Samstag, 27. August 2011

Mit Volldampf hinein ins "Studium"

Longyearbyen von Nordwesten aus betrachtet.
Bald habe ich alle Bergspitzen der Umgebung erklommen!


Ich hatte schon vor meiner Ankunft gehört, dass man als ANG-Student nicht viel Zeit für andere Dinge als fürs Studium und Outdooraktivitäten hat. Dass dem tatsächlich so ist, kann ich nach nur zweieinhalb Wochen voll bestätigen. Hier im Blog auf dem neuesten Stand zu bleiben wird eine gute Stange Arbeit werden!

Wirklich begonnen hat das Studium mit dem obligatorischen Zweitageskurs, den jeder Student absolvieren muss, wenn er an UNIS studiert. "UNIS" steht für "University Centre in Svalbard" und gilt als das nördlichste Universitätszentrum der Welt. Es ist keine eigenständige Uni, sondern quasi eine Außenstelle der Universitäten in Oslo, Bergen und Tromsø. Hier absolvieren Bachelor- und Masterstudenten aller Herren Länder mehrwöchige Kurse, aber auch ein bis zwei Semester ihrer Ausbildung. Es sind hauptsächlich Geologen und Biologen, die sich auf arktische Themen spezialisieren, aber auch Meteorologen, Geophysiker und verschiedene technisch orientierte Studenten. Etwa 300 Studenten sind hier eingeschrieben, davon leben etwa 200 länger als vier Monate in Longyearbyen.

Wir ANG-ler (Arctic Nature Guides) gehören eigentlich nicht zu UNIS, aber dann irgendwie doch, genau habe ich es nicht begriffen. Die Regel scheint folgende zu sein: sobald es sich um Geld dreht, das die Uni von uns haben will, sind wir UNIS-Studenten. Dreht es sich um Vorzüge, die UNIS-Studenten erhalten, dann sind wir keine. Echt ne tolle Regel! *schmoll*

Ich traf meine Klassenkameraden am 9. August das erste Mal, und ich staunte nicht schlecht. Unter den 17 Teilnehmern sind nur vier Frauen - DAS hatte ich nicht erwartet! Zum einen wusste ich, dass im letzten Jahr über die Hälfte der ANGler weiblich waren, und zum anderen hatten wir ja schon eine Teilnehmerliste erhalten, auf der neun Mädels verzeichnet waren. Fünf von ihnen scheinen sich in letzter Sekunde entschlossen zu haben, nicht zu erscheinen - woraufhin zwei weitere Jungs in unsere Reihen aufgenommen wurden. Und ein Hund.

Vom Durchschnittsalter sind wir etwas älter, als ich es erwartet hatte, die meisten sind etwa 23-25 Jahre alt. Die unterste Grenze bilden zwei 21jährige, ich bin die zweitälteste, und den Schluss bildet ein ziemlich verschrobener 32jähriger Franzose, der kaum Englisch spricht und seinen Hund Jenun zum weltweit ersten ANG-Dog ausbilden will. Ich freue mich, denn Jenun ist nicht nur die fünfte Frau im Bunde, sondern auch noch ein selten liebes und tolerantes Tier. Dazu ist sie äußerst fotogen: sie ist ein Husky-Mix und erinnert mich extrem an einen Wolf! Bin gespannt, wie sie wohl im Winterfell aussehen wird!


Viel Zeit zum Kennenlernen hatten wir nicht, denn wir wurden für besagten UNIS-Sicherheitskurs in Gruppen mit UNIS-Studenten vermischt und hatten dann zwei ziemlich lustige Tage vor uns, bei denen wir unter anderem lernten, wie man Zelte aufbaut, Kocher benutzt und wie man sich richtig kleidet. Was für uns langweilig war, war für einige UNIS-Studenten komplettes Neuland - man soll es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich Menschen, die noch niemals auf einer Isomatte geschlafen, geschweige denn jemals Wollunterwäsche getragen haben!


Viel wichtiger aber war, neben dem Absolvieren eines halbtägigen Erstehilfekurses, die Einführung in die Sicherheitsmaßnahmen, die hier auf Svalbard gelten. Und die drehen sich entweder ums Wetter, oder aber um Eisbären.
Letztere sind hier in Longyearbyen allgegenwärtig, weil ständig über sie gesprochen wird und sie das Wappen- und Symboltier Svalbards sind. Sehen tut man sie allerdings sehr selten bis gar nicht. Den meisten Eisbären sind Menschen suspekt; sie nähern sich gerne auf hundert Meter, um zu gucken, wer oder was wir sind, suchen dann aber lieber das Weite.
Ist ein Eisbär allerdings ausgehungert, und dann wohlmöglich noch ein junges, hormongesteuertes Männchen, dann kann es schonmal sein, dass er auch so stinkende Wesen wie Menschen als Beute ansieht. Und für den Fall muss man dann im wahrsten Sinne des Wortes gewapnet sein.


Daher müssen wir bei jeder Exkuskusion Signalpistolen mitführen, um Eisbären verscheuchen zu können, bevor die Begegnung für beide Seiten lebensbedrohlich wird. Wird ein Eisbär gesichtet, müssen Menschen sofort alles stehen und liegen lassen und sich verkrümeln, um einen Kontakt zu vermeiden. Klappt das nicht, oder wird der Eisbär neugierieg, dann werden mit der Signalpistole leuchtende Patronen zwischen das Tier und die Menschen geschossen, die nach ein paar Sekunden noch einmal knallen und in den allermeisten Fällen die Eisbären so erschrecken, dass sie jede Neugierde vergessen.

Reicht auch das nicht aus, oder treffen Mensch und Bär völlig unerwartet aufeinander und greift der Bär an, dann darf ab einem Abstand von 30 Meter das Gewehr zum Einsatz gebracht werden: dann aber in der Absicht, den Bär zu töten. Damit jeder einzelne hier in Longyearbyen dazu zumindest theoretisch in der Lage ist, verbrachten wir einen halben Tag im Schießstand.


Die allermeisten hatten hier zum ersten Mal im Leben Kontakt mit einer Feuerwaffe - so auch ich. Da wir im Ernstfall ein über 500kg schweres Tier niederstrecken müssen, wird hier mit Großkalibergewehren geübt, die sonst bei Großwildjagd oder beim Militär genutzt werden. Ich kann mit den Namen und Nummern nichts anfangen, aber ich hatte eine Ruger M77 in der Hand und Geschosse des Kalibers .30-06. Im Klartext: die Dinger sind groß, schwer, machen mehr Krach als es meinen Ohren lieb ist und verzieren die ungeübte Schulter mit einer Vielzahl blauer Flecken.

Ich war ehrlich gesagt ziemlich erschrocken von der Macht dieser Gewehre - allerdings auch von mir. Denn von 16 Geschossen, die ich auf die 30 Meter entfernte Scheibe feuerte, landeten 14 im Schwarzen - das schaffte außer mir nur einer, und der hatte einen Waffenschein. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll, denn im Gewehrgebrauch wollte ich noch nie gut sein. Ich mag diese Waffen nicht: so mächtig, so "unfair" und nur zu einem Zweck gedacht, den ich nicht gutheißen kann. Wenn allerdings tatsächlich irgendwann einmal ein Eisbär mit 40 km/h auf mich zugaloppiert kommt, um mich als Abendessen zu verspeisen, dann ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man ein Gewehr zielsicher bedienen kann!



Nach dem Schießkurs folgte noch ein lustiger Nachmittag: wir mussten lernen, was man tut, wenn man in der Arktis auf einem Schiff unterwegs ist. Sobald man relativ ungesichert an Deck oder gar nur auf einem Schlauchboot arbeitet, ist das Tagen von Überlebensanzügen Pflicht: und genau das mussten wir ausprobieren. Wir zwängten uns in unförmige Ganzkörperkondome und durften ein wenig im Hafen herumplanschen.


Das Wasser fand sofort den Weg in meinen Anzug hinein, was erstmals nicht das Problem war. Mit der Zeit aber wurde es kalt: das Meer ist hier im Fjord sommerliche 4°C warm. Ich wunderte mich schon etwas über die Kälte(un)empfindlichkeit so manch anderer, die lachend eine halbe Stunde lang im Wasser planschten, als sei es eine warme Quelle in Island. Ich hielt mich durch Bewegung warm, denn mit diesen Dingern kann man nicht untergehen und allen möglichen Unsinn veranstalten: zum Beispiel kann man im Wasser krabbeln oder einfach nur dumm durch die Gegend treiben und das wohl bescheuerste Portrait von sich machen lassen, das jemals aufgenommen wurde!


Als wir dann wieder an Land durften und uns aus diesen orangefarbenen Undingern schälten, beklagte der ein oder andere einen feuchten Halskragen oder nasse Ärmel. Und ich verstand endlich, warum nur mir so kalt gewesen war - die anderen waren tatsächlich trocken geblieben! Ich hatte natürlich das Pech gehabt, einen komplett undichten Anzug zu erwischen, der sich bis zum Nacken hoch mit Wasser füllte. Selbst unser Lehrer schien erstaunt, als er mich sah - und fand sofort ein großes Loch im Anzug, das da eigentlich nicht hätte sein sollen. Mir half diese späte Kontrolle nicht mehr, aber immerhin habe ich nun eine Geschichte zu erzählen. Zudem wurde mir von allen Anwesenden und unserem "Bademeister" der Preis der nassesten Person des diesjährigen UNIS-Kurses zugesprochen. Und das muss was heißen, bei fast 200 Studenten die alle baden gehen! ;-)


1 Kommentar:

  1. Du bist ja hart im Nehmen: 4 Grad Wassertemperatur mit einem undichten Anzug - ergo ziemlich durchnässt. Aber wahrscheinlich gilt auch auf Island der berühmte Spruch: "Was nicht direkt zum Tode führt, härtet ab".

    In diesem Sinne liebe Grüße aus den Alpen,
    Frank (der mit den Sternen)

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