Es ist wunderbar,
wieder in Island zu sein – auch und besonders, weil ich seit langem
wieder die Möglichkeit hatte, in mehreren kurzen Camping- und
Rucksackreisen die Natur des Nordens zu erleben. In diesem völlig ungeplanten Urlaub hatte ich nur ein Ziel: alleine, ohne
Zeitdruck und ohne Stress Natur zu erleben. Und nebenbei in Ruhe Landschaften zu fotografieren.
Von einer dieser Kurzreisen möchte ich euch hier berichten.
Sonnenuntergang über dem Leuchtturm von Dyrhólaey, Westmännerinseln im Hintergrund. Wer genau hinschaut, kann zwei Sonnenflecken erkennen. |
Der März ist zugegebenermaßen nicht der beste Monat für einen Campingurlaub in Island. Es ist eine seltsame Jahreszeit zwischen Winter und Frühjahr; wettermäßig ist da mit allem zu rechnen.
Da es zu der Zeit keine öffentlichen Verkehrsmittel zu fotografisch interessanten Orten gibt, war ich per Anhalter unterwegs. Jeder andere Fotograf würde sich vermutlich ein Auto mieten, um unabhängig, bequem und schnell das Land zu bereisen. Meinem umtriebigen Leben als Guide zum Trotz versuche ich jedoch, meinen CO2-Fußabdruck zu minimieren: ich fahre kein Auto, auch wenn das mein Leben als Fotograf erschwert. Andererseits passt es wunderbar in meine Fotophilosophie: Anstatt in kurzer Zeit viel zu sehen, verbringe ich lieber eine Woche an einem Ort und lerne diesen sehr gut kennen. Für mich ist das einer der Schlüssel zu guter Landschaftsfotografie! Und nebenbei habe ich auch noch viel Zeit, um die Natur und die unglaublichen Erlebnisse zu genießen: das ist mir wichtiger, als jedes Foto. Die Kamera ist oft mein Antrieb, um solche Strapazen auf mich zu nehmen. Aber vor Ort, da lebe ich im Moment und genieße es, einfach nur unterwegs zu sein: ob die Kamera zum Einsatz kommt oder nicht, ist da nicht so wichtig. Ich habe da mal ein schönes Zitat gelesen, das den Nagel auf den Kopf trifft:
If I can make one good photograph a day, that keeps me going.
And if I cannot manage one, well, at least I have had the huge privilege of being in the mountains.
Bärlapp im Lavafeld Drangahraun, Snæfellsjökull im Hintergrund |
Auf der Halbinsel Snæfellsnes gibt es einen Ort, an dem ich vor Jahren einmal kurz gewesen war und den ich seitdem immer wieder besuchen wollte: Lóndrangar, zwei fantastische Basaltfelsen, die unmittelbar an der dortigen Steilküste in den Himmel ragen. Fotografisch sind sie eigentlich noch nicht wirklich bekannt: auch das ein Reiz, sich mit ihnen zu beschäftigen. Und weil die Wettervorhersage ganz in Ordnung schien, holte ich mir die Erlaubnis, im Nationalpark zu zelten, und machte mich dann per Bus und Anhalter auf den Weg dorthin.
Als ich am Gletscher
Snæfellsjökull
angekommen war, stellte ich meinen Tagesrhythmus auf den Kopf: Bei
solchen Fototouren schlafe ich tagsüber und bin stattdessen während
der warmen Lichtstunden, zu den Dämmerungen und nachts aktiv. In den
ersten beiden Tagen erforschte ich die Gegend wandernd und lernte
viel über den Ort. Die Brandung an der Küste war gewaltig:
tagelanger
Südostwind bauschte die Wellen meterhoch auf. Zudem herrschte
Springtide, was bedeutet, dass Flut und Ebbe ihre Extreme erreichen. Den Brechern zuzuschauen war ein Heidenspektakel: ich weiß gar nicht, wie viele Stunden ich allein damit verbrachte! Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht!
Schnell hatte ich meinen
Lieblingsort ausgemacht. Die Wellen brachen auf einem schmalen
Landstreifen unterhalb einer 20
Meter hohen Steilküste. Dort unten zu fotografieren war risikoreich; von der einen Seite drohte
Steinschlag, von der anderen Seite rauschten die meterhohen Wellen
heran. Dieser kleine Küstenstreifen war nur in den Stunden der Ebbe
zugänglich: leider fielen Sonnenauf- und Untergang immer mit der
Flut zusammen. In Meeresnähe bestand eigentlich gar keine Chance,
trocken zu bleiben; die Gischt war überall, immer wieder kamen
Brecher, viel größer als jene zuvor, die mir umsonst und ungefragt
eine Dusche spendierten. Dazu spielte mir das Wetter einen Streich
nach dem anderen: wenn das Licht interessant wurde, begann es beinahe
zuverlässig zu regnen. Es war zum Mäusemelken!
Fünf Tage können
wie im Fluge vergehen, sie können aber auch lang und voller Zweifel
sein. Wenn man beispielsweise (mal wieder) von einer Monsterwelle
fast ins Meer gespült wurde, völlig durchnässt ist und sich (nicht ganz unbegründet) um das Wohl von Kamera und seiner selbst sorgt. Wenn einem (mal wieder) der Regen alle Fotopläne verübelt und einem auf dem Rückweg ins Zelt das ganze Salz abwäscht, nur um aufzuhören, sobald man in Sichtweite des Zeltes kommt.
Oder eben auch nicht aufhört und einen stundenlang ins Zelt verbannt, woraufhin man einschläft und dann die tollen Lichtstimmungen verpasst, die kurzzeitig vorherrschen, als man schläfrig aus dem Zelt lugt. Und wenn man dann hektisch in seine komplett nasse Kleidung springt und 15 Minuten zum Motiv hetzt - beginnt es wieder zu regnen sobald die Kamera endlich auf dem Stativ steht. ARGH!
Aber mal Hand aufs Herz: das gehört alles dazu, inklusive verpasster toller Motive und einer Menge Flüche in verschiedenen Sprachen! Denn man darf nie vergessen: man erlebt sie eben doch, diese tollen Momente. Man muss sie sich halt erarbeiten. Erwandern und erwarten. Nicht Geld, Autos oder tolle Guides bringen einen zu guten Bildern, sondern ein langer Atem und viel, viel Zeit draußen in der Natur. Und genau diese Momente, die ich nicht hinter der Kamera verbringe, das sind die, welche ich am besten in Erinnerung behalte - und genieße!
Dann aber war es
endlich soweit: als ich am Morgen des fünften Tages um 3 Uhr aus dem Zelt
lugte, blinzelten mich Sterne in großen Wolkenlücken an. Die
Regenwolken hatten sich zum Horizont verzogen; der tiefstehende Mond stand am Südhorizont im Sternbild des Löwen. Ich entschied mich, trotz Dunkelheit zum
riskanteren meiner beiden Lieblings-Fotoorte zu wandern. Es war
insofern risikoreich, als das er unterhalb der bereits erwähnten Steilklippe lag. Dorthin im Dunkeln zu wandern bzw. klettern, war eine Sache: die Wellen aber wollte und musste ich sehen können. Ich wollte schließlich nicht als Fischfutter im Meer oder als Algendünger in der Klippe landen...
Mittlerweile kannte ich die Höhepunkte der Gezeiten und
wusste, dass mir nur ein kleines Zeitfenster blieb, um dort zu
fotografieren. Frühestens im fortgeschrittenen Licht der Morgendämmerung konnte ich mich in die Nähe der Wellen wagen. Und spätestens bei Sonnenaufgang musste ich den Rückweg
angetreten und den steilen Aufstieg zur Klippe erreicht haben, wenn
ich nicht von der Flut eingeschlossen werden wollte.
Die Morgendämmerung
verging viel zu schnell! Es war durch und durch herausfordernd,
dort unten zu fotografieren. Ständig musste ich mich vor großen
Brechern in Acht nehmen; ich konnte kaum
mehr als zwei, drei Bilder machen, bevor
ich Kamera, Stativ und mich vor den nächsten Wellen in Sicherheit
bringen musste. Die Luft war gesättigt von Gischt, was es schwer
machte, mit Kamera und Filtern zu hantieren, besonders auch, weil ich
es mir kaum leisten konnte, meine Aufmerksamkeit von der Küste und
den ankommenden Wellen zu nehmen.
Die Macht der größten
Brecher war einfach nur beeindruckend! Donnernd brachen sie über die
Küste herein, schossen an den ersten Felsen bis zu 10 Meter hoch in
die Luft oder aber rollten gut 50 Meter weiter als die Wellen zuvor.
Teilweise wähnte ich mich den Niagarafällen gegenüber: Ich war der
Brandung völlig ausgeliefert, musste die anrollenden Wassermassen
ständig abschätzen und immer bereit sein, schnell davonzurennen.
Und das tat ich, oft und immer wieder: ich wartete bis zum letzten
Moment, und sobald das Foto im Kasten war, schnappte ich mir die
Kamera auf dem Stativ und rannte auf den nassen Steinen wie auf rohen Eiern den Wellen davon. Sie holten mich
meist trotzdem ein, ich wurde klatschnass und musste öfters um festen Stand kämpfen: aber es hat einen
Heidenspaß gemacht! Schließlich wurde ich mit Anblicken und Motiven
belohnt, die beinahe nicht von dieser Welt scheinen: tosende Brandung
vor den fotogenen Klippen, unter dem untergehenden Mond, der sich
sich im Licht der Morgendämmerung in einem fließenden Pool aus
Salzwasser spiegelte – auch wenn ich ständig auf der Flucht war,
war es schlichtweg atemberaubend!
Wie erwartet wurden die
Wellen bei steigender Flut immer höher und zwangen mich schließlich
genau zu Sonnenaufgang zum Rückzug. Teilweise war das Meer schon bis
zur Klippe vorgedrungen; um zum Aufstieg zu gelangen musste ich
niedrige Wellen abwarten und bei den kritischen Passagen durch
knietiefes Wasser waten. Was für ein Triumphgefühl, als ich dann
endlich wieder oben in Sicherheit stand: Adrenalin im Blut, erfüllt von der puren
Freude, am Leben und in der Natur zu sein!
Mit Blick aufs Meer setzte
ich mich schließlich für eine Weile, genoss still den Sonnenaufgang
und sah in Ehrfurcht dorthin, wo ich Minuten zuvor noch gestanden
hatte. Die Küste unterhalb der Klippe hatte sich in einen kochenden
Hexenkessel aus tosenden Wellen verwandelt; Land war kaum mehr zu
sehen. Dass ich da unten gewesen war, schien auf einmal völlig
wahnsinnig zu sein. Einmal mehr hatte ich den Elementen Erfahrungen
und Bilder abgerungen, an die ich ohne etwas Einsatz und Risiko nicht
gelangt wäre. Es war ein durch und durch beeindruckendes Erlebnis, und es
unbeschadet überstanden zu haben, lässt mich heute noch Ehrfurcht
und tiefe Dankbarkeit empfinden!