Samstag, 2. Januar 2016

Antarktische Mittsommerimpressionen

Wenn ich anderen erzähle, dass ich als Guide auf Expeditionsschiffen in der Antarktis arbeite, dann weckt das oft sehr abenteuerliche Vorstellungen. Viele haben die endlosen Eis-Ebenen vor Augen, die Skifahrer durchqueren, um zum Südpol zu kommen, oder riesige Kaiserpinguinkolonien im windumtosten Sonnenschein.

MS Expedition zu Weihnachten - Eisberge machen einen guten Weihnachtsbaumersatz! :)



           
Die Realität könnte kaum ferner sein: Kaiserpinguine findet man nur an wenigen Orten direkt auf dem Schelfeis, und dahin kommen die meisten Schiffe oft gar nicht. Und vom Südpol bin ich in der Antarktis ungefähr so weit entfernt, wie ich es in Island vom Nordpol wäre. Es scheint unglaublich, aber: der Kontinent Antarktis ist so groß, dass die ziemlich weit nördlich gelegene Antarktische Halbinsel auf denselben Breitengraden liegt, wie Island: nämlich auf 63° - 65° südlicher Breite. Den südlichen Polarkreis überfährt man nur auf langen Touren im Spätsommer: wir sind also noch ziemlich weit vom Südpol entfernt! Und trotzdem ist es hier unten kälter, als im nördlichen Grönland oder auf Spitzbergen. Die antarktische Halbinsel ist ein von Inseln gesäumtes Gebirge überzogen mit Eis: Berge in der Größenordnung der Alpen, auf denen Gletscher unvorstellbarer Größen ins Meer fallen. Man kann diesen Kontinent selbst dann kaum begreifen, wenn man tagelang an seinem Rand entlangsegelt.



Ende Dezember sind die Tage auf der Südhemisphäre am längsten: das bedeutet in den polarkreisnahen Gegenden wunderbar lange Mittsommernächte. Die Lichtverhältnisse entsprechen denen des isländischen Hochsommers: die Sonne geht 3 Stunden nach Sonnenuntergang wieder auf, die Nächte sind immer so hell, dass man jederzeit bequem lesen kann, und Sterne sieht man gar nicht. Zum Fotografieren ist das Licht nachts am idealsten: zumindest sofern man gutes Wetter hat und die extreme seltene Chance, um die Uhrzeit zu fotografieren.

Blick von Ronge Island über den Errera Channel nach Cuverville Island


                    
Eine Nacht pro Reise kann ich an Land verbringen: nämlich dann, wenn die Hälfte der Passagiere zelten geht. Es ist ein Riesenaufwand, der aber von unseren Gästen begierig nachgefragt wird. Eine Nacht im Schnee in der Antarktis zu campieren scheint besonders für Australier einen unwiderstehlichen Reiz auszuüben. Mir sollen die Beweggründe wurscht sein: Hauptsache, ich kann eine Nacht lang fotografieren!



Für mich ist die Camping-Nacht die ermüdenste Nacht der ganzen Reise, weil ich sie in der Regel durchmache und am folgenden Tag trotzdem “normal” arbeiten muss. Sie ist aber eben auch die einzige Möglichkeit auf der gesamten Reise, um mal ein paar Stunden lang alleine in der gewaltigen Natur verbringen zu können. Die Gäste schlafen, niemand belästigt die Wildtiere - ich kann mich dann einfach nur sorgenfrei der Fotografie und den Landschaften widmen. Welch ein Privileg! Ich wünschte, solche Möglichkeiten würden sich öfters ergeben. Aber eben weil sie so selten sind, sind sie umso wertvoller.



In der Stille und Einsamkeit der arktischen Mittsommernacht ergeben sich mit ein bisschen Glück tolle Tierbegegnungen. So etwa um 3 Uhr Nachts des 27sten Dezembers, als sich eine Große Raubmöwe, auch Skua genannt, zehn Meter neben mir auf einer Eisscholle niederließ und mich furchtlos beobachtete. Der Vogel war so neugierig, dass er mich im Laufe mehrerer Minuten so nahe an sich herankommen ließ, dass ich ihn hätte berühen können. Was für ein Erlebnis!



Es gibt kaum etwas Schöneres, als das direkte Vertrauen von wilden Tieren zu erleben. Diese wunderschöne Raubmöwe war mindestens ebenso neugierig auf mich, wie ich auf sie. Sie untersuchte meine Kamera und akzeptierte mich als harmlosen Erdenbewohner. Sie ruhte sich in meiner unmittelbaren Gegenwart aus, bis eine andere Raubmöwe über uns hinwegflog und in etwa 50 Meter Entfernung landete. Das war wohl das Aufbruchssignal für “meine” Möwe: sie stand auf, streckte ihren rechten Flügel - und flog besagte 50 Meter zum anderen Skua hinüber.
Ach, Tiere sind klasse! :-)




Über Weihnachten waren wir mit dem Schiff im Weddellmeer, das zum ersten Mal seit Jahren so eisfrei ist, dass man es mit Nicht-Eisbrechern erkunden konnte. Für mich war es das erste Mal dort, und ich muss sagen, dass es wirklich beeindruckend war. Tief im Süden des Weddellmeeres befinden sich zwei Eisschelfe, und von dort brechen riesige Plateaueisberge ab. Diese sind zwar nicht hoch (um Schnitt 30 bis maximal 50 Meter) aber dafür elendig lang. Der längste Eisberg, den wir sahen, war über 20 Kilometer lang und hatte einen Namen: B15Y hieß diese Stadt aus Eis, abgebrochen vom Ross-Eisschelf im Jahr 2000, und seitdem unterwegs, getrieben von den Meeresströmungen. Absolut beeindruckend!





Was mich persönlich überraschte, ist die Tatsache, dass die Wale dieses Jahr schon sehr früh in die Antarktis gekommen sind. Normalerweise trudeln sie erst ab Mitte des Sommers hier ein, um sich dann bis in den Herbst hinein am Krill die nötigen Fettreserven für den Rest des Jahres anzufressen. Dieses Jahr waren sie schon seit der ersten Reise in großer Zahl anzutreffen - ob das wohl etwas mit El Nino zu tun haben mag?

Zu Weihnachten schenkten uns die Buckelwale die wohl fantastischste Walbeobachtung der letzten Jahre: über 100 Buckelwale waren auf relativ kleinem Raum versammelt und fraßen Krill, den sie mit Blasennetzen an die Wasseroberfläche trieben.


Die Wale ließen sich vom Schiff in keiner Weise stören und tauchten unablässig unter die für uns unsichtbaren Krillschwärme in nur wenigen Metern Wassertiefe. Dann schwammen sie in Spiralen zur Wasseroberfläche, wobei sie einen Vorhang aus Luftblasen produzierten. Dies ist eine ausgeklügelte Jagdtechnik: der Krill wird durch die Blasen irritiert, sucht Schutz im Schwarm und flüchtet zur Oberfläche. Die Wale tauchen dann gleichzeitig in ihrem Blasennetz auf und sieben ihre offenen Mäuler durch den komprimierten Krillschwarm.

Wir sahen die bis zu 17 Meter langen Wale unter Wasser, sie zeigten ihren gesamten Körper: die langen, weißen Flipper, die unterschiedlich geformten Fluken, wir konnten ihnen in die Mäuler schauen, die Barten sehen, teilweise warne sogar ihre Augen über Wasser - es war unglaublich. Hier nur ein paar Bilder von einem Abend, der wohl allen Anwesenden auf ewig unvergesslich sein wird.

Mit den folgenden Bilder möchte ich euch nachträglich ein frohes neues Jahr wünschen: möge es euch Freude und Gesundheit bringen!


Die Schnauze eines Buckelwals.
Rrechts der Oberkiefer, ein (im Vergleich zum Unterkiefer) winziger "Deckel" für einen riesigen Schlund.
Dieser Wal hatte eine weiße Kehle. Ein Buckelwal ist ein  sogennanter Furchenwal:
sie haben eine Kehle wie ein Akkordeon, die sich extrem dehnen kann.
Nur dann sieht man die gut durchbluteten und deshalb rosa erscheinende Haut der Furchen.


Der Blick hinein ins Maul eines anderen Buckelwals.
Im Oberkiefer hängen die Barten; geteilt von einem pinkfarbener Muskel, dessen Funktion ich noch herausfinden muss.
Über Buckelwalanatomie findet man nicht allzu viel Informationen, seltsam... ;-)
Der Unterkiefer ist nichts anderes als eine gewaltige Schöpfkelle, mit einer Zunge, die man aber nie sieht.

8 Kommentare:

  1. Ich lese deine Berichte immer ganz gespannt und schaue deine Bilder mit Bewunderung! Danke, dass du dir die Mühe gibst uns in dieses ferne Land zu entführen-
    Marled

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    1. Super lieb - danke für dein Feedback! Es ist immer schön, wenn die sonst anonymen Leser durch einen Kommentar ein Gesicht bekommen! Das ist auch für mich ein Ansporn, auch in Zukunft weiter zu bloggen - auch wenn ihr manchmal ziemlich lange warten müsst... ;-)
      Liebe Grüße,
      Kerstin

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  2. Da kann ich mich marled nur anschließen.

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    1. Auch dir ein dickes Dankeschön! :-)
      Ein schönes Wochenende wünsche ich!
      Kerstin

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  3. Hallo Kerstin,

    vielen Dank für die Bilder und den Bericht. Einfach toll! Schön dass Du Deine Eindrücke mit uns teilst. Einem Wal mal in das Maul zu sehen kann ich ja leider nur hier, aber die Rückenflosse habe ich ja auch live sehen dürfen.
    Viel Spass weiterhin und ich freue mich schon auf die nächsten Bilder ;-)
    Gruß Claudia

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    1. Hallo Claudia,
      ja, diese Walbeobachtung war einfach zu außergewöhnlich, um sie NICHT mit der Welt zu teilen! Ich freue mich schon, euch (möglichst bald) von meiner Weddellrobbenbegegnung zu berichten!
      :-D
      LG - Kerstin

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  4. Hallo Kerstin,
    Danke für den tollen Bericht.Würde so gerne mal mit dem Schiff fahren, wenn nicht diese lange Fluganreise wäre.
    Alles Gute und Gruß
    Ulla

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    1. "...wenn nicht diese lange Fluganreise wäre..." Wohl wahr - und ganz, ganz toll, dass du eben jene Flugreise bisher nicht unternommen hast! Ich selber liebe zwar das Gefühl der Vogelperspektive, aber mein CO2-Fußabdruck-Gewissen macht jedes Mal Randale, wenn ich in ein Flugzeug steige. Mit Erfolg: dies war meine vorerst letzte Saison als Guide in der Antarktis, und es steht bald meine ebenfalls vorerst letzte Saison als Guide in der Arktis an. Mal schauen, wie es weitergehen wird: hoffentlich mit weniger Flügen, als in den letzten Jahren!
      Liebe Grüße,
      Kerstin

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