Mittwoch, 10. August 2011

Ankunft in Longyearbyen

Als ich von meiner Freundin Arianne zum BSI gebracht wurde und dort mit insgesamt über 50 Kilogramm Gepäck zum Flughafen fuhr, wurde mir bewusst, wie sehr mir dieses unstete Leben mittlerweile vertraut ist. Ich war kaum aufgeregt, kannte das Prozedere am Flughafen genauso wie alle Tricks, um keine Gebühren fürs Übergepäck zahlen zu müssen. Trotz zwei Kameras, einem Laptop, vielen Kleidungsschichten und viel zu schwerem, viel zu sperrigem Handgepäck kam ich gut durch den Zoll, der allerdings bei der Ausreise nie ein Problem darstellt. Im Flugzeug tauschte ich meinen Sitz am Gang sofort kackfrech durch die jederzeit komplett leere Sitzreihe unmittelbar hinter der ersten Klasse aus, die von den Fluggesellschaften immer erst dann belegt wird, wenn die Maschine komplett ausgebucht ist. Als wir abhoben, summte ich das Lied “Im Flugzeug” von den Wise-Guys, freute mich über die vielen Turbulenzen an diesem wolkigen Tag, und fragte mich, ob ich mit einem Fensterplatz rechts im Flugzeug wohl die richtige Wahl für die Landung in Longyearbyen getroffen hatte (Antwort: nein! Links sitzen!). Der obligatorische Zwischenstop im schwülwarmen Oslo war schnell überstanden: um 20:40 Uhr ging es dann los nach Longyearbyen.

Der Flug dauerte länger als die Reise von Island nach Oslo, war aber genauso sehenswert: hatte ich beim ersten Flug die Färöerinseln und die norwegische Fjordküste gesehen, so flogen wir nun beim Sonnenuntergang über Nordland und die Lofoten.

Der Svartisen-Gletscher in Nordland, kurz unterhalb des Polarkreises und Bodø

Auf der Reise gen Norden ging trotz fortschreitender Uhrzeit die Sonne auf, nicht unter: als wir bei fast geschlossener Wolkendecke über Svalbard flogen, erhaschte ich im Tageslicht einen Blick auf irgendwelche riesengroßen Gletscherzungen.


Dann landete die Maschine und war ich angekommen: um 00:30 Uhr begrüßte mich Spitzbergen mit wunderbar klaren 6°C und einem schönen Lichterspiel am Horizont, das ich noch schnell aus dem trüben Flugzeugfenster dokumentieren konnte. Die Zeitzone ist hier übrigens genau dieselbe, wie auch in Deutschland: hier wird sogar auf Sommer- und Winterzeit umgestellt, allerdings zu leicht anderen Daten!


Die Fahrt vom Flughafen in die "Hauptstadt" Longyearbyen (sprich:"Longjährbühn") dauerte nicht lange und führte vorbei an all dem, was das Dorf ausmacht: uraltem Schrott und Ruinen von ehemaligen Mienenanlagen, dem stets braun qualmendem Kohlekraftwerk, dessen Geruch die Luft der ganzen Umgebung sättigt, und vielen bunten, auf Stelzen stehenden zweckmäßig- bis fotogenen Häusern.


Nybyen, die “Neustadt” liegt fünf Autominuten außerhalb von Longyearbyen und besteht aus acht großen, länglichen doppelgeschössigen Häusern, welche ehemals die Arbeiter des jüngsten Kohlebergwerkes beheimateten. Hier leben jetzt etwa 150 Studenten - auch ich und sechs weitere meines Kurses sind in eine dieser Riesen-WGs eingezogen.

180°-Panorama vom unteren Longyeardal: das am besten erhaltene Mienengebäude
oben am Berghang im Vordergrund. Links die Baracken von Nybyen
(ich lebe momentan in dem dunkelroten Haus links hinten),
dann zwei Kilometer Straße, und Longyearbyen rechts unten am Fjordende.


Die ersten Tage hatte ich genug damit zu tun, mich einigermaßen an die stete Helligkeit zu gewöhnen, was mir immer noch nicht gelungen ist: man hat hier nicht einmal ansatzweise das Gefühl, dass irgendwann Abend ist! In Island geht selbst im Hochsommer die Sonne irgendwann mal unter: hier aber steht sie Anfang August immer noch so weit oben am Himmel, dass die Wolken gerade einmal ein bisschen gelb werden. Bisher war es zwar durchgehend bewölkt, was mich aber nicht daran hinderte, die Gegend soweit zu erkunden, wie mir das ohne Gewehr und ohne Sicherheitskurs möglich ist. Denn direkt am ersten Tag wurde ich daran erinnert, dass ich hier nicht mehr im harmlosen Island bin: am 5. August tötete ein Eisbär einen 17 jährigen Briten, der 30 Kilometer vom Dorf entfernt mit einer 13köpfigen Gruppe an einem Gletscher übernachtete. Im Wappen der Insel ist ein Eisbär abgebildet sowie die Worte: “Svalbard - natura dominatur”. Und so ist es: der Mensch hinterlässt hier zwar mehr als offensichtlich (und stolz) seine Spuren, die Regeln bestimmt jedoch ganz klar die Natur!

Und diese ist allgegenwärtig. Hohe, beinahe komplett unbewachsene Berge steigen aus dem Meer, die Schreie von Möwen und Krabbentauchern hallen im Tal ebenso wieder, wie die Revierrufe eines jungen Polarfuchsrüden. Dieser hat, wie alle Tiere hier, keinerlei Scheu vor dem Menschen: ich konnte ihn sogar anlocken, als ich meinen seltsamen trillernden Pfiff ertönen ließ und der Kleine herausfinden wollte, welch seltsamer Vogel ich wohl sei.


Nicht schlecht staunte ich vorgestern, als ich aus dem Fenster schaute dabei folgendes zu Gesicht bekam:


Zwei männliche Svalbard-Rentiere, die völlig unbeeindruckt der menschlichen Anwesenheit das wenige Gras abweideten, das die trockenen Täler hier hervorbringen. Ich platzierte mich etwa 20 Meter oberhalb der beiden: völlig desinteressiert weideten sie langsam zu mir hin und passierten mich in nur eineinhalb Meter Entfernung.


Die Svalbard-Rentiere sind wirklich lustige Viecher: verglichen mit ihren skandinavischen Kollegen und auch den amerikanischen Karibu haben sie Stummelbeine, einen riesigen Leib und ein beinahe unproportional großes Geweih. Es ist eine ganz typische Anpassung für Lebewesen der Kälte: alles was kälteanfällig ist wird klein (so etwa Gliedmaßen und Ohren) und der Leib dagegen größer: Masse hält Wärme besser und hat eine geringere Oberfläche. Warum sich allerdings deren Geweih so groß ausgebildet hat, verstehe ich nicht ganz. Wahrscheinlich typisch Männchen: allein die Größe zählt! ;-)

Dass diese Tiere so wenig scheu sind, liegt daran, dass sie nicht bejagt werden: Eisbären ernähren sich von Robben und Walkadavern und machen sich nicht die Mühe, Rentiere oder Polarfüchse zu fangen. Auch die Menschen hier jagen nur bedingt, zudem steht die gesamte Fauna und Flora unter strengstem Schutz: die Tiere haben uns nie als Feinde kennengelernt. Ein wirklich tolles, ungewohntes Gefühl, hier nicht als Eindringling, sondern als “Einrichtung” betrachtet zu werden!


Da wir ohne den obligatorischen Sicherheitskurs mit Schießtraining noch keine Waffen ausleihen dürfen, bin ich momentan auf andere angewiesen, um die weitere Umgebung zu erkunden. Zum Glück konnte ich mich am Sonntag einer Gruppe internationaler Studenten anschließen, die eine 13 Kilometer lange Wanderung über den östlichen Bergrücken und über einen Gletscher machten. Dabei bekam ich einen ersten Eindruck der kahlen, wüstenartigen Berggegend.

Dies ist ein 180°-Panorama, gemacht vom Berg Sarkofagen. Man sieht das komplette Longyeardal: der Gletscher Longyearbreen endet in einer großen Möräne, dann im Fluss Longyearelva, und dann schließt sich unten am Fjord Longyearbyen, also "Longyear-Stadt" an. Und damit habt ihr schon vier norwegische Wörter gelernt: bree = Gletscher, elva = Fluss, by = Stadt / Dorf und dal = Tal.

Longyearbyen liegt seitlich am kleinen Fjord Adventfjorden gelegen, welcher wiederum nach einem Schiff namens "Advent" benannt wurde, das hier irgendwann mal anlegte. Dieser kleine Fjord ist ein stummelförmiger ein Seitenarm des großen Isfjorden, der sich wie eine Hand in ganz viele benachbarte Fjorde aufteilt. Umringt sind der Fjord und die winzige Stadt von hohen, beinahe gänzlich unbewachsenen Bergen, die mich ein klein wenig an die Fjordküste östlich von Höfn in Island erinnern.

Dass hier kaum etwas wächst, liegt nicht an den niedrigen Temperaturen, sondern an den kaum vorhandenen Niederschlägen: die Gegend um Longyearbyen ist eine arktische Wüste. Hier regnete es im Sommer kaum - meine wasserdichte Kleidung ist also sozusagen völlig unbrauchbar!

Heute schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel und habe ich um die Mittagszeit eine Wanderung ins Dorf und in Richtung Flughafen gemacht. Die folgenden Bilder will ich auch noch schnell an den Bericht hängen!

Diese beiden Rentiere sind wirklich dufte!

Blick aus Longyearbyen in Richtung Flughafen, Privathafen und Verladehafen

Und nun verabschiede ich mich bis zum nächsten Mal!
Liebe Grüße aus 78°Nord!
Eure Kerstin

P.S. Ich habe im vorigen Bericht (hier nachfolgend) zwei Karten eingefügt, die euch die Größe und Lage des Archipels verdeutlichen!

1 Kommentar:

  1. Hallo Kerstin, super schön von Dir und von Spitzbergen zu lesen und zu schauen. So tolle Bilder. Bist Du nun bewaffnet? Gruesse von Arianne

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