Samstag, 25. Juli 2015

Spitzbergen Anfang Juni

Als wir am 31. Mai die Südspitze Spitzbergens erreichten, wartete eine große Überraschung auf uns: Treibeis, und das nicht zu knapp. Die beständigen Nordostwinde der letzten Tage hatten Packeis aus dem Osten Svalbards um das Südkapp herumgetrieben, welches jetzt über Dutzende von Kilometern hinweg von Treibeis umgeben war.


Da die Antigua keine Eisklasse hat, fuhren wir mit gebührendem Respekt schön außen um die Kante herum und näherten uns dem Land nur langsam. Die Einfahrt in den Hornsund, welchen wir uns eigentlich als heutiges Ziel ausgesucht hatten, blieb uns allerdings verwehrt: hier war das Treibeis besonders dicht gepackt, an ein Durchkommen war nicht zu denken. Statt dessen sahen wir hunderte von Sattelrobben, die sich auf den Eisschollen ausruhten.


Ich hatte sie bisher nur wenige Male aus weiter Ferne zu Gesicht bekommen, denn diese wunderbar farbigen Tiere sind nie an Land anzutreffen sondern eigentlich immer nur auf dem Packeis, oder schwimmend in der Nähe der Eiskante. Nicht alle tragen den typischen „Sattel“ und das schwarze Köpfchen, viele können alle mögliche Farben und Muster aufweisen, hellbraun bis dunkelgrau, mehr oder weniger gesprenkelt. Es sind wirklich hübsche Wesen, diese Sattelrobben, allerdings im allgemeinen sehr scheu.








Es schien ziemlich viel geschneit zu haben im Frühjahr, denn die Landschaft wirkte weißer, als in den vergangenen Jahren zur gleichen Zeit. Bis in die Niederungen lag eine dichte Schneedecke, nur auf Meereshöhe und an Südhängen war braune Landschaft zu sehen. Rentiere labten sich an den ersten grünen Halmen und Stängeln. Sie waren noch ziemlich weiß, der Fellwechsel ins Sommerfell setzte gerade erst ein. 


Auch wenn Spitzbergen noch sehr winterlich aussah, die Temperaturen waren ganz uns gar sommerlich - zumindest für die hohe Arktis. Eine für mich erstaunliche Anzahl an Sonnentagen und Temperaturen von über 10°C ließ den Schnee in rasantem Tempo schmelzen. Überall bildeten sich Schmelzwasserbäche, überall tropfte und floss es. Der Sommer nahte mit großen Schritten!



Die Arktis hat mich vieles gelehrt und mich in vielerlei Hinsicht umdenken lassen. Ein gutes Beispiel dazu ist die Definition von "schlechtem Wetter". Wenn wir Mitteleuropäer in Urlaub fahren, dann ist "schlechtes Wetter" eigentlich jedes Wetter, das kein Sonnenschein ist. Wenn man dieses Denken in die Arktis nimmt, herrscht hier nur schlechtes Wetter!

Gut, hier auf Spitzbergen regnet es nicht oft, allerdings sind Tage mit wolkenlosem Himmel fast genauso rar, wie total versiffte Regentage. Starke Bewölkung und ein recht strenger Wind dagegen sind völlig normal. Ich bin mittlerweile so an tiefliegende Wolken und niedrige Temperaturen gewöhnt, dass ich von gutem Wetter spreche, wenn mal kein starker Wind weht und ich auf meinen Islandpullover verzichten kann. Schlechtes Wetter, das definiert sich hier daran, wie angenehm der Aufenthalt im Freien ist. Und für einen Fotografen ist Sonnenschein ja ohnehin nicht immer das Wunschwetter: silbrig-blaue Lichtstimmungen von bewölkten Polartagen können einfach nur wunderbar sein!


Die Reise auf dem Segelschiff Antigua neigte sich dem Ende zu. Wir hatten noch zwei Tage vor uns auf dem Weg nach Longyearbyen, als wir in den Van Keulenfjord hineinfuhren, welcher jetzt (Anfang Juni) ganz im Innersten noch gefroren war. Auf dem langsam schmelzenden Fjordeis tummelten sich viele Robben, und ich entdeckte dann auch den ersten Eisbären der Reise. Er war allerdings so weit weg, dass wir selbst mit dem Teleskop nicht viel mehr als einen gelben Punkt erkennen konnten.

Die Situation sollte sich ändern, als wir über Nacht direkt an der Eiskante ankerten. Bis auf wenige gingen alle schlafen, und in der Stille der Mittsommernacht geschah dann, worauf wir alle gehofft hatten: der Eisbär näherte sich uns. Allerdings entpuppte sich der Bär als eine Dreiergruppe: es war eine Mutter mit zwei anderthalbjährigen Jungtieren. Sie war, wie mittlerweile viel zu viele Bären, mit einem Halsband versehen und wohl auch deshalb sehr scheu. Sie hatte offensichtlich schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht und näherte sich dem Schiff nicht mehr als 150 Meter.


Die beiden Jungen, die in ihrer Sturm- und Drangphase waren (und ebenfalls Knöpfe im Ohr trugen), waren allerdings so dermaßen neugierig, dass sie zügig immer näher kamen. So etwas hatten sie offenbar noch nie gesehen: ein komischer Eisberg, der von seltsamen Wesen bevölkert war. Unauflässig bewegte es sich auf diesem grün-weißen Berg, der sehr seltsam roch und noch viel komischere Geräusche von sich gab. Es scharrte, raschelte und klickte unauflässig. An der Stelle dieser Jungbären hätte ich mich wohl auch gewundert und dieses Ding näher inspizieren wollen!


Bis auf wenige Meter kamen die Jungbären an die Antigua heran - neugierig, vorsichtig, und noch neugieriger. Die Bewegungen, Geräusche und Gerüche von uns Menschen schienen sie extrem interessant zu finden: teilweise blickten wir uns direkt in ihre Augen und fragten uns, wer denn hier gerade größeres Interesse an wem hatte!

Ganz besonders spannend fanden diese beiden Rabauken auch das Ankertau, welches das Schiff über einen mühsam gesetzten Eisanker an Ort und Stelle hielt. Das dicke Seil musste beschnüffelt und auf seine Konsistenz geprüft werden, und klar, dass dann auch eine Geschmacksprobe nicht fehlen durfte! Die Szene war so lustig, dass sich viele eine Kichern nicht verkneifen konnten.


Ich habe im Laufe der vergangenen drei Sommer auf Spitzbergen nun schon einige tolle Bärenbegegnungen gehabt, aber so etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Diese beiden Jungbären lieferten eine Show ab, die jede Zirkusdarstellung in den Schatten stellt! Immer wieder suchten sie die Nähe zueinander und blickten zu ihrer Mutter hinüber, die deren Treiben aus der Ferne wachsam beobachtete. Und so begutachteten die beiden Bären die direkte Umgebung der Antigua mit detektivischer Genauigkeit. Sie schnüffelten in den Fußspuren, die wir gestern auf dem Eis hinterlassen hatten, testeten die Ankerschnüre und fanden auch die Eiskante sehr interessant.


Was mich persönlich sehr faszinierte, war außerdem die Tatsache, dass sich die beiden jungen Bären immer wieder auf die Hinterbeine stellten, um einen besseren Blickwinkel auf uns Menschen zu erhalten. Diese Tiere sind Meister der Balance: sie scheinen genauso selbstverständlich stehen und sogar gehen zu können, wie wir! Wenn sie sich erhoben, um dann so groß wie ein Mensch neben dem Schiff zu stehen und uns in die Augen zu sehen, dann standen sie sicher, ohne Taumeln, und konnten mehrere Schritte in jede Richtung machen. Das hatte ich so noch nie zuvor gesehen.


Diese erste Eisbärenbegegnung des Sommers war, das kann ich jetzt schon sagen, die beste der Saison, und außerdem die Intensivste meines Lebens! Wir Guides sprechen von einer sehr guten Begegnung, wenn der Bär 50 Meter ans Schiff herankommt. Dann nämlich können auch die Nichtfotografen brauchbare Bilder mit ihren kleinen Kameras machen. Und außerdem kommen dann selbst die Gäste zum Zuge, die mit ihren iPhones und iPads ihre Selfies-mit-Bär und sonstige Beweisfotos machen MÜSSEN, um sie UMGEHEND auf Facebook zu posten. Dies scheint ja existentiell wichtig zu sein für mehr und mehr Zeitgenossen...

Zurück zu den Bären: eine solche zirkusreife Vorstellung ist und bleibt die absolute Ausnahme! Eine knappe halbe Stunde beobachteten wir die beiden Geschwister, die dann von ihrer Mutter vom Schiff fortgelockt wurden. Mama Bär hatte genug, und die beiden kleinen Rabauken wiederum waren dann doch nicht so selbständig, um alleine zurückzubleiben - zumal am Schiff eh nichts passierte, außer ständige Klick-Stürme, die diesen dunklen Dingern entstammten, die jeder Zweite der Stinkeisbergbewohner vor seinem Gesicht hielt.


Mit diesen Bildern verabschiede ich mich bis Mitte August. Wen die komplette Reise interessiert, der kann sich einen sehr ausführlichen Reisebericht durchlesen. Der Text ist von mir geschrieben, Bilder und die Ausarbeitung zum PDF stammen von Rolf Stange. Wir haben dieses Reisetagebuch für unsere Gäste verfasst, und es kann auf Rolfs Seite www.spitzbergen.de heruntergeladen werden. Der direkte Link zum Download findet sich hier: PDF Reisebericht Bäreninselreise

1 Kommentar:

  1. Wahnsinns Bilder liebe Kerstin! Bin gerade zurück aus Island und hatten schöne einsame Wanderungen. Ansonsten ist Island auf den Hauptrouten Boomtown und es graust die Massen
    In Reykjavik zu sehen. Muß mir wohl für die Zukunft andere Urlaubsziele suchen.
    Herzlichen Gruß Ulla

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