanzer der letzten Eiszeit am Gletscherrand zurückgelassen hat und der jetzt als lange, dünne Insel aus dem Meer ragt. Wie ganz Südskandinavien handelt es sich hier hauptsächlich um Kulturlandschaft: es gibt vier aktive Bauernhöfe, über 160 Ferienhütten und noch 80 feste Bewohner, sowie eine Menge Kühe und Schafe. Die Tiere laufen frei umher 
und weiden so ziemlich überall: auch im (Eichen-)Wald und an der Küste. Diese Beweidung hält das Unterholz zurück und hat sehr interessante und unterschiedliche Biotope geschaffen, was Jomfruland zu einem idealen Zwischenstopp für viele verschiedene Zugvögel macht. Und genau deswegen gibt es hier eine Vogelwarte, in der ein Festangestellter und viele Freiwillige damit beschäftigt sind, die Vogelzüge zu überwachen.

All dies habe ich über's Internet ausfinding gemacht, und einfach einmal angefragt, ob sie auch Leute wie mich willkommen heißen, also Nichtornithologen, die mit Federvieh bisher relativ wenig zu tun gehabt haben. Die Antwort war ziemlich eindeutig: jede helfende Hand zähle, und übernachten könne ich in der kleinen Hütte auf einem Schlafdachboden. Da außerdem eine ebenfalls in Südnorwegen liegende Vogelwarte namens
Lista fuglestasjon einen "Einsteigerkurs in Vogelberingung" angeboten hat, habe ich nicht mehr lange gezögert und zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bin erst mit Bahn und Fähre nach Lista gereist und habe dort ein Wochenende lang gelernt, was es beim Beringen von Vögeln zu beachten gilt. Dann bin ich per Anhalter 4 Stunden lang nach Osten gefahren und für genau zwei Wochen in die kleine, gemütliche Station im Norden von Jomfruland eingezogen.


Warum ausgerechnet Südnorwegen, mag man fragen? Nun, das war ganz einfach: In Nordnorwegen gibt es leider keine bemannten Vogelwarten, in denen ich hätte helfen können. Und Norwegen sollte es deswegen sein, um meine "schlechteste" aktive Fremdsprache aufzupolieren. Dazu kam, dass Jomfruland der neueste Nationalpark Norwegens ist und ich neugierig auf diese Region war. Wer mehr über die Insel wissen möchte, dem kann ich ans Herz legen, diesen 12-minütigen Film anzuschauen. Er ist auf norwegisch, aber mit deutschen Untertiteln: 

Jomfruland nasjonalpark mp4 
 
Jomfruland ist aufgrund seiner Küstenlage ideal geeignet, um Vogelzüge zu beobachten. Man muss wissen, dass die wenigsten Vögel große Wasserflächen mögen und sie deshalb, wann immer möglich, in direkter Küstennähe fliegen. Nun liegt Jomfruland nahe der Meerenge nach Dänemark, und die ist für viele Singvögel schon zu groß: und so kommt es, dass es hier zwei Zugouten gibt. Da sind einmal die Unterschrockenen, welche einfach von Norwegen über's Meer nach Dänemark fliegen, und da sind diejenigen, die lieber einen Umweg in Kauf nehmen und tatsächlich die gesamte Küste des Skagerrak entlangfliegen, um über Schweden nach Süden zu kommen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Vögel über Jomfruland in zwei Richtungen ziehen: die Eiligen fliegen direkt nach Süden, die Wasserscheuen nach Norden (um erst in Schweden nach Süden abzubiegen). Und genau diese Doppelroute macht Jomfruland zum idealen Vogelbeobachtungsstandort.



Jomfruland fuglestasjon hat einen einzigen Festangestellten: das ist Ola, ein totaler Vogel-Nerd. Wir waren meistens nur zu zweit dort, bloß am Wochenende bekamen wir Besuch von je einem weiteren Freiwilligen aus der Region.

Unsere Tage begannen vor Sonnenaufgang (also um 5:30 Uhr) und endeten oft erst um Mitternacht. Was wir die ganze Zeit taten? Zugvögel bestimmen und zählen, sowie Vögel fangen und beringen. Das große Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Vogelwarten und Vogelbegeisterten einen Überblick zu gewinnen, wie viele Vögel es von jeder Art so ungefähr geben mag. Klar, es gibt gute Jahre und schlechte, aber wenn man die Zahlen vergleicht, besonders längerfristig, bekommt man eine sehr gute Idee davon, wie es um die einzelnen Arten bestellt ist. 



Gerade die größeren Vögel wie Stare, Gänse und Kormorane lassen sich wunderbar am Flug erkennen und zählen - die braucht man also nicht wirklich fangen. Bei den kleinen Piepmätzen aber wird es schwierig. Viele ziehen einzeln oder in nur kleinen Gruppen, und im Flug sehen die alle gleich aus. Deshalb führen Lista und Jomfuland einen sogenannten 'standartisierten Vogelfang' durch: seit 1999 werden von Februar bis November jeden Morgen an immer der gleichen Stelle Netze aufgespannt, von Sonnenaufgang bis fünf Stunden später. Diese sehen aus wie übergroße Badmintonnetze mit mehreren Taschen und einer Maschengröße von etwa zwei Zentimetern. Die meist niedrigfliegenden Singvögel sehen diese Netze nicht, fliegen hinein und verfangen sich mit ihren Krallen - und dann kommen sie alleine nicht wieder heraus.


Ola und ich kontrollierten die Netze mindestens einmal pro Stunde. Erst einmal sammelten wir die Vögel aus den Netzen heraus, vorsichtig aber zügig, und brachten sie in kleinen Stoffbeuteln unter. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Vögel ruhiger werden, wenn sie nichts mehr sehen: genau deswegen tragen beispielsweise Jagdfalken diese komischen Hauben.

Ein junges, weibliches Wintergoldhähnchen
Ola befreit eine Kohlmeise











   
Im Beutel können sich die Vögel nicht verletzen, weil alles weich ist, zudem verhalten sie sich ruhiger und sind trocken und warm untergebracht. Mit immer mehr Beuteln in der Hand sind wir alle Netze abgegangen, 10 Stück insgesamt, und haben dann unsere Beutelsammlung zu dem Ort gebracht, wo wir in aller Ruhe beringen konnten: einem Aussichtsturm mit Blick auf den Skagerrak.




Einen Vogel zu beringen ist an sich nicht schwer - man braucht lediglich einen Vogel, einen Ring, eine Zange und 30 Sekunden Zeit, um es mal ganz salopp auszudrücken. Jeder Vogelart ist eine bestimmte Ringgröße zugeordnet - die einzuhalten ist wichtig, damit die Vögel davon so wenig belästigt werden, wie möglich. Jedes Land gibt seine Ringe kontrolliert heraus, und zwar nur an jene Leute, die eine Beringungslizenz haben. Um die zu bekommen, muss man Tausende von Vögeln beringt haben: so einfach das ganze technisch auch sein mag, so ist es doch Erfahrung, die am allerwichtigsten ist für fundierte Vogelbestimmung und das Wohlergehen des Tieres. Im Endeffekt heißt das also: im Namen der Wissenschaft dürfen Vögel nur von Profis gefangen und beringt werden. Und diese strikte Regel ist auch gut so!

Ola mit einem Sperber

Jeder Ring ist einzigartig, wie ein Auto-Nummernschild oder ein Geldschein: darauf eingestanzt ist eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen, sowie der Name der herausgebenden Instanz (in unserem Fall: Stavanger Museum, Norwegen). So kann man schon auf den ersten Blick erkennen, in welchem Land das Tier beringt wurde und wen man kontaktieren muss, um Informationen darüber zu erhalten.

Eine weibliche Mönchsgrasmücke wird beringt

Die Ringe sind total leicht: sie bestehen aus Aluminium, bzw. für größere, kräftigere Vögel aus Stahl, und werden schon vorgebogen angeliefert. Man braucht jetzt nur noch eine Zange mit eingestanzten Löchern, mit deren Hilfe man den Ring um's Vogelbein herum schließt. Das geht schnell und für den Vogel schmerz- und gefahrlos vonstatten. Vom Herausholen aus dem Sack bis zum Freilassen vergehen normalerweise keine zwei Minuten, oft nur eine Minute. Dennoch: die Vögel mögen die ganze Aktion überhaupt nicht. Sie sind plötzlich kurzzeitig gefangen von einem riesigen Wesen, dessen Absicht sie nicht kennen. Die meisten Singvögel ergeben sich ihrem Schicksal und erstarren - einige aber sind kleine Kämpfer, die alles tun, um der Situation zu entkommen.

Ein junger, männlicher Jungspecht, protestierend

Ganz besonders garstig haben sich Blaumeisen und Stare gezeigt, sowie alles ab Buntspechtgröße: da wird mit den Krallen gekratzt und den Schnäbeln gehackt, dass man teilweise blutet. Ich denke, ich würde ähnlich reagieren wenn ich in der Hand eines Riesen enden würde, der mir mit einer Monsterzange eine Manschette um den Unterschenkel knipsen will. Da heißt es als Beringer: Zähne zusammenbeißen und zügig arbeiten. Je schneller der Ring am Vogelfuß, desto eher kann man die Hand aufmachen und den Vogel wieder in die Freiheit entlassen, wo er hingehört!

Eine empörte Blaumeise unmittelbar vor dem Freilassen










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