Mittwoch, 30. Dezember 2009

Sami vs Norweger

Es ist viel geschehen seitdem ich mich das letzte Mal meldete: daher wird dies ein sehr langer Bericht werden. Für alle, die keine Lust auf lange Reden haben: mir gehts gut und ich wünsche allen, dass ihr euch schnell an die neue Jahrezahl gewöhnen werdet. Ab jetzt werden die Tage wieder länger!


Kurz vor Weihnachten haben wir alle Hunde ins 100km entfernte Soulovuopmi gefahren. Die meisten Ortsnamen hier oben sind samisch, also die Sprache der sogenannten Ureinwohner, welche zu den uralischen Sprachen gehört und mit dem Finnischen und Ungarischen verwandt ist. Die Sami als "Ureinwohner" zu bezeichnen ist in meinen Augen aber totaler Unsinn, da sie vermutlich bloß 500 Jahre früher als die Wikinger in Norwegen ankamen. Die heute immer noch spürbare Rivalität von europäischen und uralisch-stämmigen Menschen (sprich: Norweger und Sami) halte ich daher für typisch engstirnig menschlich: beide Völker sind nun unwiderruflich in Norwegen und sollten endlich einmal Frieden schließen! Aber es wäre ja mal etwas ganz neues, wenn Menschen konfliktfrei mit ihresgleichen, geschweige denn mit ihrer Umwelt leben könnten!

Na ja, auf jeden Fall sind wir dort in Suolovuopmi 48 Stunden lang im Schichtdienst Hunde gefahren: alle 6 Stunden brachen wir zu 5-7 Stunden langen Trainingstouren auf. Insgesamt 240km fuhren wir in den zwei Tagen und zwei Nächten, die wir so gut wie ohne Schlaf auf der Vidda verbrachten. Wir trafen uns mit Harald Tunheim, einem Freund und Musherkollegen von Arne, der Lehrer an einer Folkehøgskole ist und neun Schüler mit im Gepäck hatte. Alle zusammen stellten wir ein Rennen nach: vor allem für die Junghunde war dies eine Herausforderung.

Das interessante Training wurde von einem sehr seltsamen Ereignis überschattet. An einem Weg, der täglich von 15-20 Hundegespannen frequentiert wird, hatte ein Sami-Rentierhirte ein paar Rentiere angeleint und weitere 100 Stück mit seinen Hunden zusammengetrieben. Das war schon mal ziemlich idiotisch - jeder weiß, dass dies die Hauptverkehrsader für Hundeschlitten und Schneemobile zwischen Gargia und Soulovuopmi ist. Ein Konflikt war vorprogrammiert!


Quelle: www.nordlys.no

Wir hatten unsere insgesamt 76 Hunde nur 500m unterhalb seines provisorischen Rentierscheides angeleint und vor die Schlitten gespannt und waren nicht zu überhören gewesen. Er muss gewusst haben, dass wir da waren und hätte einfach kurz vorbeikommen und bescheid sagen können. So aber wussten wir von nichts und standen mit 10 Hundegespannen plötzlich mitten in einer Rentierherde. Die Hunde wurden rasend, hatten natürlich nichts anderes im Sinn, als sich in den Rentieren zu verbeißen. Was für ein Chaos! Die freilaufenden Rentiere verschwanden alle in den Wald, da kehrte bald Ruhe ein: aber da waren immer noch die sechs Rentiere, die am Zaun angebunden waren.


Quelle: www.nordlys.no

Wir halfen uns gegenseitig, versuchten, die Hunde an den Rentieren vorbeizuführen, und das klappte auch: bis zum letzten, der an ihnen vorbeifuhr. Sandras Leithunde schnappten nach einem angebundenen Ren - und da stach der Sami kurzerhand mit seinem Messer auf die Hunde ein. Für uns alle ist das komplett unverständlich: man hätte sie einfach nur am Halsband zurückziehen müssen oder einmal kurz zutreten, dann hätten sie sofort das Ren losgelassen. Statt dessen stach er heftig und oft mit seinem Messer auf die Hunde ein und verletzte sie stark. Welch ein Mensch muss das sein, der mit einem Messer auf Lebewesen losgeht, wenn es erstens Alternativen gibt und er zweitens selber tagtäglich mit Tieren zu tun hat?

Quelle: www.nordlys.no

Da wir einen Journalisten dabei hatten, der Bilder für den Finnmarksløpet machen wollte, kam die ganze Geschichte sofort in die Medien und löste eine große Diskussion in Norwegen aus. Wie schon erwähnt gibt es viele Reibereien zwischen Norwegern und Sami, und ganz besonders zwischen Rentierhaltung und Hundesport. Die Sami halten Huskies für blutrünstige Wölfe, die sowohl Sami als auch Rentiere töten wollen, und fast alle Nicht-Sami halten Rentiere für ziemlich dumme Viecher, von denen es viel zu viele gibt. Es hilft nicht, dass der norwegische Staat den Sami immer alle Rechte zuweist und ständig Ausnahmen für die Rentierhirten vergibt. Die Deutschen haben aufgrund des Nationalsozialismus Komplexe, was Patriotismus angeht - bei den Norwegern ist das ähnlich bei allem, was mit Sami zu tun hat. Früher wurden die Sami unterdrückt, ihre Sprache verboten, ihnen Weideland einfach abgenommen, Menschen alternativlos in Städte umgesiedelt. Diese Schuld sitzt der Regierung im Nacken und zwingt sie dazu, immer alle Augen zuzudrücken und "alles wieder gutmachen" zu wollen. Daran wäre nichts auszusetzen, würden nicht wenige Sami leider vieles schamlos ausnutzen und sich ständig selbst bedauern. Dazu kommt, dass die Rentierhirten extrem materialistisch geworden sind und ihre Viecher als wandelnde Geldscheine ansehen - und Geld einfordern, wo immer sie können.

Wurde ein Rentier angefahren, weil es in ein Auto lief, so darf der Autofahrer zahlen. Wurde eines verletzt oder getötet, weil ein Hund es verfolgte, darf der Hund vom Sami erschossen werden (so er nicht an der Leine ist), und der Besitzer muss unglaubwürdig hohe Summe zahlen. Und das Absurdeste: es gibt wirklich nicht mehr viele Raubtiere hier oben, aber jährlich werden (in ganz Norwegen) angeblich 48.000 Rentiere von Luchsen, Wölfen und Vielfraßen getötet und den Sami erstattet. Rentiere sind nämlich die einzigen Nutztiere, bei denen ihre Besitzer keinen Beweis über die Todesart erbringen müssen. Alle anderen müssen beweisen, dass es ein wildes Raubtier war, um ihre verschwundenen oder gerissenen Tiere erstattet zu bekommen - was besonders den Bauern ungerechtfertig erscheint. Diese Bevorzugung der Sami, kombiniert mit einem schamlos Ausnutzen von deren Seite aus, schürt die Wut unter den Nicht-Sami, welche dann wiederum die Sami provozieren, die sich ewig in der Verliererrolle sehen und auf ihrem Recht als Ureinwohner pochen. Dieser egoistische, starrköpfige Kampf wird nirgendwo deutlicher, als im wachsenden Konflikt aus dem immer beliebter werdenden Hundesport und der Rentierzucht - und dieser sinnlosen Messerattacke kurz vor Weihnachten. Wenn da nicht bald mal ein Dialog begonnen wird, dann war dieser Vorfall garantiert nicht der letzte seiner Art!


Ich selber sehe die Rentierhaltung aus den Augen eines kritischen Naturschützers und bin der Meinung, dass die Sami viel mehr Rentiere halten, als es der Vegetation hier gut tut. Offiziell hat die norwegische Regierung Quoten vergeben: pro Kommune darf nur eine gewisse Anzahl Rentiere weiden, um Bodenerrosion und Konflikte zu minimieren. So die Theorie. Die Praxis ist aber so, dass die Sami sich einen Dreck um Auflagen scheren und so viele Rentiere halten, wie sie es wollen: schließlich bilden diese ihr Einkommen und sind die Sami in den vergangenen Jahrzehnten extrem geldgeil geworden. Entschuldigt die Wortwahl, aber das trifft es ziemlich genau.
Ein Beispiel: hier bei uns sind 4800 Rentiere erlaubt, es sind aber ca. 15.000 Rentiere da. Schätzungsweise 3000 Tiere wurden allein bei uns im Tal zusammengetrieben - wenn man das für den Bezirk hochrechnet, kommt man ziemlich genau auf die 15.000 Rentiere, von denen die Rede ist. Genau wissen das aber nur die Sami, welche aber (wohl nicht ohne Grund) niemals über die Anzahl ihrer Tiere reden.

Die Folge der vielen Rentiere ist eine akute Überweidung besonders der höher gelegenen Gegenden. Bäume in Wäldern sind total verbissen, die Vidda und andere Berggegenden steigender Bodenerrosion ausgesetzt. Wohin man im Sommer auch geht: immer wieder sieht man regelrechte Autobahnen aus Rentierpfaden und stark frequentierten Quad-Tracks.


Es wäre ja nicht so, dass die Hirten aus dem "Naturvolk" der Sami reiten oder zu Fuß gehen würden, oh nein: sie fahren mit den schweren, spritfressenden Quads entlang, wo immer und so oft sie wollen. Naturschutz? Unbekannt in Norwegen, und erst recht unbekannt bei den Sami, die sich immer noch als "Naturvolk" titulieren. Ich wollte die Sami wirklich mögen, als ich nach Norwegen kam: doch leider waren alle direkten und indirekten Begegnungen mit ihnen und ihrer Lebensweise von der negativsten Sorte. Ich denke man merkt, dass ich gar nicht mehr gut auf Sami-Rentierhirten anzusprechen bin!

Viel gravierender als die offensichtlichen Auswirkungen der Überweidung ist aber die Tatsache, dass oberhalb der Baumgrenze kaum großwüchsige Flechten- und Moosarten anzutreffen sind. Gemessen mit der Vegetation, die ich aus Island kenne, ist hier wirklich alles kahlgefressen und sieht man erschreckend viele kleine Stellen von Errosion. Zwei, drei Jahrzehnte wird die Vidda noch mitmachen: wenn sich aber bis dahin nichts ändert, werden die Norweger und Sami mit starker Bodenerrosion und Verwüstung zu kämpfen haben. Doch diese Gefahr speisen die meisten Leute verächtlich als Unsinn ab - in etwa so, wie viele Fischer bestreiten, dass die Meere fast leer gefischt sind. Es ist immer wieder dieselbe Geschichte, ganz egal wohin man blickt: Menschen sind willentlich blind. Traurig aber wahr.


Weihnachten habe ich Kreise meiner Gastfamilie verbracht - ruhig, wenig unspektakulär und wohltuend wenig weihnachtlich. Von dem Weihnachtswahnsinn der Städte, von Kitschmusikberieselung, Konsumrausch und Dezemberstress habe ich bei meinen Hunden wenig mitbekommen. So müsste Weihnachten immer sein!

Ohne Geschenke kam ich dennoch nicht davon: die Karlstrøms statteten mich komplett mit wollener Unterwäsche, einer dicken Wollhose und Wollfäustlingen aus - gerade rechtzeitig zur richtig kalten Jahreszeit. Momentan liegen die Temperaturen auch tagsüber bei fast -20°C. Weht dann noch Wind, ist man bereits nach wenigen Augenblicken ein Eiszapfen. Meine isländische Winterkleidung (Synthetik-Zeugs) reicht da weder vorne noch hinten aus: hier muss auf Tierprodukte zurückgegriffen werden. Ein bis zwei Lagen Wollunterwäsche, Innenstiefel aus Filz, Daunenjacke und eine Kapuze gesäumt von möglichst Polarfuchspelz - das ist die beste Ausrüstung, die man sich für niedrige Temperaturen und Wind zulegen kann. Fell, das die Kapuze umrundet, dient übrigens als Windbrecher. Man kann sich noch so viele Sturmmasken, Buffs oder Schals vors Gesicht binden: sobald Wind weht, handelt man sich ab -15°C schnell Erfrierungen ein. Hat man jedoch einen Pelz, der das Gesicht umrundet, kommt der kalte Wind gar nicht erst zum Gesicht durch - ein Unterschied wie Tag und Nacht! Allerdings will ich dafür keinen seltenen Polarfuchs töten und erst Recht keine Pelztierfarmen unterstützen. Ich denke mal, dass ich von irgendwo auch einen gebrauchten Pelzbesatz bekommen kann!

Noch etwas lustiges in dem Zusammenhang: ich habe, einfach mal zum Spaß, ein Foto zu einem Fotowettbewerb des zweiten norwegischen Fernsehsenders eingesandt, bei dem man jede Woche Outdoorkleidung im Wert von 650€ gewinnen kann. Drei Tage vor Weihnachten erhielt ich die Nachricht, dass ich doch tatsächlich gewonnen habe: und das mit einem Bild, das ich nur mal so zum Spaß machte und das auch noch eine Montage darstellt:

Jetzt kann ich mich für 650€ bei Bergans mit Winterkleidung eindecken - das hätte ich so oder so im neuen Jahr getan, von daher kommt mir der Gewinn besonders gelegen! Ich danke TV2 Norge! :-)

So, und dann will ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen und mich mit diesem letzten Blogeintrag aus dem Jahr 2009 verabschieden. Bis bald!

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Nacht auf der Vidda

Vorgestern erfuhr ich, dass Ben und Jon mit ihren Hunden für eine Nacht hinauf in die Berge fahren wollten, um das momentan sehr gute Wetter auszunutzen. Als ich das hörte, gab es für mich kein Zweifeln: da wollte ich mit! Nach einigem Hin und Her wurde der geplante Männerabend dann zum ersten offiziellen Ausflug des spontan gegründeten Langfjordbotn'er Fotoklubs umfunktioniert.

So verabredeten wir uns am Dienstag (den 08.Dezember) für fünf Uhr Nachmittags und verbrachte ich den Vormittag mit dem Packen aller Utensilien. Es ist erstaunlich, wie viel Zeug man mit sich herumschleppt, wenn man mit acht Huskies bei -10°C zelten gehen will! Als ich endlich alles im Schlitten untergebracht hatte, war dieser randvoll beladen und erschreckend schwer. Mit etwas Verspätung zogen wir dann in die pechschwarze Nacht los: Jon mit zwölf Hunden, Ben mit zehn und ich mit acht.

Es war mein sechster Ausflug auf dem Hundeschlitten. Am Tag meiner ersten, ereignisreichen Fahrt bei Alta hatte es hier im Tal gerade so viel geschneit, dass wir seitdem mit Ach und Krach Schlitten fahren können. Aus der ca. 30cm tiefen Schneedecke ragen noch viele Steine und Baumstümpfe, was weder für den Schlitten noch für uns wirklich gut ist, aber da keiner von uns länger Quad fahren will, wird das in Kauf genommen. Schlittenfahren macht aber auch einen Heidenspaß! Schön ist vor allem, dass es von Tag zu Tag besser klappt. Balance, Lenken, das Koordinieren von Gewicht und Bremsen bei den Abfahrten - alles wird flüssiger, ich fahre von Mal zu Mal sicherer und schneller. Deshalb machte ich mir auch gar keine Gedanken darüber, mit acht Hunden und einem voll beladenen Schlitten im Dunkeln eine technisch recht anspruchsvolle Tour zu wagen. Ich wollte einfach nur raus aus dem Tal und fotografieren!

Wir fuhren etwa vier Stunden lang durch die Nacht: erst das Tal hinauf, durch den Wald über die Baumgrenze hinaus bis aufs ca. 500m hohe Hochplateau. Dort oben befindet sich eine hügelige Landschaft kleiner Berge und eine Menge zugefrorener Seen, über die es sich prima fahren lässt. Am Rande eines dieser Seen übernachteten wir: die Hunde draußen, wir Menschen in Bens großem Tunnelzelt.

Nachdem die Hunde alle versorgt worden waren und auch wir zu Abend gegessen hatten, zog ich los, um Nordlichter zu fotografieren. Jon und Ben waren irritiert, meinten, die paar grünen Streifen am Nachthimmel wären viel zu unspektakulär um davon Fotos zu machen. Aber es schien sie dann doch zu wurmen, dass ich losgezogen war, denn nach einer Viertelstunde gesellten sie sich zu mir auf den kleinen Hügel hinter unserem Lager und holten sich Tipps zur Nordlichtfotografie. Den beiden war nicht klar gewesen, wie intensiv selbst das schwächste Nordlicht von Digitalkameras abgebildet wird, und sie waren schließlich genauso zufrieden wie ich mit den Resultaten.

Ben überraschte mich dann mit einem Bild: er stand genau hinter mir, als die Nordlichter am stärksten waren, und baute mich mit ins Bild ein. Tolle Idee, tolles Foto!


Die Nacht im Zelt war kurz und kalt: Trotz eines Rentierfells als Unterlage und zwei warmen Schlafsäcken weckte mich die Kälte, kurz bevor Jons Handy klingelte. Ich war dann auch die Erste, die den Schlafsack gegen den Schneeanzug eintauschte und hinaus in den Frost trat. Und da sah ich etwas ziemlich komisches: blaues Polarlicht!

Am Osthorizont stand ein konturloses, aber deutlich erkennenbares, türkisfarbenes Licht. Ich stand Kopf und steckte mit meiner Begeisterung auch Jon und Ben an: denn ich hatte keine Ahnung, was ich da sah! Polarlicht konnte es nicht sein, da es viel zu hell, zu seltsam gefärbt und vor allem viel zu unbeweglich war. Diese blaue Wolke stand sage und schreibe 40 Minuten am Himmel - fast unverändert in ihrer Form.

Erst als ich wieder zurück auf Parken Gård war und im Internet recherchieren konnte, erfuhr ich, dass ich eine Viertelstunde zu spät aufgestanden war. Dann nämlich hätte ich ein rotierendes Licht gesehen, dass eine blaue Wolke ausstieß und dann eine riesige Spirale an den Himmel zeichnete. Es handelte sich um den fehlgeschlagenen Teststart einer Langstreckenrakete namens Bulava. Diese war von einem russischen Atom-U-Boot in den Himmel geschossen worden und wäre wohl von niemanden bemerkt worden, hätte sie nicht außerplanmäßig ihre Tankladung in die Atmosphäre gepustet, während sie von ihren kaputten Triebwerken in einer großen Spirale nach oben geleitet wurde. Das Spiral-Spektakel habe ich leider verpasst, aber das in der Luft verteilte Benzin (bzw. mit was auch immer eine Rakete angetrieben wird) leuchtete in den ersten Sonnenstrahlen türkis. Es war so hoch in der Atmosphäre, dass ganz Nordskandinavien es sah - ihr könnt euch wohl denken, dass dieser (von den Russen erst dementierte) fehlgeschlagene Raketentest das Hauptgesprächsthema war und von den Medien als UFO und neue Nordlichtvariante deklariert wurde!

Spektakuläre Bilder gibt es hier zu sehen: Lysfenomen over Nord-Norge

Um zehn Uhr hatten wir die Hunde und uns selber gefüttert, unser Lager abgebrochen und alles wieder in den Schlitten verstaut. Wir fuhren noch ein paar Kilometer weiter gen Süden, bevor wir umdrehten und uns auf den Weg zurück ins Tal machten.

In der Weite der Finnmarksvidda schien die Polarnacht gar nicht mehr dunkel zu sein! Der Schnee hellte alles auf, der Mond ersetzte die Sonne. Da es keine hohen Berge gab, die den hellen Südhorizont verdeckten, schien der Tag doppelt so lang zu sein, wie unten in Langfjordbotn. Kaiserwetter und die irrsinnig schönen blau-violetten Farbstimmungen des indirekten Sonnenlichtes machten die Rückfahrt zu einem Traum, an dem ich euch wenigstens anhand einiger Bilder teilhaben lassen möchte.

Samstag, 5. Dezember 2009

Von Pulverschnee und Bruchlandungen

Vor einer knappen Woche begann es endlich zu schneien. Anderthalb Tage lang rieselte feinster Pulverschnee vom Himmel und verwandelte die Welt in ein Wintermärchen! Innerhalb weniger Stunden klarte der Himmel auf und fielen die Temperaturen von knapp unter dem Gefrierpunkt auf -17°C. Die Hunde drehten völlig durch: bellten ohne Unterbrechung, wollten los von ihren Ketten, drängten sich mir regelrecht auf, um ja als erstes ihr Geschirr angelegt zu bekommen. Leider reichten die 20cm Schnee nicht aus, um Schlitten zu fahren und musste das Quad noch einmal herhalten: das war allerdings sowohl den Hunden als auch mir egal. Wir wollten nur raus in den Schnee!

Unter dem ohrenbetäubenden Gebell der zurückbleibenden Hunde rasten die 14 Huskys mit mir durch die weiße Welt, die langsam immer heller wurde. Der Vollmond stand hoch am Himmel, der Südhorizont schimmerte rosafarben, der Himmel über mir war sattblau. Der Schnee brachte Helligkeit in das Dämmerlicht der Polarnacht, und vor allem aber ließ er mein Fotografenherz höher schlagen. Die feinen, kleinen Schneekristalle waren überall liegen geblieben: auch und vor allem auf den Zweigen der Bäume, die aussahen, als seien sie wattiert. Im hellen Licht des Vollmondes glitzerte alles wie mit Diamanten überzogen: so etwas unglaublich Schönes habe ich lange nicht mehr gesehen!



Am nächsten Tag beim Mittagessen erwähnte Arne, dass sich Ben und Jon bei ihm gemeldet hätten. Ben (und seine Freundin Kati, Deutsche) sowie Jon (und seine Frau Pam, Engländer) sind ehemalige Handler von Arne und Marianne, die sich im Tal niedergelassen haben und nun ihre eigenen je 10 Huskys trainieren. Sie hatten in Erfahrung gebracht, dass östlich von Alta genug Schnee gefallen war, um Schlitten zu fahren. Nach kurzer Diskussion beschlossen meine Chefs, dass Arne und ich uns Ben und Jon anschließen würden, um am nächsten Tag (dem ersten Dezember) um 6 Uhr früh gen Norden zu fahren.
Der Abend stand ganz im Schatten der Vorbereitungen für den nächsten Tag. Hundefutter musste eingeteilt und eingepackt werden, die Schlitten für den ersten Gebrauch der Saison vorbereitet und aufs Autodach gepackt werden. Ein paar Stunden Schlaf, dann klingelte der Wecker: vor der Abfahrt mussten die Hunde getränkt und versorgt, die letzten wichtigen Dinge verstaut und schließlich die Huskys in den Transportwagen verfrachtet werden. Dies ist ein umgebauter Pickup, der auf der Ladefläche 12 Hundetransportboxen besitzt, in die jeweils zwei Hunde hinein passen. Die ausgewählten 24 Hunde waren schnell im Auto untergebracht: dann ging es los.

Nach eineinhalb Stunden Fahrt wir in Gargia angekommen. Arne, der von Natur aus ein sehr wortkarger Mensch ist, nahm mich kurz beiseite und zeigte mir den Schlitten. Auf den zwei nach hinten hinaus verlängerten Kufen steht man, hält sich mit beiden Händen an dem Bügelgriff des Schlittenrahmens fest und hat zwei Möglichkeiten, um zu bremsen. Zum einen gibt es eine Metallbremse, die zwischen den Kufen liegt und die man mit einem Tritt in den Schnee rammt, sodass sich zwei metallene Haken in den Boden bohren und die Fahrt bremsen. Zum anderen kann man eine an zwei Seilen befestigte Gummimatte zwischen den Kufen einfach mitschleifen lassen und sich darauf stellen: auch damit verlangsamt man die Fahrt. Das erklärte mir Arne in zwei kurzen Sätzen, und sagte dann noch: "Nie den Schlitten loslassen. Und wenn wir gleich starten, bremse, was das Zeug hält."
Das ist Arne, wie er leibt und lebt. Er sagt nur das wichtigste. Und das ist dann aber meistens auch wirklich wichtig!

Wir schirrten die Hunde vor die Schlitten. Arne nahm seine 14 besten Huskys, ich bekam den Rest. Wenn die Tiere vor den Schlitten gespannt werden, bleibt einem nicht viel Zeit: sobald sie eingeschirrt sind, beginnen sie, sich mit aller Macht in die Leinen zu werfen, zu bellen und zu jaulen. Arne sah sich kurz zu mir um, sah, dass meine zehn Hunde alle angeschirrt waren und ich auf dem Schlitten stand. Dann löste er das Seil, das den Schlitten an einen Laternenpfahl befestigt hatte, und schoss los. Auch ich gab meinen Schlitten frei - und kam mir vor als würde ich an einem Bungeeseil nach Vorne gerissen werden. Wenn zehn Huskys zum ersten Mal seit Monaten vor einem Schlitten gespannt sind und auch noch ein Gespann vor ihnen rennen haben, das sie unbedingt einholen wollen, dann galoppieren sie, als würde es um ihr Leben gehen. Nun verstand ich Arnes Ratschlag, zu bremsen!


Hundeschlitten zu fahren, ist mit nichts wirklich zu vergleichen, das ich bisher schon gemacht habe. Man steht auf einem irgendwie zerbrechlich wirkenden Holzschlitten, gezogen von zehn wild galoppierenden Hunden, welche partout nicht stoppen wollen. Bremsen kann man nur, wenn man genügend Schnee unter der Bremse hat: trifft diese auf Eis oder Stein, bewirkt sie nämlich gar nichts oder aber bringt einen zu Fall. Der Schlitten selber ist kaum steuerbar: die Hunde ziehen ihn, wohin sie gerade laufen, und in Kurven ist man komplett der Fliehkraft ausgesetzt. Man steht auf den beiden dünnen Kufen und hat eigentlich nur sein Körpergewicht, um den Schlitten im Gleichgewicht zu halten. Und das ist nicht unbedingt einfach für jemanden, der so etwas noch nie im Leben gemacht hat!

Beweisfoto meiner Debüt-Fahrt: die vermummte Silhouettengestalt auf dem Schlitten bin ich!

Sorgen um den Weg brauchte ich mir immerhin keine zu machen: Arne fuhr mir immer voran (weshalb er auch das obige Bild machen konnte), und meine Hunde wollten nichts anderes, als dem Rest des Rudels zu folgen. Das Wetter war gut: auflockernde Bewölkung, nur ein paar Grad unter Null, gute Sicht. So konnte ich mich voll und ganz darauf konzentrieren, den Schlitten in der Senkrechte zu halten. Das war kein Problem wenn der Schnee glatt und eben war: dann ließ ich mich einfach nur von den Hunden ziehen und genoss die Fahrt, machte sogar ein paar erste Fotos. War der Untergrund dagegen nicht eben (leider die Regel), musste ich auf einem oder zwei Kufen balancieren, mich in Kurven der Fliehkraft entgegenstemmen oder den Schlitten herumreißen, um ihn vorm Kippen zu bewahren. All das lernte ich unterwegs - denn Arne hatte natürlich nichts gesagt. Ein paar Male verlor ich beinahe das Gleichgewicht und blieb irgendwie auf dem Schlitten drauf: bis Arne sich verfuhr. Er wählte einen falschen Abzweig und fuhr an einem eisigen Überhang oberhalb eines Flusses entlang. Er, einer des besten Musher Norwegens, hatte keine Probleme: aber ich gleich mehrere, die alle fast gleichzeitig geschahen. Im Nachhinein reime ich mir aber Folgendes zusammen.

Es begann damit, dass ich schwer auf der Bremsmatte stand, im Versuch, die schnelle Fahrt irgendwie zu verlangsamen. Leider verfing sich die Matte daraufhin in einem Stein. Der Aufprall riss den Schlitten zurück und zerbrach den Rahmen genau an der Stelle, wo die Bremsmatte mit dem Gestell verbunden war. Der Ruck brachte mich aus dem Gleichgewicht: ausgerechnet mitten in der Kurve, als ich mein Gewicht eigentlich zum Hang verlagern musste. Ich versuchte, mich am Schlitten festzuhalten, riss diesen daraufhin um und purzelte dann mitsamt des Schlittens einen Abhang zu einem zugefrorenen Fluss hinunter. Die Hunde zogen den auf der Seite liegenden Schlitten so lange mit, bis dieser sich in einem Drahtseil verfing, das aus einem mir nicht ersichtlichen Grunde irgendwo aus dem Eisschnee ragte. Ich kletterte in der Zeit den Hang wieder empor und versuchte dann, den auf der Seite liegenden Schlitten aufzurichten. Dabei stand ich auf der Seite des Abhangs: der falschen Seite, wie ich herausfand. Sobald die Hunde nämlich spüren, dass der Schlitten ihrem Ziehen nachgibt, rasen sie wieder los. Und von unten auf einen wegflitzenden Schlitten aufzuspringen, wenn dieser noch auf der Seite liegt, war mir bei alle Mühe nicht möglich.

Arne war stehen geblieben, konnte aber den Schneeanker nirgendwo setzen und daher seinen Schlitten nicht verlassen: hätte er das getan, wären ihm seine Hunde weggerannt. So aber konnte er immerhin meine Hunde stoppen, als sie ihn erreichten, woraufhin ich dann den Schlitten wieder aufrichten und den Schaden begutachten konnte. Die Bremsmatte knüpften wir provisorisch wieder fest, aber der Schlitten hatte durch den Bruch ein gutes Stück Stabilität eingebüßt.
Böse schien Arne jedenfalls nicht zu sein: schließlich war das alles nicht mein Fehler gewesen, sondern Schuld dieses blöden Steines, in dem meine Bremsmatte sich verfangen hatte.

Wir setzen den Weg dennoch unbeirrt fort: drei Stunden lang fuhren wir dem immer heller werdenden Südhorizont entgegen über die schneebedeckte, baumlose Hochebene der Finnmarksvidda. Dort machten wir eine lange Pause, fütterten die Hunde und fuhren danach wieder zurück. Während des Ausfluges sollten wir auf erstaunlich viele andere Hundegespanne treffen. Parallel mit uns beiden waren auch Ben und Jon mit jeweils 10 Hunden eingetroffen. Eine weitere Musherin namens Trine gesellte sich für zwei Stunden zu uns, sodass wir eine Zeitlang in einem Tross von fünf Gespannen unterwegs waren. Aus der Gegenrichtung kam uns ein guter Freund Arnes entgegen, der Lehrer an einer Folkehøgskole (einer dieser Spaß-Unis) war und mit sieben Schülern und insgesamt 50 Hunden durch die Gegend fuhr. Fünf andere, einzeln und in Paaren reisende Musher waren auch noch unterwegs: insgesamt zählte ich (inklusive Arne und mir) 18 Schlitten, die von 155 Hunden gezogen wurden. Und das zur Mittagszeit an einem Wochentag: als wir zu Feierabendzeit wieder zurückfuhren, kamen uns noch drei weitere Hundeautos (mit Schlitten aufm Dach) entgegen, die ihr Training noch vor sich hatten.
Diese Norweger...

Für mich war dieser Tag ein einziger Kampf ums Gleichgewicht. Mehrmals schlug es mich in Kurven aus der Bahn und verlor ich die Kufen unter den Füßen. Dann hieß es nur, sich mit aller Kraft am Schlitten festzuhalten (hinter dem man dann Comicreif herschleift), und dann irgendwie wieder mit den Füßen auf den Schlitten zu kommen. Wenn man dabei nicht auch noch den Schlitten umwirft, klappt das auch...

Die anderen, so erfuhr ich hinterher, grinsten sich ob meiner Bruchlandungen ihren Teil. Die erste Schlittenfahrt sähe selten anders aus, wurde mir gesagt, ganz besonders, wenn man direkt zehn Hunde vorm Schlitten hat. Jon und Ben behaupteten, niemanden zu kennen, der mit zehn Hunden debütiert hätte. Normal seien fünf oder sechs - jedenfalls nicht zehn.
Was auch immer Arne sich dabei dachte, als er mir zehn Hunde gab: ich find's lustig und freue mich einfach nur darüber, endlich einmal auf einem Hundeschlitten gestanden zu haben!