Samstag, 27. April 2013

Snæfellsnes: langer Atem und nasse Füße

Es ist wunderbar, wieder in Island zu sein – auch und besonders, weil ich seit langem wieder die Möglichkeit hatte, in mehreren kurzen Camping- und Rucksackreisen die Natur des Nordens zu erleben. In diesem völlig ungeplanten Urlaub hatte ich nur ein Ziel: alleine, ohne Zeitdruck und ohne Stress Natur zu erleben. Und nebenbei in Ruhe Landschaften zu fotografieren. 
Von einer dieser Kurzreisen möchte ich euch hier berichten.
Sonnenuntergang über dem Leuchtturm von Dyrhólaey, Westmännerinseln im Hintergrund.
Wer genau hinschaut, kann zwei Sonnenflecken erkennen.
 


   
Der März ist zugegebenermaßen nicht der beste Monat für einen Campingurlaub in Island. Es ist eine seltsame Jahreszeit zwischen Winter und Frühjahr; wettermäßig ist da mit allem zu rechnen.
Da es zu der Zeit keine öffentlichen Verkehrsmittel zu fotografisch interessanten Orten gibt, war ich per Anhalter unterwegs. Jeder andere Fotograf würde sich vermutlich ein Auto mieten, um unabhängig, bequem und schnell das Land zu bereisen. Meinem umtriebigen Leben als Guide zum Trotz versuche ich jedoch, meinen CO2-Fußabdruck zu minimieren: ich fahre kein Auto, auch wenn das mein Leben als Fotograf erschwert. Andererseits passt es wunderbar in meine Fotophilosophie: Anstatt in kurzer Zeit viel zu sehen, verbringe ich lieber eine Woche an einem Ort und lerne diesen sehr gut kennen
. Für mich ist das einer der Schlüssel zu guter Landschaftsfotografie! Und nebenbei habe ich auch noch viel Zeit, um die Natur und die unglaublichen Erlebnisse zu genießen: das ist mir wichtiger, als jedes Foto. Die Kamera ist oft mein Antrieb, um solche Strapazen auf mich zu nehmen. Aber vor Ort, da lebe ich im Moment und genieße es, einfach nur unterwegs zu sein: ob die Kamera zum Einsatz kommt oder nicht, ist da nicht so wichtig. Ich habe da mal ein schönes Zitat gelesen, das den Nagel auf den Kopf trifft:

If I can make one good photograph a day, that keeps me going.
And if I cannot manage one, well, at least I have had the huge privilege of being in the mountains.
  
Bärlapp im Lavafeld Drangahraun, Snæfellsjökull im Hintergrund

   
Auf der Halbinsel Snæfellsnes gibt es einen Ort, an dem ich vor Jahren einmal kurz gewesen war und den ich seitdem immer wieder besuchen wollte: Lóndrangar, zwei fantastische Basaltfelsen, die unmittelbar an der dortigen Steilküste in den Himmel ragen. Fotografisch sind sie eigentlich noch nicht wirklich bekannt: auch das ein Reiz, sich mit ihnen zu beschäftigen. Und weil die Wettervorhersage ganz in Ordnung schien, holte ich mir die Erlaubnis, im Nationalpark zu zelten, und machte mich dann per Bus und Anhalter auf den Weg dorthin.


Als ich am Gletscher Snæfellsjökull angekommen war, stellte ich meinen Tagesrhythmus auf den Kopf: Bei solchen Fototouren schlafe ich tagsüber und bin stattdessen während der warmen Lichtstunden, zu den Dämmerungen und nachts aktiv. In den ersten beiden Tagen erforschte ich die Gegend wandernd und lernte viel über den Ort. Die Brandung an der Küste war gewaltig: tagelanger Südostwind bauschte die Wellen meterhoch auf. Zudem herrschte Springtide, was bedeutet, dass Flut und Ebbe ihre Extreme erreichen. Den Brechern zuzuschauen war ein Heidenspektakel: ich weiß gar nicht, wie viele Stunden ich allein damit verbrachte! Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht!
Schnell hatte ich meinen Lieblingsort ausgemacht. Die Wellen brachen auf einem schmalen Landstreifen unterhalb einer 20 Meter hohen Steilküste. Dort unten zu fotografieren war risikoreich; von der einen Seite drohte Steinschlag, von der anderen Seite rauschten die meterhohen Wellen heran. Dieser kleine Küstenstreifen war nur in den Stunden der Ebbe zugänglich: leider fielen Sonnenauf- und Untergang immer mit der Flut zusammen. In Meeresnähe bestand eigentlich gar keine Chance, trocken zu bleiben; die Gischt war überall, immer wieder kamen Brecher, viel größer als jene zuvor, die mir umsonst und ungefragt eine Dusche spendierten. Dazu spielte mir das Wetter einen Streich nach dem anderen: wenn das Licht interessant wurde, begann es beinahe zuverlässig zu regnen. Es war zum Mäusemelken!

Fünf Tage können wie im Fluge vergehen, sie können aber auch lang und voller Zweifel sein. Wenn man beispielsweise (mal wieder) von einer Monsterwelle fast ins Meer gespült wurde, völlig durchnässt ist und sich (nicht ganz unbegründet) um das Wohl von Kamera und seiner selbst sorgt. Wenn einem (mal wieder) der Regen alle Fotopläne verübelt und einem auf dem Rückweg ins Zelt das ganze Salz abwäscht, nur um aufzuhören, sobald man in Sichtweite des Zeltes kommt. 
Oder eben auch nicht aufhört und einen stundenlang ins Zelt verbannt, woraufhin man einschläft und dann die tollen Lichtstimmungen verpasst, die kurzzeitig vorherrschen, als man schläfrig aus dem Zelt lugt. Und wenn man dann hektisch in seine komplett nasse Kleidung springt und 15 Minuten zum Motiv hetzt - beginnt es wieder zu regnen sobald die Kamera endlich auf dem Stativ steht. ARGH!

Aber mal Hand aufs Herz: das gehört alles dazu, inklusive verpasster toller Motive und einer Menge Flüche in verschiedenen Sprachen! Denn man darf nie vergessen: man erlebt sie eben doch, diese tollen Momente. Man muss sie sich halt erarbeiten. Erwandern und erwarten. Nicht Geld, Autos oder tolle Guides bringen einen zu guten Bildern, sondern ein langer Atem und viel, viel Zeit draußen in der Natur. Und genau diese Momente, die ich nicht hinter der Kamera verbringe, das sind die, welche ich am besten in Erinnerung behalte - und genieße!
Dann aber war es endlich soweit: als ich am Morgen des fünften Tages um 3 Uhr aus dem Zelt lugte, blinzelten mich Sterne in großen Wolkenlücken an. Die Regenwolken hatten sich zum Horizont verzogen; der tiefstehende Mond stand am Südhorizont im Sternbild des Löwen. Ich entschied mich, trotz Dunkelheit zum riskanteren meiner beiden Lieblings-Fotoorte zu wandern. Es war insofern risikoreich, als das er unterhalb der bereits erwähnten Steilklippe lag. Dorthin im Dunkeln zu wandern bzw. klettern, war eine Sache: die Wellen aber wollte und musste ich sehen können. Ich wollte schließlich nicht als Fischfutter im Meer oder als Algendünger in der Klippe landen...
Mittlerweile kannte ich die Höhepunkte der Gezeiten und wusste, dass mir nur ein kleines Zeitfenster blieb, um dort zu fotografieren. Frühestens im fortgeschrittenen Licht der Morgendämmerung konnte ich mich in die Nähe der Wellen wagen. Und spätestens bei Sonnenaufgang musste ich den Rückweg angetreten und den steilen Aufstieg zur Klippe erreicht haben, wenn ich nicht von der Flut eingeschlossen werden wollte.

Die Morgendämmerung verging viel zu schnell! Es war durch und durch herausfordernd, dort unten zu fotografieren. Ständig musste ich mich vor großen Brechern in Acht nehmen; ich konnte kaum mehr als zwei, drei Bilder machen, bevor ich Kamera, Stativ und mich vor den nächsten Wellen in Sicherheit bringen musste. Die Luft war gesättigt von Gischt, was es schwer machte, mit Kamera und Filtern zu hantieren, besonders auch, weil ich es mir kaum leisten konnte, meine Aufmerksamkeit von der Küste und den ankommenden Wellen zu nehmen.

Die Macht der größten Brecher war einfach nur beeindruckend! Donnernd brachen sie über die Küste herein, schossen an den ersten Felsen bis zu 10 Meter hoch in die Luft oder aber rollten gut 50 Meter weiter als die Wellen zuvor. Teilweise wähnte ich mich den Niagarafällen gegenüber: Ich war der Brandung völlig ausgeliefert, musste die anrollenden Wassermassen ständig abschätzen und immer bereit sein, schnell davonzurennen. Und das tat ich, oft und immer wieder: ich wartete bis zum letzten Moment, und sobald das Foto im Kasten war, schnappte ich mir die Kamera auf dem Stativ und rannte auf den nassen Steinen wie auf rohen Eiern den Wellen davon. Sie holten mich meist trotzdem ein, ich wurde klatschnass und musste öfters um festen Stand kämpfen: aber es hat einen Heidenspaß gemacht! Schließlich wurde ich mit Anblicken und Motiven belohnt, die beinahe nicht von dieser Welt scheinen: tosende Brandung vor den fotogenen Klippen, unter dem untergehenden Mond, der sich sich im Licht der Morgendämmerung in einem fließenden Pool aus Salzwasser spiegelte – auch wenn ich ständig auf der Flucht war, war es schlichtweg atemberaubend!

Wie erwartet wurden die Wellen bei steigender Flut immer höher und zwangen mich schließlich genau zu Sonnenaufgang zum Rückzug. Teilweise war das Meer schon bis zur Klippe vorgedrungen; um zum Aufstieg zu gelangen musste ich niedrige Wellen abwarten und bei den kritischen Passagen durch knietiefes Wasser waten. Was für ein Triumphgefühl, als ich dann endlich wieder oben in Sicherheit stand: Adrenalin im Blut, erfüllt von der puren Freude, am Leben und in der Natur zu sein!

Mit Blick aufs Meer setzte ich mich schließlich für eine Weile, genoss still den Sonnenaufgang und sah in Ehrfurcht dorthin, wo ich Minuten zuvor noch gestanden hatte. Die Küste unterhalb der Klippe hatte sich in einen kochenden Hexenkessel aus tosenden Wellen verwandelt; Land war kaum mehr zu sehen. Dass ich da unten gewesen war, schien auf einmal völlig wahnsinnig zu sein. Einmal mehr hatte ich den Elementen Erfahrungen und Bilder abgerungen, an die ich ohne etwas Einsatz und Risiko nicht gelangt wäre. Es war ein durch und durch beeindruckendes Erlebnis, und es unbeschadet überstanden zu haben, lässt mich heute noch Ehrfurcht und tiefe Dankbarkeit empfinden!
Die Küste eine Viertelstunde nach meiner geglückten Flucht, fotografiert vom Ort des Auf- und Abstiegs.
Meine Fotomotive hatten sich genau zwischen dem Eissturmvogel im Vordergrund und der Felsenburg im Hintergrund befunden: die 500m des Rückweges kamen einem Spießrutenlauf gleich. Gut, das gerade noch geschafft zu haben!

1 Kommentar:

  1. wahnsinn, die bilder sind beeindruckend und deine erlebnisse dazu... verdient großartige motive - wunderschön!!

    AntwortenLöschen