Montag, 1. Februar 2016

Antarktis aus Pinguinperspektive

Wie schon erwähnt, habe ich in der vergangenen Antarktissaison viel Zeit in Booten und wenig Zeit an Land verbracht. Im Nachhinein könnte ich fast glauben, dass ich das irgendwie geahnt haben muss:
ich habe mir nämlich ein Unterwassergehäuse für meine Kamera zugelegt.
Die „echten“ Unterwassergehäuse aus hartem Plastik sind nicht nur riesengroß, sondern auch unverschämt teuer: für meine Kamera hätte ich mal eben 2500€ und mehr ausgeben müssen. Da ich die Unterwasserfotografie aber überhaupt erst einmal ausprobieren wollte, entschied ich mich für eine wesentlich günstigere Variante. Das sogenannte flexible Gehäuse, welches ich mir bestellte, ist eigentlich nur ein wasserdichter Sack aus dickerem Plastik und einer starren Plastikscheibe, hinter der das Objektiv sitzt.


Es sieht zugegebenermaßen wenig vertrauenserweckend aus, hatte aber einen guten Ruf. Und einen Versuch war es mir wert: zumindest mit meiner alten Kamera, die ich eh schon lange verkaufen wollte und ohnehin nur im Schrank gelegen hatte. Und so habe ich dann in der Antarktis einen ersten, skeptischen und extreeeeem vorsichtigen Versuch unternommen, meine Kamera unter Wasser zu tunken. Und, oh Wunder: es funktionierte! Die Kamera blieb trocken, und machte tatsächlich klare Fotos - irre!

Spätestens da hatte mich die Begeisterung gepackt. Wann immer ich es konnte, bin ich in Gummistiefeln oder Wathosen an der Küste entlang gewandert. Und wenn ich als Zodiakfahrer eingesetzt wurde, ergab sich ab und an auch einmal die Möglichkeit, die Kamera mit Hilfe eines Einbeinstatives in tieferem Wasser abtauchen zu lassen. Und auch wenn die Ergebnisse sehr primitiv und stümperhaft sind (verglichen mit den Bildern von erfahrenen Unterwasserfotografen), war ich begeistert. So ließ es sich beispielsweise endlich einmal bildlich zeigen, wie viel größer Eisberge unter Wasser sind. Davon zu reden, ist eine Sache, es aber zu sehen, eine ganz andere!


Was für mich völlig unerwartet kam, war die unterschiedliche Reinheit des Wassers. Als Nichttaucher bzw. Über-Wasser-Mensch habe ich noch nie im Leben auf die Klarheit bzw. Trübheit von Wasser geachtet - und nun das Lehrgeld dafür bezahlt. Ab Dezember waren nämlich kaum noch gute Unterwasserfotos möglich: das Wasser war einfach zu trüb und die Sicht zu gering. Der Grund war die zunehmende Düngung der Küstengebiete durch die Pinguine. Ihr glaubt ja gar nicht, was eine Pinguinkolonie für Mengen an Guano produziert! Das endet automatisch irgendwann im Meer, welches dann nicht mehr schön klar und blau erscheint, sondern richtig trüb. Eine schöne Scheiße - im wahrsten Sinne des Wortes!


Die Faszination Unterwasserfotografie hat mich völlig gepackt. Direkt unter der Wasseroberfläche beginnt eine andere Welt voll interessanter Dinge und Anblicke: war das spannend! Die Fotografie an sich war allerdings ziemlich ... einfach. Weil ich nicht tauchen konnte, war ich nicht in der Lage, durch den Sucher zu schauen, und eine technische Lösung mithilfe von Wifi und einem externen Monitor war mir zu umständlich. Also hielt ich die Kamera ins Wasser und drückte blind den Auslöser, immer in der Hoffnung, dass ein oder zwei gute Bilder herauskommen würden. Also "gut" im Sinne eines totalen Anfängers der Unterwasserfotografie, der von jedem einigermaßen scharfen Foto begeistert ist... ;-)



Die tollsten Unterwasserbilder gelangen mir direkt während meiner ersten Reise entlang der antarktischen Halbinsel: und zwar in der Nacht, welche wir zeltend an Land verbrachten. Einmal pro Reise übernachten bis zu 60 Gäste in Zelten im Schnee und das ist die einzige Chance für mich, einmal in aller Ruhe fotografieren zu können. Als ich mich um 22 Uhr endlich loseisen konnte, ging ich sofort mit meiner Wathose ins Meer hinein. Die Sonne war zwar gerade dabei, unterzugehen, aber dunkel wurde es nicht: es war schließlich Mittsommernacht am Polarkreis.


Während ich also ein paar erste Unterwasserfotos machte, hörte ich einen Eselspinguin rufen. Wenn sie im Meer auf Nahrungssuche sind, sind Pinguine alleine unterwegs, an Land aber suchen sie die Gesellschaft ihrer Artgenossen. Ich kenne die verschiedenen Rufe der Vögel mittlerweile und kann sie auch gut nachmachen. Also antwortete ich dem Pinguin, den ich noch nicht sah. Und tatsächlich: der Vogel schwamm zielstrebig auf mich zu, geleitet von meinen gelegentlichen Antworten. Als er mich sah, war er sichtlich irritiert. Er schwamm langsam auf mich zu, beobachtete mich über und unter Wasser, und beschloss dann, dass ich zwar nicht gefährlich, aber eben auch kein Pinguin sei, und deshalb nicht weiter von Interesse. Nach einem letzten Blickkontakt drehte er dann ab und sauste unter Wasser wieder davon.


Könnt ihr euch meine Freude vorstellen, als ich feststellte, dass mehrere Fotos scharf und brauchbar waren? Ich konnte gar nicht glauben, dass mir das direkt beim ersten Versuch gelungen war! Fröhlich ging ich an der Küste entlang, fotografierte die Mittsommernachtsstimmung und freute mich an der Einsamkeit. Von den anderen 60 Gästen und 3 Guides sah ich kaum etwas: die meisten schliefen, denn es war nun nach Mitternacht. Trotz der kalten Hände, Lufttemperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt und ordentlicher Müdigkeit zwischen zwei anstrengenden Arbeitstagen konnte ich aber nicht an Schlaf denken. Die Lichtstimmung war zu fantastisch!


Es war ungefähr zu Sonnenaufgang, also um 2 Uhr morgens, als ich hinter mir ein spritzendes Schnauben vernahm. Mir war sofort klar, dass dieser Laut nur von einer Robbe stammen konnte. Und tatsächlich: in etwa zehn Meter Entfernung schwamm eine ausgewachsene Weddellrobbe. Es sind die friedlichsten und zutraulichsten aller antarktischen Robben, die ich bisher aber nur schlafend an Land erlebt hatte. Ein kleiner Kopf mit großen, schwarzen Kulleraugen sah neugierig zu mir hinüber. Ich beschloss, die Robbe zu ignorieren, und ging langsam am Ufer entlang. Die Entscheidung, mich nicht anzunähern, war goldrichtig gewesen: das Tier folgte mir kurz in immer gleichem Abstand, dann aber siegte seine Neugierde. Und während es langsam aber stetig immer näher an mich heranschwomm, blieb ich stehen und drehte mich vorsichtig um, um ein paar erste Bilder zu machen.

Was jetzt geschah, hatte ich nicht erwartet: das Klicken der Kamera faszinierte die Robbe. Während ich still im oberschenkeltiefen Wasser stand, kam das Tier langsam immer näher. Mal sah es mich über Wasser an, oft aber sah ich nur seinen Bauch, weil es kopfüber im Wasser hing. Ich musste mir ein Lachen mehrmals verkneifen, weil es einfach zu komisch war. Warum hängt eine Robbe freiwillig falsch herum im Wasser und schaut sich die Welt andersherum an?
Die Antwort ist wahrscheinlich ziemlich einfach: weil sie es kann!

Dieses wunderbare Tier war ein erwachsenes Männchen, und es war genauso fasziniert von mir, wie ich von ihm. Wir haben bestimmt 20 Minuten miteinander verbracht und einander neugierig beobachtet. Es ist ein absolut unglaubliches Gefühl, wenn ein wildes Tier einem solch ein Vertrauen schenkt! Ausgewachsene Weddellrobben haben wenig Feinde: eigentlich werden sie nur noch von Orcas gejagt, und ich war ja ziemlich offensichtlich kein Schwertwal. Dennoch: eine solche Begegnung ist genauso selten wie besonders. Es war der Höhepunkt meiner Antarktiszeit!


Die Robbe war so fasziniert von mir, dass sie sicherlich noch eine Weile bei mir geblieben wäre. Zwischen den seltenen Atemzügen hing sie fast regungslos kopfüber im Wasser und starrte mich an. Letztlich waren wir uns so nahe, dass ich sie mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. Was für ein Erlebnis!


Leider hatte ich ein kleines Problem: ich trug keine Handschuhe, musste die Kamera aber unter Wasser halten und bedienen. Nach gut 20 Minuten im maximal 2°C kalten Wasser hatte ich jegliches Gefühl in meinen Fingern verloren. Und als die Taubheit zu extrem wurde, war mir klar, dass ich aufhören musste. Also ging ich langsam zum Ufer hinüber und kletterte die Schneewehe empor. Die Robbe sah mir kurz nach, bevor sie still abtauchte - und unter Wasser vondannen schwamm.

Nach einigen äußerst unangenehmen Minuten konnte ich meine Finger wieder feinmotorisch bewegen - und widmete mich dem Bildschirm meiner Kamera. Die Fotos ließen mich in einen stillen Freudentaumel ausbrechen: es war ein Blick in einer andere Welt! Obwohl die Kamera nur wenige Zentimeter unter Wasser gewesen war, hatten sich einzigartige Blickwinkel ergeben. Wie unglaublich muss es wohl sein, richtig zu tauchen und sich komplett ins Wasser zu begeben?
Verammt, ich glaube, ich habe schon wieder eine neue Leidenschaft entdeckt!

Mit diesen Bildern will ich die diesjährige Antarktissaison ausklingen lassen. Ein bisschen schwermütig bin ich, denn ich habe mich entschieden, erst einmal nicht mehr auf Expeditionsschiffen zu arbeiten. Der kommende Sommer auf Spitzbergen wird meine vorerste letzte Saison als Guide sein: das bedeutet halt auch, dass ich so bald nicht mehr in der Lage sein werde, solche Fotos zu machen. Umso mehr freue ich mich über diese ersten Unterwasserbilder - und auf das, was anstelle der Arbeit als Expeditionsguide treten wird. Und bis dahin werde ich ja noch in Island und Spitzbergen fotografieren können. Ich freue mich schon sehr auf den kommenden arktischen Sommer! :-)



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