Wie oft ich in meinem Leben schon meine Taschen packte, um für längere Zeit woanders zu leben und zu arbeiten, das weiß ich schon gar nicht mehr. Obwohl ich mich daher schon als „Pack-Profi“ bezeichne, war es erstaunlich viel Aufwand, sich für ein halbes Jahr abseits der Zivilisation vorzubereiten. So brauchte ich etwa ziemlich ins Detail gehende ärztliche Atteste, habe alle Impfungen auf den neusten Stand gebracht und alle Vorsorgeuntersuchungen abgehakt. Ich glaube, ich war noch nie so gesund wie jetzt, zumindest auf dem Papier... Dann fielen mir auch so Kleinigkeiten auf, wie: dass ich noch nie im Leben eine Ersatzbrille besessen habe, und es ziemlich ungünstig sei, wenn mir diese in Südgeorgien kaputtgehen würde: mit dem Ergebnis, dass meine Brille an dem Tag zerbrach, als ich die Neue in den Händen hielt. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht...
Dann stand ich vor solchen Fragen wie: wieviel Zahnpasta und Sonnencreme braucht man für 6 Monate? Was kommt als Weihnachtsgeschenk für meine mir noch unbekannten Kollegen in Frage, und (extrem wichtig!) wieviel Tafeln Schokolade sollte bzw. kann ich mitnehmen? Gleichzeitig musste ich immer daran denken, dass all diese Sachen in maximal drei Taschen / Rucksäcke passen sollten, die ich alleine in Züge wuchten und von Bahnhof zu Bahnhof transportieren musste. Ich hatte zwar großzügige 54 Kilogramm Freigepäck, doch die musste ich überhaupt erstmal nach England bringen, von wo die Reise offiziell starten würde.
Am dritten Oktober war es dann soweit: meine Eltern verabschiedeten mich am Siegburger ICE-Bahnhof. Mit dabei waren drei Taschen von insgesamt 61 Kilogramm Gewicht. Da war zum einen meine Sporttasche auf Rädern (Gewicht: 31kg), mein Fotorucksack (mit 17 kg so schwer wie noch nie...) und ein Wanderrucksack (13kg), den ich vor der Brust trug. Mit dabei waren vier Kilo Schokolade und gut ein Kilogramm anderer Süßgkeiten wie vegetarische Gummibärchen und Lakritze... Trotz all dem Gepack war es erstaunlich unkompliziert, mit drei Zügen von Siegburg nach Oxford zu fahren. Alle Züge hatten Verspätung, was zusammen mit sehr langen Umsteigezeiten dazu führte, dass ich nie warten musste - wobei ich es wohl ohne ein Taxi innerhalb Londons zeitlich nicht mehr geschafft hätte, den letzten Anschlusszug zu erwischen.
In Oxford hatte ich 24 Stunden zu überbrücken: ich wollte nicht am selben Abend anreisen, ganz einfach, weil die Chance eines verpassten Anschlusszugs zu groß war und ich die Abreise in die Antarktis auf KEINEN FALL verpassen wollte. Den Tag in England verbrachte ich hauptsächlich mit gutem Internet (wo ich u.a. den letzten Blogpost schrieb), bevor ich abends mit einem Bus zum 50 Minuten entfernten Flughafen der Royal Air Force (RAF Brize Norton) fuhr. Es war schon ein seltsames Gefühl, im Dunkeln in diesen von Nato-Draht umrundeten Militärkomplex hineinzuwandern und mich durchzufragen, wohin ich mich denn nun wenden sollte. Glücklicherweise war man es gewohnt, ratlose Zivilisten nach der Air-Bridge, der Luftbrücke fragen zu hören, und so bekam ich ziemlich schnell einen Besucherpass ausgehändigt und wurde nach etwas Wartezeit zum Terminal gebracht.
Und dann setzte sich fort, was sich auf der Bahnreise schon eingebürgert hatte: alles verspätete sich. Der Check-in verzögerte sich um anderthalb und der Start gar um drei Stunden. Schätzungsweise 150-200 Briten (darunter auch vier meiner zukünftigen Kollegen) warteten geduldig auf den Flug nach Süden. Die meisten von uns wollten auf die Falklandinseln, aber etwa ein Viertel flogen nach Ascension Island, einem anderen britischen Überseegebiet knapp südlich des Equators, ziemlich genau mittig zwischen Brasilien und Afrika gelegen - also echt irgendwo im Nirgendwo. Bis zum obligatorischen Tankstopp auf Kap Verde würden wir zusammen unterwegs sein, dann aber stiegen die Ascension-Reisenden um in eine andere Maschine.
Um halb Zwei Uhr nachts waren wir dann endlich in der Luft. Ich saß (wie erhofft) in einer grauen James-Bond-Maschine, allerdings eine, die bis auf die graue Farbe und den Schriftzug „Royal Air Force“ ganz normal aussah: eine AirTanker A330, also ein stinknormaler Langstrecken-Passagierflieger. Es war das geräumigste Flugzeug, in dem ich je gereist bin: die Sitze super weit auseinander die Crew ehrlich nett und nicht gestresst, und das Essen absolut annehmbar. Wirklich “royal”! Die Preise für den Flug waren das allerdings auch, wie ich später erfuhr - aber in meinem Fall war mir das egal, denn die Kosten trug mein Arbeitgeber, nicht ich...
Nach nur fünfeinhalb Stunden Flug, unmittelbar vor dem Morgengrauen, landeten wir auf den Kapverden auf der Insel Sal. Der Inselstaat vor der westafrikanischen Küste war leider nur ein Zwischenstopp, also ein reiner Flughafenaufenthalt. Ursprünglich gedacht als kurzer Tankstopp, verlängerte sich der Aufenthalt dort dank Schlechtwetters auf den Falklandinseln auf sieben Stunden - in der Wartehalle, man ließ uns partout nicht raus. Grrrrr...
Nach weiteren 11 Stunden Flugzeit war ich dementsprechend froh, als wir um kurz nach Mitternacht deutsche Zeit (20 Uhr Falklandzeit) endlich landeten.
Stanley |
Die folgenden zwei Tage fühlten sich ein bisschen an, wie Urlaub. Der einzige offizielle Termin war ein Treffen mit dem Governeur der Falklandinseln (wir erhielten eine kurze Einführung in die Wichtigkeit unserer Arbeit...), ansonsten aber erkundeten wir die kleine Hauptstadt Stanley und erledigten die letzten Einkäufe. Mir wurde beim Schlendern durch die beiden hiesigen Einkaufszentren plötzlich klar, dass die Briten die Erfinder meiner Lieblings-Chipssorte sind (Salt & Vinegar - Salz und Essig), woraufhin ich den gesamten Laden plünderte und nun noch ein Gepäckstück mehr hatte: eine große Kiste mit 17 Packungen Chips. Jetzt konnte definitiv nichts mehr schiefgehen!
Government House - Stanley |
Südgeorgien hat keinen Flughafen: die einzige Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ist folglich per Schiff. Da die Haupteinnahmen des kleinen britischen Überseeterritoriums aus dem Fischfang stammen, gibt es ein Fischereipatrouillenschiff, die „Pharos SG“, das Wilderer abschrecken soll und die stark leglimitierte Fischerei kontrolliert (der Fischfang dort ist MSC-zertifiziert). Besagte Pharos ist ganzjährig in dem Gebiet unterwegs und dient deshalb auch als Versorgungs- und Transportfahrzeug für die wissenschaftlichen Stationen dort unten. Zusätzlich zur nur 15-köpfigen Crew kann die Pharos bis zu 12 Passagiere mitnehmen: in unserem Falle fünf Mitarbeiter des SGHT (South Georgia Heritage Trust, für den ich arbeite), sowie ein fünfköpfiges Team aus Tischlern, Elektrikern und sonstigenden handwerklich-begabten Baufachleuten des BAS (British Antarctic Survey), welche sich den Sommer über um den Erhalt der Bausubstanz kümmern würden.
MV Pharos SG |
Mit einem Tag Verspätung (war ja klar!) starteten wir zur fünftägigen Überfahrt nach Südgeorgien. Die Zeit verging elendig langsam: die See war erst ruhig, brachte das Schiff ab dem zweiten Tag aber so dermaßen zum schaukeln, dass an durchgängigen Schlaf kaum zu denken war. Folglich gab es in den fünf Tagen Überfahrt eigentlich nur vier Tätigkeiten: schlafen, essen, entspannen und lesen. Meine Seekrankheit hielt sich in Grenzen: mir war zwar nicht wohl, aber ich wollte auch nicht andauernd sterben und konnte tatsächlich ab und zu auch mal lesen. Das war doch schonmal was!
Dann aber war es geschafft: am Morgen des fünften Tages erreichten wir King Edward Point, die wissenschaftliche Station in King Edward Cove, in deren direkter Nachbarschaft Grytviken liegt. Es war Freitag, der 13. Oktober: also hatte die Anreise aus Deutschland ganze 10 Tage gedauert. Nicht schlecht, dafür dass ich mich nun an einem der entlegensten Orte der Welt befinde, und einem der wenigen zu dem man nicht fliegen kann. Was für ein Privileg, was für ein Abenteuer! :)
King Edward Point (vorne rechts) und Grytviken (hinten links) |