Die Tage vor dem 17. August waren sehr winterlich gewesen. Der starke Wind hatte die Tagestemperaturen in Longyearbyen von 3-6°C auf Gefühlsfrost heruntergekühlt, es hatte für hiesige Verhältnisse stark und viel geregnet und auch geschneit, sodass ich schon in Erwägung zog, meinen Daunenparka auszupacken. Am Dienstag aber begann eine Gutwetterperiode, die wir uns zwar alle erhofft, aber niemand erwartet hatte: bei strahlendem Sonnenschein absolvierten wir erst unseren Schnupperschießkurs und stachen dann am Mittwoch Morgen bei gleißendem Sonnenschein mit einem Touristenboot von Longyearbyen aus in See.
Außer etwa 15 Touristen und allen 17 ANG-Studenten befanden sich Ungengen an Gepäck an Bord. Wir hatten Essen, Ausrüstung und persönliche Gegenstände für einen Neuntagesaufenthalt mit dabei: solange wollten wir in einem Zeltlager im Billefjord bleiben. Das Ziel dieses Ausfluges: mit dem Wandern auf Gletschern und den Gefahren dort vertraut werden und Rettungsmaßnahmen lernen. Schließlich müssen sich "Arctic Nature Guides" auch und besonders auf Eis zurechtfinden können!
Die dreistündige Fahrt zu unserem Ziel, dem Gletscher Nordenskiöldbreen, war fantastisch! Endlich raus aus diesem dann doch ziemlich langweiligen Kohle-Dorf Longyearbyen, endlich einmal sehen, wo man sich befindet! Wir fuhren den Isfjord hinein ins Landesinnere und passierten die in den meisten Fällen komplett unbewachsenen, wunderschön gemusterten und farbenfrohen Berge.
Viele Vögel waren zu sehen, hauptsächlich Eissturmvögel, Küstenseeschwalben und Papageitaucher. Fast in jedem Fjord standen Ruinen, Hütten und / oder Zeltlager vor meist atemberaubender Kulisse. Der Mensch hat auch hier oben überall sichtbar seine Spuren hinterlassen – ironischerweise wird das als "Kulturgut" deklariert und per Gesetz an Ort und Stelle belassen. Die Gründe sind einerseits Stolz auf die historische Bedeutung der Orte (Norweger LIEBEN Geschichtliches!), andererseits gibt es hier auch ganz klar politische Interessen. Ein gutes Beispiel ist die russische Mienenstadt Pyramiden, die wir aus der Ferne erspähten. Sie war schon komplett verlassen worden, als Russland seine Gebietsansprüche erneut geltend machte und heute den Unterhalt von 5-15 Russen bezahlt, nur damit sie die Ruinen instand halten und Ort und Bodenschätze weiterhin als russisch deklariert werden können.
Nachdem wir dieses (in meinen Augen) Schandmal der Naturzerstörung erfolgreich links liegen gelassen hatten, sahen wir endlich unser neues Zuhause: den Gletscher Nordenskiöldbreen.
Unsere Fähre brachte uns bis auf mehrere hundert Meter an die Küste heran, dann setzten wir mit all unserem Gepäck und dem Hund in Schlauchbooten zur Küste über.
Dort befand sich schon ein Lager von UNIS-Geologen, sowie unsere Lehrer, welche die vergangenen beiden Tage mit dem Erkunden des Gletschers verbracht und sich schlichtweg eine schöne Zeit gemacht hatten. Schnell bauten wir neun Zelte auf, organisierten das Lager in einen "sauberen" und einen "dreckigen" Bereich (Essen und Fäkalien sind innerhalb des Eisbären-Stolperdrahtes bei den Schlafzelten tabu), und dann war es irgendwie auch schon an der Zeit, zu Abend zu essen und sich am Treibholzlagerfeuer ein wenig besser kennenzulernen.
Kleiner Einschub: während ich dies schreibe, schwimmt eine große Gruppe von Belugas (kleine, schneeweiße Walen) im Fjord. Einfach mal so. Ist das toll!
Auch diese Nacht währte nur kurz, denn ich war für die 3-Uhr Schicht der Eisbärenwache eingeteilt worden. Um drei Uhr wurde ich von meiner Vorwache geweckt, sprang schnell in meine gesamte Winterdaunengarnitur, übernahm Gewehr und Signalpistole, und hockte mich dann eine Stunde lang auf den Hügel überhalb unseres Zeltplatzes. Ich empfand es als ganz wunderbar, einfach nur die ruhige Landschaft zu betrachten und dabei aufmerksam nach sich bewegenden, weißen Flecken zu suchen. Viel zu schnell war es vier Uhr und weckte ich meinen Nachfolger, um dann, nach der Waffenübergabe, mitsamt Kamera, Stativ und einem zweiten Gewehr in den Sonnenaufgang hineinzuwandern. Wäre in der Zeit ein Eisbär gekommen, so hätte der mich höchstwahrscheinlich gefressen, denn ich hatte meine Augen nur auf der Landschaft. An den Gedanken, ein großes Raubtier in meiner Nähe zu haben, muss ich mich wirklich erst noch dran gewöhnen!
Nach zwei weiteren Stunden Schlaf hieß es schon wieder aufzustehen. Bei weiterhin unglaublich gutem Wetter näherten wir uns dem Gletscher, verbrachten ein paar Stunden mit Theorie und dem "Lesen" des Gletschers per Karte und aus der Ferne.
Dann wagten wir, endlich, die ersten Schritte auf einem spaltenarmen Seitenarm des Nordenskiöldbreen, und machten uns mit dem Eis und der Handhabung unserer gesamten Ausrüstung vertraut. Wie ich, so trugen auch einige der anderen zum ersten Mal eine komplette Kletterausrüstung mit kombiniertem Klettergurt, allen möglichen Gerätschaften und zu allen Seiten hin abstehenden Steigeisen. Bis ich erst einmal verstanden hatte, wie man die vielen Knoten knüpft und wann man welche Steigeisentechniken nutzt, war es auch schon wieder Abend geworden.
"Abend", das bedeutet so hoch in der Arktis auch Mitte August noch, dass die Sonne weit höher am Horizont steht, als in Island im Juni zu Mitternacht. Immerhin stellte sich eine leichte Abendstimmung ein, wenn das Licht wärmer wurde und die Täler im Schatten der hohen Berge lagen. Dann nahmen die sonst leuchtend weißen Gletscher die Farbe des Himmels an und wirkten unwirklich blau. Ein Traum für Fotografen! Und so kam es, dass ich auch am zweiten Abend wenig sozial war: statt mit den anderen am Lagerfeuer zu sitzen, flitzte ich mit der Kamera am Strand entlang. Aber auch einige der anderen genossen es, einfach nur "da" zu sein und die Weite und Größe der auf den ersten Blick unberührten Landschaft zu genießen. Es erschien geradezu surreal, dass wir hier im Zeichen unseres Studiums verweilten: es war das tollste Klassenzimmer, das man sich vorstellen kann! Was für ein irrsinniges Privileg und Geschenk dieses Studium doch ist!
Dienstag, 30. August 2011
Samstag, 27. August 2011
Mit Volldampf hinein ins "Studium"
Ich hatte schon vor meiner Ankunft gehört, dass man als ANG-Student nicht viel Zeit für andere Dinge als fürs Studium und Outdooraktivitäten hat. Dass dem tatsächlich so ist, kann ich nach nur zweieinhalb Wochen voll bestätigen. Hier im Blog auf dem neuesten Stand zu bleiben wird eine gute Stange Arbeit werden!
Wirklich begonnen hat das Studium mit dem obligatorischen Zweitageskurs, den jeder Student absolvieren muss, wenn er an UNIS studiert. "UNIS" steht für "University Centre in Svalbard" und gilt als das nördlichste Universitätszentrum der Welt. Es ist keine eigenständige Uni, sondern quasi eine Außenstelle der Universitäten in Oslo, Bergen und Tromsø. Hier absolvieren Bachelor- und Masterstudenten aller Herren Länder mehrwöchige Kurse, aber auch ein bis zwei Semester ihrer Ausbildung. Es sind hauptsächlich Geologen und Biologen, die sich auf arktische Themen spezialisieren, aber auch Meteorologen, Geophysiker und verschiedene technisch orientierte Studenten. Etwa 300 Studenten sind hier eingeschrieben, davon leben etwa 200 länger als vier Monate in Longyearbyen.
Wir ANG-ler (Arctic Nature Guides) gehören eigentlich nicht zu UNIS, aber dann irgendwie doch, genau habe ich es nicht begriffen. Die Regel scheint folgende zu sein: sobald es sich um Geld dreht, das die Uni von uns haben will, sind wir UNIS-Studenten. Dreht es sich um Vorzüge, die UNIS-Studenten erhalten, dann sind wir keine. Echt ne tolle Regel! *schmoll*
Ich traf meine Klassenkameraden am 9. August das erste Mal, und ich staunte nicht schlecht. Unter den 17 Teilnehmern sind nur vier Frauen - DAS hatte ich nicht erwartet! Zum einen wusste ich, dass im letzten Jahr über die Hälfte der ANGler weiblich waren, und zum anderen hatten wir ja schon eine Teilnehmerliste erhalten, auf der neun Mädels verzeichnet waren. Fünf von ihnen scheinen sich in letzter Sekunde entschlossen zu haben, nicht zu erscheinen - woraufhin zwei weitere Jungs in unsere Reihen aufgenommen wurden. Und ein Hund.
Vom Durchschnittsalter sind wir etwas älter, als ich es erwartet hatte, die meisten sind etwa 23-25 Jahre alt. Die unterste Grenze bilden zwei 21jährige, ich bin die zweitälteste, und den Schluss bildet ein ziemlich verschrobener 32jähriger Franzose, der kaum Englisch spricht und seinen Hund Jenun zum weltweit ersten ANG-Dog ausbilden will. Ich freue mich, denn Jenun ist nicht nur die fünfte Frau im Bunde, sondern auch noch ein selten liebes und tolerantes Tier. Dazu ist sie äußerst fotogen: sie ist ein Husky-Mix und erinnert mich extrem an einen Wolf! Bin gespannt, wie sie wohl im Winterfell aussehen wird!
Viel Zeit zum Kennenlernen hatten wir nicht, denn wir wurden für besagten UNIS-Sicherheitskurs in Gruppen mit UNIS-Studenten vermischt und hatten dann zwei ziemlich lustige Tage vor uns, bei denen wir unter anderem lernten, wie man Zelte aufbaut, Kocher benutzt und wie man sich richtig kleidet. Was für uns langweilig war, war für einige UNIS-Studenten komplettes Neuland - man soll es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich Menschen, die noch niemals auf einer Isomatte geschlafen, geschweige denn jemals Wollunterwäsche getragen haben!
Viel wichtiger aber war, neben dem Absolvieren eines halbtägigen Erstehilfekurses, die Einführung in die Sicherheitsmaßnahmen, die hier auf Svalbard gelten. Und die drehen sich entweder ums Wetter, oder aber um Eisbären.
Letztere sind hier in Longyearbyen allgegenwärtig, weil ständig über sie gesprochen wird und sie das Wappen- und Symboltier Svalbards sind. Sehen tut man sie allerdings sehr selten bis gar nicht. Den meisten Eisbären sind Menschen suspekt; sie nähern sich gerne auf hundert Meter, um zu gucken, wer oder was wir sind, suchen dann aber lieber das Weite.
Ist ein Eisbär allerdings ausgehungert, und dann wohlmöglich noch ein junges, hormongesteuertes Männchen, dann kann es schonmal sein, dass er auch so stinkende Wesen wie Menschen als Beute ansieht. Und für den Fall muss man dann im wahrsten Sinne des Wortes gewapnet sein.
Daher müssen wir bei jeder Exkuskusion Signalpistolen mitführen, um Eisbären verscheuchen zu können, bevor die Begegnung für beide Seiten lebensbedrohlich wird. Wird ein Eisbär gesichtet, müssen Menschen sofort alles stehen und liegen lassen und sich verkrümeln, um einen Kontakt zu vermeiden. Klappt das nicht, oder wird der Eisbär neugierieg, dann werden mit der Signalpistole leuchtende Patronen zwischen das Tier und die Menschen geschossen, die nach ein paar Sekunden noch einmal knallen und in den allermeisten Fällen die Eisbären so erschrecken, dass sie jede Neugierde vergessen.
Reicht auch das nicht aus, oder treffen Mensch und Bär völlig unerwartet aufeinander und greift der Bär an, dann darf ab einem Abstand von 30 Meter das Gewehr zum Einsatz gebracht werden: dann aber in der Absicht, den Bär zu töten. Damit jeder einzelne hier in Longyearbyen dazu zumindest theoretisch in der Lage ist, verbrachten wir einen halben Tag im Schießstand.
Die allermeisten hatten hier zum ersten Mal im Leben Kontakt mit einer Feuerwaffe - so auch ich. Da wir im Ernstfall ein über 500kg schweres Tier niederstrecken müssen, wird hier mit Großkalibergewehren geübt, die sonst bei Großwildjagd oder beim Militär genutzt werden. Ich kann mit den Namen und Nummern nichts anfangen, aber ich hatte eine Ruger M77 in der Hand und Geschosse des Kalibers .30-06. Im Klartext: die Dinger sind groß, schwer, machen mehr Krach als es meinen Ohren lieb ist und verzieren die ungeübte Schulter mit einer Vielzahl blauer Flecken.
Ich war ehrlich gesagt ziemlich erschrocken von der Macht dieser Gewehre - allerdings auch von mir. Denn von 16 Geschossen, die ich auf die 30 Meter entfernte Scheibe feuerte, landeten 14 im Schwarzen - das schaffte außer mir nur einer, und der hatte einen Waffenschein. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll, denn im Gewehrgebrauch wollte ich noch nie gut sein. Ich mag diese Waffen nicht: so mächtig, so "unfair" und nur zu einem Zweck gedacht, den ich nicht gutheißen kann. Wenn allerdings tatsächlich irgendwann einmal ein Eisbär mit 40 km/h auf mich zugaloppiert kommt, um mich als Abendessen zu verspeisen, dann ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man ein Gewehr zielsicher bedienen kann!
Nach dem Schießkurs folgte noch ein lustiger Nachmittag: wir mussten lernen, was man tut, wenn man in der Arktis auf einem Schiff unterwegs ist. Sobald man relativ ungesichert an Deck oder gar nur auf einem Schlauchboot arbeitet, ist das Tagen von Überlebensanzügen Pflicht: und genau das mussten wir ausprobieren. Wir zwängten uns in unförmige Ganzkörperkondome und durften ein wenig im Hafen herumplanschen.
Das Wasser fand sofort den Weg in meinen Anzug hinein, was erstmals nicht das Problem war. Mit der Zeit aber wurde es kalt: das Meer ist hier im Fjord sommerliche 4°C warm. Ich wunderte mich schon etwas über die Kälte(un)empfindlichkeit so manch anderer, die lachend eine halbe Stunde lang im Wasser planschten, als sei es eine warme Quelle in Island. Ich hielt mich durch Bewegung warm, denn mit diesen Dingern kann man nicht untergehen und allen möglichen Unsinn veranstalten: zum Beispiel kann man im Wasser krabbeln oder einfach nur dumm durch die Gegend treiben und das wohl bescheuerste Portrait von sich machen lassen, das jemals aufgenommen wurde!
Als wir dann wieder an Land durften und uns aus diesen orangefarbenen Undingern schälten, beklagte der ein oder andere einen feuchten Halskragen oder nasse Ärmel. Und ich verstand endlich, warum nur mir so kalt gewesen war - die anderen waren tatsächlich trocken geblieben! Ich hatte natürlich das Pech gehabt, einen komplett undichten Anzug zu erwischen, der sich bis zum Nacken hoch mit Wasser füllte. Selbst unser Lehrer schien erstaunt, als er mich sah - und fand sofort ein großes Loch im Anzug, das da eigentlich nicht hätte sein sollen. Mir half diese späte Kontrolle nicht mehr, aber immerhin habe ich nun eine Geschichte zu erzählen. Zudem wurde mir von allen Anwesenden und unserem "Bademeister" der Preis der nassesten Person des diesjährigen UNIS-Kurses zugesprochen. Und das muss was heißen, bei fast 200 Studenten die alle baden gehen! ;-)
Das Wasser fand sofort den Weg in meinen Anzug hinein, was erstmals nicht das Problem war. Mit der Zeit aber wurde es kalt: das Meer ist hier im Fjord sommerliche 4°C warm. Ich wunderte mich schon etwas über die Kälte(un)empfindlichkeit so manch anderer, die lachend eine halbe Stunde lang im Wasser planschten, als sei es eine warme Quelle in Island. Ich hielt mich durch Bewegung warm, denn mit diesen Dingern kann man nicht untergehen und allen möglichen Unsinn veranstalten: zum Beispiel kann man im Wasser krabbeln oder einfach nur dumm durch die Gegend treiben und das wohl bescheuerste Portrait von sich machen lassen, das jemals aufgenommen wurde!
Als wir dann wieder an Land durften und uns aus diesen orangefarbenen Undingern schälten, beklagte der ein oder andere einen feuchten Halskragen oder nasse Ärmel. Und ich verstand endlich, warum nur mir so kalt gewesen war - die anderen waren tatsächlich trocken geblieben! Ich hatte natürlich das Pech gehabt, einen komplett undichten Anzug zu erwischen, der sich bis zum Nacken hoch mit Wasser füllte. Selbst unser Lehrer schien erstaunt, als er mich sah - und fand sofort ein großes Loch im Anzug, das da eigentlich nicht hätte sein sollen. Mir half diese späte Kontrolle nicht mehr, aber immerhin habe ich nun eine Geschichte zu erzählen. Zudem wurde mir von allen Anwesenden und unserem "Bademeister" der Preis der nassesten Person des diesjährigen UNIS-Kurses zugesprochen. Und das muss was heißen, bei fast 200 Studenten die alle baden gehen! ;-)
Mittwoch, 10. August 2011
Ankunft in Longyearbyen
Als ich von meiner Freundin Arianne zum BSI gebracht wurde und dort mit insgesamt über 50 Kilogramm Gepäck zum Flughafen fuhr, wurde mir bewusst, wie sehr mir dieses unstete Leben mittlerweile vertraut ist. Ich war kaum aufgeregt, kannte das Prozedere am Flughafen genauso wie alle Tricks, um keine Gebühren fürs Übergepäck zahlen zu müssen. Trotz zwei Kameras, einem Laptop, vielen Kleidungsschichten und viel zu schwerem, viel zu sperrigem Handgepäck kam ich gut durch den Zoll, der allerdings bei der Ausreise nie ein Problem darstellt. Im Flugzeug tauschte ich meinen Sitz am Gang sofort kackfrech durch die jederzeit komplett leere Sitzreihe unmittelbar hinter der ersten Klasse aus, die von den Fluggesellschaften immer erst dann belegt wird, wenn die Maschine komplett ausgebucht ist. Als wir abhoben, summte ich das Lied “Im Flugzeug” von den Wise-Guys, freute mich über die vielen Turbulenzen an diesem wolkigen Tag, und fragte mich, ob ich mit einem Fensterplatz rechts im Flugzeug wohl die richtige Wahl für die Landung in Longyearbyen getroffen hatte (Antwort: nein! Links sitzen!). Der obligatorische Zwischenstop im schwülwarmen Oslo war schnell überstanden: um 20:40 Uhr ging es dann los nach Longyearbyen.
Der Flug dauerte länger als die Reise von Island nach Oslo, war aber genauso sehenswert: hatte ich beim ersten Flug die Färöerinseln und die norwegische Fjordküste gesehen, so flogen wir nun beim Sonnenuntergang über Nordland und die Lofoten.
Auf der Reise gen Norden ging trotz fortschreitender Uhrzeit die Sonne auf, nicht unter: als wir bei fast geschlossener Wolkendecke über Svalbard flogen, erhaschte ich im Tageslicht einen Blick auf irgendwelche riesengroßen Gletscherzungen.
Dann landete die Maschine und war ich angekommen: um 00:30 Uhr begrüßte mich Spitzbergen mit wunderbar klaren 6°C und einem schönen Lichterspiel am Horizont, das ich noch schnell aus dem trüben Flugzeugfenster dokumentieren konnte. Die Zeitzone ist hier übrigens genau dieselbe, wie auch in Deutschland: hier wird sogar auf Sommer- und Winterzeit umgestellt, allerdings zu leicht anderen Daten!
Die Fahrt vom Flughafen in die "Hauptstadt" Longyearbyen (sprich:"Longjährbühn") dauerte nicht lange und führte vorbei an all dem, was das Dorf ausmacht: uraltem Schrott und Ruinen von ehemaligen Mienenanlagen, dem stets braun qualmendem Kohlekraftwerk, dessen Geruch die Luft der ganzen Umgebung sättigt, und vielen bunten, auf Stelzen stehenden zweckmäßig- bis fotogenen Häusern.
Nybyen, die “Neustadt” liegt fünf Autominuten außerhalb von Longyearbyen und besteht aus acht großen, länglichen doppelgeschössigen Häusern, welche ehemals die Arbeiter des jüngsten Kohlebergwerkes beheimateten. Hier leben jetzt etwa 150 Studenten - auch ich und sechs weitere meines Kurses sind in eine dieser Riesen-WGs eingezogen.
Die ersten Tage hatte ich genug damit zu tun, mich einigermaßen an die stete Helligkeit zu gewöhnen, was mir immer noch nicht gelungen ist: man hat hier nicht einmal ansatzweise das Gefühl, dass irgendwann Abend ist! In Island geht selbst im Hochsommer die Sonne irgendwann mal unter: hier aber steht sie Anfang August immer noch so weit oben am Himmel, dass die Wolken gerade einmal ein bisschen gelb werden. Bisher war es zwar durchgehend bewölkt, was mich aber nicht daran hinderte, die Gegend soweit zu erkunden, wie mir das ohne Gewehr und ohne Sicherheitskurs möglich ist. Denn direkt am ersten Tag wurde ich daran erinnert, dass ich hier nicht mehr im harmlosen Island bin: am 5. August tötete ein Eisbär einen 17 jährigen Briten, der 30 Kilometer vom Dorf entfernt mit einer 13köpfigen Gruppe an einem Gletscher übernachtete. Im Wappen der Insel ist ein Eisbär abgebildet sowie die Worte: “Svalbard - natura dominatur”. Und so ist es: der Mensch hinterlässt hier zwar mehr als offensichtlich (und stolz) seine Spuren, die Regeln bestimmt jedoch ganz klar die Natur!
Und diese ist allgegenwärtig. Hohe, beinahe komplett unbewachsene Berge steigen aus dem Meer, die Schreie von Möwen und Krabbentauchern hallen im Tal ebenso wieder, wie die Revierrufe eines jungen Polarfuchsrüden. Dieser hat, wie alle Tiere hier, keinerlei Scheu vor dem Menschen: ich konnte ihn sogar anlocken, als ich meinen seltsamen trillernden Pfiff ertönen ließ und der Kleine herausfinden wollte, welch seltsamer Vogel ich wohl sei.
Nicht schlecht staunte ich vorgestern, als ich aus dem Fenster schaute dabei folgendes zu Gesicht bekam:
Zwei männliche Svalbard-Rentiere, die völlig unbeeindruckt der menschlichen Anwesenheit das wenige Gras abweideten, das die trockenen Täler hier hervorbringen. Ich platzierte mich etwa 20 Meter oberhalb der beiden: völlig desinteressiert weideten sie langsam zu mir hin und passierten mich in nur eineinhalb Meter Entfernung.
Die Svalbard-Rentiere sind wirklich lustige Viecher: verglichen mit ihren skandinavischen Kollegen und auch den amerikanischen Karibu haben sie Stummelbeine, einen riesigen Leib und ein beinahe unproportional großes Geweih. Es ist eine ganz typische Anpassung für Lebewesen der Kälte: alles was kälteanfällig ist wird klein (so etwa Gliedmaßen und Ohren) und der Leib dagegen größer: Masse hält Wärme besser und hat eine geringere Oberfläche. Warum sich allerdings deren Geweih so groß ausgebildet hat, verstehe ich nicht ganz. Wahrscheinlich typisch Männchen: allein die Größe zählt! ;-)
Dass diese Tiere so wenig scheu sind, liegt daran, dass sie nicht bejagt werden: Eisbären ernähren sich von Robben und Walkadavern und machen sich nicht die Mühe, Rentiere oder Polarfüchse zu fangen. Auch die Menschen hier jagen nur bedingt, zudem steht die gesamte Fauna und Flora unter strengstem Schutz: die Tiere haben uns nie als Feinde kennengelernt. Ein wirklich tolles, ungewohntes Gefühl, hier nicht als Eindringling, sondern als “Einrichtung” betrachtet zu werden!
Da wir ohne den obligatorischen Sicherheitskurs mit Schießtraining noch keine Waffen ausleihen dürfen, bin ich momentan auf andere angewiesen, um die weitere Umgebung zu erkunden. Zum Glück konnte ich mich am Sonntag einer Gruppe internationaler Studenten anschließen, die eine 13 Kilometer lange Wanderung über den östlichen Bergrücken und über einen Gletscher machten. Dabei bekam ich einen ersten Eindruck der kahlen, wüstenartigen Berggegend.
Dies ist ein 180°-Panorama, gemacht vom Berg Sarkofagen. Man sieht das komplette Longyeardal: der Gletscher Longyearbreen endet in einer großen Möräne, dann im Fluss Longyearelva, und dann schließt sich unten am Fjord Longyearbyen, also "Longyear-Stadt" an. Und damit habt ihr schon vier norwegische Wörter gelernt: bree = Gletscher, elva = Fluss, by = Stadt / Dorf und dal = Tal.
Longyearbyen liegt seitlich am kleinen Fjord Adventfjorden gelegen, welcher wiederum nach einem Schiff namens "Advent" benannt wurde, das hier irgendwann mal anlegte. Dieser kleine Fjord ist ein stummelförmiger ein Seitenarm des großen Isfjorden, der sich wie eine Hand in ganz viele benachbarte Fjorde aufteilt. Umringt sind der Fjord und die winzige Stadt von hohen, beinahe gänzlich unbewachsenen Bergen, die mich ein klein wenig an die Fjordküste östlich von Höfn in Island erinnern.
Dass hier kaum etwas wächst, liegt nicht an den niedrigen Temperaturen, sondern an den kaum vorhandenen Niederschlägen: die Gegend um Longyearbyen ist eine arktische Wüste. Hier regnete es im Sommer kaum - meine wasserdichte Kleidung ist also sozusagen völlig unbrauchbar!
Heute schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel und habe ich um die Mittagszeit eine Wanderung ins Dorf und in Richtung Flughafen gemacht. Die folgenden Bilder will ich auch noch schnell an den Bericht hängen!
Und nun verabschiede ich mich bis zum nächsten Mal!
Liebe Grüße aus 78°Nord!
Eure Kerstin
P.S. Ich habe im vorigen Bericht (hier nachfolgend) zwei Karten eingefügt, die euch die Größe und Lage des Archipels verdeutlichen!
Der Flug dauerte länger als die Reise von Island nach Oslo, war aber genauso sehenswert: hatte ich beim ersten Flug die Färöerinseln und die norwegische Fjordküste gesehen, so flogen wir nun beim Sonnenuntergang über Nordland und die Lofoten.
Auf der Reise gen Norden ging trotz fortschreitender Uhrzeit die Sonne auf, nicht unter: als wir bei fast geschlossener Wolkendecke über Svalbard flogen, erhaschte ich im Tageslicht einen Blick auf irgendwelche riesengroßen Gletscherzungen.
Dann landete die Maschine und war ich angekommen: um 00:30 Uhr begrüßte mich Spitzbergen mit wunderbar klaren 6°C und einem schönen Lichterspiel am Horizont, das ich noch schnell aus dem trüben Flugzeugfenster dokumentieren konnte. Die Zeitzone ist hier übrigens genau dieselbe, wie auch in Deutschland: hier wird sogar auf Sommer- und Winterzeit umgestellt, allerdings zu leicht anderen Daten!
Die Fahrt vom Flughafen in die "Hauptstadt" Longyearbyen (sprich:"Longjährbühn") dauerte nicht lange und führte vorbei an all dem, was das Dorf ausmacht: uraltem Schrott und Ruinen von ehemaligen Mienenanlagen, dem stets braun qualmendem Kohlekraftwerk, dessen Geruch die Luft der ganzen Umgebung sättigt, und vielen bunten, auf Stelzen stehenden zweckmäßig- bis fotogenen Häusern.
Nybyen, die “Neustadt” liegt fünf Autominuten außerhalb von Longyearbyen und besteht aus acht großen, länglichen doppelgeschössigen Häusern, welche ehemals die Arbeiter des jüngsten Kohlebergwerkes beheimateten. Hier leben jetzt etwa 150 Studenten - auch ich und sechs weitere meines Kurses sind in eine dieser Riesen-WGs eingezogen.
180°-Panorama vom unteren Longyeardal: das am besten erhaltene Mienengebäude
oben am Berghang im Vordergrund. Links die Baracken von Nybyen
(ich lebe momentan in dem dunkelroten Haus links hinten),
dann zwei Kilometer Straße, und Longyearbyen rechts unten am Fjordende.
oben am Berghang im Vordergrund. Links die Baracken von Nybyen
(ich lebe momentan in dem dunkelroten Haus links hinten),
dann zwei Kilometer Straße, und Longyearbyen rechts unten am Fjordende.
Die ersten Tage hatte ich genug damit zu tun, mich einigermaßen an die stete Helligkeit zu gewöhnen, was mir immer noch nicht gelungen ist: man hat hier nicht einmal ansatzweise das Gefühl, dass irgendwann Abend ist! In Island geht selbst im Hochsommer die Sonne irgendwann mal unter: hier aber steht sie Anfang August immer noch so weit oben am Himmel, dass die Wolken gerade einmal ein bisschen gelb werden. Bisher war es zwar durchgehend bewölkt, was mich aber nicht daran hinderte, die Gegend soweit zu erkunden, wie mir das ohne Gewehr und ohne Sicherheitskurs möglich ist. Denn direkt am ersten Tag wurde ich daran erinnert, dass ich hier nicht mehr im harmlosen Island bin: am 5. August tötete ein Eisbär einen 17 jährigen Briten, der 30 Kilometer vom Dorf entfernt mit einer 13köpfigen Gruppe an einem Gletscher übernachtete. Im Wappen der Insel ist ein Eisbär abgebildet sowie die Worte: “Svalbard - natura dominatur”. Und so ist es: der Mensch hinterlässt hier zwar mehr als offensichtlich (und stolz) seine Spuren, die Regeln bestimmt jedoch ganz klar die Natur!
Und diese ist allgegenwärtig. Hohe, beinahe komplett unbewachsene Berge steigen aus dem Meer, die Schreie von Möwen und Krabbentauchern hallen im Tal ebenso wieder, wie die Revierrufe eines jungen Polarfuchsrüden. Dieser hat, wie alle Tiere hier, keinerlei Scheu vor dem Menschen: ich konnte ihn sogar anlocken, als ich meinen seltsamen trillernden Pfiff ertönen ließ und der Kleine herausfinden wollte, welch seltsamer Vogel ich wohl sei.
Nicht schlecht staunte ich vorgestern, als ich aus dem Fenster schaute dabei folgendes zu Gesicht bekam:
Zwei männliche Svalbard-Rentiere, die völlig unbeeindruckt der menschlichen Anwesenheit das wenige Gras abweideten, das die trockenen Täler hier hervorbringen. Ich platzierte mich etwa 20 Meter oberhalb der beiden: völlig desinteressiert weideten sie langsam zu mir hin und passierten mich in nur eineinhalb Meter Entfernung.
Die Svalbard-Rentiere sind wirklich lustige Viecher: verglichen mit ihren skandinavischen Kollegen und auch den amerikanischen Karibu haben sie Stummelbeine, einen riesigen Leib und ein beinahe unproportional großes Geweih. Es ist eine ganz typische Anpassung für Lebewesen der Kälte: alles was kälteanfällig ist wird klein (so etwa Gliedmaßen und Ohren) und der Leib dagegen größer: Masse hält Wärme besser und hat eine geringere Oberfläche. Warum sich allerdings deren Geweih so groß ausgebildet hat, verstehe ich nicht ganz. Wahrscheinlich typisch Männchen: allein die Größe zählt! ;-)
Dass diese Tiere so wenig scheu sind, liegt daran, dass sie nicht bejagt werden: Eisbären ernähren sich von Robben und Walkadavern und machen sich nicht die Mühe, Rentiere oder Polarfüchse zu fangen. Auch die Menschen hier jagen nur bedingt, zudem steht die gesamte Fauna und Flora unter strengstem Schutz: die Tiere haben uns nie als Feinde kennengelernt. Ein wirklich tolles, ungewohntes Gefühl, hier nicht als Eindringling, sondern als “Einrichtung” betrachtet zu werden!
Da wir ohne den obligatorischen Sicherheitskurs mit Schießtraining noch keine Waffen ausleihen dürfen, bin ich momentan auf andere angewiesen, um die weitere Umgebung zu erkunden. Zum Glück konnte ich mich am Sonntag einer Gruppe internationaler Studenten anschließen, die eine 13 Kilometer lange Wanderung über den östlichen Bergrücken und über einen Gletscher machten. Dabei bekam ich einen ersten Eindruck der kahlen, wüstenartigen Berggegend.
Dies ist ein 180°-Panorama, gemacht vom Berg Sarkofagen. Man sieht das komplette Longyeardal: der Gletscher Longyearbreen endet in einer großen Möräne, dann im Fluss Longyearelva, und dann schließt sich unten am Fjord Longyearbyen, also "Longyear-Stadt" an. Und damit habt ihr schon vier norwegische Wörter gelernt: bree = Gletscher, elva = Fluss, by = Stadt / Dorf und dal = Tal.
Longyearbyen liegt seitlich am kleinen Fjord Adventfjorden gelegen, welcher wiederum nach einem Schiff namens "Advent" benannt wurde, das hier irgendwann mal anlegte. Dieser kleine Fjord ist ein stummelförmiger ein Seitenarm des großen Isfjorden, der sich wie eine Hand in ganz viele benachbarte Fjorde aufteilt. Umringt sind der Fjord und die winzige Stadt von hohen, beinahe gänzlich unbewachsenen Bergen, die mich ein klein wenig an die Fjordküste östlich von Höfn in Island erinnern.
Dass hier kaum etwas wächst, liegt nicht an den niedrigen Temperaturen, sondern an den kaum vorhandenen Niederschlägen: die Gegend um Longyearbyen ist eine arktische Wüste. Hier regnete es im Sommer kaum - meine wasserdichte Kleidung ist also sozusagen völlig unbrauchbar!
Heute schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel und habe ich um die Mittagszeit eine Wanderung ins Dorf und in Richtung Flughafen gemacht. Die folgenden Bilder will ich auch noch schnell an den Bericht hängen!
Diese beiden Rentiere sind wirklich dufte!
Blick aus Longyearbyen in Richtung Flughafen, Privathafen und Verladehafen
Blick aus Longyearbyen in Richtung Flughafen, Privathafen und Verladehafen
Und nun verabschiede ich mich bis zum nächsten Mal!
Liebe Grüße aus 78°Nord!
Eure Kerstin
P.S. Ich habe im vorigen Bericht (hier nachfolgend) zwei Karten eingefügt, die euch die Größe und Lage des Archipels verdeutlichen!
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