Montag, 5. Oktober 2009

Das Ende des Herbstes

Müde und ziemlich verfroren bin ich wieder zurückgekehrt vom angekündigten Fotoausflug. Ein sehr, sehr nasser Ausflug, ganz wie es die Wettervorhersage prognostizierte! Aber fange ich besser mal von Vorne an...

Es begann alles mit der Nachricht, dass ich an meinem ersten freien Tag nach Alta reisen musste, um irgendein blödes Formular persönlich abzuholen - eines von vielen Formularen, die ich ausfüllen muss, um hier in Norwegen Arbeitserlaubnis und Registrierungsnummer zu erhalten. Was Bürokratie angeht, ist Norwegen mindestens genauso penibel und kompliziert, wie Deutschland. Zwei Monate versuche ich nun schon, hier endlich offiziell anzukommen, und seit zwei Monaten ist es ein ständiges Spiel mit den Behörden. Zwei bis drei Monate brauchen sie, um mir eine simple Nummer zuzuschreiben, deren erste sechs Zahlen mein Geburtsdatum ist. Ohne diese persönliche Registrierungsnummer geht hier in Norwegen aber nichts: kein Konto kann man eröffnen, sich kein Internet-Abo zulegen, ja sich nicht einmal eine SIM-card fürs Handy holen. Und Lohn habe ich deshalb auch noch nicht ausgezahlt bekommen. Daher musste ich also am Montag ins 70km entfernte Alta fahren, eine Stadt aus hässlichen Plattenbauten, und eine vorläufige Ersatznummer beantragen - nur um vor Ort festzustellen, dass mir ein Formular fehlte und ich sozusagen umsonst hingefahren war. Dazu fällt mir wirklich nur noch eines ein: Youtube-Video Link

Besonders ärgerlich war die Tatsache, dass dieser verschwendete Tag in der Stadt der einzige Tag ohne Regen war. Auf der Rückfahrt und Weiterfahrt ins (von Langfjordbotn) 30km entfernte Øksfjord war der Busfahrer so lieb, einmal ganz kurz für mich anzuhalten, damit ich wenigstens ein einziges Sonnenuntergangsfoto machen konnte.


Und als ich dann mit der Fähre zum nächsten Fjord übergesetzt war, begann es zu regnen. Der LKW-Fahrer, von dem ich die letzten 15km nach Nuvsvåg mitgenommen wurde, setzte mich an einem kleinen Gästehaus aus, in dem ich die Nacht verbrachte. Mittlerweile ist es nämlich um 19Uhr schon stockdunkel, besonders wenn es regnet - sich dann noch in unbekannter Umgebung einen Zeltplatz zu suchen, muss nun wirklich nicht sein.

Der folgende Tag, Dienstag, war ein typischer Herbsttag. Der September war der nasseste Herbstmonat seit Jahrzehnten, es hat eigentlich nur geregnet - wieso sollte es also im Urlaub anders sein? Dabei durfte ich an dem Tag noch "gutes" Regenwetter erleben: alle zehn Minuten gab es Regenpausen, und ein paar Mal brach sogar die Sonne durch. Also versuchte ich, das beste aus der Situation zu machen, und fotografierte, was immer sich fotografieren ließ. Dank der Schlechtwetterprognose hatte ich mich gut vorbereitet: zusätzlich zu meiner normalen Winterausrüstung hatte ich zwei Paar Ersatzsocken, eine knallorange Garnitur wasserdichter (!) Seemannskleidung, mehrere Plastiktüten für die Kamera und sogar einen Regenschirm dabei. Letzteren nutzte ich nicht für mich, sondern für die Kamera, um nicht immer mit Plastiktüten hantieren zu müssen. Und unter Einsatz all dieser Utensilien gelangen mir tatsächlich ein paar Bilder - mittelmäßig gute zumindest. Wirklich zufrieden bin ich nicht. Na ja.


Die zweite Nacht verbrachte ich in meinem Zelt - zum einen, weil ich mitten im Fotogeschehen übernachten wollte (zwecks Polarlicht - die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt!) und zum anderen, weil ich einfach nicht das Geld habe, um teure Pensionen zu bezahlen. Norwegen ist ja gerade frisch zum Land mit dem höchsten Lebensstandard der Welt gekürt worden - verschwiegen wurde dabei, dass es für Nichtnorweger auch das teuerste Land der Welt sein dürfte. Ich dachte, aus Island schon einiges an Preisen gewöhnt zu sein - aber hier wird alles noch mal getrumpft. Das liegt auch daran, dass man so gut wie nirgends einfache und daher günstige Übernachtungen findet. Die Norweger wollen es luxuriös: wer keinen Luxus haben will, der zeltet. Also hat man eigentlich nur die Wahl zwischen der kostenlosen Übernachtung im Zelt oder einem Bungalow mit Sauna und Fernsehen. Die spinnen, die Norweger...

An der Stelle muss ich allerdings noch schnell einwerfen, dass Islands dritter Platz in der UN-Liste der "höchsten Lebensstandarte der Welt" nicht mehr aktuell sein kann. Die Daten des Berichtes stammen von 2007 - also von vor der Krise. Die Isländer haben in den vergangenen zwei Jahren einiges an Lebensqualität einbußen müssen - jetzt hat nicht mehr jeder seinen eigenen Superjeep und kann auch nicht mehr jede Familie zweimal im Jahr nach Spanien fliegen. Gut so, sage ich - aber auf Platz drei der Liste der höchsten Lebensstandarte der Welt kann die Insel daher nicht mehr liegen!

Aber zurück nach Nuvsvåg - zurück in den Regen!
Zelten bei Schmuddelwetter gestaltet sich immer komplizierter, als bei Schönwetter - ganz besonders dann, wenn man in einer Landschaft unterwegs ist, die einem einzigen Moor gleicht. Seit über einen Monat regnet es hier in Nordnorwegen beinahe täglich - mit dem Ergebnis, dass sich Wege in Bäche gewandelt haben und Trockenwiesen zu Seenflächen geworden sind. Ein trockenes Plätzchen zum Zelten findet sich allerdings immer irgendwo, meist an Schrägen gelegen, sodass ich mittlerweile Schrägschlafspezialist geworden bin. Auch hat sich bei mir eine gewisse Regenroutine eingestellt - angefangen mit Rekordzeiten beim Zeltaufbau, über eine zentimetergenaue Einteilung von einem Nass- und einen Trockenteil im Zelt, bishin zu der Fähigkeit, dass ich am Regenprasseln erkennen kann, wann eine Wind- und damit meist verbundene Regenflaute naht. Die Natur lehrt einen schon lustige Dinge...

Ich muss bei allem Humor aber schon zugeben, dass es für einen Wanderer und Fotografen sehr deprimierend ist, wenn es tagein, tagaus nur regnet. Schlimm ist es vor allem dann, wenn man fotogene Landschaft um sich herum hat und auch Nordlichter sehen könnte, wenn da die vermaledeiten Regenwolken nicht wären! Ich glaube, dass es eine Mischung aus Trotz, Verzweiflung und akuter Langeweile war, die mich um 22Uhr Nachts auf die Idee brachte, im Schneeregen und totaler Dunkelheit den 300m hohen Hügel neben meinem Zelt zu erklimmen und auf ein Wolkenloch zu hoffen. Nachdem ich den Weg durch ein richtiges Moor gefunden hatte (bei dem der schwabbelige Boden unter mir wegbrach und ich mit einem Bein bis zum Knie im Schlamm stand), und dann mithilfe einiger Birken einen fast senkrechten Felshang erklimmen konnte, stand ich im Schneetreiben auf dem Berg und blickte auf die Ortschafts Nuvsvåg hinab. Von der Landschaft und eventuellen Nordlichtern sah man allerdings gar nichts.


Im Windschatten eines Felsens wartete ich eine gute halbe Stunde lang - dann riss der Himmel tatsächlich auf und ließ sich sogar ein sehr, sehr schwaches Nordlicht am Himmel blicken. Man, war ich froh!
Gut 20 Minuten konnte ich fotografieren - dann zog es komplett zu und begann es zu schneien. Auf dem Weg nach unten (den ich diesmal problemloser überwand, weil ich ja diesmal wusste, was mir blühte) stand ich nur noch vor der Herausforderung, mein Zelt wiederzufinden. Aber auch das war, nachdem ich endlich den richtigen Baum auf dem richtigen Felsen gefunden hatte, kein Problem.


Das war eigentlich auch die Geschichte, die ich mit Bildern ausschmücken kann - denn dann regnete und schneite es drei Tage lang ununterbrochen. Außerdem war ich zu nass und mir daher zu kalt, um noch weiter energetisch durch den Schneeregen zu stapfen. Ziemlich gefrustet brach ich am dritten Tag mein Zelt ab und trampte mit zwei Autos und einer Fähre zurück nach Parken Gård. Seitdem hat mich die Arbeit wieder - mit dem Unterschied, dass nun Winter ist. Wo vor einer Woche noch Wälder gelber Bäume standen, ragen nun kahle Äste aus einem halben Meter Schnee in die Höhe. Heute Nacht sollen die Temperaturen auf -9°C fallen. Ich bin ja einmal gespannt! Fakt ist nur: ab sofort werden die Berge acht Monate lang mit Schnee bedeckt sein und vermutlich ebenso lange Nachtfrost herrschen. Ab sofort ist Winter.
Willkommen nördlich des Polarkreises! :-)

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