Sonntag, 2. Juni 2013

Antarktis - von Pengwyns und Pinguinen

Irgendwann hört jeder Mensch das Wort „Arktis“ zum ersten Mal, und irgendwann verwechselt jeder die Arktis mit der Antarktis. Eins ist oben, eins ist unten, aber was ist wo? Ich habe mir das damals einfach so gemerkt: das kürzere Wort ist leichter und schwimmt oben... Seitdem kann ich die beiden Polgegenden richtig platzieren. Und wie passend, dass man auch die Tiere logisch verteilen kann! Bei uns gibt es Bären, also mussten die Eisbären auch oben, im Norden, sein. Und Pinguine sind so seltsam, die konnten sich nur auf einem so verrückten Kontinent wie der Antarktis entwickelt haben!
Tatsächlich stammen die Pinguine vermutlich von kormoranähnlichen Vögeln auf Neuseeland ab, wo es seit jeher keine Landraubtiere gab. Die Vögel konnten überall am Uferbereich einigermaßen ungestört nisten und mussten nicht, wie ihre Verwandten auf der Nordhalbkugel, auf steile, unzugängliche Klippen ausweichen. Ohne Feinde wie Polarfüchse, Marderartige, Ratten oder Bären konnten sie es sich leisten, komplett aufs Fliegen zu verzichten und ihre Flügel zu perfekten Rudern umzubauen. Statt durch die Luft, flogen die Tiere nun durchs Wasser und entwickelten sich zu schnellen und hocheffizienten Tauchern.


Weil sich die Vorfahren der Pinguine im kalten Wasser des Südpazifiks entwickeln, sind alle heute lebenden Pinguinarten so sehr an niedrige Wassertemperatuen angepasst, dass sie die warmen Gewässer des Equators nicht überqueren können: es ist ihnen dort schlichtweg zu heiß! Nur deshalb haben sie die Nordhemisphäre nie erreicht! Statt dessen haben sich dort andere, mit ihnen nicht verwandte Vögel sehr ähnlich entwickelt: die Alkenvögel. Zu ihnen zählen beispielsweise Lummen und Papageitaucher: Seevögel, die hervorragende Taucher geworden sind, aber wegen den vorhandenen Landraubtieren nicht auf ihre Flugfähigkeit verzichten können. 


Schaut euch einmal diese Gegenüberstellung an: links eine Dickschnabellumme (Alkefjellet, Svalbard, 80°N) und rechts ein Eselspinguin (Deception Island, Südliche Shetlandinseln, 62°S): 
ist es nicht erstaunlich, wie groß die Ähnlichkeiten zwischen ihnen sind? Das liegt nicht an ihrer Verwandtschaft (es sind beides Vögel, aber da hört ihre evolutionäre Gemeinsamkeit auch schon auf), sondern daran, dass sie sich denselben Lebensraum erschlossen haben und sich von ähnlichen Tieren ernähren.
Ihre schwarz-weiße Tracht ist eine hervorragende Tarnung: von oben betrachtet fällt ein fliegender oder schwimmender Vogel am wenigsten vor dem dunklen Untergrund auf, wenn er einen schwarzen Rücken hat. Von unten betrachtet, also gegen den hellen Himmel, ist weißes Gefieder am unscheinbarsten. Dieser einfache Trick hat sich bei vielen schwimmenden und fliegenden Tieren bewährt: sei es der Papageitaucher, der Mantarochen, die Rauchschwalbe oder der Dusky-Delphin, alle haben sie helle Unter- und dunkle Oberkörper.

Was ich bis zu meiner Antarktisreise nicht wusste: bei uns auf der Nordhalbkugel gab es bis zur Mitte des 19ten Jahrhunderts tatsächlich Pinguine! Auf den Inseln des Nordatlantik, unter anderem auch auf Island, lebte der Riesenalk, welcher den lateinischen Namen Pinguinus impennis trug. "Pinguin" nannte man ihn, erst später bekam er seinen modernen Namen "Riesanalk". Der Name "Pinguin" stammt entweder aus dem Walisischen „pen gwyn“ („Weiß-Kopf“: er hatte einen großen, weißen Fleck am schwarzen Kopf), oder aus dem Englischen „ping wing“ („kurzer Flügel“: er hatte Stummelflügel, konnte nicht fliegen).
Als die Portugiesen und Spanier in Südamerika und Afrika auf die heutigen Pinguine trafen, nannten sie diese logischerweise nach dem ihnen so ähnlich sehenden Riesenalk. Dass wir dessen Geschichte heute komplett vergessen haben, liegt daran, dass er zwischenzeitlich ausgestorben ist.

Der auf unzugänglichen Inseln lebende Vogel war groß (bis zu 85cm) und eine leichte Beute für hungrige Matrosen, Daunensammler (die Federn rupfte man, nachdem man die Vögel blanchiert hatte...) und Vogelbalgsammler, die auf ein Exemplar in ihrer Sammlung nicht verzichten wollten. Die letzten Tiere starben auf der Island vorgelagerten Insel Eldey, und weil die Isländer ja generell alles schriftlich festhalten, wissen wir sogar genau, wie es geschah:

„Am Morgen des 3. Juni 1844 wurden die letzten beiden brütenden Exemplare von Jón Brandsson und Sigurður Ísleifsson erwürgt und das letzte Ei von Ketill Ketilson zertreten. Die Bälge wurden an einen dänischen Sammler verkauft.“
Na super. Damit fiel wieder eine Tierart dem dümmsten und daher gefährlichsten Raubtier der Welt zum Opfer: uns Menschen...


Den Pinguinen der Antarktis geht es, zum Glück, gut, auch, weil sie streng geschützt sind. Der Klimawandel betrifft auch sie, vor allem entlang der antarktischen Halbinsel verschiebt sich die Anzahl der brütenden Tiere, aber nicht so, dass sie in nächster Zeit vom Aussterben bedroht wären. Auf einer typischen Expeditionskreuzfahrt wird man versuchen, die drei häufigsten Pinguine zu sehen: Eselspinguine (Gentoos), Zügelpinguine (Chinstraps) und Adeliepinguine.
Adelies sind die kleinsten der antarktische Pinguine, sie sind maximal 71cm groß. Sie sind am einfachsten zu erkennen: rein schwarz-weiß, mit einem hübschen weißen Augenring und Federn, die ihnen bis weit auf den Schnabel wachsen. Dies ist eine Anpassung an die Kälte: Adelies sind, nach dem Kaiserpinguin, am besten auf tiefe Temperaturen eingestellt und, auch neben dem Kaiserpinguin, die einzige rein antarktische Pinguinart. Sie brüten um und auf dem Kontinent und damit wesentlich südlicher, als die anderen Langschwanzpinguine, die man eher nördlich und auf den subantarktsichen Inseln antrifft.
Der Zügelpinguin, der aus offensichtlichen Gründen auch Kehlstreifpinguin genannt wird, ist etwas größe als der Adelie. Ich mag ihn sehr; rein schwarz-weiß ist er sehr fotogen, und die weißen Federn betonen seine helle Augenfarbe wunderbar. Wirklich, ein wunderschöner Vogel!

Ja und dann gibt es da noch die Eselspinguine, zu erkennen an ihrem weißen Augenfleck
(ein Pen Gwyn!) und dem orangefarbenen Schnabel. Es sind die auf der antarktischen Halbinsel häufigsten Pinguine, und die drittgrößte Pinguinart überhaupt: bis zu 90cm groß stehen sie, nur die Königs- und Kaiserpinguine sind größer.

Ihr Schnabel ist wie gesagt leuchtend orange: diese Farbe vereinfacht es, die Widerhaken zu sehen, die ihren Rachen zu einer regelrechten Einbahnstraße für ihre Beute machen. Pinguine verschwenden bei ihren Tauchgängen keine Zeit; sie fangen Fisch und Krill und schlucken sie sofort, unter Wasser und ohne aufzutauchen. Damit ihnen die Beute dabei nicht entwischt, ist ihre Zunge mit kleinen, starren Kreatinplättchen belegt: eine effektive Falle!


Die Antarktis ist Kontinent der Widersprüche. Das Land ist extrem lebensfeindlich: winterliche Temperaturen selbst im Sommer, harsches Wetter, kaum vorhandene Primärproduktion: dass dort überhaupt Leben zu finden ist, liegt eigentlich nur daran, dass die Säugetiere und Vögel irgendwo ihre Jungen aufziehen müssen und das im Wasser nicht können. Nur dazu kommen sie an Land: scheitern sie oder sind die Jungen eigenständig, verschwinden sie wieder in Luft und Wasser. Sehr verständlich bei Anblicken wie diesen!

Nein, nicht das Land ist der Lebensraum der Pinguine, sondern das Meer: es sind echte Wasserbewohner geworden. Sie verbringen den ganzen Winter auf dem Meer und auch ihre Jugendjahre, schlafen sogar dort draußen. Allerdings muss man dabei sagen, dass Schlaf bei vielen Tieren anders definiert ist, als bei uns: Tiefschlaf, wie ihr ihn betreiben, kann sich kaum ein Tier leisten. Delphine, Wale, Robben, sämtliche Vögel brauchen Luft zum Atmen und würden ertrinken, wenn sie in Tiefschlaf fallen würden! Von daher schalten sie immer nur eine Hirnhälfte aus: die andere ist aktiv, passt also auf die Umgebung auf und dass man nicht untergeht. Und nach ein paar Minuten wird dann gewechselt, nach ein paar Minuten wieder, und wieder, und wieder.

Was diese Tiere in die kalten Gewässer des Südens zieht, ist Krill: garnelenartige Kleinkrebse, der riesige Schwärme ausbildet. Diese sehr fetthaltigen Krebse sind der Mittelpunkt des gesamten antarktischen Ökosystems: ohne Krill wäre die Antarktis nicht attraktiv für all die großen Tiere, die nur deshalb die Kälte erdulden, um sich schnell fett zu fressen. Krill seinerseits ernährt sich von Phytoplankton, also kleinen, meist einzelligen Algen, die vor allem unter dem winterlichen Meereis wachsen. Dieses bietet den einzelligen Pflanzen perfekte Wachstumsbedingungen: es ist ein Schutz bietender Lebensraum (Eis fungiert als Wellenbrecher und als Medium, an dem man wachsen kann), und (so es nicht von Schnee bedeckt ist) lässt viel Licht hindurch, das zur Photosynthese genutzt wird. Von den Algen ernähren sich dann viele andere Lebewesen, darunter auch der so wichtige Krill: Im Endeffekt kann man also sagen, dass die gesamte Tierwelt der Antarktis vom Meereis abhängig ist. Je mehr Eis sich bildet, desto mehr Lebensraum für Algen gibt es, und dementsprechend mehr Krill und sich davon ernährende Tiere.

Anders herum betrachtet bedeutet das: gibt es weniger Meereis, geht auch die Produktion von Algen und Krill zurück und unweigerlich die Anzahl großer Tiere. Dies lässt sich Eins zu Eins auf die Arktis übertragen: und genau deswegen hat der Klimawandel dort so große Bedeutung. All der Fischreichtum der Polarmeere, all die faszinierende Tierwelt von Arktis und Antarktis stehen in direkter Verbindung zum Meereis, unter dem Algen wachsen, von dem sich dann die Tiere ernähren, welche die Grundlage unserer Fischerei sind. Es ist alles untrennbar miteinander verbunden!

In der Antarktis ist der Klimawandel lange nicht so ausgeprägt, wie in der Arktis: man sagt, dass es mit dem Ozonloch zu tun hat, das sich über dem kalten Kontinent befindet, und welches eher zu einer Abkühlung bzw. zu einem Ausgleich der eigentlich stattfindenden Erwärmung beiträgt. Die Antarktische Halbinsel trifft es dagegen umso härter: kaum ein Ort der Erde erwärmt sich schneller, als dieser weit nach Norden reichende Teil der Antarktis. Niederschlagsmengen verschieben sich, die sommerliche Meereisausdehnung erlebt immer neue Negativrekorde: so fern unsere zivilisierte Welt auch scheint, der Klimawandel ist selbst auf diesem menschenleeren Kontinent spürbar.



Die Pinguine nutzen jede Stunde des Sommers, Klimawandel hin oder her: sobald es hell ist, verlassen sie die Kolonie, fischen, und kommen dann mit vollem Magen zurück zu ihren Küken, nur um dann sofort wieder zum nächsten Beutezug aufzubrechen. Die Vögel sind ständig beschäftigt, scheinen ständig in einer Mission unterwegs zu sein: bis auf Nachts, dann verharren sie still an Land.

Auf der MS Expedition haben wir ein Camping-Programm: bis zu 60 Gäste können, so sie es vorher gebucht haben, eine Nacht in Zelten an Land verbringen. Es ist verboten, an Land zu essen, und man darf nichts hinterlassen, nicht einmal Urin: folglich ist es viel Arbeit für die Guides. Nach einem langen Tag mit zwei Landungen muss das Abendessen für die Camper vorgezogen werden, alles für den dritten Landgang vorbereitet werden, Campingtoiletten und Zelte für alle an Land gebracht werden: Camping, das bedeutet Stress und noch weniger Freizeit, als ohnehin schon, sowie sehr frühes Aufstehen für alle Beteiligten am nächsten Morgen. Ein paar Guides müssen außerdem mit den Gästen im Zelt übernachten: und ja, es ist für alle ein Muss, kaum einer macht das freiwillig.


Und genau das habe ich nie verstanden: wie kann man sich so eine Chance entgehen lassen? Ist doch völlig wurscht wenn man einmal pro Reise keinen Schlaf bekommt: ich war jedes Mal der erste, der sich freiwillig gemeldet hat, um den Gästen beim Zeltaufbau im Schnee zu helfen und einen Abendspaziergang zu organisieren! :-)

Wenn das Wetter gut genug war, leider viel zu selten, machte ich einfach die Nacht durch. Ein einziges Mal übernachteten wir in direkter Nachbarschaft zu einer Pinguinkolonie. Als alle schliefen und ich ENDLICH einmal ein paar Stunden ganz alleine mit der Natur sein konnte, bemerkte ich, dass auch bei den sonst so hyperaktiven Eselspinguinen Nachtruhe einkehrte.

Als die Dämmerung begann und auch ich wieder Farben erkennen konnte, watschelten alle erwachsenen Tiere wie auf ein Kommando zum Meer: es war Rush-hour bei den Pinguinen!

Diese Vögel haben offensichtlich eine schlechtere Dunkelsicht, als ich: sehr interessant! Da können sie von Glück reden, dass die hellen Mittsommernächte erst im Spätsommer so dunkel werden, dass Nachtruhe obligatorisch für sie wird!
Pinguine sind auch deshalb so faszinierend zu beobachten, weil sie an Land keine Feinde kennen und dementsprechend wenig Scheu zeigen. Wie alle Tiere haben sie ein Territorium und einen persönlichen "Wohlfühlabstand" zu anderen Lebewesen, aber der ist unglaublich gering. Laufend und hoch über sie aufragend empfinden sie uns ganz klar als Störung. Verhält man sich aber ruhig und lässt sich mehrere Meter entfernt von ihnen nieder, dann weckt man ihre Neugierde. Und mit etwas Geduld erlebt man dann, wie plötzlich die Tiere die Initiative ergreifen!

Oft stoppen sie ein bis eineinhalb Meter von einem entfernt, manchmal aber kennen sie keine Hemmungen. Das obrige Bild wurde spät in der Saison aufgenommen und zeigt zwei Jungvögel: der eine schon komplett gemausert, der andere noch mit einem Teil seines Daunengefieders. Beide waren sie von meinem orangefarbenen Overall fasziniert: ich habe die Vermutung, dass sie mich als riesigen, wandernden Schnabel und somit als potentielle Futterquelle ansahen. Mein Hosenbein übte eine besondere Faszination aus, denn dort konnten sie ihren Schnabel hineinstecken - ganz so, wie sie es bei den Eltern taten. Und da kam ja schließlich auch immer Futter bei raus!

Es ist wirklich einzigartig, wilden Tieren so nahe sein zu dürfen: nie im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, dass mir irgendwann einmal ein Pinguinküken die Brille von der Nase ziehen würde! Oder dass ich einmal lange ganz still im Sand liegen und irgendwann später Weitwinkel-Portraits von Zügelpinguinen machen können würde: diese Momente sind unschreiblich! Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal ein solch priviligiertes Leben leben können würde - unglaublich, wirklich.
Kann mich mal jemand zwicken, bitte...?


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