Dienstag, 12. Januar 2016

Aus dem Alltag eines Expeditions-Guides

Es ist Mitte Januar, und ich befinde mich gerade auf dem Rückweg nach Deutschland. Ich staune immer wieder, wie schnell doch Zeit vergehen kann. Die zurückliegende, halbe Antarktissaison war wieder einmal völlig anders, als die vorhergehenden: auch, weil ich jedes Mal in einem neuen Team arbeite und immer leicht andere Dinge erlebe. Dieses Mal war ich (leider) nicht oft an Land, dafür aber umso mehr in Booten unterwegs. Meine Hauptaufgabe war es, Zodiaks zu fahren und dort die Fotogruppen zu (beg)leiten. Zusätzlich bin ich spontan für jemanden eingesprungen und habe zum ersten Mal auch als Kayak-Guide gearbeitet - das war mal eine ganz neue Facette meines ungewöhnlich vielfältigen Jobs.


Die Antarktis ist zwar eine der wildesten Regionen der Welt, aber auch eine der am meisten reglementieren: für den Tourismus hier unten gelten viele Auflagen. Es gibt beispielsweise Begrenzungen für die Anzahl von Menschen, die zeitgleich, die an Land gehen dürfen. Die Obergrenze liegt bei den meisten Landestellen bei 100 Passagieren. Die meisten Schiffe, welche die Antarktis anlaufen, haben aber mehr als 100 Gäste: also muss improvisiert werden. Manche Schiffe teilen die Passagiere in zwei Gruppen und machen sogenannte 'split landings': die Hälfte der Reisenden wird an Bord belustigt, beispielsweise in Form eines Vortrags, während die andere Hälfte an Land geht - und irgendwann wird dann getauscht.


Die MS Expedition, auf der ich oft arbeite, hat maximal 133 Passagiere und geht andere Wege. Zum einen wird immer ein sogenanntes Foto-Zodiak angeboten: eine Gruppe von Foto-Enthusiasten ist erst einmal ein bis eineinhalb Stunden per Boot auf Motivsuche, bevor sie an Land geht. Zusätzlich gibt es ein Kayak-Programm: bis zu 20 Gäste erpaddeln sich die Antarktis, bevor sie dann meist zusätzlich noch kurz an Land gehen - hinterher, wenn die meisten schon wieder zurück an Bord sind. Gerade für diejenigen, welche sich sportlich betätigen wollen, ist das Kayak eine reizvolle Ergänzung der Antarktisreise. Ich persönlich finde Landgänge um einiges spannender, muss aber zugeben, dass es Spaß gemacht hat, in solch extremer Umgebung ohne Motor auf dem Wasser unterwegs zu sein. Und manchmal hat man auf die Art ganz andere Tierbegegnungen, als die Landgänger - zum Beispiel mit einem neugierigen Seeleoparden...


Wie ich im letzten Blog ja schon erwähnt habe, bietet gAdventures (die Eigner der MS Expedition) auch Camping als Option an: bis zu 60 Leute dürfen eine Nacht in Zelten und warmen Schlafsäcken an Land verbringen. Auch hier sind wieder strenge Regeln einzuhalten: so darf beispielsweise nur in Notfällen gegessen werden, und absolut gar nichts darf zurückgelassen werden. Folglich bringen wir unsere Gäste erst nach dem Abendessen an Land und vor dem Frühstück wieder zurück - und nehmen Campingtoiletten mit.


Die ganze Aktion ist eine Heidenarbeit, die von den meisten meiner Kollegen gemieden wird: ich gehöre meist zu den sehr wenigen Freiwilligen, welche die Nacht liebend gerne an Land verbringen. Nachdem den Gästen beim Aufbau der Zelte geholfen wurde, seile ich mich meist ab, um ein paar Stunden alleine zu sein. Ich kann zwar keine großen Strecken wandern, da die meisten Orte kleine Inseln sind oder direkt an Gletscher grenzen, aber das muss ich auch gar nicht. Ich habe einfach nur Freude daran, die Landschaft im verändernden Licht der langen Sommernacht zu erleben, und mal ein paar Stunden alleine zu verbringen, ohne von Gästen angesprochen zu werden. Die Antarktis ist märchenhaft grandios und generell ziemlich superlativ - und das begreift der Mensch dann am besten, wenn er die Zeit findet, mal zu sich selbst zu kommen und, still, im Moment zu leben.


Spätestens um fünf Uhr morgens ist es mit der Ruhe vorbei: dann werden die müden und verfrorenen Gäste geweckt und beginnt das große Packen. Geschlagene zwei Stunden dauert es im Normalfall, bis sich die Gäste und die gesamte Ausrüstung wieder an Bord befinden. Wir Guides springen von Zelt zu Zelt, geben Tipps und Anweisungen - manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. An einem windigen Morgen können wir beispielsweise noch so oft sagen, dass die Leute unbedingt aufpassen müssen: es geht garantiert irgendetwas fliegen. Dass man leeren Zeltsäcken oder Isomatten hinterhersprinten muss, ist normal: aber dass ein ganzes Zelt erst fliegen und dann baden geht, war auch für mich etwas Besonderes. Dankbarerweise hatte ich Wathosen an und bin bei der Zeltrettung so gerade eben trocken geblieben. Für die Gäste war die ganze Aktion eine Gaudi, und auch ich hatte meinen Spaß dabei! :-)


Mein total verrückter Job hat seine absoluten Höhepunkte, aber selbstverständlich auch seine Schattenseiten. Ich arbeite in einer Dienstleistungsbranche für meist wohlhabendes (und deshalb oft forderndes) Klientel. Ich bin eben NICHT als Tourist hier, es ist kein Urlaub: mein Job ist und bleibt ein Job, egal wo, egal wie, und er ist genauso anstrengend und ermüdend, wie jeder andere Job auch.
Sorry, wenn irgendjemand geglaubt hat, dass es anders sei. Kaum Freizeit, zu wenig Schlaf, absolut keine Privatsphäre über Wochen hinweg: wir Dienstleister sind die Aushängeschilder von unseren Arbeitgebern, und es liegen eine Menge Pflichten und Verantwortungen auf unseren Schultern, Wildnisgebiete hin oder her.



Meine persönliche Belohnung sind, ganz klar, die unglaublichen Naturerlebnisse, die ich mit den Gästen erleben darf. Und dann ist da mein immerwährendes Anliegen, andere für den Schutz der Natur zu begeistern und sie zu inspirieren, in Zukunft ein bisschen mehr für den Erhalt unserer Welt zu tun. Und wenn ich es kann, dann ergattere ich mir hier und da ein paar einsame Momente mit eben jener wunderbaren Welt: mal sind es ein paar Minuten ohne laufenden Motor im Zodiak, mal sind es ein paar stille Augenblicke im Kreise von schnatternden Pinguinen, mal ist es Sonnenuntergang an Deck des fahrenden Schiffes. Und von diesen kleinen, wertvollen Glücksmomenten der vergangenen Wochen möchte ich euch das nächste Mal berichten - sonst komme ich heute nämlich nicht mehr zum Schluss!

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